Hysteriker/West trifft Staatszombie/OstMichael Eberth folgt 1990 dem Ruf Thomas Langhoffs als Chefdramaturg an das Berliner Deutsche Theater, das ehemalige Staatstheater der DDR. Langhoff, mit dem Eberth eine langjährige Arbeitsbeziehung verbindet, will einen Westdramaturgen an seinem Theater haben. Eberth ist gespannt auf das Neue - und stößt auf ihm menschlich, organisatorisch und vor allem künstlerisch fremde Strukturen, die ihn an den Rand der Verzweiflung treiben.Bevor er das Theater verlässt, setzt er den Regiestudenten Thomas Ostermeier als Leiter der neuen Spielstätte 'Baracke' ein und verfolgt mit Genugtuung, wie der junge Künstler sie in anderthalb Spielzeiten zum 'Theater des Jahres' macht.Eberths Tagebücher sind Dokument eines Verständigungsversuchs am Rande des Scheiterns, sind theatergeschichtliches Zeitzeugnis, geben teils haarsträubende Einblicke hinter die Kulissen des von Eitelkeiten und Wahn durchdrungenen Kunst- und Politikbetriebs der neuen Hauptstadt - und sind leidenschaftliches Plädoyer für eine alte und vermeintlich unzeitgemäße Kunst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kurz nach dem Mauerfall wurden zahlreiche Theater-Posten neu vergeben und der erfolgreiche Regisseur Michael Eberth kam als Chefdramaturg ans Deutsche Theater in Berlin, berichtet Irene Bazinger. Mit "Einheit" ist jetzt das Tagebuch Eberths aus seiner Zeit im "Biotop DT" erschienen, freut sich die Rezensentin, die gespannt den Auseinandersetzungen zwischen Ost- und Westmitgliedern des Ensembles und den Intrigen in der Führungsebene folgt, die den Intendanten Thomas Langhoff zum "King of Berlin" machten und Eberth letztendlich zur Aufgabe zwangen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2015Mit dem King of Berlin durch die Wendejahre
Dramaturg im Niemandsland: Michael Eberth erzählt davon, wie schwer Theaterdeutschland zusammenwuchs
Als die Berliner Mauer fiel und in der ganzen DDR die Betriebe abgewickelt oder die Leitungsebenen ausgetauscht wurden, waren die zahlreichen ostdeutschen Bühnen davon nicht ausgenommen. Das mitten in Berlin gelegene Deutsche Theater (DT) mit seiner noch von Max Reinhardt geprägten Tradition erregte natürlich besondere Begehrlichkeiten im Westen, was wiederum im Osten besondere Ängste auslöste. Insofern war es ein kluger Schachzug, dass der Senat 1991 als neuen Intendanten den Regisseur Thomas Langhoff berief. Dessen Vater, selbst ebenfalls Regisseur, hatte von 1946 bis 1963 die gleiche Funktion innegehabt. Sein Sohn feierte Erfolge in Ost und West und galt als politisch unbelasteter, integrer Versöhner.
Zur allgemeinen Überraschung wollte er allerdings als seinen Chefdramaturgen den 1943 am Bodensee geborenen und in der Bundesrepublik aufgewachsenen Michael Eberth verpflichten. Mit ihm hatte Langhoff, obwohl ihre ästhetischen Konzepte unterschiedlich waren, bereits mehrfach zusammengearbeitet. Sein Angebot kam sogar für Eberth unerwartet: "Die Krönung wird ihn noch selbstherrlicher machen", überlegte er im Vorfeld, indes: "Das DT liegt an der Schnittlinie der deutschen Teilung. Der Gedanke, das Gemeinsame da wiederherzustellen, wo es zerrissen wurde, ist bestechend."
