Produktdetails
- Schriften 1
- Verlag: Grupello
- Artikelnr. des Verlages: 841509
- 2000.
- Seitenzahl: 272
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 130mm
- Gewicht: 300g
- ISBN-13: 9783933749468
- ISBN-10: 3933749468
- Artikelnr.: 24212009
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2001Ein Sachse im schalltoten Raum
Resignative Attacke: Heinz Czechowskis "Einmischungen"
Erinnerungen an die Schule schlagen sich in der Literatur oft wie Albträume nieder. Und das Wort "Dichterschule" hat den Beiklang des Dogmatischen - im achtzehnten Jahrhundert schwang Gottsched in der Sächsischen Dichterschule den Stock. Wenn heute Heinz Czechowski von der Sächsischen Dichterschule spricht, so schlägt sein Herz höher. Und er meint nicht die Schüler Gottscheds, sondern eine Gruppe von Schriftstellern in der DDR, zu der er vor allem Karl Mickel, Sarah Kirsch, Rainer Kirsch, den in der DDR eingebürgerten Rheinländer Adolf Endler und sich selber zählt - eine Schar von Lyrikadepten, der am Leipziger Literaturinstitut der Dozent Georg Maurer den väterlichen Segen erteilte.
Heinz Czechowski ist ein Lyriker aus der DDR-Zeit, der den Umbruch von 1989/90 ohne Rufschädigung überstanden hat, gegen den allenfalls noch die letzten Mohikaner der SED-Ideologie zum Kriegsbeil greifen. 1966 gab die Schlußzeile des Gedichts "Brief", "In diesem besseren Land", einer von Adolf Endler und Karl Mickel herausgegebenen Gedicht-Anthologie den Titel, doch schrieb Czechowski seit 1974 keine Verse mehr, die der SED-Staat für sich hätte vereinnahmen können. Und im Band "Kein näheres Zeichen" (1987) gibt sein Gedicht "Credo" die große Enttäuschung öffentlich zu Protokoll: "Nichts ist eingelöst / Von allen Versprechen / Wie Herbstlaub raschelnd / Treiben die Worte."
Czechowskis jetzt erschienener Essayband "Einmischungen" vereinigt Aufsätze aus der Zeit zwischen 1966 und 2000. Der Aufbau der Sammlung hält sich nicht an die Chronologie. Am Anfang stehen Beiträge aus den neunziger Jahren, also Standortbestimmungen eines Autors, der nach der "Wende" in den Westen übergesiedelt war. Erst im zweiten Teil des Bandes folgen Essays, die noch unter den Schreibbedingungen der DDR entstanden: etwa Nachworte zu Gedichtausgaben von Erich Arendt oder Hölderlin, aber auch zu Oden Klopstocks und zum Neudruck von Novalis' Roman "Heinrich von Offerdingen", zu Werken also, die nicht auf dem Wunschzettel der Partei standen. An diesen Aufsätzen läßt sich beobachten, wie Czechowski den Raum zwischen dem linientreuen und dem gerade noch sagbaren Argument auszutasten versucht.
Die Schwierigkeiten der DDR-Autoren, sich nach der "Wende" den Bedingungen des freien Marktes anzupassen, sind bekannt. Sie blieben auch Czechowski nicht erspart. Doch sind sie nur am Rande Gegenstand seiner Essays. Immerhin hat er sich mit Literaturstipendien und Stadtschreiberstellen über die Runden bringen können. Nicht verschaffen konnten sie ihm eine neue Bodenhaftung. Der aus dem Osten aufgebrochene Autor ist in keiner neuen Heimat angekommen. In Limburg fühlt er sich wie "ein verspäteter, alternder Exilant", im "Künstlerdorf" des münsterländischen Schöppingen wie ein "Verschlagener".
