Wie kann ein Experiment zur Beantwortung philosophischer Fragestellungen beitragen? Etwa: Was ist Wissen? Was bedeuten sprachliche Ausdrücke? Haben wir einen freien Willen? Kann man etwas absichtlich tun, ohne es zu beabsichtigen? Vertreter einer jungen philosophischen Bewegung wollen den Fragen ihres Fachs mithilfe empirisch-psychologischer Methoden auf den Grund gehen.Anstatt den bekannten Lehnstuhl (»armchair«) aufzusuchen, um sich philosophischen Problemen zu widmen, begeben sich experimentelle Philosophen ins Labor, um anhand empirischer Information aus moderner Psychologie, Neurowissenschaft und Kognitionswissenschaft philosophische Schlussfolgerungen zu stützen. Die Einführung gibt einen anschaulichen Einblick in das neue Forschungsfeld der XPhi und stellt wichtige experimentelle Beiträge zur Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes und Handlungstheorie vor. In den Blick genommen wird außerdem die florierende metaphilosophische Debatte, die zwischen experimentellen Philosophen und ihren Kritikern geführt wird.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWas alles von der Testperson abhängt
Moral und Affekt: Der Münchner Philosoph Nikil Mukerji führt in die experimentelle Philosophie ein
Philosophen, nicht nur akademische, so ein verbreitetes Urteil, scheuen die Mühsal wissenschaftlicher Arbeit, die oft langwierige Erhebung und Überprüfung empirischer Daten. Seit einigen Jahrzehnten hat dagegen in den angelsächsischen Ländern eine Gruppe von Philosophen an Bedeutung gewonnen, die sich vornimmt, philosophische Probleme experimentell zu lösen oder zumindest zu einer solchen Lösung beizutragen.
Wissenschaftliche und philosophische Fragen sind allerdings so verschieden, dass, zumindest auf den ersten Blick, eine solches Programm kaum sinnvoll zu sein scheint: Die Triftigkeit einer philosophischen Einsicht erweist sich nicht im Labor. An die Stelle des Labors tritt aber insbesondere in der analytischen Philosophie oft ein Gedankenexperiment. Als widerlegt gilt dann eine Auffassung, wenn aus ihr auf korrekte Weise Schlüsse gezogen werden, die der Intuition widersprechen.
Doch nicht nur Paradoxien beweisen, dass dem intuitiven Verständnis oft nicht zu trauen ist. Der Münchner Philosoph Nikil Mukerji stellt in seiner materialreichen "Einführung in die experimentelle Philosophie" verschiedene Konzeptionen vor, Intuitionen empirisch zu überprüfen. Allen gemeinsam ist, dass aus Gedankenexperimenten abgeleitete Urteile Testpersonen vorgelegt wurden, um herauszufinden, ob Intuitionen bei Angehörigen verschiedener Gruppen eher einheitlich ausfallen oder signifikant variieren. Dabei wurde herausgefunden, dass intuitives Verständnis abhängig ist nicht nur vom sozioökonomischen Status oder vom Bildungsgrad, von Alter und Geschlecht, von kulturellen und ethnischen Faktoren, sondern auch von der moralischen und affektiven Bewertung der Fallbeispiele.
Die Ergebnisse lassen manche Überzeugungen von Fachphilosophen fragwürdig erscheinen. Philosophische Laien verstoßen etwa mehrheitlich gegen das Zwei-Welten-Prinzip, dass Antworten auf empirisch-wissenschaftliche Fragen nicht durch normative Überzeugungen beeinflusst werden dürfen. Nicht eindeutig geklärt ist hingegen, ob Nichtphilosophen Willensfreiheit im Sinne des Kompatibilismus als vereinbar mit Determinismus verstehen. Zumindest aus einer Studie aber ergibt sich, dass die meisten bereit sind, Personen auch dann Willensfreiheit und Verantwortung zuzuschreiben, wenn sie überzeugt sind, dass der gesamte Weltenlauf und damit auch menschliches Handeln naturgesetzlich determiniert sind.
Natürlich reichen solche Untersuchungen nicht aus, philosophische Theorien zu revidieren. Aber sie ermahnen zu Bescheidenheit, zumindest dann, wenn Philosophie lebensweltliche Relevanz beansprucht. Mukerji diskutiert in seiner Studie sehr ausführlich die Einwände, die gegen experimentelle Philosophie erhoben werden. Zu wenig werde bislang berücksichtigt, wie stark die Testsituation, aber auch die Person des Experimentators die Antworten beeinflussen können.
Noch wichtiger als methodologische Bedenken aber sind grundsätzliche Argumente gegen die Arbeitsweise der experimentellen Philosophie: Oftmals wird ein eher unpräziser Begriff von Intuition vorausgesetzt; es wird nicht geklärt, welche Bedeutung intuitives Verständnis in verschiedenen philosophischen Schulen hat; auch fehlen Kriterien, die eindeutig festlegen, wann Intuitionen nicht nur als fehlbar, sondern als falsch gelten müssen. Dennoch bleibt der experimentellen Philosophie das Verdienst, die Diskussion über die Methodik philosophischer Argumentation neu angestoßen zu haben.
