Als Mitglied der legendären Wiener Gruppe zertrümmerte Friedrich Achleitner die Mythen der traditionellen Poesie, als Architekturkritiker warnte er vor Zerstörung und Spekulation, und als Architekturhistoriker katalogisiert er ganz Österreich. Nun ist eine veritable Sensation anzukündigen: Friedrich Achleitners erste Prosasammlung. Die Geschichten drehen sich zum einen im Wortsinn um das, was sie bezeichnen, zum anderen werfen sie immer einen wunderbar wachen und ironischen Blick auf Dinge und Begebenheiten, die den Alltag begleiten. Ein kleines großes Buch voller Witz, Scharfsinn und absurdem Humor.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rolf-Bernhard Essig wirkt fast ein wenig verzückt angesichts dieser "putzmunteren, oft politischen Prosa-Petitessen" von Friedrich Achleitner. Die Texte seiner Einschlafgeschichten seien ausnahmslos kurz, ergäben häufig keinen erkennbaren Sinn, zeichneten sich aber durch große Originalität, teils auch gepaart mit einer gewissen Bissigkeit, aus, befindet Essig. Das Fazit des Rezensenten: hervorragend zur Vorbereitung auf das Träumen geeignet, ebenso wie zum Vorlesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2004Bekennende Nasenbohrer
Friedrich Achleitner betätigt sich als subversiver Sandmann
Der Architekt Friedrich Achleitner war in den fünfziger und sechziger Jahren zentrales Mitglied der Wiener Gruppe avantgardistischer Poesie, doch in letzter Zeit trat er vor allem als Architekturkritiker hervor. Seine "einschlafgeschichten" erscheinen daher einigermaßen überraschend, und auch ihre Wirkung ist nicht im mindesten beruhigend. Die kurzen Prosatexte stammen vielmehr aus der überwachen Zone des Nichteinschlafenkönnens, denn sie formulieren den skurrilen Albtraum der Realität: Almen, die vom Schild ALM verdeckt werden; Speisekarten, die "entrecôte vom almochsen" bieten; auch der "papierserviettensammler" scheint kaum erfunden.
Schlimmer noch sind die Zwangsvorstellungen eines "bekennenden nasenbohrers" oder die Hohlwelttheorien eines Mannes, der durch seinen Harnstrahl benutzte Klomuscheln zu reinigen pflegt. Innere Neurosen und der gebaute Irrsinn der Außenwelt konvergieren in der Beschreibung der Sanitäranlagen des Dresdner Art'otels: Der vierfachen Spiegelung eines einzelnen im Badezimmer entspricht die inverse Idee eines Vierkant-Pissoirs, dessen Benutzer gezwungen sind, sich gesellig einander zuzuwenden.
Realität und Phantasie des Erzählers steigern sich nicht nur hier ins Furiose. Die Toastvorrichtung eines anderen Hotels wird in der sprachlichen Wahrnehmung des Autors zum "tischkrematorium", doch kaum stellt er sich ein solches in Koppelung mit einer Musikanlage vor, rieselt auch schon das Largo von Händel aus den tatsächlichen Lautsprechern des Frühstückraums. Zumindest behauptet dies diese Geschichte, aber die Sprache entwickelt bei Achleitner ohnedies ein Eigenleben in allen ihren Gestalten: Punkt und Komma, die Grußwörter Servus und Tschüssi, ja auch Sätze können miteinander Dialoge führen - oder der Erzähler unterhält sich mit einem Wasserfall, der redet wie ein Wasserfall: "ich hatte den eindruck, als sähe ich zum ersten mal jeden einzelnen tropfen von ihm in die tiefe stürzen. es ist auch besser so, sagte er." Und schon ist die Geschichte aus, die dem Leser das Prinzip der Kunst schneller erklärt hat, als sich dieser verdattert den Sand aus den Augen reiben kann.
Eine andere Geschichte beginnt wie Kafka: "er schaute aus seinem körper wie aus einem fenster und er verstand sein leben lang nicht, warum er dieses gehäuse mit sich tragen sollte." Doch anders als bei Kafka scheitert der zeitgenössische Sprecher nicht an seiner Selbstdistanz, sondern nützt diese Interesselosigkeit, um Karriere zu machen. Das Absurde gerinnt wenige Zeilen lang zur Sinngeschichte, ehe es moralfrei verpufft. Bleibt die leise Erschütterung durch den sprachlichen Vorgang selbst, wie etwa in der Geschichte "verfehlter fehlschlag": Als eine Initiative von Geschäftsleuten im "juwel der alpinen thermalbäder" alle ihre Produkte für drei Tage mit dem Etikett Kitsch versieht - "eine solche aktion, sagten sie stolz, hätten wir nicht einmal im dritten reich zustande gebracht" -, bekommen sie das Wort nicht mehr aus ihren eigenen Köpfen. Dabei handelt es sich zweifellos um einen Wunschtraum Achleitners, aber vielleicht legt ja doch ein fürsorglicher Hotelier seinen Gästen die "einschlaf-geschichten" als Betthupferl aufs Kopfkissen. Zuzutrauen - und zu wünschen! - wär's dieser Wirklichkeit, der die literarische Avantgarde kaum hinterherkommt.
