Wer die Zukunft verstehen will, muss den Einhörnern folgen. Es sind Start-ups, deren Wert schon vor dem Börsengang mit über einer Milliarde US-Dollar beziffert wird. Bekannte Namen wie Airbnb, N26 oder das Weltraumprojekt SpaceX gehören dazu, aber auch viele Unbekannte aus China. Einhorn-Unternehmen zeigen uns, an welche Zukunft, Technologien und gesellschaftliche Umbrüche eine kleine Gruppe einflussreicher Investoren glaubt. Und je mehr Geld investiert wird, desto mächtiger werden diese Ideen. Joël Luc Cachelin beschreibt, wie der Einhorn-Kapitalismus funktioniert und welche Kräfte er freisetzt. Denn die Einhörner schalten nicht nur unsere Kreativität gleich, ebenso führen sie zu Entsolidarisierung und Spekulationsblasen. Eine Entwicklung, der wir nicht hilflos ausgeliefert sind. Wir können mit den Einhörnern umgehen und ihre Leidenschaft für unsere Ziele nutzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2020Ehrgeizige Einhörner
Wie gefährlich sind die mächtigsten Start-ups?
Einhörner (Unicorns) sind Fabeltiere. In der Wirtschaft werden auch schnell wachsende Start-ups, deren Wert noch vor dem Gang an die Börse mit mehr als einer Milliarde Dollar beziffert wird, so bezeichnet. Diese Spezies wird oft von einer kleinen Gruppe superreicher Wagnisinvestoren finanziert - nicht zuletzt auch von den marktbeherrschenden Plattformunternehmen aus Amerika und China. Einhörner haben hohe Ambitionen und übertünchen die Tatsache, dass sie über Jahre hinweg keinen Gewinn abliefern mit Narrativen, denen zufolge sie die Welt mit etwas Querem und Außergewöhnlichem beglücken. Sie wollen ganze Branchen revolutionieren und streben letztlich Monopolstellungen an. Die meisten Einhörner sind Technologieunternehmen, die sich bei der Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle strikt an den Erfolgsfaktoren der Plattformökonomie orientieren - insbesondere der Perfektionierung der Markttransaktionen und der Nutzung sich selbst verstärkender Netzwerkeffekte. Der größte Teil der mittlerweile rund 400 "Tiere" umfassenden Herde kommt aus Amerika und China. Hierzulande gehören dazu Curevac aber auch der Process-Mining-Pionier Celonis. Weitere elf deutsche Jungunternehmen haben das Potential zur Aufnahme in die Herde (F.A.Z. vom 19. Februar 2020).
Ein Mythos umgibt die Spezies. Da fügt es sich gut, dass der Schweizer Betriebswirt Joël Luc Cachelin die Herde der Einhörner vermisst, ihre Intentionen und Geschäftsmodelle seziert und sich auch kritisch mit den dahinterstehenden mächtigen Finanziers befasst. Er stellt einige Fabeltiere kurz vor. Besonders aktuell sind seine Ausführungen über Einhörner im Gesundheitswesen, die den Sektor oft mit Künstlicher Intelligenz aufmischen wollen. Es gibt sie also, die "guten" Einhörner, die nicht primär darauf aus sind, den etablierten Unternehmen Marktanteile zu rauben, sondern neue Märkte für bisher nicht erkannte Kundenbedürfnisse kreieren. Sie sind jedoch nicht der Regelfall. Cachelin warnt daher vor naivem Vertrauen in die Einhörner als Zukunftsgestalter. So erkennt er in Einhörnern, die im Laufe der Zeit zu marktbeherrschenden Weltkonzernen (etwa Alibaba und Tencent) werden können, erhebliche Gefahren nicht nur für den Wettbewerb sondern auch für die gesellschaftspolitische Entwicklung. Ihm ist nicht wohl beim Gedanken, dass die Einhörner und deren mächtige Finanziers unsere Zukunft bestimmen wollen. Besonders scharf schießt er sich auf den Einhorn-Kapitalismus ein, von dem - so seine Einschätzung - nur wenige superreiche Finanziers profitierten. Sie seien vergleichbar mit den Kaufleuten, die vor Jahrhunderten die Ausrüstung der Handelsschiffe finanzierten, die sie auf lange gefährliche Reisen schickten. Entweder kehrten die Schiffe nach langer Reise reich beladen zurück, oder sie erlitten Schiffbruch. Dieses Bild passt. Die Finanziers gehen riskante Wetten auf die Zukunft ein. So deutet der Autor leider nur an, dass die Gier im Einhorn-Kapitalismus die Gefahr einer Blasenbildung mit sich bringt. Ein Blick in die derzeitige Realität zeigt, dass die Einhornblase inzwischen manifest ist und unter den Verwerfungen der Corona-Krise zu platzen scheint. Das vorliegende Buch zeigt die Kehrseiten des Skalierungsfetischs auf und wirbt für eine kleinteiligere Unternehmenslandschaft.
