Hema und Kaushik lernen sich als Jugendliche in Massachusetts kennen. Ihre Eltern, die aus Bengalen stammen, sind befreundet; sie selbst können wenig miteinander anfangen. Dazu ist der ältere Kaushik, der den Krebstod seiner Mutter verarbeiten muss, viel zu in sich gekehrt. Hema himmelt ihn erfolglos von ferne an.
Fast zwanzig Jahre später begegnen sie sich zufällig in Rom: Hema, nach zehnjährigem Geliebtendasein, auf der letzten Flucht vor einer Vernunftehe in Kalkutta; Kaushik am Ende einer Fotojournalistenkarriere in den Krisengebieten dieser Erde. Heimatlos sind sie beide, kulturell wie geistig - weltgewandt und doch getrieben. Eine jähe, wilde Liebe schlägt sie in den Bann und verheißt einen Hafen, doch ein dunkler italienischer Herbst wirft seine Schatten voraus...
Die Pulitzerpreisträgerin und US-Bestsellerautorin Jhumpa Lahiri entfaltet in dieser Liebesgeschichte eine ganze Welt voll schicksalhafter Dramatik, mit einer Prosa von suggestiver Eleganz und größtem Feingefühl.Die US-Ausgabe rief Begeisterungsstürme in der Presse hervor und stand bereits in der Woche nach dem Erscheinen auf Platz eins der Bestsellerliste.
Fast zwanzig Jahre später begegnen sie sich zufällig in Rom: Hema, nach zehnjährigem Geliebtendasein, auf der letzten Flucht vor einer Vernunftehe in Kalkutta; Kaushik am Ende einer Fotojournalistenkarriere in den Krisengebieten dieser Erde. Heimatlos sind sie beide, kulturell wie geistig - weltgewandt und doch getrieben. Eine jähe, wilde Liebe schlägt sie in den Bann und verheißt einen Hafen, doch ein dunkler italienischer Herbst wirft seine Schatten voraus...
Die Pulitzerpreisträgerin und US-Bestsellerautorin Jhumpa Lahiri entfaltet in dieser Liebesgeschichte eine ganze Welt voll schicksalhafter Dramatik, mit einer Prosa von suggestiver Eleganz und größtem Feingefühl.Die US-Ausgabe rief Begeisterungsstürme in der Presse hervor und stand bereits in der Woche nach dem Erscheinen auf Platz eins der Bestsellerliste.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008Dass die Wellen kommen und gehen
Liebe am Rande des Stillen Ozeans: Jhumpa Lahiri erzählt ihre Schicksalsgeschichte mit Präzision und ohne Sentimentalität / Von Julia Franck
Zwei Frauen aus Bengalen begegnen sich in einem Park von Massachusetts, eine von ihnen hat ihren bald dreijährigen Sohn Kaushik an der Hand, die andere sitzt auf der Schaukel, ihr ist schlecht. "Unsere Mütter lernten sich kennen, als meine schwanger war", so erzählt Hema von der Zeit vor ihrer Geburt; sie richtet das Wort an den Geliebten, sie erzählt dem Abwesenden ihrer beider Geschichte.
"Einmal im Leben" ist nicht nur eine Geschichte der Liebe, wie der Untertitel der deutschen Ausgabe suggerieren möchte, sondern mehr noch eine des Abschieds und der Wiederkehr. Keineswegs stehen hier allein Mann und Frau, Kaushik und Hema, im Zentrum des Erzählens. Auch das Woher (die Mutter) und ein Wohin (entsprechend hinduistischer Tradition nicht die Erde, sondern die Asche und das Meer) sind die Pole, zwischen denen sich der Zyklus des Seins bewegt. Anders als im christlichen Denkraum erscheint weder das eine, einzige Leben als Jammertal, noch ist die Erlösung durch Gott möglich.
Ob die Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri gläubige Hinduistin ist, verrät der Klappentext nicht. Doch wer den Reigen dieser drei miteinander verbundenen und sich spiegelnden Geschichten liest, begreift anhand der Einzelheiten, Metaphern und des Endes, das zugleich ein Beginn ist, dass hier nicht zufällig ein Buch ebenso anfängt, wie es endet.