Doch ist Czechowski eben viel früher "depatriiert" worden. Der Schock des Kindes, die Zerstörung Dresdens, und die Desillusionierung in der DDR haben ihn - was er von einem Gedicht Wulf Kirstens sagt, gilt auch für ihn selbst - "ins Exil seiner Verse" getrieben. Aus der Erbschaft einer depressiven Mutter stammt wohl die Disposition zur Schwermut. Als einen "Melancholiker von Geburt" bezeichnet er sich im Essay "Erste Schreibversuche", als jemanden, der auf dem "Meer der Melancholie" kreuzt, im Essay "Das Vergängliche überlisten?" Ja, von "masochistischer Lust" ist einmal die Rede.
Die Klage über die "verlorene Identität" des Ichs beherrscht viele der Essays. Aber sie kann auch umschlagen in den Ausdruck des Zorns: über das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig als "Popanz", als Gegenstand eines Spektakels bei der Feier "deutsch-sowjetischer Waffenbrüderschaft" im Jahre 1988, als Monument der "Unmündigkeit des Volkes" - über die "Verlogenheit, welche die DDR kreuz und quer als eine Schleimspur durchzog". Hier protestiert eines der "gebrannten Kinder der Revolution". Hier setzt sich einer auch ab von der "heroischen Illusion" eines Glaubens, mit dem etwa "die klangvollen Namen Majakowski, Neruda oder Brecht verbunden sind".
Nirgendwo in den frühen Essays begibt sich Czechowski ins Kielwasser eines selbstgerechten Antifaschismus, der von den Übeln der SED-Diktatur ablenken sollte. Erst die Besichtigung der ehemaligen SS-Weihestätte in der Nähe Paderborns, der "Führerschule Wewelsburg", machte ihm das ganze Blendwerk der "heroischen Gesänge, die wir in unserer Jugend angestimmt hatten", bewußt. Mit der Wewelsburg assoziiert er Etzels Hof und die Katastrophe der Nibelungentreue, dieses "tumben Vertrauens", und es scheint ihm, als seien die Vasallen Himmlers "unterschwellig unablässig mit der Idee ihrer eigenen heroischen Vernichtung beschäftigt gewesen".
Bisher unveröffentlicht sind die "Anmerkungen anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2000 an Volker Braun". Auf sie wird Volker Braun wohl einmal antworten müssen, denn Czechowskis Vorwürfe sind erheblich, auch wenn man von ihnen einen polemischen Überschuß abzieht. Mit seinem "flotten Avantgardismus" habe der Befürworter des Arbeiter-und-Bauern-Staates auch im Westen zu gefallen gewußt, seine Leugnung von Abschieds- und Trennungsschmerz nach der Auflösung der DDR (in einem Interview) sei unaufrichtig, bringe "Falschgeld in den Verkehr". Keineswegs habe Braun immer auf der Unteilbarkeit der deutschen Literatur bestanden, eine "geballte Ladung sozialistischer Partei-und Staatsgläubigkeit" sei die Werkauswahl "Im Querschnitt" von 1978 gewesen, noch elf Jahre nach dem Bau der Mauer habe er "am Strick der Treue" gehangen. Bis in die Gegenwart ziehe sich die "endlose Litanei, die keiner Alternative zum Leben in einem wie auch immer gearteten Sozialismus Raum läßt". Czechowski nimmt mit dieser Streitschrift den Verdacht auf sich, daß ihm der Neid auf den Preisträger die Feder führe. Doch müßten seine Argumente zunächst einmal entkräftet werden. Kann Brauns offenkundige, aber doch kritische "Treue" zur DDR als bloßes Taktieren abgetan werden?
Durch die Essaysammlung zieht sich eine resignative Spur. Am markantesten wird sie in einem Bild, das Czechowski für den "Dichter im Zeitenwechsel" findet: Er sei verbannt in den "schalltoten Raum". Man wünscht seinem Buch Leser, die diese Diagnose widerlegen.