ROBERT FIETEN
Joël Luc Cachelin: Einhorn-Kapitalismus. Wie die mächtigsten Start-ups der Welt unsere Zukunft bestimmen. Nicolai Publishing & Intelligence, Berlin 2019, 143 Seiten, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie gefährlich sind die mächtigsten Start-ups?
Einhörner (Unicorns) sind Fabeltiere. In der Wirtschaft werden auch schnell wachsende Start-ups, deren Wert noch vor dem Gang an die Börse mit mehr als einer Milliarde Dollar beziffert wird, so bezeichnet. Diese Spezies wird oft von einer kleinen Gruppe superreicher Wagnisinvestoren finanziert - nicht zuletzt auch von den marktbeherrschenden Plattformunternehmen aus Amerika und China. Einhörner haben hohe Ambitionen und übertünchen die Tatsache, dass sie über Jahre hinweg keinen Gewinn abliefern mit Narrativen, denen zufolge sie die Welt mit etwas Querem und Außergewöhnlichem beglücken. Sie wollen ganze Branchen revolutionieren und streben letztlich Monopolstellungen an. Die meisten Einhörner sind Technologieunternehmen, die sich bei der Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle strikt an den Erfolgsfaktoren der Plattformökonomie orientieren - insbesondere der Perfektionierung der Markttransaktionen und der Nutzung sich selbst verstärkender Netzwerkeffekte. Der größte Teil der mittlerweile rund 400 "Tiere" umfassenden Herde kommt aus Amerika und China. Hierzulande gehören dazu Curevac aber auch der Process-Mining-Pionier Celonis. Weitere elf deutsche Jungunternehmen haben das Potential zur Aufnahme in die Herde (F.A.Z. vom 19. Februar 2020).
Ein Mythos umgibt die Spezies. Da fügt es sich gut, dass der Schweizer Betriebswirt Joël Luc Cachelin die Herde der Einhörner vermisst, ihre Intentionen und Geschäftsmodelle seziert und sich auch kritisch mit den dahinterstehenden mächtigen Finanziers befasst. Er stellt einige Fabeltiere kurz vor. Besonders aktuell sind seine Ausführungen über Einhörner im Gesundheitswesen, die den Sektor oft mit Künstlicher Intelligenz aufmischen wollen. Es gibt sie also, die "guten" Einhörner, die nicht primär darauf aus sind, den etablierten Unternehmen Marktanteile zu rauben, sondern neue Märkte für bisher nicht erkannte Kundenbedürfnisse kreieren. Sie sind jedoch nicht der Regelfall. Cachelin warnt daher vor naivem Vertrauen in die Einhörner als Zukunftsgestalter. So erkennt er in Einhörnern, die im Laufe der Zeit zu marktbeherrschenden Weltkonzernen (etwa Alibaba und Tencent) werden können, erhebliche Gefahren nicht nur für den Wettbewerb sondern auch für die gesellschaftspolitische Entwicklung. Ihm ist nicht wohl beim Gedanken, dass die Einhörner und deren mächtige Finanziers unsere Zukunft bestimmen wollen. Besonders scharf schießt er sich auf den Einhorn-Kapitalismus ein, von dem - so seine Einschätzung - nur wenige superreiche Finanziers profitierten. Sie seien vergleichbar mit den Kaufleuten, die vor Jahrhunderten die Ausrüstung der Handelsschiffe finanzierten, die sie auf lange gefährliche Reisen schickten. Entweder kehrten die Schiffe nach langer Reise reich beladen zurück, oder sie erlitten Schiffbruch. Dieses Bild passt. Die Finanziers gehen riskante Wetten auf die Zukunft ein. So deutet der Autor leider nur an, dass die Gier im Einhorn-Kapitalismus die Gefahr einer Blasenbildung mit sich bringt. Ein Blick in die derzeitige Realität zeigt, dass die Einhornblase inzwischen manifest ist und unter den Verwerfungen der Corona-Krise zu platzen scheint. Das vorliegende Buch zeigt die Kehrseiten des Skalierungsfetischs auf und wirbt für eine kleinteiligere Unternehmenslandschaft.
ROBERT FIETEN
Joël Luc Cachelin: Einhorn-Kapitalismus. Wie die mächtigsten Start-ups der Welt unsere Zukunft bestimmen. Nicolai Publishing & Intelligence, Berlin 2019, 143 Seiten, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main