Teleportation, Quantencomputer und allerhand weitere fantastische Dinge, deren Bedeutung sich gemeinhin nur dem Physiker erschließen: Obwohl die Quantenphysik mittlerweile über hundert Jahre alt ist, sind ihre Aussagen immer noch weithin unbekannt oder gelten als besondere Provokation des gesunden Menschenverstands. Was aber, wenn der interessierte Laie wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält? Für diesen Fall bietet der international renommierte Experimentalphysiker Anton Zeilinger eine fesselnde, allgemeinverständliche Einführung in die Quantenphysik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2003Quantenmechanik für Fußgänger
Anton Zeilinger weiß, nach welchen Regeln der Zufall würfelt
Man stelle sich einen Eingeborenen in der Südsee vor, der noch nie Kontakt mit unserer technischen Zivilisation hatte. Dieser Eingeborene kommt in den Besitz der mechanischen Taschenuhr eines verstorbenen Missionars - Einzelheiten verschweigen wir besser - und nimmt sie auseinander. Was er da entdeckt, ist etwas völlig Unvorhergesehenes, ja Unvorhersehbares. In Fieberträumen hat er vielleicht schon blaue Kokosnüsse mit rosa Hörnern gesehen. Das war eine kühne Extrapolation seiner konkreten Erfahrungen, so etwas kann man sich vorstellen. Doch das filigrane Räderwerk der Uhr ist für ihn etwas völlig Unerwartetes, selbst wenn er im nachhinein durchaus seine Logik begreift.
Genauso war es auch mit der Entdeckung der Quantenmechanik Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Die Quantenmechanik ist ein ähnlich absurdes System wie die Astrologie oder die Bundesanstalt für Arbeit. Was sie von den beiden anderen Systemen unterscheidet, ist nur, daß sie unbegreiflicherweise gute und verifizierbare Ergebnisse liefert.
Die Quantenmechanik ist - grob gesagt - zuständig für die mikroskopische Struktur des Universums, für Elementarteilchen und nicht für Katzen. Katzen bestehen natürlich aus Elementarteilchen, aber die Frage, wie viele Krallen eine Katze hat, kann man nicht mit Quantentheorie beantworten. Das liegt auf einer anderen Ebene. Leider ist der technische Apparat der Quantenmechanik ein wenig aufwendig. In der Speziellen Relativitätstheorie kommt man mit Oberstufenwissen schon recht weit, die Quantenmechanik erschließt sich nur einem Physiker, vielleicht gerade noch einem Mathematiker, und das erst nach dem Vordiplom. Was ist aber, wenn eine Richterin, ein Elektrikermeister oder ein Landarzt wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält? In diesem Fall können wir das Buch "Einsteins Schleier" von Anton Zeilinger empfehlen. Zeilinger ist ein bedeutender Experimentalphysiker mit einer selbst für einen Österreicher großen Anzahl von Ehrentiteln. Sein Buch ist erstaunlich allgemeinverständlich. Er beherrscht die Kunst des Weglassens und beschränkt sich auf das, was ohne viel Grundlagenwissen funktioniert. Mit vier wichtigen Prinzipien erläutert er uns die Quantenphysik.
Erstens ist der Zufall ein wesentlicher Bestandteil der Theorie. Der liebe Gott würfelt, auch wenn Albert Einstein das nie glauben wollte. Zweitens gibt es die sogenannte Komplementarität. Manche Größen kann man nicht gemeinsam messen. Dazu gehört das Paar von Ort und Impuls (gleich Masse mal Geschwindigkeit) eines Teilchens. Ich kann nur wissen, wo das Teilchen war oder wie schnell es sich bewegt hat. Beides zusammen geht nicht, ja es hat noch nicht einmal Sinn, es sich überhaupt vorzustellen. Kein Strafmandat also für 85 km/h in der Heisenbergallee. Entweder 85 km/h oder Heisenbergallee. Man muß sich entscheiden. Drittens kann ein quantenmechanisches System manchmal durch eine Überlagerung von zwei widersprüchlichen Zuständen beschrieben werden. Ein einziges Photon kann sich gleichzeitig sowohl links herum als auch rechts herum durch einen schwarzen Kasten bewegt haben oder, gleichnishaft ausgedrückt, Schrödingers Katze kann sowohl tot als auch lebendig sein. Und viertens können zwei weit voneinander entfernte Teilchen "verschränkt" sein, ergo: Wenn ich jeweils eine bestimmte Messung durchführe, so ist das Ergebnis völlig unvorhersagbar, aber es ist bei beiden Teilchen dasselbe.