Die Aufgabe verlockte Eberth also trotz aller absehbaren Probleme. Er willigte ein und zog mit seiner Familie nach Berlin. Was dann passierte, erlebte er als kompliziert-faszinierenden Prozess der Annäherung beider deutschen Staaten im Biotop DT. Weil er sich durch den konfliktscheuen Intendanten, der sich lieber wegduckte, als etwas klar zu entscheiden, bald alleingelassen fühlte und seine Erfahrungen mit niemandem teilen konnte, begann Eberth geradezu "exzessiv" Tagebuch zu führen. Diese gesammelten Aufzeichnungen sind nun - nach gründlicher anwaltlicher Prüfung - erschienen.
Obwohl die meisten der darin thematisierten Kontroversen inklusive der Stasi-Verstrickungen inzwischen Vergangenheit sind, haben Eberths klug verdichtete Notizen erstaunlicherweise keinen Staub angesetzt. Jenseits von Klatsch und Tratsch beschreibt er nämlich bei aller Einseitigkeit plastisch und unaufgeregt, wie damals im DT zusammenkam, was weder zusammenpasste noch zusammenkommen wollte: Die Schauspieler von hüben wie drüben hatten völlig konträre Auffassungen von ihrem Beruf, die alten Mitarbeiter boykottierten geradezu die Vorhaben der "Fremden", die jene wiederum verachteten. Und er als Westdramaturg konnte die anders sozialisierten Ex-DDR-Bürger mit ihren Techniken der verschlüsselten Systemkritik wie mit ihren Ängsten vor der radikal neuen Situation nach dem Mauerfall nicht wirklich begreifen, hatte irgendwann auch immer weniger Lust dazu und verschanzte sich hinter seinen bislang bewährten Positionen.
Im "Niemandsland zwischen Ost und West" gelandet, gelang es Eberth nicht, Verbündete zu gewinnen oder die Strukturen zu reformieren. So liefen die Ideen, Vorschläge, Anstöße des gestandenen Dramaturgen - der gut, gern und gelobt am TAT und Schauspiel in Frankfurt am Main, an den Münchner Kammerspielen und am Wiener Burgtheater gearbeitet hatte - zunehmend ins Leere. Stücke und Inszenierungen, die er angeregt und gefördert hatte, wurden zu Reinfällen. Man muss nicht viel vom Theater verstehen, um gespannt den Krächen zwischen den hart aufeinanderprallenden Meinungen zu folgen, von den üblichen Intrigen ganz zu schweigen, die sich überall ähneln, wenn es um große Rollen und Gagen, Macht und Einfluss geht.
Allmählich verlor Eberth den Glauben an sich und sein Theater, dessen wenig anspruchsvolle, handwerklich freilich oft virtuose Aufführungen vom Publikum gestürmt wurden. Langhoff stieg zum "King of Berlin" auf - und Eberth warf das Handtuch. "Das Deutsche Theater ist eine Legende, in die ich nicht reingefunden habe", schrieb er in seinem Kündigungsbrief. Des Theaters aber doch nicht so müde, wie er befürchtet hatte, arbeitete er später etwa in Düsseldorf und Hamburg im Geiste Peter Brooks weiter.
IRENE BAZINGER
Michael Eberth: "Einheit". Berliner Theatertagebücher 91-96.
Alexander Verlag, Berlin 2015. 344 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dramaturg im Niemandsland: Michael Eberth erzählt davon, wie schwer Theaterdeutschland zusammenwuchs
Als die Berliner Mauer fiel und in der ganzen DDR die Betriebe abgewickelt oder die Leitungsebenen ausgetauscht wurden, waren die zahlreichen ostdeutschen Bühnen davon nicht ausgenommen. Das mitten in Berlin gelegene Deutsche Theater (DT) mit seiner noch von Max Reinhardt geprägten Tradition erregte natürlich besondere Begehrlichkeiten im Westen, was wiederum im Osten besondere Ängste auslöste. Insofern war es ein kluger Schachzug, dass der Senat 1991 als neuen Intendanten den Regisseur Thomas Langhoff berief. Dessen Vater, selbst ebenfalls Regisseur, hatte von 1946 bis 1963 die gleiche Funktion innegehabt. Sein Sohn feierte Erfolge in Ost und West und galt als politisch unbelasteter, integrer Versöhner.
