Expeditionsleiter Markus Rex über sein Jahr im Eis - mit exklusiven Fotos von der Expedition, vielen Grafiken und Karten
Am 20. September 2019 startete die größte Arktisexpedition aller Zeiten: Die »Polarstern« verließ den Hafen von Tromsö, um sich am Nordpol einfrieren zu lassen. An Bord hat sie Wissenschaftler aus 20 Nationen, die in der Arktis ein Jahr lang die Auswirkungen des Klimawandels untersuchen werden. Markus Rex, der Leiter der »MOSAiC« genannten Forschungsmission, erzählt in seinem Buch die Geschichte dieser einmaligen Expedition: Er berichtet vom Alltag unter den extremen Bedingungen der Arktis, von den logistischen und planerischen Herausforderungen und von den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Forscher im Eis sammeln konnten. »Eingefroren am Nordpol« ist die Geschichte eines großen Forschungsabenteuers und zugleich ein eindringlicher Blick auf die dramatischen Folgen des Klimawandels.
»Eingefroren am Nordpol« wurde ausgezeichnet mit dem ITB BuchAward 2021 in der Kategorie »Sustainable Responsibility«.
Ebenso erschienen:
Bildband: Esther Horvath; Texte von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider, Expedition Arktis: Die größte Forschungsreise aller Zeiten (Prestel Verlag, 978-3-7913-8669-0)
Kindersachbuch: Katharina Weiss-Tuider, Expedition Polarstern (cbj Kinderbuch, 978-3-570-17814-0)
Ausstattung: mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Grafiken
Am 20. September 2019 startete die größte Arktisexpedition aller Zeiten: Die »Polarstern« verließ den Hafen von Tromsö, um sich am Nordpol einfrieren zu lassen. An Bord hat sie Wissenschaftler aus 20 Nationen, die in der Arktis ein Jahr lang die Auswirkungen des Klimawandels untersuchen werden. Markus Rex, der Leiter der »MOSAiC« genannten Forschungsmission, erzählt in seinem Buch die Geschichte dieser einmaligen Expedition: Er berichtet vom Alltag unter den extremen Bedingungen der Arktis, von den logistischen und planerischen Herausforderungen und von den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Forscher im Eis sammeln konnten. »Eingefroren am Nordpol« ist die Geschichte eines großen Forschungsabenteuers und zugleich ein eindringlicher Blick auf die dramatischen Folgen des Klimawandels.
»Eingefroren am Nordpol« wurde ausgezeichnet mit dem ITB BuchAward 2021 in der Kategorie »Sustainable Responsibility«.
Ebenso erschienen:
Bildband: Esther Horvath; Texte von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider, Expedition Arktis: Die größte Forschungsreise aller Zeiten (Prestel Verlag, 978-3-7913-8669-0)
Kindersachbuch: Katharina Weiss-Tuider, Expedition Polarstern (cbj Kinderbuch, 978-3-570-17814-0)
Ausstattung: mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Grafiken
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2021NEUE REISEBÜCHER
Für den Tisch Es war die größte Arktis-Expedition aller Zeiten, und sie wäre beinahe gescheitert. Nun berichten zwei Bücher von dieser spannenden Reise des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern, der ein Jahr lang im Eis unterwegs war. Stell dir vor, eine Maschine geht kaputt, es gibt kein Ersatzteil, und du bist Tausende von Kilometern vom nächsten Baumarkt weg.
Stell dir vor, es ist kalt, gefühlte minus sechzig Grad. Es gibt einen Schneesturm. Es ist stockfinster. Und da ist ein Eisbär, der da nicht hingehört. So in etwa muss man sich die Rahmenbedingungen vorstellen, wenn ein Teilnehmer der MOSAiC-Expedition von einem normalen Arbeitstag berichtet. MOSAiC ist die Abkürzung für multidisziplinäres Drift-Observatorium zum Studium des arktischen Klimas. Der Name passt gut, denn die Forscher, die von 2019 bis 2020 die Klimaprozesse der Zentralarktis, vor allem die des Winters, erstmalig umfassend messen konnten, brachten Millionen von Mosaikteilchen mit, mehr als hundert Terabytes an Daten aus Tiefsee, Eis und Atmosphäre - ein Schatz, der noch Generationen nützen soll.