Genug ist genug! Das klingt alles sehr paradox, aber das ist es nicht. Zeilinger schildert ausführlich eine ungewohnte Welt mit verblüffenden Phänomenen, an die man sich gewöhnen muß. Wenn man den ersten Schock einmal überwunden hat, dann hat man doch einiges begriffen. Die Quantenmechanik ist eine normale physikalische Theorie. Sie macht Vorhersagen, die sich experimentell verifizieren lassen, und enthält keine Widersprüche, die man nicht wegdiskutieren könnte. Sie hat eine wunderbare innere Logik. Wie immer, wenn Menschen ins Philosophieren kommen, kann man die gleichen Tatsachen aber auf unterschiedlichste Arten interpretieren. Zeilinger ist wohl am ehesten ein Anhänger der "Kopenhagener" Interpretation der Quantenmechanik, doch er beschreibt auch gründlich die Alternativen.
Das Buch ist sehr solide. Hier spricht der Hochschullehrer und nicht der Entertainer. Die Illustrationen sind so, wie man sie mit Kreide an die Wandtafel zeichnet: klar verständlich und ohne überflüssigen Schnickschnack. Der Titel spielt übrigens auf einen Kommentar Einsteins über die Dissertation von Luis de Broglie an: "Er hat einen Zipfel des großen Schleiers gelüftet." Und das hat Zeilinger durchaus auch geschafft.
Vielleicht kommen in den nächsten Jahrzehnten ja völlig neue Technologien auf uns zu. Der Quantencomputer ist was ganz Modernes. Mit der Quantenkryptographie kann man wichtige Botschaften so verschlüsseln, daß niemand sie lesen kann. Und an der Quantenteleportation, vulgo Beamen, arbeiten sie in Wien auch schon.
ERNST HORST
Anton Zeilinger: "Einsteins Schleier". Die neue Welt der Quantenphysik. C. H. Beck Verlag, München 2003. 237 S., geb., 22 Abb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anton Zeilinger weiß, nach welchen Regeln der Zufall würfelt
Man stelle sich einen Eingeborenen in der Südsee vor, der noch nie Kontakt mit unserer technischen Zivilisation hatte. Dieser Eingeborene kommt in den Besitz der mechanischen Taschenuhr eines verstorbenen Missionars - Einzelheiten verschweigen wir besser - und nimmt sie auseinander. Was er da entdeckt, ist etwas völlig Unvorhergesehenes, ja Unvorhersehbares. In Fieberträumen hat er vielleicht schon blaue Kokosnüsse mit rosa Hörnern gesehen. Das war eine kühne Extrapolation seiner konkreten Erfahrungen, so etwas kann man sich vorstellen. Doch das filigrane Räderwerk der Uhr ist für ihn etwas völlig Unerwartetes, selbst wenn er im nachhinein durchaus seine Logik begreift.
Genauso war es auch mit der Entdeckung der Quantenmechanik Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Die Quantenmechanik ist ein ähnlich absurdes System wie die Astrologie oder die Bundesanstalt für Arbeit. Was sie von den beiden anderen Systemen unterscheidet, ist nur, daß sie unbegreiflicherweise gute und verifizierbare Ergebnisse liefert.
Die Quantenmechanik ist - grob gesagt - zuständig für die mikroskopische Struktur des Universums, für Elementarteilchen und nicht für Katzen. Katzen bestehen natürlich aus Elementarteilchen, aber die Frage, wie viele Krallen eine Katze hat, kann man nicht mit Quantentheorie beantworten. Das liegt auf einer anderen Ebene. Leider ist der technische Apparat der Quantenmechanik ein wenig aufwendig. In der Speziellen Relativitätstheorie kommt man mit Oberstufenwissen schon recht weit, die Quantenmechanik erschließt sich nur einem Physiker, vielleicht gerade noch einem Mathematiker, und das erst nach dem Vordiplom. Was ist aber, wenn eine Richterin, ein Elektrikermeister oder ein Landarzt wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält? In diesem Fall können wir das Buch "Einsteins Schleier" von Anton Zeilinger empfehlen. Zeilinger ist ein bedeutender Experimentalphysiker mit einer selbst für einen Österreicher großen Anzahl von Ehrentiteln. Sein Buch ist erstaunlich allgemeinverständlich. Er beherrscht die Kunst des Weglassens und beschränkt sich auf das, was ohne viel Grundlagenwissen funktioniert. Mit vier wichtigen Prinzipien erläutert er uns die Quantenphysik.