WALTER HINCK
Heinz Czechowski: "Einmischungen. Schriften 1". Grupello Verlag, Düsseldorf 2000. 260 S., br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Resignative Attacke: Heinz Czechowskis "Einmischungen"
Erinnerungen an die Schule schlagen sich in der Literatur oft wie Albträume nieder. Und das Wort "Dichterschule" hat den Beiklang des Dogmatischen - im achtzehnten Jahrhundert schwang Gottsched in der Sächsischen Dichterschule den Stock. Wenn heute Heinz Czechowski von der Sächsischen Dichterschule spricht, so schlägt sein Herz höher. Und er meint nicht die Schüler Gottscheds, sondern eine Gruppe von Schriftstellern in der DDR, zu der er vor allem Karl Mickel, Sarah Kirsch, Rainer Kirsch, den in der DDR eingebürgerten Rheinländer Adolf Endler und sich selber zählt - eine Schar von Lyrikadepten, der am Leipziger Literaturinstitut der Dozent Georg Maurer den väterlichen Segen erteilte.
Heinz Czechowski ist ein Lyriker aus der DDR-Zeit, der den Umbruch von 1989/90 ohne Rufschädigung überstanden hat, gegen den allenfalls noch die letzten Mohikaner der SED-Ideologie zum Kriegsbeil greifen. 1966 gab die Schlußzeile des Gedichts "Brief", "In diesem besseren Land", einer von Adolf Endler und Karl Mickel herausgegebenen Gedicht-Anthologie den Titel, doch schrieb Czechowski seit 1974 keine Verse mehr, die der SED-Staat für sich hätte vereinnahmen können. Und im Band "Kein näheres Zeichen" (1987) gibt sein Gedicht "Credo" die große Enttäuschung öffentlich zu Protokoll: "Nichts ist eingelöst / Von allen Versprechen / Wie Herbstlaub raschelnd / Treiben die Worte."
Czechowskis jetzt erschienener Essayband "Einmischungen" vereinigt Aufsätze aus der Zeit zwischen 1966 und 2000. Der Aufbau der Sammlung hält sich nicht an die Chronologie. Am Anfang stehen Beiträge aus den neunziger Jahren, also Standortbestimmungen eines Autors, der nach der "Wende" in den Westen übergesiedelt war. Erst im zweiten Teil des Bandes folgen Essays, die noch unter den Schreibbedingungen der DDR entstanden: etwa Nachworte zu Gedichtausgaben von Erich Arendt oder Hölderlin, aber auch zu Oden Klopstocks und zum Neudruck von Novalis' Roman "Heinrich von Offerdingen", zu Werken also, die nicht auf dem Wunschzettel der Partei standen. An diesen Aufsätzen läßt sich beobachten, wie Czechowski den Raum zwischen dem linientreuen und dem gerade noch sagbaren Argument auszutasten versucht.
Die Schwierigkeiten der DDR-Autoren, sich nach der "Wende" den Bedingungen des freien Marktes anzupassen, sind bekannt. Sie blieben auch Czechowski nicht erspart. Doch sind sie nur am Rande Gegenstand seiner Essays. Immerhin hat er sich mit Literaturstipendien und Stadtschreiberstellen über die Runden bringen können. Nicht verschaffen konnten sie ihm eine neue Bodenhaftung. Der aus dem Osten aufgebrochene Autor ist in keiner neuen Heimat angekommen. In Limburg fühlt er sich wie "ein verspäteter, alternder Exilant", im "Künstlerdorf" des münsterländischen Schöppingen wie ein "Verschlagener".
Doch ist Czechowski eben viel früher "depatriiert" worden. Der Schock des Kindes, die Zerstörung Dresdens, und die Desillusionierung in der DDR haben ihn - was er von einem Gedicht Wulf Kirstens sagt, gilt auch für ihn selbst - "ins Exil seiner Verse" getrieben. Aus der Erbschaft einer depressiven Mutter stammt wohl die Disposition zur Schwermut. Als einen "Melancholiker von Geburt" bezeichnet er sich im Essay "Erste Schreibversuche", als jemanden, der auf dem "Meer der Melancholie" kreuzt, im Essay "Das Vergängliche überlisten?" Ja, von "masochistischer Lust" ist einmal die Rede.