Die zwei Bücher, die von dieser Expedition berichten, haben gerade den ITB Buch-Award in der Kategorie "Sustainable Responsibility" gewonnen: "Eingefroren am Nordpol", das Logbuch des Expeditionsleiters Markus Rex, und "Expedition Arktis", ein Bildband der Fotografin Esther Horvath. Es sind Bücher, die allein aufgrund der Einmaligkeit der Reise etwas Besonderes sind. Denn nie zuvor befand sich ein Schiff im Winter so weit nördlich wie der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern im Februar 2020 bei 88° 36' Nord - 156 Kilometer vom Nordpol entfernt. Nie zuvor haben so viele Nationen an einem Projekt zusammengearbeitet. Achtzig Forschungseinrichtungen beteiligten sich, um 450 Polarfahrer aus 37 Nationen, verteilt auf fünf Etappen, in die Arktis zu schicken, koordiniert wurde das Ganze vom Alfred-Wegener-Institut nach einer Idee von Klaus Dethloff beziehungsweise Fridtjof Nansen.
Nansen war 1893 mit deutlich weniger Personal aufgebrochen, um den Nordpol zu erreichen. Er wollte sich dafür mit seinem Schiff, der Fram, an einer Scholle festfrieren lassen und treiben lassen. Die Transpolardrift - jener Strom, der die Eismassen der Arktis nach Norden durchs Nordpolarmeer schiebt - würde dafür sorgen, dass ein vor der sibirischen Küste festgefrorenes Schiff irgendwann zwischen Grönland und Spitzbergen wieder auftauchen würde. Die Fram brauchte damals drei Jahre. Die Polarstern sollte es in einem Jahr schaffen.
In seinem Logbuch beschreibt Expeditionsleiter Markus Rex zunächst die spannende Suche nach einer geeigneten Scholle und wie sie bei 85 Grad Nord, 134 Grad Ost gefunden wurde; wie es knirschte und knackte, als die Polarstern auf das 2,5 mal 3,5 Kilometer große Stück Eis aufsetzte, und wie die Forscher, Tausende von Metern über dem Meeresboden, auf ihr eine Wissenschaftsstadt mit Pfaden und Holzhütten und Messstationen bauten, für Wasser, Partikel, Licht, Druck, Temperaturen, Mineralien, für das sichtbare und unsichtbare Leben im Eis.
Sein Logbuch schildert den Alltag in einer kalten Welt, in der es immer mehr dämmert und dann stockfinster wird. In der das Sichtfeld auf die Größe des Lichtkegels an der Kopflampe schrumpft. Gewaltige Verwerfungen im Eis zwingen die Mannschaft immer wieder, ihre Instrumente zu bergen. Winterstürme ziehen über die Scholle hinweg, mehr als erwartet. Man driftet schneller und entdeckt ein bis dahin unbekanntes Ozonloch, mitten über der Arktis. Rex beschreibt, erklärt und erläutert Zusammenhänge. Verständlich werden die Wechselwirkungen von Atmosphäre, Eis und Ökosystem. Es ist ein Buch, das Arktis-Kenner nicht langweilen wird und Arktis-Interessierte unaufgeregt in die komplexe und hochspannende Welt der winzigen Zusammenhänge einführt - und nebenbei unterhält. Wie entsteht Eisblink? Warum sitzen die Leute bei Eisfahrt so gern in der Sauna am Bug? Was ist Gakkel Deep? Wie erschreckt man nachhaltig einen Eisbären? Und was zum Teufel sind "Pilleknäckeren"?
Wovon Rex (und auch Horvath) aufgrund der Rotation der Teammitglieder keine Zeugen werden, sind die Zerreißproben, unter denen die dritte Phase der Expedition leidet: als die andauernde Polarnacht und die Kälte zur Belastungsprobe werden. Als Stürme toben, die Scholle immer wieder aufbricht und im Frühjahr 2020 der weltweite Ausbruch des Sars-CoV-2-Virus die über zehn Jahre geplante Logistik der Expedition zunichtemacht. Von Land aus berichtet Rex, wie hinter den Kulissen Unmögliches möglich gemacht wird, damit MOSAiC nicht abgebrochen werden muss, und wie er dann nach zweiwöchiger Quarantäne in Bremerhaven zu den letzten Phasen wieder auf die Polarstern zurückkehrt.