Mukerjis Einführung gibt eine gute Übersicht über eine neue Richtung der Philosophie, die in Deutschland bislang wenig rezipiert worden ist. Unverständlich allerdings ist, dass Aufsätze, die vor zwei Jahren in einem von Thomas Grundmann, Joachim Horvath und Jens Kipper herausgegebenen Band "Die Experimentelle Philosophie in der Diskussion" veröffentlicht wurden, nicht erwähnt werden. Wenn ein Lektor den Mut gehabt hätte, einige Wiederholungen und Längen zu streichen, hätte dies die Lektüre noch anregender gemacht.
GERD SCHRADER
Nikil Mukerji: "Einführung in die experimentelle Philosophie".
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016. 212 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Moral und Affekt: Der Münchner Philosoph Nikil Mukerji führt in die experimentelle Philosophie ein
Philosophen, nicht nur akademische, so ein verbreitetes Urteil, scheuen die Mühsal wissenschaftlicher Arbeit, die oft langwierige Erhebung und Überprüfung empirischer Daten. Seit einigen Jahrzehnten hat dagegen in den angelsächsischen Ländern eine Gruppe von Philosophen an Bedeutung gewonnen, die sich vornimmt, philosophische Probleme experimentell zu lösen oder zumindest zu einer solchen Lösung beizutragen.
Wissenschaftliche und philosophische Fragen sind allerdings so verschieden, dass, zumindest auf den ersten Blick, eine solches Programm kaum sinnvoll zu sein scheint: Die Triftigkeit einer philosophischen Einsicht erweist sich nicht im Labor. An die Stelle des Labors tritt aber insbesondere in der analytischen Philosophie oft ein Gedankenexperiment. Als widerlegt gilt dann eine Auffassung, wenn aus ihr auf korrekte Weise Schlüsse gezogen werden, die der Intuition widersprechen.
Doch nicht nur Paradoxien beweisen, dass dem intuitiven Verständnis oft nicht zu trauen ist. Der Münchner Philosoph Nikil Mukerji stellt in seiner materialreichen "Einführung in die experimentelle Philosophie" verschiedene Konzeptionen vor, Intuitionen empirisch zu überprüfen. Allen gemeinsam ist, dass aus Gedankenexperimenten abgeleitete Urteile Testpersonen vorgelegt wurden, um herauszufinden, ob Intuitionen bei Angehörigen verschiedener Gruppen eher einheitlich ausfallen oder signifikant variieren. Dabei wurde herausgefunden, dass intuitives Verständnis abhängig ist nicht nur vom sozioökonomischen Status oder vom Bildungsgrad, von Alter und Geschlecht, von kulturellen und ethnischen Faktoren, sondern auch von der moralischen und affektiven Bewertung der Fallbeispiele.
Die Ergebnisse lassen manche Überzeugungen von Fachphilosophen fragwürdig erscheinen. Philosophische Laien verstoßen etwa mehrheitlich gegen das Zwei-Welten-Prinzip, dass Antworten auf empirisch-wissenschaftliche Fragen nicht durch normative Überzeugungen beeinflusst werden dürfen. Nicht eindeutig geklärt ist hingegen, ob Nichtphilosophen Willensfreiheit im Sinne des Kompatibilismus als vereinbar mit Determinismus verstehen. Zumindest aus einer Studie aber ergibt sich, dass die meisten bereit sind, Personen auch dann Willensfreiheit und Verantwortung zuzuschreiben, wenn sie überzeugt sind, dass der gesamte Weltenlauf und damit auch menschliches Handeln naturgesetzlich determiniert sind.
Natürlich reichen solche Untersuchungen nicht aus, philosophische Theorien zu revidieren. Aber sie ermahnen zu Bescheidenheit, zumindest dann, wenn Philosophie lebensweltliche Relevanz beansprucht. Mukerji diskutiert in seiner Studie sehr ausführlich die Einwände, die gegen experimentelle Philosophie erhoben werden. Zu wenig werde bislang berücksichtigt, wie stark die Testsituation, aber auch die Person des Experimentators die Antworten beeinflussen können.
Noch wichtiger als methodologische Bedenken aber sind grundsätzliche Argumente gegen die Arbeitsweise der experimentellen Philosophie: Oftmals wird ein eher unpräziser Begriff von Intuition vorausgesetzt; es wird nicht geklärt, welche Bedeutung intuitives Verständnis in verschiedenen philosophischen Schulen hat; auch fehlen Kriterien, die eindeutig festlegen, wann Intuitionen nicht nur als fehlbar, sondern als falsch gelten müssen. Dennoch bleibt der experimentellen Philosophie das Verdienst, die Diskussion über die Methodik philosophischer Argumentation neu angestoßen zu haben.
Mukerjis Einführung gibt eine gute Übersicht über eine neue Richtung der Philosophie, die in Deutschland bislang wenig rezipiert worden ist. Unverständlich allerdings ist, dass Aufsätze, die vor zwei Jahren in einem von Thomas Grundmann, Joachim Horvath und Jens Kipper herausgegebenen Band "Die Experimentelle Philosophie in der Diskussion" veröffentlicht wurden, nicht erwähnt werden. Wenn ein Lektor den Mut gehabt hätte, einige Wiederholungen und Längen zu streichen, hätte dies die Lektüre noch anregender gemacht.
GERD SCHRADER
Nikil Mukerji: "Einführung in die experimentelle Philosophie".
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016. 212 S., br., 19,90 [Euro].
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