Zur allgemeinen Überraschung wollte er allerdings als seinen Chefdramaturgen den 1943 am Bodensee geborenen und in der Bundesrepublik aufgewachsenen Michael Eberth verpflichten. Mit ihm hatte Langhoff, obwohl ihre ästhetischen Konzepte unterschiedlich waren, bereits mehrfach zusammengearbeitet. Sein Angebot kam sogar für Eberth unerwartet: "Die Krönung wird ihn noch selbstherrlicher machen", überlegte er im Vorfeld, indes: "Das DT liegt an der Schnittlinie der deutschen Teilung. Der Gedanke, das Gemeinsame da wiederherzustellen, wo es zerrissen wurde, ist bestechend."
Die Aufgabe verlockte Eberth also trotz aller absehbaren Probleme. Er willigte ein und zog mit seiner Familie nach Berlin. Was dann passierte, erlebte er als kompliziert-faszinierenden Prozess der Annäherung beider deutschen Staaten im Biotop DT. Weil er sich durch den konfliktscheuen Intendanten, der sich lieber wegduckte, als etwas klar zu entscheiden, bald alleingelassen fühlte und seine Erfahrungen mit niemandem teilen konnte, begann Eberth geradezu "exzessiv" Tagebuch zu führen. Diese gesammelten Aufzeichnungen sind nun - nach gründlicher anwaltlicher Prüfung - erschienen.
Obwohl die meisten der darin thematisierten Kontroversen inklusive der Stasi-Verstrickungen inzwischen Vergangenheit sind, haben Eberths klug verdichtete Notizen erstaunlicherweise keinen Staub angesetzt. Jenseits von Klatsch und Tratsch beschreibt er nämlich bei aller Einseitigkeit plastisch und unaufgeregt, wie damals im DT zusammenkam, was weder zusammenpasste noch zusammenkommen wollte: Die Schauspieler von hüben wie drüben hatten völlig konträre Auffassungen von ihrem Beruf, die alten Mitarbeiter boykottierten geradezu die Vorhaben der "Fremden", die jene wiederum verachteten. Und er als Westdramaturg konnte die anders sozialisierten Ex-DDR-Bürger mit ihren Techniken der verschlüsselten Systemkritik wie mit ihren Ängsten vor der radikal neuen Situation nach dem Mauerfall nicht wirklich begreifen, hatte irgendwann auch immer weniger Lust dazu und verschanzte sich hinter seinen bislang bewährten Positionen.
Im "Niemandsland zwischen Ost und West" gelandet, gelang es Eberth nicht, Verbündete zu gewinnen oder die Strukturen zu reformieren. So liefen die Ideen, Vorschläge, Anstöße des gestandenen Dramaturgen - der gut, gern und gelobt am TAT und Schauspiel in Frankfurt am Main, an den Münchner Kammerspielen und am Wiener Burgtheater gearbeitet hatte - zunehmend ins Leere. Stücke und Inszenierungen, die er angeregt und gefördert hatte, wurden zu Reinfällen. Man muss nicht viel vom Theater verstehen, um gespannt den Krächen zwischen den hart aufeinanderprallenden Meinungen zu folgen, von den üblichen Intrigen ganz zu schweigen, die sich überall ähneln, wenn es um große Rollen und Gagen, Macht und Einfluss geht.
Allmählich verlor Eberth den Glauben an sich und sein Theater, dessen wenig anspruchsvolle, handwerklich freilich oft virtuose Aufführungen vom Publikum gestürmt wurden. Langhoff stieg zum "King of Berlin" auf - und Eberth warf das Handtuch. "Das Deutsche Theater ist eine Legende, in die ich nicht reingefunden habe", schrieb er in seinem Kündigungsbrief. Des Theaters aber doch nicht so müde, wie er befürchtet hatte, arbeitete er später etwa in Düsseldorf und Hamburg im Geiste Peter Brooks weiter.
IRENE BAZINGER
Michael Eberth: "Einheit". Berliner Theatertagebücher 91-96.
Alexander Verlag, Berlin 2015. 344 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main