Der Reigen beginnt mit den Müttern. Wo ein Sohn ist, wird der anderen die Tochter geboren. Als Kaushiks Familie knapp sieben Jahre später, einer neuen Anstellung des Vaters folgend, zurück nach Indien geht, richtet Hemas Familie das Abschiedsfest aus. "Ich hatte dich auch früher schon gesehen, so oft, dass ich es gar nicht zählen kann, aber meine Erinnerung an deine Rolle in meinem Leben setzt bei der Abschiedsparty ein", sagt Hema.
Als Kaushiks Familie sieben Jahre später überraschend ihre Rückkehr nach Amerika ankündigt, bleiben die Gründe lange fragwürdig. In den ersten Wochen kommt sie bei Hemas Familie unter, wo man sich gefreut und festlich auf den Besuch vorbereitet hat. Doch schon nach wenigen Tagen wird deutlich: Kaushiks Familie hat sich verändert. Kaushiks Eltern trinken Johnny Walker, die aufopfernde Liebe von Kaushiks Vater gegenüber seiner Frau erscheint Hemas Eltern verdächtig. Indes liebt Hema Kaushik vom ersten Augenblick des Wiedersehens an, heimlich. Während sie ihr Zimmer für ihn freimachen musste und von ihm träumt, beachtet er sie über Wochen nicht. Stundenlang verschwindet er im Wald, egal, ob es regnet oder schneit. Nur ein einziges Mal nimmt er Hema mit; er lockt sie von einem Familienfest fort und zeigt ihr im Dickicht der Bäume unter Laub verschüttete Gräber einer Familie. Hier überfällt Kaushik Hema mit einer geheimen Offenbarung: Seine Mutter stirbt. Brustkrebs. Sie sind zurückgekehrt, damit sie nicht unter den Augen ihrer Eltern in Indien sterben muss. Entsetzt über das plötzliche, aggressive Geständnis, voll Vertrauen und Verzweiflung zugleich, stürzen beide getrennt voneinander und einsam zum Haus ihrer Familien zurück.
Die Stimme der zweiten Erzählung gibt Lahiri dem Collegeabsolventen Kaushik. "Ich war nicht auf der Hochzeit meines Vaters", berichtet er. Der Vater ahnt, welche Schwierigkeiten Kaushik mit der neuen Frau haben könnte, die er sich von einem Besuch aus Indien mitgebracht hat. In den Weihnachtstagen kommt Kaushik nach Hause. Die Stiefmutter ist eine junge Witwe mit zwei kleinen Töchtern. Ihr fremdes Aussehen und ihre anderen Gewohnheiten werden für Kaushik Anlass sein, sich umso schmerzlicher an seine Mutter zu erinnern, denn alles familiäre Leben der vergangenen Jahre galt ihr. Kaushik konnte beobachten, wie sein Vater sich in dieser letzten Zeit in seine Mutter verliebt hatte, vielleicht zum ersten Mal. Die zunehmende Schwäche der Mutter führte zuletzt dazu, dass sie den eigens angeschafften großen Herd nicht mehr bedienen und nur noch Tee zu sich nehmen konnte. Sie liebte nicht nur die Nähe zum Meer, sie mochte auch die moderne und kühle Architektur des Hauses, seine freie Treppe, den Lichthof und den Pool in der Mitte, in dem sie im ersten Sommer noch vierzig Bahnen jeden Tag schwamm, im letzten Sommer keine einzige mehr.
