Okanogan County, Anfang der 1930er Jahre. Eigentlich hat sich Sheriff Russel Strawl zur Ruhe gesetzt. Er ist müde geworden, seine Hände zittern beim Schießen. Doch dann kommt es im Indianerreservat zu einer Reihe grausamer Ritualmorde, und Strawl soll ermitteln. Ein letztes Mal noch steigt er in den Sattel und begibt sich in einen Abgrund der Gewalt. Dort holt ihn auch seine eigene Vergangenheit ein. Denn vor langer Zeit hat Strawl schwere Schuld auf sich geladen, die nie gesühnt wurde. So wird aus dem Jäger nach und nach ein Gejagter, und als er in Verdacht gerät, die Morde selbst begangen zu haben, nimmt er das Gesetz in die eigene Hand. Am Ende einer Blutspur, die Strawl bis an den Rand der Zivilisation führt, wartet der wahre Täter auf ihn ... Seit Langem hat kein Autor derart kraftvolle, unerbittliche Westernliteratur jenseits aller Mythen geschaffen. Mit einer Sprache, die rau ist und zugleich poetisch, evoziert Bruce Holbert den Herzschlag einer Zeit, in der niemand unversehrt davonkam. "Einsame Tiere" ist ein Roman über die Fadenscheinigkeit aller Moral, wenn die dunkle Seite im Menschen hervorbricht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Peter Körte berichtet in Bildern von seiner Lektüre eines Romandebüts, das ihn fasziniert hat. Wie der immerhin 55-jährige Debütant in diesem Buch gekonnt die Klippen der Überinszenierung, einer Neuauflage des Italo-Westerns und der Blutorgien Tarantinos umschifft, um seine archaische Story über einen Bullen außer Dienst auf Serienkiller-Suche zu erzählen, findet Körte beeindruckend. Ebenso das Setting der Handlung, 1930 im Staate Washington, die Gewalt, die Wucht und der Rhythmus des Erzählens, das nicht gerade verläuft, sondern querfeldein, wie der Rezensent erklärt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2014Hassenswerter Typ
Endstation Gewalt: "Einsame Tiere" von Bruce Holbert
Schöner Titel, er stammt von John Steinbeck. Gemeint sind natürlich wir, die sprechenden Tiere, die, so Steinbeck, ihre Einsamkeit zu vertreiben versuchen, indem sie einander Geschichte erzählen. Die Geschichte, die Bruce Holberts Roman erzählt, handelt von Menschen, die froh wären, wenn sie jemanden hätten, um ihm eine Geschichte zu erzählen. Und sie sind es, über die man Geschichten erzählt.
Es ist dabei ziemlich egal, ob man in diesem Debüt des 55 Jahre alten Holbert nun eher einen Western sehen will oder einen Kriminalroman oder eine eher seltene Hybridform. Die Handlung spielt in den Jahren nach 1930 im Okanogan County, das liegt im Nordwesten der Vereinigten Staaten im Bundesstaat Washington an der Grenze zu Kanada. Man fährt Auto und baut einen großen Staudamm, aber es wird auch noch durch die dünnbesiedelte Wildnis geritten. Cowboys also und Motoren. Und natürlich Schusswaffen.
Der Protagonist Russell Strawl war lange Polizist im County, er ist schnell mit der Waffe, brutal und grausam. "Das Recht glich inmitten dieses Durcheinanders nur einem Zufall", heißt es lapidar, wie Holbert überhaupt ein Autor ist, der sehr direkt zur Sache kommt, dessen Erzähler ganz nüchtern auf diese Welt blickt und einen nur bisweilen mit einem leichten lyrischen Unterton mit Strawls Grübeleien und dessen "schwarzer Seele" bekanntmacht.
Strawl ist Witwer. Er hat seine zweite Frau umgebracht, weil sie ihm den Pfeffer nicht schnell genug reichte: "Da hob er die Pfanne und hieb ihr damit seitlich gegen den Kopf. Die Wurst flog auf den Boden, Fett, Blut und Hirnflüssigkeit verklebten Emma das Haar und tropften ihr über das Gesicht." Seine Vorgesetzten lassen Strawl davonkommen. Er quittiert den Dienst. Und so wie Holbert nicht nur diesen jähen Ausbruch von Gewalt schildert, wie Gewalt zu einem Movens der Geschichte wird, das hat nichts Überinszeniertes, Schrilles, woran man sich mit Schaudern weiden könnte. Da ist kein Wille zur Neuauflage des Italo-Westerns, zum postmodernen Blutbad im Geiste der Tarantino-Epigonen.
Dieser Gestus des Erzählens hat etwas sehr Schroffes, fast Archaisches. Und wenn Russell Strawl mit 63 Jahren den Auftrag erhält, einen Mörder zu finden, der seine Opfer auf bizarre Weise verstümmelt, ist das kein Irrweg ins längst abgetakelte Serienkiller-Genre. Strawl reitet durchs Land, durch eine Welt, in der die Moderne zwar ihre irreversiblen Spuren und Zeichen hinterlassen hat, in den Gemütern und Verhaltensweisen der Menschen jedoch noch nicht recht angekommen ist; eine Welt, in der auch die Folgen des großen Crashs Ende der zwanziger Jahre unübersehbar sind. Die Prosa Bruce Holberts ist so, als würde mitten in den stillen Depressions-Fotografien von Walker Evans etwas explodieren.
Strawl trifft auf seiner Suche merkwürdige Verdächtige und auch seinen gelegentlich in Zungen sprechenden Adoptivsohn Elijah aus erster Ehe: "Er verschlang die Bibel wie eine Fliege ihre Mahlzeit, verschlang jeden Abschnitt, spie den Inhalt wieder aus und labte sich an dem Erbrochenen." Gemeinsam ziehen sie umher, belauern und unterstützen einander. Strawl teilt rücksichtslos aus und wird böse verprügelt. Die Suche geht nicht recht voran, aber sie ist es auch gar nicht, was dem Roman seine Wucht und seinen Rhythmus gibt.