Erstens ist der Zufall ein wesentlicher Bestandteil der Theorie. Der liebe Gott würfelt, auch wenn Albert Einstein das nie glauben wollte. Zweitens gibt es die sogenannte Komplementarität. Manche Größen kann man nicht gemeinsam messen. Dazu gehört das Paar von Ort und Impuls (gleich Masse mal Geschwindigkeit) eines Teilchens. Ich kann nur wissen, wo das Teilchen war oder wie schnell es sich bewegt hat. Beides zusammen geht nicht, ja es hat noch nicht einmal Sinn, es sich überhaupt vorzustellen. Kein Strafmandat also für 85 km/h in der Heisenbergallee. Entweder 85 km/h oder Heisenbergallee. Man muß sich entscheiden. Drittens kann ein quantenmechanisches System manchmal durch eine Überlagerung von zwei widersprüchlichen Zuständen beschrieben werden. Ein einziges Photon kann sich gleichzeitig sowohl links herum als auch rechts herum durch einen schwarzen Kasten bewegt haben oder, gleichnishaft ausgedrückt, Schrödingers Katze kann sowohl tot als auch lebendig sein. Und viertens können zwei weit voneinander entfernte Teilchen "verschränkt" sein, ergo: Wenn ich jeweils eine bestimmte Messung durchführe, so ist das Ergebnis völlig unvorhersagbar, aber es ist bei beiden Teilchen dasselbe.
Genug ist genug! Das klingt alles sehr paradox, aber das ist es nicht. Zeilinger schildert ausführlich eine ungewohnte Welt mit verblüffenden Phänomenen, an die man sich gewöhnen muß. Wenn man den ersten Schock einmal überwunden hat, dann hat man doch einiges begriffen. Die Quantenmechanik ist eine normale physikalische Theorie. Sie macht Vorhersagen, die sich experimentell verifizieren lassen, und enthält keine Widersprüche, die man nicht wegdiskutieren könnte. Sie hat eine wunderbare innere Logik. Wie immer, wenn Menschen ins Philosophieren kommen, kann man die gleichen Tatsachen aber auf unterschiedlichste Arten interpretieren. Zeilinger ist wohl am ehesten ein Anhänger der "Kopenhagener" Interpretation der Quantenmechanik, doch er beschreibt auch gründlich die Alternativen.
Das Buch ist sehr solide. Hier spricht der Hochschullehrer und nicht der Entertainer. Die Illustrationen sind so, wie man sie mit Kreide an die Wandtafel zeichnet: klar verständlich und ohne überflüssigen Schnickschnack. Der Titel spielt übrigens auf einen Kommentar Einsteins über die Dissertation von Luis de Broglie an: "Er hat einen Zipfel des großen Schleiers gelüftet." Und das hat Zeilinger durchaus auch geschafft.
Vielleicht kommen in den nächsten Jahrzehnten ja völlig neue Technologien auf uns zu. Der Quantencomputer ist was ganz Modernes. Mit der Quantenkryptographie kann man wichtige Botschaften so verschlüsseln, daß niemand sie lesen kann. Und an der Quantenteleportation, vulgo Beamen, arbeiten sie in Wien auch schon.
ERNST HORST
Anton Zeilinger: "Einsteins Schleier". Die neue Welt der Quantenphysik. C. H. Beck Verlag, München 2003. 237 S., geb., 22 Abb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein aufschlussreiches Lesevergnügen."
(Spektrum der Wissenschaft)
Zeilinger "hat keine Scheu vor einfachen, allgemeinverständlichen Antworten."
(Die Zeit)
"Die Welt ist mehr als das, was der Fall ist. Sie ist auch alles, was der Fall sein kann."
(Anton Zeilinger)
(Spektrum der Wissenschaft)
Zeilinger "hat keine Scheu vor einfachen, allgemeinverständlichen Antworten."
(Die Zeit)
"Die Welt ist mehr als das, was der Fall ist. Sie ist auch alles, was der Fall sein kann."
(Anton Zeilinger)
Zeilinger "hat keine Scheu vor einfachen, allgemeinverständlichen Antworten." Die Zeit