Weder das traditionelle Essen der neuen Frau noch das amerikanische Ritual vom Weihnachtsbaum mit blauen Kugeln und Geschenken für die Kinder bringen die Vertrautheit auf, nach der sich jeder der hier aufeinandertreffenden Menschen spürbar sehnt. Kaushik nimmt sich der beiden Mädchen an. Er erkennt ihre Not, ihre Furcht und ihre Hoffnungen in Bezug auf die Schule, die neue Gesellschaft, die zu bewältigende Assimilation. Sie sind der Spiegel des Kindes, das er selbst einst war. Als der Jüngeren ein Wackelzahn herausfällt, tupft er das Blut aus ihrem Mund und steckt den Zahn in seine Tasche. Eines Abends sind sein Vater und die neue Frau eingeladen; Kaushik bietet an, auf die Mädchen aufzupassen. Sie essen Chips, das Telefon klingelt. Während Kaushik mit seiner Freundin aus dem College telefoniert, entdecken die Mädchen die lang gesuchte, verschlossene Kiste mit Fotografien der verstorbenen Frau. Kaushik ist überrascht, als er sie auf dem Boden seines ehemaligen Kinderzimmers in den Bildern wühlen sieht. Nicht im mindesten kann er Entsetzen und Wut zügeln, er schreit die auf dem Boden knienden Mädchen an, ihr Zittern und ihre Tränen treiben ihn zur Weißglut.
Es gehört zu Lahiris großer Stärke, das Zusammentreffen und Auseinanderlaufen von Menschen in ihrer jeweiligen Not präzise zu beschreiben. Jedes Detail ist konkret und öffnet doch eine Bedeutung, die den Leser noch Tage über das Buch und seine Metamorphosen nachdenken lässt. Gibt sie an wenigen Stellen einmal Erklärungen der Befindlichkeit, so wirken diese überflüssig.
Keine Erwähnung findet Hema in Kaushiks Erzählung, seine Liebe ist einzig als die zu seiner toten Mutter festgehalten. Die Rastlosigkeit, mit der er in späteren Jahren als Fotograf durch die Welt ziehen und das Leid anderer aus nächster Nähe und ohne die Gnade des empathischen Auges festhalten wird, verschafft ihm ein Auskommen. Es sind dies Qualitäten eines Überlebens in einer Welt, in der niemand Glück und Liebe verdienen kann.
In der dritten Erzählung berichtet Lahiri von Hemas unglücklicher Liebe zu einem verheirateten Mann. Über zehn Jahre trifft sie ihn heimlich in Hotels, stets in der Hoffnung, er könnte sein Versprechen eines Tages wahr machen und seine Frau verlassen. Sie wird fast vierzig Jahre alt, bis sie erkennt, dass sie für immer auf Kinder verzichten müsste, wenn sie nicht die letzte Gelegenheit einer von ihren Eltern arrangierten Ehe nutzt. Beinahe Erleichterung empfindet sie, als der künftige Ehemann sie bei den ersten Treffen wie eine junge, unschuldige Frau behandelt. Liebe und Leidenschaft, weiß Hema, können sich eines Tages noch einstellen. Schon ist sie von dem verheirateten Mann getrennt, noch mit dem neuen nicht getraut. Allein möchte sie über die wenigen freien Monate im Herbst die leere Wohnung einer Kollegin in Rom genießen. Sie erklärt es vor den Eltern und dem Zukünftigen mit einem angeblichen Lehrauftrag am altphilologischen Institut. An einem Sonntag steht Hema auf der Straße und wirft einen Blick in ihren Stadtplan, als Kaushik vor ihr steht. Es ähnelt einer Fügung, wie Lahiri diese beiden Menschen nach Jahren getrennten Lebens zusammentreffen lässt. Kaushik hat unverbindliche Affären hinter sich. Noch bewohnt er eine Wohnung in Rom, von wo aus er als Fotograf seit Jahren in den Fernen und Nahen Osten, in Kriegs- und Krisengebiete aufgebrochen ist. Auch für ihn sind es die letzten freien Wochen. Zum ersten Mal im Leben wird er in eine feste Anstellung gehen, schon Ende des Jahres soll er nach Hongkong gehen. Er ist so alt, wie seine Mutter es war, als es ans Sterben ging, und seit einigen Monaten leidet er unter einem grauen Fleck, der in seinem linken Auge schwimmt und von einem Arzt als harmlose Alterserscheinung bezeichnet wird.