Logbücher schreiben ist eine wunderbare Sache. Viele Seefahrer wurden im Eis zu Dichtern. Captain Fitzjames dachte bei den Schaumkronen der Wellen an Bier und schrieb 1845 kurz vor Grönland an Bord der HMS Erebus: "Die See ist von geradezu unheimlicher Transparenz, sie schimmert in einem schönen, zarten und kalten Grün bis Ultramarin." Julius Payer, Kapitän zu Land an Bord der Admiral Tegetthoff, schrieb 1874 vor Franz-Josef-Land: "Wenn das Strandeis nicht durch Ebbe und Fluth ächzend und klingend gehoben wird, der Wind nicht seufzend über die Steinfurchen dahinstreicht, so liegt die Stille des Todes über der geisterbleichen Landschaft." Markus Rex' Beobachtungen sind dagegen fast nüchtern, gelegentlich lakonisch. "In der Karasee schwimmt im Spätsommer 2019 nicht mal genügend Eis für ein Glas Whiskey." Oder: "Was für eine tolle Scholle!" Sein nichtsdestoweniger kluges Buch endet in einem zielführenden und kompakten Epilog, aber leider auch mit der Feststellung, dass wir eventuell die letzte Generation sind, die ganzjähriges Eis am Pol erlebt.
Der Bildband von Esther Horvath hat den unschlagbaren Vorteil, den Bildbände nun mal haben: Platz. Gleich zu Beginn von "Expedition Arktis" macht das Layout die Ambivalenz der Arktis klar: Erst eine blendend weiße Doppelseite, man sieht ein paar rote Figuren, hinter ihnen liegt im Eis festgefroren ein Schiff. Auf der nächsten Seite ist da plötzlich schwarze Nacht, drei Gestalten in gespenstischem Licht in schneeverwehter Finsternis, sie wirken wie Aliens, es wird einem kalt bei diesem Bild, man bekommt förmlich Gänsehaut. Auf den folgenden Seiten kann man versuchen, sich vorzustellen, wie die Stille klingt. Wie die Finsternis drückt. Wie es knallt, kracht, knirscht, quietscht und jammert, wenn es stürmt und die Ankerleinen zum Reißen gespannt sind.
Horvath zeigt zunächst die Vorbereitungsphase der Teilnehmer auf Spitzbergen im Dorf Ny-Ålesund, einer Art "olympischem Dorf für Arktisforscher", die sie selbst auch mitmachte. Wie sie das Überleben bei minus 40 Grad üben, mit verbundenen Augen unter Stress Feuer löschen, auf Papp-Eisbären schießen, wie Survival-Kekse aussehen (wie ein Stück Pressspanplatte). Die Bildunterschriften, von denen es gerne mehr hätten sein können, sind lehrreich, und in den schönen Texten von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider stecken weise Sätze wie: "Pläne bedeuten so gut wie nichts in der Arktis, kontinuierliches Planen dagegen alles." Dazu gibt es ein Kapitel über Nansens Polarexpedition mit Zitaten und Bildern, anschauliche Kapitel über die verschiedenen Messungen, so dass man, auch ohne das Logbuch von Markus Rex gelesen zu haben, versteht, worum es geht. Vor allem aber gibt Horvath den Menschen ein Gesicht. Man sieht die Bäckerin, die jeden Morgen um zwei aufsteht, damit alle frische Brötchen haben. Man sieht die Teilnehmer beim Yoga, beim Schreiben im Schneesturm, beim Entnehmen von Eiszylindern, mit seltsamen Nachtsichtgeräten auf dem Kopf, verkleidet, beim Fußballspielen, Stricken oder abends, beim Nähen von Signalfahnen auf der Kammer. Zu John Franklins Zeiten waren es noch Gottesdienste und Schulunterricht, auf der Polarstern gab es zur Unterhaltung ein Kostümfest, Tischtennis, eine Bar mit Namen Zillertal und das Nordpolradio über Bordfunk.