Die Klage über die "verlorene Identität" des Ichs beherrscht viele der Essays. Aber sie kann auch umschlagen in den Ausdruck des Zorns: über das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig als "Popanz", als Gegenstand eines Spektakels bei der Feier "deutsch-sowjetischer Waffenbrüderschaft" im Jahre 1988, als Monument der "Unmündigkeit des Volkes" - über die "Verlogenheit, welche die DDR kreuz und quer als eine Schleimspur durchzog". Hier protestiert eines der "gebrannten Kinder der Revolution". Hier setzt sich einer auch ab von der "heroischen Illusion" eines Glaubens, mit dem etwa "die klangvollen Namen Majakowski, Neruda oder Brecht verbunden sind".
Nirgendwo in den frühen Essays begibt sich Czechowski ins Kielwasser eines selbstgerechten Antifaschismus, der von den Übeln der SED-Diktatur ablenken sollte. Erst die Besichtigung der ehemaligen SS-Weihestätte in der Nähe Paderborns, der "Führerschule Wewelsburg", machte ihm das ganze Blendwerk der "heroischen Gesänge, die wir in unserer Jugend angestimmt hatten", bewußt. Mit der Wewelsburg assoziiert er Etzels Hof und die Katastrophe der Nibelungentreue, dieses "tumben Vertrauens", und es scheint ihm, als seien die Vasallen Himmlers "unterschwellig unablässig mit der Idee ihrer eigenen heroischen Vernichtung beschäftigt gewesen".
Bisher unveröffentlicht sind die "Anmerkungen anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2000 an Volker Braun". Auf sie wird Volker Braun wohl einmal antworten müssen, denn Czechowskis Vorwürfe sind erheblich, auch wenn man von ihnen einen polemischen Überschuß abzieht. Mit seinem "flotten Avantgardismus" habe der Befürworter des Arbeiter-und-Bauern-Staates auch im Westen zu gefallen gewußt, seine Leugnung von Abschieds- und Trennungsschmerz nach der Auflösung der DDR (in einem Interview) sei unaufrichtig, bringe "Falschgeld in den Verkehr". Keineswegs habe Braun immer auf der Unteilbarkeit der deutschen Literatur bestanden, eine "geballte Ladung sozialistischer Partei-und Staatsgläubigkeit" sei die Werkauswahl "Im Querschnitt" von 1978 gewesen, noch elf Jahre nach dem Bau der Mauer habe er "am Strick der Treue" gehangen. Bis in die Gegenwart ziehe sich die "endlose Litanei, die keiner Alternative zum Leben in einem wie auch immer gearteten Sozialismus Raum läßt". Czechowski nimmt mit dieser Streitschrift den Verdacht auf sich, daß ihm der Neid auf den Preisträger die Feder führe. Doch müßten seine Argumente zunächst einmal entkräftet werden. Kann Brauns offenkundige, aber doch kritische "Treue" zur DDR als bloßes Taktieren abgetan werden?
Durch die Essaysammlung zieht sich eine resignative Spur. Am markantesten wird sie in einem Bild, das Czechowski für den "Dichter im Zeitenwechsel" findet: Er sei verbannt in den "schalltoten Raum". Man wünscht seinem Buch Leser, die diese Diagnose widerlegen.
WALTER HINCK
Heinz Czechowski: "Einmischungen. Schriften 1". Grupello Verlag, Düsseldorf 2000. 260 S., br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine "resignative Spur" sieht Rezensent Walter Hinck durch diesen Essay-Band führen. Heimatlos fühlt sich der Dichter Heinz Czechowski - doch dies nicht erst seit der Wende, so Hinck. Schon die Bombadierung Dresdens und der Alltag seines Lebens in der DDR haben in Czechowski offenbar das Gefühl ausgelöst, seine Identität sei bestenfalls eine wacklige. Brisant findet Hinck Czechowskis bisher unveröffentlichte Vorwürfe gegen den Schriftstellerkollegen Volker Braun, dem er nach der Verleihung des Georg-Büchner-Preises vorwarf, dem DDR-Staat lange unkritisch gegenübergestanden zu haben. Hinck stellt verschiedene Vermutungen über Czechowskis Motive an, und sie klingen nicht immer schmeichelhaft. Dennoch findet er die Vorwürfe gegen Braun so erheblich, dass er sich wünscht, dieser würde einmal darauf antworten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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