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Im Zentrum von Volodines Roman steht ein außergewöhnliches Paar: das ehemalige RAF-Mitglied Ingrid Vogel und ihr Jäger aus dem BKA, der sich anhand ihres Fahndungsfotos unsterblich in sie verliebt hatte. Dennoch oder gerade deswegen verhilft er ihr zur Flucht. In den letzten gemeinsamen Tagen in einem Lissabon a là Pessoa steht zwischen ihnen Ingrids titelgebender Schlüsselroman über den Untergrundkampf, den sie im fernen Exil schreiben will, den der Geliebte ihren Gedanken abliest: Literarische Polit-Fiction voller Rückbezüge auf den Terrorismus der 70er-80er Jahre. Mit großer poetischer…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum von Volodines Roman steht ein außergewöhnliches Paar: das ehemalige RAF-Mitglied Ingrid Vogel und ihr Jäger aus dem BKA, der sich anhand ihres Fahndungsfotos unsterblich in sie verliebt hatte. Dennoch oder gerade deswegen verhilft er ihr zur Flucht. In den letzten gemeinsamen Tagen in einem Lissabon a là Pessoa steht zwischen ihnen Ingrids titelgebender Schlüsselroman über den Untergrundkampf, den sie im fernen Exil schreiben will, den der Geliebte ihren Gedanken abliest: Literarische Polit-Fiction voller Rückbezüge auf den Terrorismus der 70er-80er Jahre. Mit großer poetischer Kraft und unbezähmbarer Phantasie entwirft Volodine ein Requiem auf die Nachkriegswelt, nimmt dazu die gängigen Totalitarismen auseinander, verpasst seiner Frustration über das zwangsläufige Scheitern aller Revolutionen einen teils schmerzlichen, teils erschreckend humorvollen Ausdruck. Atmosphärisch von enormem Sog.
Autorenporträt
Antoine Volodine, geb. 1950 in Chalone-sur-Saône, Russischlehrer u. -übersetzer, Erfinder des Post-Exotismus, er schreibt auch unter Pseudonymen, das letzte Infernus Iohannes, sein Riesenwerk wurde in über zehn Sprachen übersetzt, zahlreiche Auszeichnungen: Prix du Livre Inter (2000), Prix Medicis (2014). Auf Deutsch: Alto Solo (1992), Dondog (2005), Mevlidos Träume (2011)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das vom Autor Antoine Volodine (ein Pseudonym für Jean Desvignes) geschaffene Genre des "post-exotisme" kennt nur ein Ziel: Verwirrung des Lesepublikums, das weiß nach der Lektüre eines überwältigend unübersichtlichen Romans jetzt auch Rezensent Cornelius Wüllenkemper. Der Inhalt bezieht sich zunächst einmal auf eine deutsche Ex-Terroristin, der ein BKA-Beamter eine neue Identität und Heimat vermitteln soll, dabei treffen allerhand konspirativ-kryptische Handlungsstränge zusammen, die von Gedächtnislöschung durch eine nicht näher erklärte "Bienenstockdiktatur" bis zum RAF-Terror alles Denkbare abgrasen, so Wüllenkemper. Für ihn ergeben sich keine Antworten, sondern neue, inspirierende Fragen zur Wirkmächtigkeit von Literatur bei dieser "genüsslichen Dekonstruktion" bekannter Erzählschemata, deren Poetik ihn begeistert hat.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Antoine Volodine zeigt, ohne jemals zu moralisieren, wohin Populismus, Volkstümelei und die Verachtung der Intellektuellen führen können." Josyane Savigneau, Le Monde. "Willkommen im düsteren Paralleluniversum des Antoine Volodine, das von der ersten Seite an so faszinierend ist, dass es einen bis zur letzten Silbe nicht mehr loslässt." Alexander Müller, FAZ 2011, zu Mevlidos Träume.

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2023

Diktatur der Bienenstöcke
Antoine Volodine lädt ins Paralleluniversum

Muss Literatur eigentlich verständlich sein? Oder sind es gerade ungelöste Geheimnisse und Widersprüche, die sie lesenswert machen? Wer sich bei der Beantwortung dieser Fragen unsicher ist, hat einen Grund mehr, den französischen Autor Antoine Volodine zu lesen. Volodine, dessen realer Name Jean Desvignes lautet, trat in den Achtzigerjahren zunächst mit Science-Fiction-Romanen hervor und wurde für seine politischen Dystopien, grauenerregenden Apokalypsen und Albtraumwelten preisgekrönt. Weil er sich einer literarischen Einordnung entziehen wollte, postulierte Volodine dann unter verschiedenen Pseudonymen den "post-exotisme", ein Phantasie-Genre ganz nach eigenem Zuschnitt und mit überwältigender programmatischer Unschärfe, abgesehen von einem einzigen klar formulierten Ziel, nämlich der Verunsicherung des Lesepublikums.