"In der Polarnacht in die Nähe des Nordpols zu kommen, ist eine Chance, die man vermutlich nur einmal im Leben hat", sagt Horvath und beschreibt auch, wie sie es schaffte, bei extremer Kälte in Schneestürmen zu fotografieren, bei sich ständig änderndem Licht, begrenzter Sicht, mit anderen Sinnen, nah an den Menschen, mit Eisfingern. Ab Seite 246 behilft sich das Buch mit Filmstills der Ufa, da Horvath nicht durchgehend an Bord sein konnte. Man sieht in Luftaufnahmen die Drift durch den arktischen Sommer, wie machtvoll die Scholle plötzlich in Bewegung gerät, wie unzugänglich von einem Tag auf den anderen plötzlich die Punkte werden, und am Ende, wie das Eis bricht und die Forscher messen und packen und messen und packen, bis zur letzten Minute. Denn die Phasen des Gefrierens und des Tauens sind die wichtigsten.
Nach der Lektüre beider Bücher versteht man besser, dass Markus Rex während eines Landaufenthalts über die Arktis schrieb: "Die Welt dort war klein, einfach, intensiv. Zu Hause ist sie wieder groß, kompliziert und gleichzeitig banal." Arezu Weitholz.
Markus Rex: Eingefroren am Nordpol; C. Bertelsmann Verlag, 320 Seiten, mit Abbildungen und Grafiken, 28 Euro.
Esther Horvath: Expedition Arktis; Prestel Verlag, 288 Seiten, 160 Abbildungen, Texte von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider, 50 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch Es war die größte Arktis-Expedition aller Zeiten, und sie wäre beinahe gescheitert. Nun berichten zwei Bücher von dieser spannenden Reise des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern, der ein Jahr lang im Eis unterwegs war. Stell dir vor, eine Maschine geht kaputt, es gibt kein Ersatzteil, und du bist Tausende von Kilometern vom nächsten Baumarkt weg.
Stell dir vor, es ist kalt, gefühlte minus sechzig Grad. Es gibt einen Schneesturm. Es ist stockfinster. Und da ist ein Eisbär, der da nicht hingehört. So in etwa muss man sich die Rahmenbedingungen vorstellen, wenn ein Teilnehmer der MOSAiC-Expedition von einem normalen Arbeitstag berichtet. MOSAiC ist die Abkürzung für multidisziplinäres Drift-Observatorium zum Studium des arktischen Klimas. Der Name passt gut, denn die Forscher, die von 2019 bis 2020 die Klimaprozesse der Zentralarktis, vor allem die des Winters, erstmalig umfassend messen konnten, brachten Millionen von Mosaikteilchen mit, mehr als hundert Terabytes an Daten aus Tiefsee, Eis und Atmosphäre - ein Schatz, der noch Generationen nützen soll.
Die zwei Bücher, die von dieser Expedition berichten, haben gerade den ITB Buch-Award in der Kategorie "Sustainable Responsibility" gewonnen: "Eingefroren am Nordpol", das Logbuch des Expeditionsleiters Markus Rex, und "Expedition Arktis", ein Bildband der Fotografin Esther Horvath. Es sind Bücher, die allein aufgrund der Einmaligkeit der Reise etwas Besonderes sind. Denn nie zuvor befand sich ein Schiff im Winter so weit nördlich wie der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern im Februar 2020 bei 88° 36' Nord - 156 Kilometer vom Nordpol entfernt. Nie zuvor haben so viele Nationen an einem Projekt zusammengearbeitet. Achtzig Forschungseinrichtungen beteiligten sich, um 450 Polarfahrer aus 37 Nationen, verteilt auf fünf Etappen, in die Arktis zu schicken, koordiniert wurde das Ganze vom Alfred-Wegener-Institut nach einer Idee von Klaus Dethloff beziehungsweise Fridtjof Nansen.
Nansen war 1893 mit deutlich weniger Personal aufgebrochen, um den Nordpol zu erreichen. Er wollte sich dafür mit seinem Schiff, der Fram, an einer Scholle festfrieren lassen und treiben lassen. Die Transpolardrift - jener Strom, der die Eismassen der Arktis nach Norden durchs Nordpolarmeer schiebt - würde dafür sorgen, dass ein vor der sibirischen Küste festgefrorenes Schiff irgendwann zwischen Grönland und Spitzbergen wieder auftauchen würde. Die Fram brauchte damals drei Jahre. Die Polarstern sollte es in einem Jahr schaffen.