Hema und Kaushik beginnen eine leidenschaftliche Liebe, sie sprechen weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft, sie genießen den Augenblick, den anderen, das gemeinsame Glück, ihre Liebe. Erst am letzten Tag, ehe Hema nach Kalkutta zur Hochzeit fliegen wird, bittet er sie, mit ihm nach Hongkong zu kommen und nicht den anderen zu heiraten. "Es ist zu spät", lässt Lahiri Hema antworten und durchbricht den Zyklus des Seins. Das östliche und westliche Prinzip sind voneinander verschieden. Nicht nur den immerwährenden Kreislauf zwischen Liebe und Tod verhandelt Lahiri, sondern auch das Ringen um intime Einheit und zugleich individuelle Eigenständigkeit. Dieser Widerspruch birgt eine Unmöglichkeit des vollkommenen Glücks in sich. Und so wird Hema trotz widriger Zeichen ihr Flugzeug besteigen.
Es ist Weihnachten 2004, seine letzten Tage zwischen Rom und Hongkong verbringt Kaushik einsam in einer Bungalowanlage Thailands. Im Gegensatz zu seiner Mutter kann er kaum schwimmen, dennoch nimmt er die Einladung eines Schweden an und fährt an jenem friedlichen Vormittag in dem kleinen Boot eines Thailänders hinaus zu einem Riff. "Er wollte zur Bucht schwimmen wie Henrik, um seiner Mutter zu zeigen, dass er keine Angst hatte." Lahiri verrät nicht nur, was er zuletzt gedacht haben wird, sondern schlägt mit ebendiesem Wunsch auch den Bogen zur Erkenntnis seiner Bestimmung, die hier ebenso im Tod liegt wie die jedes Menschen, aber nicht nur darin. An jenem 26. Dezember im Indischen Ozean ist morgens das Meer zurückgewichen, um darauf Hunderttausende zu verschlingen. Lahiri schließt den Reigen, indem Hema wenige Wochen später weiß, dass sie schwanger ist: "Es hätte dein Kind sein können, aber das war es nicht."
Das Kommen und Gehen der Wellen ist ein Bild, das mehr als einmal im Buch auftaucht. Das Meer gilt hier als Metapher, in deren Umfeld die Frage nach dem Loslassen und dem Empfangen, dem Geben und Nehmen, der Liebe und dem Tod nicht nur streng erzählend, sondern auch philosophisch von Erkenntnis durchdrungen ist.
Lahiri ist eine Meisterin der brillanten Bilder und der prismatischen Architektur, ihre Details sind so scharf geschliffen, dass keine Sentimentalität aufkommt. Am Ende staunt der Leser über einen Diamanten, der das Licht in abertausend Perspektiven fängt und schleudert.
"Einmal im Leben" ist ein Reigen, der den Kreislauf von Liebe und Tod dem westlichen Leser eigensinnig und beeindruckend als ein anderes Prinzip erfahrbar macht.
Jhumpa Lahiri: "Einmal im Leben". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Englischen übersetzt von Gertraude Krueger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 176 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liebe am Rande des Stillen Ozeans: Jhumpa Lahiri erzählt ihre Schicksalsgeschichte mit Präzision und ohne Sentimentalität / Von Julia Franck
Zwei Frauen aus Bengalen begegnen sich in einem Park von Massachusetts, eine von ihnen hat ihren bald dreijährigen Sohn Kaushik an der Hand, die andere sitzt auf der Schaukel, ihr ist schlecht. "Unsere Mütter lernten sich kennen, als meine schwanger war", so erzählt Hema von der Zeit vor ihrer Geburt; sie richtet das Wort an den Geliebten, sie erzählt dem Abwesenden ihrer beider Geschichte.
"Einmal im Leben" ist nicht nur eine Geschichte der Liebe, wie der Untertitel der deutschen Ausgabe suggerieren möchte, sondern mehr noch eine des Abschieds und der Wiederkehr. Keineswegs stehen hier allein Mann und Frau, Kaushik und Hema, im Zentrum des Erzählens. Auch das Woher (die Mutter) und ein Wohin (entsprechend hinduistischer Tradition nicht die Erde, sondern die Asche und das Meer) sind die Pole, zwischen denen sich der Zyklus des Seins bewegt. Anders als im christlichen Denkraum erscheint weder das eine, einzige Leben als Jammertal, noch ist die Erlösung durch Gott möglich.
