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Im Jahr 1975, inmitten der wohl politischsten Phase seines Lebens und seiner Arbeit, beschließt Louis Althusser, eine Art Lehrbuch zu verfassen, das die Philosophie auch für Laien zugänglich macht: "Einleitung in die Philosophie für Nichtphilosophen" ist das bestechende Ergebnis.Der vorliegende Band ist keineswegs ein schlichtes populär-wissenschaftliches Einführungswerk - Louis Althusser liefert hier den Niederschlag seiner grundlegenden Thesen hinsichtlich der Themen Ideologie, Wissenschaft und Religion wie auch des Begriffs der Praxis, der für sein Denken zentral ist und hier wie nirgendwo…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahr 1975, inmitten der wohl politischsten Phase seines Lebens und seiner Arbeit, beschließt Louis Althusser, eine Art Lehrbuch zu verfassen, das die Philosophie auch für Laien zugänglich macht: "Einleitung in die Philosophie für Nichtphilosophen" ist das bestechende Ergebnis.Der vorliegende Band ist keineswegs ein schlichtes populär-wissenschaftliches Einführungswerk - Louis Althusser liefert hier den Niederschlag seiner grundlegenden Thesen hinsichtlich der Themen Ideologie, Wissenschaft und Religion wie auch des Begriffs der Praxis, der für sein Denken zentral ist und hier wie nirgendwo anders Profil erhält. Dieses Buch stellt einen Augenblick der Synthese im Werk Althussers dar, eine funkelnde Momentaufnahme einer der einflussreichsten Philosophien des späten 20. Jahrhunderts, eine kristallklare Einführung in deren Hauptkategorien - und zugleich ein Manifest für das Denken der Zukunft. Ein Denken, von dessen brennender Relevanz der Erfolg derer zeugt, die als Althussers 'Kinder' gelten dürfen. Von Jacques Rancière bis Alain Badiou, von Slavoj Zizek bis Étienne Balibar - seine Schüler verdanken ihm, noch dort, wo sie sich von ihm kritisch abgrenzen, wesentliche Impulse.
Autorenporträt
Louis Althusser (1918-1990) war Professor für Philosophie an der École Normale Supérieure.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2018

Streitfragen sind das Ziel
Ein Band aus dem Nachlass Louis Althussers

In den späten sechziger Jahren zählte der Rezensent zu den zunächst wenigen, die Louis Althussers Lektüre des "Kapitals" von Karl Marx mit atemloser Aufmerksamkeit verfolgten. Sie schien ihm eine unerhörte Lektüre, ein symptomales Lesen, wie Althusser sich ausdrückte, das den Wissenschaftsanspruch des marxschen Werkes wie des historischen Materialismus überhaupt beim Wort nahm. Keine Exegese also, sondern das Wetterleuchten einer künftigen Wissenschaft von der Geschichte.

Fünfzig Jahre später erscheint ein wunderliches, ein wunderbares, ein anrührendes Buch aus dem Nachlass des französischen Philosophen, zu Lebzeiten von ihm verworfen, nie veröffentlicht, ein abgebrochener Versuch. Der Text hat den Anspruch, Nichtphilosophen zu erläutern, was Philosophie ist oder sein könnte - Althussers Sicht auf die Philosophie. Er liest sich wie ein immer wieder versuchter Anlauf zu einem immer wieder zu kurzen Sprung. Zu fragen, ob man Althussers Nachleben mit der Veröffentlichung einen Gefallen getan hat, ist müßig: Längst wird sein Nachlass am Institut Mémoires de l'édition contemporaine in der Normandie von eifrigen Scholaren durchforstet.

Althusser träumt von einer Philosophie jenseits der Schulphilosophien. Es sollte eine Philosophie sein, die den unterschiedlichen Praxen der Menschen Hebammendienste zu leisten in der Lage wäre, sie aus ihren ideologischen Umhüllungen zu lösen, sie gewissermaßen selbst zu erhöhen und zu sich kommen zu lassen: die Produktions-, die wissenschaftliche, die technische, die politische, auch die psychoanalytische, die künstlerische und nicht zuletzt die religiöse Praxis. Althusser besteht auf der relativen Autonomie aller dieser Praxen, ihrer spezifischen Formen der Abstraktion und damit des Wissens, das sie begleitet. Ihre Charakterisierung bildet das Kernstück des vorliegenden Buchs.