In seinem Logbuch beschreibt Expeditionsleiter Markus Rex zunächst die spannende Suche nach einer geeigneten Scholle und wie sie bei 85 Grad Nord, 134 Grad Ost gefunden wurde; wie es knirschte und knackte, als die Polarstern auf das 2,5 mal 3,5 Kilometer große Stück Eis aufsetzte, und wie die Forscher, Tausende von Metern über dem Meeresboden, auf ihr eine Wissenschaftsstadt mit Pfaden und Holzhütten und Messstationen bauten, für Wasser, Partikel, Licht, Druck, Temperaturen, Mineralien, für das sichtbare und unsichtbare Leben im Eis.
Sein Logbuch schildert den Alltag in einer kalten Welt, in der es immer mehr dämmert und dann stockfinster wird. In der das Sichtfeld auf die Größe des Lichtkegels an der Kopflampe schrumpft. Gewaltige Verwerfungen im Eis zwingen die Mannschaft immer wieder, ihre Instrumente zu bergen. Winterstürme ziehen über die Scholle hinweg, mehr als erwartet. Man driftet schneller und entdeckt ein bis dahin unbekanntes Ozonloch, mitten über der Arktis. Rex beschreibt, erklärt und erläutert Zusammenhänge. Verständlich werden die Wechselwirkungen von Atmosphäre, Eis und Ökosystem. Es ist ein Buch, das Arktis-Kenner nicht langweilen wird und Arktis-Interessierte unaufgeregt in die komplexe und hochspannende Welt der winzigen Zusammenhänge einführt - und nebenbei unterhält. Wie entsteht Eisblink? Warum sitzen die Leute bei Eisfahrt so gern in der Sauna am Bug? Was ist Gakkel Deep? Wie erschreckt man nachhaltig einen Eisbären? Und was zum Teufel sind "Pilleknäckeren"?
Wovon Rex (und auch Horvath) aufgrund der Rotation der Teammitglieder keine Zeugen werden, sind die Zerreißproben, unter denen die dritte Phase der Expedition leidet: als die andauernde Polarnacht und die Kälte zur Belastungsprobe werden. Als Stürme toben, die Scholle immer wieder aufbricht und im Frühjahr 2020 der weltweite Ausbruch des Sars-CoV-2-Virus die über zehn Jahre geplante Logistik der Expedition zunichtemacht. Von Land aus berichtet Rex, wie hinter den Kulissen Unmögliches möglich gemacht wird, damit MOSAiC nicht abgebrochen werden muss, und wie er dann nach zweiwöchiger Quarantäne in Bremerhaven zu den letzten Phasen wieder auf die Polarstern zurückkehrt.
Logbücher schreiben ist eine wunderbare Sache. Viele Seefahrer wurden im Eis zu Dichtern. Captain Fitzjames dachte bei den Schaumkronen der Wellen an Bier und schrieb 1845 kurz vor Grönland an Bord der HMS Erebus: "Die See ist von geradezu unheimlicher Transparenz, sie schimmert in einem schönen, zarten und kalten Grün bis Ultramarin." Julius Payer, Kapitän zu Land an Bord der Admiral Tegetthoff, schrieb 1874 vor Franz-Josef-Land: "Wenn das Strandeis nicht durch Ebbe und Fluth ächzend und klingend gehoben wird, der Wind nicht seufzend über die Steinfurchen dahinstreicht, so liegt die Stille des Todes über der geisterbleichen Landschaft." Markus Rex' Beobachtungen sind dagegen fast nüchtern, gelegentlich lakonisch. "In der Karasee schwimmt im Spätsommer 2019 nicht mal genügend Eis für ein Glas Whiskey." Oder: "Was für eine tolle Scholle!" Sein nichtsdestoweniger kluges Buch endet in einem zielführenden und kompakten Epilog, aber leider auch mit der Feststellung, dass wir eventuell die letzte Generation sind, die ganzjähriges Eis am Pol erlebt.