Ob die Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri gläubige Hinduistin ist, verrät der Klappentext nicht. Doch wer den Reigen dieser drei miteinander verbundenen und sich spiegelnden Geschichten liest, begreift anhand der Einzelheiten, Metaphern und des Endes, das zugleich ein Beginn ist, dass hier nicht zufällig ein Buch ebenso anfängt, wie es endet.
Der Reigen beginnt mit den Müttern. Wo ein Sohn ist, wird der anderen die Tochter geboren. Als Kaushiks Familie knapp sieben Jahre später, einer neuen Anstellung des Vaters folgend, zurück nach Indien geht, richtet Hemas Familie das Abschiedsfest aus. "Ich hatte dich auch früher schon gesehen, so oft, dass ich es gar nicht zählen kann, aber meine Erinnerung an deine Rolle in meinem Leben setzt bei der Abschiedsparty ein", sagt Hema.
Als Kaushiks Familie sieben Jahre später überraschend ihre Rückkehr nach Amerika ankündigt, bleiben die Gründe lange fragwürdig. In den ersten Wochen kommt sie bei Hemas Familie unter, wo man sich gefreut und festlich auf den Besuch vorbereitet hat. Doch schon nach wenigen Tagen wird deutlich: Kaushiks Familie hat sich verändert. Kaushiks Eltern trinken Johnny Walker, die aufopfernde Liebe von Kaushiks Vater gegenüber seiner Frau erscheint Hemas Eltern verdächtig. Indes liebt Hema Kaushik vom ersten Augenblick des Wiedersehens an, heimlich. Während sie ihr Zimmer für ihn freimachen musste und von ihm träumt, beachtet er sie über Wochen nicht. Stundenlang verschwindet er im Wald, egal, ob es regnet oder schneit. Nur ein einziges Mal nimmt er Hema mit; er lockt sie von einem Familienfest fort und zeigt ihr im Dickicht der Bäume unter Laub verschüttete Gräber einer Familie. Hier überfällt Kaushik Hema mit einer geheimen Offenbarung: Seine Mutter stirbt. Brustkrebs. Sie sind zurückgekehrt, damit sie nicht unter den Augen ihrer Eltern in Indien sterben muss. Entsetzt über das plötzliche, aggressive Geständnis, voll Vertrauen und Verzweiflung zugleich, stürzen beide getrennt voneinander und einsam zum Haus ihrer Familien zurück.
Die Stimme der zweiten Erzählung gibt Lahiri dem Collegeabsolventen Kaushik. "Ich war nicht auf der Hochzeit meines Vaters", berichtet er. Der Vater ahnt, welche Schwierigkeiten Kaushik mit der neuen Frau haben könnte, die er sich von einem Besuch aus Indien mitgebracht hat. In den Weihnachtstagen kommt Kaushik nach Hause. Die Stiefmutter ist eine junge Witwe mit zwei kleinen Töchtern. Ihr fremdes Aussehen und ihre anderen Gewohnheiten werden für Kaushik Anlass sein, sich umso schmerzlicher an seine Mutter zu erinnern, denn alles familiäre Leben der vergangenen Jahre galt ihr. Kaushik konnte beobachten, wie sein Vater sich in dieser letzten Zeit in seine Mutter verliebt hatte, vielleicht zum ersten Mal. Die zunehmende Schwäche der Mutter führte zuletzt dazu, dass sie den eigens angeschafften großen Herd nicht mehr bedienen und nur noch Tee zu sich nehmen konnte. Sie liebte nicht nur die Nähe zum Meer, sie mochte auch die moderne und kühle Architektur des Hauses, seine freie Treppe, den Lichthof und den Pool in der Mitte, in dem sie im ersten Sommer noch vierzig Bahnen jeden Tag schwamm, im letzten Sommer keine einzige mehr.