Jede dieser Praxen geht einher mit einer Art "spontaner Philosophie", die es für Althusser freizulegen gilt. Zu diesem Behuf muss eine solche Philosophie darauf verzichten, sich als ein "System" zu verstehen, welches das "Ganze" nicht nur zu denken, sondern auch zu wissen in der Lage wäre. Das Wissen der Philosophie realisiert sich für Althusser vielmehr in der Form von Thesen, die Konflikte freizulegen - oder auch zu verdecken - helfen. Hier nimmt Althusser einen Faden wieder auf, den er bereits in seinem "Cours de philosophie pour scientifiques" von 1967 zu spinnen begonnen hatte. In seinen Worten: "Wir können also sagen, dass die Philosophie nicht Kenntnis eines wirklichen Gegenstandes hervorbringt, sondern Thesen setzt, die entweder das Dasein eines philosophischen ,Gegenstandes' verkünden oder die Eigenschaften dieses Gegenstandes. Des Weiteren können wir sagen, dass die Philosophie keinen Gegenstand hat (in dem Sinn, wie wissenschaftliche Praxis und Produktionspraxis einen Gegenstand haben), sondern dass sie auf anderes abzielt: Zielvorstellungen oder Streitfragen."

Über keine der zur Sprache kommenden Praxen weiß Althusser so Präzises und Erhellendes zu berichten wie über die wissenschaftliche Praxis. Hier unverkennbar an Gaston Bachelard anschließend, versteht er sie als einen radikal kontingenten und sich damit zumindest tendenziell dem ideologischen Würgegriff entziehenden Prozess der Hervorbringung neuen Wissens über die verhandelten Objekte. Wesentlich dafür ist die Möglichkeit des Bruches mit dem gegebenen und zur Selbstverständlichkeit gewordenen Wissen. Solche Brüche vollziehen sich in der Triade von zu bearbeitendem Material, den Instrumenten dieser Bearbeitung und den Wissenseffekten, die aus dem Prozess resultieren. Althusser denkt ihn als einen "Prozess ohne Subjekt": Der Wissenschaftler "ist ein Agent in einem Prozess, der über ihn hinausgeht, ist nicht . . . sein Ursprung oder Schöpfer".

Jeder der genannten Praxen widmet Althusser ein Kapitel - auch der alles überwölbenden ideologischen Praxis und der "herrschenden" Philosophie als deren theoretischem Gleichrichter, von den Griechen bis zum deutschen Idealismus. "Diese Welt", so Althusser, "ohne Außerhalb ist eine geschichtslose Welt. Sie setzt sich aus der Gesamtheit der von der Geschichte gebilligten großen Werke zusammen, ist jedoch selbst geschichtslos." Gegen diese Welt philosophischer Abstraktion beharrt Althusser auf einer radikalen historischen Immanenz allen praktischen gesellschaftlichen Geschehens, einer Immanenz, die auch dem Aleatorischen den ihm gebührenden Platz zuweist.

Der Verzicht auf eine Teleologie der Vernunft - auf ein Verständnis der Welt als einer "expressiven Totalität" - hatte bereits Althussers Lektüre des "Kapitals" bestimmt. In seinen späten Unterhaltungen mit und Briefen an seine mexikanische Gesprächspartnerin Fernanda Navarro hat er den ihm zu Grunde liegenden Materialismus der "Begegnung" (rencontre) beschrieben als die Öffnung der Welt auf das - nicht vorwegnehmbare - Ereignis ("Sur la philosophie", Paris 1994). Im vorliegenden Text reibt sich diese Einsicht immer wieder an der marxschen Antizipation einer klassenlosen Gesellschaft, an der Althusser zugleich, trotz aller bitteren Erfahrungen seines Jahrhunderts, festhalten wollte. Ein nicht auflösbares Dilemma.

HANS-JÖRG RHEINBERGER.

Louis Althusser: "Einleitung in die Philosophie für Nichtphilosophen". Hrsg. von G. M. Goshgarian. Aus dem Französischen von Christian Leitner. Passagen Verlag, Wien 2018. 328 S., geb., 40,10 [Euro].

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