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Produktdetails
  • Verlag: Matthes & Seitz Berlin
  • Seitenzahl: 400
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 685g
  • ISBN-13: 9783882218190
  • ISBN-10: 3882218193
  • Artikelnr.: 07665446
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Der Prominentenbagger
James Lord erinnert sich immer mehr / Von Wilfried Wiegand

James Lord, 1922 geboren, kam als amerikanischer Soldat nach Paris und fand in der Nachkriegszeit erstaunlich leicht Zugang zu den Kreisen der Künstler und Intellektuellen. Lord eroberte sich die Pariser Künstlerzirkel teils mit der Unbefangenheit der Jugend - so klopfte er 1944 bei Picasso einfach an die Tür -, teils mit einem gewissen homosexuellen Charme, auf den er selbst nicht ungern hinweist. Vor allem aber hat er wohl die wichtigste Eigenschaft besessen, die Freundschaften zwischen Ungleichen erleichtert: Er konnte zuhören.

Lord, der zeitlebens literarischen Ehrgeiz besaß, aber mit seinen Erzählungen keinen Ruhm erntete, hat schließlich einige Erinnerungsbücher geschrieben, von denen die große, bis auf weiteres völlig konkurrenzlose Biographie Alberto Giacomettis das mit Abstand wichtigste ist. Fünfzehn Jahre hat er daran gearbeitet, und für jede gründliche Beschäftigung mit dem Künstler ist dieses Buch unentbehrlich geworden.

Der verdiente Erfolg der Biographie hat ihn nicht ruhen lassen, und er legt nun immer aufs neue Bücher vor, in denen die Goldmine seiner Pariser Bekanntschaften ausgebaggert wird. Das jüngste heißt "Einige bemerkenswerte Männer" und erscheint zwei Jahre nach der amerikanischen Originalausgabe auf deutsch. Es trägt den verräterischen Untertitel "Weitere Erinnerungen". Denn Lord begreift seine neueren Bücher in der Tat als Memoiren, in denen er ebenso von sich erzählen will wie von den Großen, denen er begegnet ist. Dieser Drang zum Selbstbekenntnis, dieses Wichtignehmen der eigenen Person bringt leider die Disziplin zum Verschwinden, die der Giacometti-Biographie so zugute kam. Lord ist redselig geworden.

"Wir amüsierten uns prächtig", wird da aus Florenz berichtet, "und saßen nach dem Essen in einem Café vor dem Palazzo Vecchio und tranken Grappa." Auch in Lucca, einige Seiten später, geht es nicht viel anders zu: "Vor dem Abendessen saßen wir dann auf der Terrasse des Cafés an der Piazza San Michele, tranken Weißwein und rauchten Zigaretten, indes die Sonne hinter der ungewöhnlichen Kirche und dem Geburtshaus Puccinis unterging." Solch gepflegte Banalitäten melden sich leider immer wieder zu Wort.

Das Buch enthält vier Kapitel. Das erste schildert den millionenschweren angloamerikanischen Kunstfreund Harold Acton, der in einer Villa bei Florenz wie eine leibhaftige Karikatur von Bernard Berenson hofhielt. Das zweite Kapitel ist Jean Cocteau gewidmet, das dritte dem Maler Balthus, Höhepunkt ist das letzte und umfangreichste über die Brüder Alberto und Diego Giacometti. Die uninteressanteste Persönlichkeit ist Acton - zumindest für die Nachwelt, die Teilnehmer seiner Partys werden es wohl anders empfunden haben. Die sonst so sympathische Unbefangenheit, mit der Lord auf seine eigene Homosexualität zu sprechen kommt, verführt ihn hier zur Mitteilung von unappetitlichen Details, die er besser hätte für sich behalten sollen.

Im Kapitel über Balthus schildert er als Augenzeuge hauptsächlich den Adelstick des Malers, versucht auf dieser schmalen Basis dann aber eine Gesamtdeutung, die blaß und ungenau ausfällt. Da Lord den Maler nur als Figur der Pariser Kunstszene wahrnimmt, überschätzt er den Einfluß Derains und übersieht, daß die eigenwillige Kunst von Balthus in den Italienern Chirico, Carrà, Morandi ihre entscheidenden Vorbilder hat. Das Cocteau-Kapitel ist vor allem dadurch interessant, daß es einige Begegnungen mit Picasso enthält.