THOMAS POISS
Friedrich Achleitner: "einschlafgeschichten". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 101 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Achleitner betätigt sich als subversiver Sandmann
Der Architekt Friedrich Achleitner war in den fünfziger und sechziger Jahren zentrales Mitglied der Wiener Gruppe avantgardistischer Poesie, doch in letzter Zeit trat er vor allem als Architekturkritiker hervor. Seine "einschlafgeschichten" erscheinen daher einigermaßen überraschend, und auch ihre Wirkung ist nicht im mindesten beruhigend. Die kurzen Prosatexte stammen vielmehr aus der überwachen Zone des Nichteinschlafenkönnens, denn sie formulieren den skurrilen Albtraum der Realität: Almen, die vom Schild ALM verdeckt werden; Speisekarten, die "entrecôte vom almochsen" bieten; auch der "papierserviettensammler" scheint kaum erfunden.
Schlimmer noch sind die Zwangsvorstellungen eines "bekennenden nasenbohrers" oder die Hohlwelttheorien eines Mannes, der durch seinen Harnstrahl benutzte Klomuscheln zu reinigen pflegt. Innere Neurosen und der gebaute Irrsinn der Außenwelt konvergieren in der Beschreibung der Sanitäranlagen des Dresdner Art'otels: Der vierfachen Spiegelung eines einzelnen im Badezimmer entspricht die inverse Idee eines Vierkant-Pissoirs, dessen Benutzer gezwungen sind, sich gesellig einander zuzuwenden.
Realität und Phantasie des Erzählers steigern sich nicht nur hier ins Furiose. Die Toastvorrichtung eines anderen Hotels wird in der sprachlichen Wahrnehmung des Autors zum "tischkrematorium", doch kaum stellt er sich ein solches in Koppelung mit einer Musikanlage vor, rieselt auch schon das Largo von Händel aus den tatsächlichen Lautsprechern des Frühstückraums. Zumindest behauptet dies diese Geschichte, aber die Sprache entwickelt bei Achleitner ohnedies ein Eigenleben in allen ihren Gestalten: Punkt und Komma, die Grußwörter Servus und Tschüssi, ja auch Sätze können miteinander Dialoge führen - oder der Erzähler unterhält sich mit einem Wasserfall, der redet wie ein Wasserfall: "ich hatte den eindruck, als sähe ich zum ersten mal jeden einzelnen tropfen von ihm in die tiefe stürzen. es ist auch besser so, sagte er." Und schon ist die Geschichte aus, die dem Leser das Prinzip der Kunst schneller erklärt hat, als sich dieser verdattert den Sand aus den Augen reiben kann.
Eine andere Geschichte beginnt wie Kafka: "er schaute aus seinem körper wie aus einem fenster und er verstand sein leben lang nicht, warum er dieses gehäuse mit sich tragen sollte." Doch anders als bei Kafka scheitert der zeitgenössische Sprecher nicht an seiner Selbstdistanz, sondern nützt diese Interesselosigkeit, um Karriere zu machen. Das Absurde gerinnt wenige Zeilen lang zur Sinngeschichte, ehe es moralfrei verpufft. Bleibt die leise Erschütterung durch den sprachlichen Vorgang selbst, wie etwa in der Geschichte "verfehlter fehlschlag": Als eine Initiative von Geschäftsleuten im "juwel der alpinen thermalbäder" alle ihre Produkte für drei Tage mit dem Etikett Kitsch versieht - "eine solche aktion, sagten sie stolz, hätten wir nicht einmal im dritten reich zustande gebracht" -, bekommen sie das Wort nicht mehr aus ihren eigenen Köpfen. Dabei handelt es sich zweifellos um einen Wunschtraum Achleitners, aber vielleicht legt ja doch ein fürsorglicher Hotelier seinen Gästen die "einschlaf-geschichten" als Betthupferl aufs Kopfkissen. Zuzutrauen - und zu wünschen! - wär's dieser Wirklichkeit, der die literarische Avantgarde kaum hinterherkommt.