Weder das traditionelle Essen der neuen Frau noch das amerikanische Ritual vom Weihnachtsbaum mit blauen Kugeln und Geschenken für die Kinder bringen die Vertrautheit auf, nach der sich jeder der hier aufeinandertreffenden Menschen spürbar sehnt. Kaushik nimmt sich der beiden Mädchen an. Er erkennt ihre Not, ihre Furcht und ihre Hoffnungen in Bezug auf die Schule, die neue Gesellschaft, die zu bewältigende Assimilation. Sie sind der Spiegel des Kindes, das er selbst einst war. Als der Jüngeren ein Wackelzahn herausfällt, tupft er das Blut aus ihrem Mund und steckt den Zahn in seine Tasche. Eines Abends sind sein Vater und die neue Frau eingeladen; Kaushik bietet an, auf die Mädchen aufzupassen. Sie essen Chips, das Telefon klingelt. Während Kaushik mit seiner Freundin aus dem College telefoniert, entdecken die Mädchen die lang gesuchte, verschlossene Kiste mit Fotografien der verstorbenen Frau. Kaushik ist überrascht, als er sie auf dem Boden seines ehemaligen Kinderzimmers in den Bildern wühlen sieht. Nicht im mindesten kann er Entsetzen und Wut zügeln, er schreit die auf dem Boden knienden Mädchen an, ihr Zittern und ihre Tränen treiben ihn zur Weißglut.
Es gehört zu Lahiris großer Stärke, das Zusammentreffen und Auseinanderlaufen von Menschen in ihrer jeweiligen Not präzise zu beschreiben. Jedes Detail ist konkret und öffnet doch eine Bedeutung, die den Leser noch Tage über das Buch und seine Metamorphosen nachdenken lässt. Gibt sie an wenigen Stellen einmal Erklärungen der Befindlichkeit, so wirken diese überflüssig.
Keine Erwähnung findet Hema in Kaushiks Erzählung, seine Liebe ist einzig als die zu seiner toten Mutter festgehalten. Die Rastlosigkeit, mit der er in späteren Jahren als Fotograf durch die Welt ziehen und das Leid anderer aus nächster Nähe und ohne die Gnade des empathischen Auges festhalten wird, verschafft ihm ein Auskommen. Es sind dies Qualitäten eines Überlebens in einer Welt, in der niemand Glück und Liebe verdienen kann.
In der dritten Erzählung berichtet Lahiri von Hemas unglücklicher Liebe zu einem verheirateten Mann. Über zehn Jahre trifft sie ihn heimlich in Hotels, stets in der Hoffnung, er könnte sein Versprechen eines Tages wahr machen und seine Frau verlassen. Sie wird fast vierzig Jahre alt, bis sie erkennt, dass sie für immer auf Kinder verzichten müsste, wenn sie nicht die letzte Gelegenheit einer von ihren Eltern arrangierten Ehe nutzt. Beinahe Erleichterung empfindet sie, als der künftige Ehemann sie bei den ersten Treffen wie eine junge, unschuldige Frau behandelt. Liebe und Leidenschaft, weiß Hema, können sich eines Tages noch einstellen. Schon ist sie von dem verheirateten Mann getrennt, noch mit dem neuen nicht getraut. Allein möchte sie über die wenigen freien Monate im Herbst die leere Wohnung einer Kollegin in Rom genießen. Sie erklärt es vor den Eltern und dem Zukünftigen mit einem angeblichen Lehrauftrag am altphilologischen Institut. An einem Sonntag steht Hema auf der Straße und wirft einen Blick in ihren Stadtplan, als Kaushik vor ihr steht. Es ähnelt einer Fügung, wie Lahiri diese beiden Menschen nach Jahren getrennten Lebens zusammentreffen lässt. Kaushik hat unverbindliche Affären hinter sich. Noch bewohnt er eine Wohnung in Rom, von wo aus er als Fotograf seit Jahren in den Fernen und Nahen Osten, in Kriegs- und Krisengebiete aufgebrochen ist. Auch für ihn sind es die letzten freien Wochen. Zum ersten Mal im Leben wird er in eine feste Anstellung gehen, schon Ende des Jahres soll er nach Hongkong gehen. Er ist so alt, wie seine Mutter es war, als es ans Sterben ging, und seit einigen Monaten leidet er unter einem grauen Fleck, der in seinem linken Auge schwimmt und von einem Arzt als harmlose Alterserscheinung bezeichnet wird.