Dass es immerhin möglich ist, über 300 Buchseiten einen Spannungsbogen zu konstruieren, ohne eine nachvollziehbare Geschichte zu erzählen, beweist Volodine mit seinem jetzt auf Deutsch vorliegenden Roman "Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher". Es ist das dritte von weit über 40 veröffentlichten Werken des Autors, das der Übersetzer und bekennende Volodine-Adept Holger Fock übertragen hat. Die Rahmenhandlung dieses literarischen Verwirrspiels scheint zunächst griffig. Eine deutsche Terroristin namens Ingrid Vogel und ein Zielfahnder des BKA, Kurt Wellenkind, treffen sich als Liebespaar in Lissabon, wo der Beamte der Staatsfeindin mit neuer Identität zur Flucht nach Südostasien verhelfen will. Wäre da nur nicht Vogels Romanprojekt, mit dem sie "einprügeln" will auf die "Sklaven in den steifen Anzügen, die von Amerika aufgerüsteten Bosse und die Sozialverräter". Der BKA-Mann, den sie zärtlich auch "meine Dogge" nennt, befürchtet, dass Entschlüsselungsspezialisten Vogels Roman dechiffrieren und die Autorin und ihn selbst als ihren konspirativen Gespielen aus den eigenen Reihen enttarnen könnten.

Die kryptischen Textfragmente der Ex-Terroristin, die sogar in den Augen ihres Geliebten unzurechnungsfähig ist und Wahn und Wirklichkeit vermischt, werden in Volodines Roman ausführlich zitiert und kommentiert. Schon bald erweist sich die Furcht des BKA-Beamten vor der Enttarnung dabei als völlig unbegründet. Denn auch die modernste Hochleistungs-KI dürfte damit überfordert sein, aus verfremdeten Namen und losen Allegorien auf das Terrornetzwerk einen linearen Sinnzusammenhang oder gar belastbare Verweise auf reale Vorgänge zu konstruieren. Einer der Handlungsstränge erzählt etwa von einer ominösen "Renaissance" nach dem "Schwarzen Krieg", als die "Bienenstöcke" die Macht übernommen und das Gedächtnis der Menschen gefälscht haben. Im "2. Jahrhundert" beginnen rebellierende Autorenkollektive dann, in neuen ästhetischen Formen abweichende Versionen der Vergangenheit zu erzählen, wofür sie von den Schergen der Bienenstockdiktatur verfolgt und bestialisch hingerichtet werden.

Das lässt sich als Kritik an der Erinnerungspolitik nach der nazistischen Barbarei, als Verweis auf den Terror der RAF und die Reaktion des Rechtsstaats lesen. Oder ist es die kommentierte Anthologie einer fiktiven literarischen Gattung in einer Phantasiewelt? Vielleicht geht es aber auch um den Kampf gegen die altbekannten Erzählschemata der "Mülleimer-Literatur" der Gedächtnisfälscher. Spekulationen über Aussagen und Inhalte sind angesichts dieser genüsslichen Dekonstruktion fehl am Platz, denn wer sich einmal auf Volodines wundersames Universum eingelassen hat, übergeht die Sinnfrage und ergibt sich stattdessen seinem atmosphärischen Sog. "Mal sehen, wie meine Dogge diesen Intelligenztest besteht", kokettiert die schreibende Terroristin einmal selbstironisch gegenüber ihrem Geliebten vom BKA, so als ahne sie selbst, dass ihr Roman rational nicht nachvollziehbar ist.

Volodine generiert keine Antworten, aber viele Fragen. Auch diejenige, wieso man ein Buch lesen sollte, dessen Ziel es ist, zu verwirren, und das deutschen Verlagen deswegen lange als unlesbar und unverkäuflich galt, wie Holger Fock in seinem Nachwort schreibt. Hier fällt die Antwort leicht: Weil es mit enormer poetischer Kraft kreative Assoziationen, logische Kombinatorik, frei schwebende Phantasie und einen kindlichen Spieltrieb herausfordert. Volodine lädt ein zum Spiel mit dem menschlichen Geist, der auch dort Verbindungen, Strukturen und Inhalte zu konstruieren sucht, wo (vielleicht) keine sind. Und liefert dabei einen Beweis für die subversive Kraft literarischer Fiktion. CORNELIUS WÜLLENKEMPER

Antoine Volodine: "Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher". Roman.

Aus dem Französischen von Holger Fock. Edition Converso, Karlsruhe 2023. 301 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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