Das wichtigste Kapitel steht am Schluß und ist fast hundertvierzig Seiten stark. Es behandelt den Bildhauer Alberto Giacometti und seinen Bruder, den allzu spät erst durch seine skulpturalen Möbel bekannt gewordenen Diego. Auch dieses Kapitel ist sehr ausführlich geraten und enthält manches, was im Vergleich zur großen Biographie unwichtig ist. Lord bringt sich oft selbst ins Spiel, will nachträglich gegen die Künstlerwitwe recht behalten und verteufelt sie deshalb noch mehr, als es schon in der Biographie geschehen ist. Aber man nimmt es ihm nicht übel, weil der Grundton nur Liebe und Bewunderung für den Künstler ist. Gegen ihn empfindet Lord sich als unbedeutend und bescheiden, und was immer er schreibt, soll nur seinen Dank abstatten für das Geschenk einer Freundschaft, deren Zustandekommen er nicht begreifen kann. Warum nur hat Giacometti ausgerechnet ihm ein so großes Vertrauen entgegengebracht? So ist das Kapitel eine Art Nachwort zur Giacometti-Biographie geworden, zwar etwas lang geraten, aber dennoch nicht unwillkommen.

Einprägsam wie Schnappschüsse sind die knapp geschilderten Begegnungen mit Sartre, Leiris und Beckett. Als er Sartre gesteht, er fühle sich der Aufgabe einer Giacometti-Biographie nicht gewachsen, sagt Sartre bloß: "Niemand fühlt sich seiner Aufgabe gewachsen." Für Leiris findet Picassos Gefährtin Françoise Gilot die entlarvende Deutung, er schreibe deshalb so viel Autobiographisches, weil er sich verstecken wolle: "Die Wahrheit über ihn muß seine Wahrheit sein und sonst keine." Beckett schließlich - scheu, höflich, charmant - lehnt Parallelen zwischen Literatur und Kunst prinzipiell ab, beantwortet aber bereitwillig alle Fragen. Viel über Giacometti erfährt Lord nicht von diesen Großen, und er weiß es selber. Der Satz, mit dem er es eingesteht, gehört zu den charmantesten des Buches: "Nichts von all dem, was Sartre mir über Alberto gesagt hatte, war mir neu, aber ich bin trotzdem sehr froh, es von ihm persönlich gehört zu haben."

Leider läßt sich eine Nachbemerkung zu Übersetzung und Lektorat nicht umgehen. Man begegnet in diesem Buch Fehlern, die geradezu schaurig sind. Da wird ein "venezianischer Moor" erwähnt, einigen Menschen wird "etwas gelernt", und jemand darf in Cocteau "einen berühmten Autoren" vermuten. Das sind keine bloßen Druckfehler, die es ebenfalls gibt. Hier äußert sich vielmehr bei der Übersetzerin eine bedauerliche Fremdheit in der deutschen Sprache, wie sie sich beispielsweise einstellen kann, wenn jemand sehr lange im Ausland lebt. Daß Dominique im Französischen auch ein männlicher Vorname sein kann, ist deshalb niemandem aufgefallen, so daß der Pariser Museumsmann Dominique Bozo hier zur "einfallsreichen Kuratorin" wird.

James Lord: "Einige bemerkenswerte Männer". Weitere Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Nadine Miller. Verlag Matthes & Seitz, München 1998. 368 S., 16 Abb., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ursula März ist regelrecht begeistert von diesem Buch des amerikanischen Kunstkritikers, der sein kunstgeschichtliches Wissen mit "Klatsch und Tratsch" mische. Zwar räumt sie ein, dass "Uneitelkeit, Bescheidenheit und soziale Unambitioniertheit" nicht gerade zu den Tugenden des Autors gehören. Dies stört sie allerdings genauso wenig wie die Tatsache, dass man in diesem Buch nicht nur etwas über die "bemerkenswerten Männer", sondern auch eine Menge über den Autor (z. B. über seine Homosexualität) erfährt. Wichtiger scheint ihr der Unterhaltungswert des Buches zu sein und dass es "äußerst angenehm" zu lesen sei.

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