Hema und Kaushik beginnen eine leidenschaftliche Liebe, sie sprechen weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft, sie genießen den Augenblick, den anderen, das gemeinsame Glück, ihre Liebe. Erst am letzten Tag, ehe Hema nach Kalkutta zur Hochzeit fliegen wird, bittet er sie, mit ihm nach Hongkong zu kommen und nicht den anderen zu heiraten. "Es ist zu spät", lässt Lahiri Hema antworten und durchbricht den Zyklus des Seins. Das östliche und westliche Prinzip sind voneinander verschieden. Nicht nur den immerwährenden Kreislauf zwischen Liebe und Tod verhandelt Lahiri, sondern auch das Ringen um intime Einheit und zugleich individuelle Eigenständigkeit. Dieser Widerspruch birgt eine Unmöglichkeit des vollkommenen Glücks in sich. Und so wird Hema trotz widriger Zeichen ihr Flugzeug besteigen.
Es ist Weihnachten 2004, seine letzten Tage zwischen Rom und Hongkong verbringt Kaushik einsam in einer Bungalowanlage Thailands. Im Gegensatz zu seiner Mutter kann er kaum schwimmen, dennoch nimmt er die Einladung eines Schweden an und fährt an jenem friedlichen Vormittag in dem kleinen Boot eines Thailänders hinaus zu einem Riff. "Er wollte zur Bucht schwimmen wie Henrik, um seiner Mutter zu zeigen, dass er keine Angst hatte." Lahiri verrät nicht nur, was er zuletzt gedacht haben wird, sondern schlägt mit ebendiesem Wunsch auch den Bogen zur Erkenntnis seiner Bestimmung, die hier ebenso im Tod liegt wie die jedes Menschen, aber nicht nur darin. An jenem 26. Dezember im Indischen Ozean ist morgens das Meer zurückgewichen, um darauf Hunderttausende zu verschlingen. Lahiri schließt den Reigen, indem Hema wenige Wochen später weiß, dass sie schwanger ist: "Es hätte dein Kind sein können, aber das war es nicht."
Das Kommen und Gehen der Wellen ist ein Bild, das mehr als einmal im Buch auftaucht. Das Meer gilt hier als Metapher, in deren Umfeld die Frage nach dem Loslassen und dem Empfangen, dem Geben und Nehmen, der Liebe und dem Tod nicht nur streng erzählend, sondern auch philosophisch von Erkenntnis durchdrungen ist.
Lahiri ist eine Meisterin der brillanten Bilder und der prismatischen Architektur, ihre Details sind so scharf geschliffen, dass keine Sentimentalität aufkommt. Am Ende staunt der Leser über einen Diamanten, der das Licht in abertausend Perspektiven fängt und schleudert.
"Einmal im Leben" ist ein Reigen, der den Kreislauf von Liebe und Tod dem westlichen Leser eigensinnig und beeindruckend als ein anderes Prinzip erfahrbar macht.
Jhumpa Lahiri: "Einmal im Leben". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Englischen übersetzt von Gertraude Krueger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 176 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Claudia Kramatschek findet den neuen Kurzroman der indischstämmigen US-Amerikanerin Jhumpa Lahiri meisterhaft. Er erzähle eindringlich und umbarmherzig die Geschichte eines Pärchens: Hema und Kaushik lieben sich über die Kontinente hinweg und zum Teil zeitversetzt, sind füreinander bestimmt, müssen am Ende aber doch scheitern, resümiert Kramatschek. Die Figuren seien typisch für Lahiris Romane: stets sind es Heimatlose, die entweder in die USA ausgewandert sind oder in ihre Heimat Indien zurückkehren. Nie können sie sich richtig in einer Gesellschaft zuhause fühlen. Besonders überzeugt ist Kramatschek von der "unerbitterlichen? Wucht, mit der die Autorin die Gefühlskälte und den Schmerz der Liebenden darzustellz. Auch wenn die Handlung laut der Rezensentin zum Teil abgegriffen wirke, versichert sie, dass Lahiri die Erzählung dennoch ins Einzigartige umkehrt. Das tragische Ende wirke besonders aufreibend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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