Am Ende steht zwar ein Täter fest. Doch wo andere Romane sich mit dem geraden Weg zur Lösung eines Falls zufriedengegeben hätten, zieht dieses Buch querfeldein, dorthin, wo die Wege immer schlechter werden, um schließlich ganz zu enden. Das ist zugleich die Route von Strawls Geschichte: Ihm "war klar, er hatte seine Arbeit zu gut gemacht, und weil er am Leben geblieben war, hatte er jede Geschichte überlebt, die ihn auf die Seite des Guten hätte stellen können".
PETER KÖRTE
Bruce Holbert: "Einsame Tiere".
Roman.
Aus dem Englischen von
Peter Torberg.
Liebeskind Verlag, München 2014
303 S., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Endstation Gewalt: "Einsame Tiere" von Bruce Holbert
Schöner Titel, er stammt von John Steinbeck. Gemeint sind natürlich wir, die sprechenden Tiere, die, so Steinbeck, ihre Einsamkeit zu vertreiben versuchen, indem sie einander Geschichte erzählen. Die Geschichte, die Bruce Holberts Roman erzählt, handelt von Menschen, die froh wären, wenn sie jemanden hätten, um ihm eine Geschichte zu erzählen. Und sie sind es, über die man Geschichten erzählt.
Es ist dabei ziemlich egal, ob man in diesem Debüt des 55 Jahre alten Holbert nun eher einen Western sehen will oder einen Kriminalroman oder eine eher seltene Hybridform. Die Handlung spielt in den Jahren nach 1930 im Okanogan County, das liegt im Nordwesten der Vereinigten Staaten im Bundesstaat Washington an der Grenze zu Kanada. Man fährt Auto und baut einen großen Staudamm, aber es wird auch noch durch die dünnbesiedelte Wildnis geritten. Cowboys also und Motoren. Und natürlich Schusswaffen.
Der Protagonist Russell Strawl war lange Polizist im County, er ist schnell mit der Waffe, brutal und grausam. "Das Recht glich inmitten dieses Durcheinanders nur einem Zufall", heißt es lapidar, wie Holbert überhaupt ein Autor ist, der sehr direkt zur Sache kommt, dessen Erzähler ganz nüchtern auf diese Welt blickt und einen nur bisweilen mit einem leichten lyrischen Unterton mit Strawls Grübeleien und dessen "schwarzer Seele" bekanntmacht.
Strawl ist Witwer. Er hat seine zweite Frau umgebracht, weil sie ihm den Pfeffer nicht schnell genug reichte: "Da hob er die Pfanne und hieb ihr damit seitlich gegen den Kopf. Die Wurst flog auf den Boden, Fett, Blut und Hirnflüssigkeit verklebten Emma das Haar und tropften ihr über das Gesicht." Seine Vorgesetzten lassen Strawl davonkommen. Er quittiert den Dienst. Und so wie Holbert nicht nur diesen jähen Ausbruch von Gewalt schildert, wie Gewalt zu einem Movens der Geschichte wird, das hat nichts Überinszeniertes, Schrilles, woran man sich mit Schaudern weiden könnte. Da ist kein Wille zur Neuauflage des Italo-Westerns, zum postmodernen Blutbad im Geiste der Tarantino-Epigonen.
Dieser Gestus des Erzählens hat etwas sehr Schroffes, fast Archaisches. Und wenn Russell Strawl mit 63 Jahren den Auftrag erhält, einen Mörder zu finden, der seine Opfer auf bizarre Weise verstümmelt, ist das kein Irrweg ins längst abgetakelte Serienkiller-Genre. Strawl reitet durchs Land, durch eine Welt, in der die Moderne zwar ihre irreversiblen Spuren und Zeichen hinterlassen hat, in den Gemütern und Verhaltensweisen der Menschen jedoch noch nicht recht angekommen ist; eine Welt, in der auch die Folgen des großen Crashs Ende der zwanziger Jahre unübersehbar sind. Die Prosa Bruce Holberts ist so, als würde mitten in den stillen Depressions-Fotografien von Walker Evans etwas explodieren.
Strawl trifft auf seiner Suche merkwürdige Verdächtige und auch seinen gelegentlich in Zungen sprechenden Adoptivsohn Elijah aus erster Ehe: "Er verschlang die Bibel wie eine Fliege ihre Mahlzeit, verschlang jeden Abschnitt, spie den Inhalt wieder aus und labte sich an dem Erbrochenen." Gemeinsam ziehen sie umher, belauern und unterstützen einander. Strawl teilt rücksichtslos aus und wird böse verprügelt. Die Suche geht nicht recht voran, aber sie ist es auch gar nicht, was dem Roman seine Wucht und seinen Rhythmus gibt.
Am Ende steht zwar ein Täter fest. Doch wo andere Romane sich mit dem geraden Weg zur Lösung eines Falls zufriedengegeben hätten, zieht dieses Buch querfeldein, dorthin, wo die Wege immer schlechter werden, um schließlich ganz zu enden. Das ist zugleich die Route von Strawls Geschichte: Ihm "war klar, er hatte seine Arbeit zu gut gemacht, und weil er am Leben geblieben war, hatte er jede Geschichte überlebt, die ihn auf die Seite des Guten hätte stellen können".
PETER KÖRTE
Bruce Holbert: "Einsame Tiere".
Roman.
Aus dem Englischen von
Peter Torberg.
Liebeskind Verlag, München 2014
303 S., 19,80 [Euro].
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