Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die deutsche Dichtung zum Sprachrohr enthusiastischer Mobilmachung und Kriegsdeutung. Es waren die Dichter, die im August 1914 an den Kampfeswillen der Kriegführenden appellierten, innere Überzeugung und Opferbereitschaft zu wecken versuchten. Die überwiegende Mehrzahl der großen deutschsprachigen Autoren, darunter Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann, Rainer Maria Rilke und Robert Musil, verknüpften ihre persönliche Existenz und ihr poetisches Programm aufs Engste mit dem Ernstfall des Kriegs, auch wenn dies ihre geistige Unabhängigkeit massiv beeinträchtigte. Während von den jüngeren Autoren viele ihren Fronteinsatz mit dem Leben bezahlten oder tiefe Verwundungen an Leib und Seele davontrugen, wurden die etwas älteren für lange Zeit aus der Bahn ihrer künstlerischen Kreativität geworfen. Wichtige kulturelle Grundzüge der Moderne - wie Massen gesellschaft und Technik, Wertezerfall und Sachlichkeit - fanden sich durch den Geschichtsbruch des Kriegs beschleunigt und verstärkt. Am Kriegsende rollten nicht nur Königskronen in den Staub, sondern auch der aufs Spiel gesetzte Nimbus der Dichter mußte weichen: einem neuen, nicht mehr metaphysisch aufgeladenen Begriff der Literatur.Alexander Honolds Buch rekonstruiert zum ersten Mal in umfassender Weise den symptomalen Stellenwert des Ersten Weltkriegs für die geschichtliche und ästhetische Entwicklung der Literatur. Die materialreiche Studie gibt einen Überblick zur poetischen Mobilmachung und Kriegsdeutung und folgt mehr als einem Dutzend Autoren durch die ersten Tage und Wochen des Kriegs, von der Generation der Jugendbewegten bis zu den gefeierten Eminenzen. Plastisch nachgezeichnet werden die veränderten Formen des Hörens und Sehens innerhalb eines 'Kriegs der Sinne' und die tiefe Verunsicherung heroischer Handlungsmuster durch den Stellungskrieg. In vergleichender Perspektive geht der Band den Elementarschauplätzen des Luft- und Seekriegs nach und stellt unerwartete Zeugnisse des Kriegs der Nerven und Symptome vor. Nicht zuletzt rekonstruieren eindringliche Lektüren der im oder nach dem Krieg entstandenen Großwerke (u.a. von Hofmannsthal, Thomas Mann, Musil, Döblin und Marcel Proust) die tiefgreifenden Umbrüche literarischer Autorschaft und er zählerischen Gestaltungsvermögens durch jenen mehr als vierjährigen Ausnahmezustand, dessen Folgen das 20. Jahrhundert so nachhaltig prägen sollten.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Absolut vorbildlich findet Manfred Koch den Einsatz für die Dichtung, den der Basler Literaturwissenschaftler mit seinem Buch leistet. Kenntnisreich, klar geschrieben und "brillant pointiert" blicke Alexander Honold auf das Verhältnis der Literatur zum Ersten Weltkrieg. Dabei stehen nicht unbedingt Berichte von der Front oder aus dem Schützengraben im Vordergrund, sondern der Resonanzraum, den das berühmte "Augusterlebnis" eröffnete. Sehr beeindruckt liest Koch, wie Honold etwa aus Rilkes "Kriegsgesängen" Ergriffenheit, Begeisterungssehnsucht und das Bedürfnis nach Enthusiasmus herauskristallisiert. Hervorragend findet der Rezensent aber auch die Kapitel, die sich mit der Jugendbewegung oder der Zwischenkriegsliteratur beschäftigen. Hier lernt er dann, dass dem Krieg auch moderne Wahrnehmungsmuster und Erzähltechniken entsprangen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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