THOMAS POISS
Friedrich Achleitner: "einschlafgeschichten". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 101 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Hier wird - mit leichtester Hand - Gewichtiges präsentiert: Prosaminiaturen voll Hintersinn und Witz." (Ulrich Weinzierl, Die Literarische Welt)
"Ein Kompendium wundervoller Karikaturen, dadaistischer Sprachspiele und kritischer Wortbefragungen. Ein Perfektes Betthupferl." (Silja Ukena, Kultur Spiegel 03/03)
"Kurzum, die putzmunteren, oft politischen Prosa-Petitessen Achleitners ... zeugen für die ungeschwächten Zeugungskraft des Dichters, der als freier Geist die Welt zwischen Kloschüssel und Sarg, zwischen Art'otel Leipzig und Bad-Gastein-Kitsch durchstreift, um danach, satt von Gesehenem, lustvoll und lustig mit der Sprache das Lager zu teilen, bis viele kleine Kinderlein hervorpurzeln, nett anzuschauen." (Rolf-Bernhard Essig, SDZ 06.09.03)
"Um es vorwegzunehmen: Das Buch ist genial. Unspektakulär in den Mitteln enfalten die Prosastücke maximalen Effekt. Eine überzeugende Apotheose des Skeptizismus." (Erich Klein, Falter 17.03.03)
"Mit dem Erzählband "einschlafgeschichten" nimmt sich Achleitner der kleinen, pointensatten Form an. Man ahnt's - es ist ein verspieltes, heiteres Buch: 52 Kürzestgeschichten, in denen Achleitner seinem Faible für randständige Details nachgeht und vor pompös vorgebrachten Allgemeinplätzen zurückscheut." (W. P., Profil 17.02.03)
"Man kann Friedrich Achleitners kurze Geschichten auf der Höhe der Hermeneutik oder als tiefsinnige Unterhaltung lesen. Jedenfalls wurde schon lange nicht mehr mit so viel Witz so stichhaltig über das Schreiben nachgedacht." (Paul Jandl, NZZ 29.3.03)
"Friedrich Achleitners einschlafgeschichten sind wachhaltende Gutenachtzuckerl ... Diese nur scheinbar dank ihrer zierlichen Zeilen leicht 'konsumierbaren' Häppchen haben die rechte Würze, sie sind zum Teil geradezu freundlich boshaft und machen enorm viel Spaß." (Ute Woltron, Der Standard 12.04.03)
"Ein Kompendium wundervoller Karikaturen, dadaistischer Sprachspiele und kritischer Wortbefragungen. Ein Perfektes Betthupferl." (Silja Ukena, Kultur Spiegel 03/03)
"Kurzum, die putzmunteren, oft politischen Prosa-Petitessen Achleitners ... zeugen für die ungeschwächten Zeugungskraft des Dichters, der als freier Geist die Welt zwischen Kloschüssel und Sarg, zwischen Art'otel Leipzig und Bad-Gastein-Kitsch durchstreift, um danach, satt von Gesehenem, lustvoll und lustig mit der Sprache das Lager zu teilen, bis viele kleine Kinderlein hervorpurzeln, nett anzuschauen." (Rolf-Bernhard Essig, SDZ 06.09.03)
"Um es vorwegzunehmen: Das Buch ist genial. Unspektakulär in den Mitteln enfalten die Prosastücke maximalen Effekt. Eine überzeugende Apotheose des Skeptizismus." (Erich Klein, Falter 17.03.03)
"Mit dem Erzählband "einschlafgeschichten" nimmt sich Achleitner der kleinen, pointensatten Form an. Man ahnt's - es ist ein verspieltes, heiteres Buch: 52 Kürzestgeschichten, in denen Achleitner seinem Faible für randständige Details nachgeht und vor pompös vorgebrachten Allgemeinplätzen zurückscheut." (W. P., Profil 17.02.03)
"Man kann Friedrich Achleitners kurze Geschichten auf der Höhe der Hermeneutik oder als tiefsinnige Unterhaltung lesen. Jedenfalls wurde schon lange nicht mehr mit so viel Witz so stichhaltig über das Schreiben nachgedacht." (Paul Jandl, NZZ 29.3.03)
"Friedrich Achleitners einschlafgeschichten sind wachhaltende Gutenachtzuckerl ... Diese nur scheinbar dank ihrer zierlichen Zeilen leicht 'konsumierbaren' Häppchen haben die rechte Würze, sie sind zum Teil geradezu freundlich boshaft und machen enorm viel Spaß." (Ute Woltron, Der Standard 12.04.03)