Der Bildband von Esther Horvath hat den unschlagbaren Vorteil, den Bildbände nun mal haben: Platz. Gleich zu Beginn von "Expedition Arktis" macht das Layout die Ambivalenz der Arktis klar: Erst eine blendend weiße Doppelseite, man sieht ein paar rote Figuren, hinter ihnen liegt im Eis festgefroren ein Schiff. Auf der nächsten Seite ist da plötzlich schwarze Nacht, drei Gestalten in gespenstischem Licht in schneeverwehter Finsternis, sie wirken wie Aliens, es wird einem kalt bei diesem Bild, man bekommt förmlich Gänsehaut. Auf den folgenden Seiten kann man versuchen, sich vorzustellen, wie die Stille klingt. Wie die Finsternis drückt. Wie es knallt, kracht, knirscht, quietscht und jammert, wenn es stürmt und die Ankerleinen zum Reißen gespannt sind.
Horvath zeigt zunächst die Vorbereitungsphase der Teilnehmer auf Spitzbergen im Dorf Ny-Ålesund, einer Art "olympischem Dorf für Arktisforscher", die sie selbst auch mitmachte. Wie sie das Überleben bei minus 40 Grad üben, mit verbundenen Augen unter Stress Feuer löschen, auf Papp-Eisbären schießen, wie Survival-Kekse aussehen (wie ein Stück Pressspanplatte). Die Bildunterschriften, von denen es gerne mehr hätten sein können, sind lehrreich, und in den schönen Texten von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider stecken weise Sätze wie: "Pläne bedeuten so gut wie nichts in der Arktis, kontinuierliches Planen dagegen alles." Dazu gibt es ein Kapitel über Nansens Polarexpedition mit Zitaten und Bildern, anschauliche Kapitel über die verschiedenen Messungen, so dass man, auch ohne das Logbuch von Markus Rex gelesen zu haben, versteht, worum es geht. Vor allem aber gibt Horvath den Menschen ein Gesicht. Man sieht die Bäckerin, die jeden Morgen um zwei aufsteht, damit alle frische Brötchen haben. Man sieht die Teilnehmer beim Yoga, beim Schreiben im Schneesturm, beim Entnehmen von Eiszylindern, mit seltsamen Nachtsichtgeräten auf dem Kopf, verkleidet, beim Fußballspielen, Stricken oder abends, beim Nähen von Signalfahnen auf der Kammer. Zu John Franklins Zeiten waren es noch Gottesdienste und Schulunterricht, auf der Polarstern gab es zur Unterhaltung ein Kostümfest, Tischtennis, eine Bar mit Namen Zillertal und das Nordpolradio über Bordfunk.
"In der Polarnacht in die Nähe des Nordpols zu kommen, ist eine Chance, die man vermutlich nur einmal im Leben hat", sagt Horvath und beschreibt auch, wie sie es schaffte, bei extremer Kälte in Schneestürmen zu fotografieren, bei sich ständig änderndem Licht, begrenzter Sicht, mit anderen Sinnen, nah an den Menschen, mit Eisfingern. Ab Seite 246 behilft sich das Buch mit Filmstills der Ufa, da Horvath nicht durchgehend an Bord sein konnte. Man sieht in Luftaufnahmen die Drift durch den arktischen Sommer, wie machtvoll die Scholle plötzlich in Bewegung gerät, wie unzugänglich von einem Tag auf den anderen plötzlich die Punkte werden, und am Ende, wie das Eis bricht und die Forscher messen und packen und messen und packen, bis zur letzten Minute. Denn die Phasen des Gefrierens und des Tauens sind die wichtigsten.
Nach der Lektüre beider Bücher versteht man besser, dass Markus Rex während eines Landaufenthalts über die Arktis schrieb: "Die Welt dort war klein, einfach, intensiv. Zu Hause ist sie wieder groß, kompliziert und gleichzeitig banal." Arezu Weitholz.
Markus Rex: Eingefroren am Nordpol; C. Bertelsmann Verlag, 320 Seiten, mit Abbildungen und Grafiken, 28 Euro.
Esther Horvath: Expedition Arktis; Prestel Verlag, 288 Seiten, 160 Abbildungen, Texte von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider, 50 Euro
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»Faszinierendes Buch« Markus Lanz