"Mit der Veröffentlichung von Grimms Wörter endete ein siebeneinhalb
Jahre andauernder Prozeß, der aus dreimal wechselnder
Sicht mich zum Gegenstand hatte: als Jugendlicher,
als Vater und als politisch engagierter Bürger.
Kaum war ein Schlußstrich unter meine "Trilogie der Erinnerung
" gesetzt, begann ich mir einen schon seit langem
tickenden Wunsch zu erfüllen. Der 1963 publizierte Roman
Hundejahre hatte mich bereits während der Zeit des Entstehens
zu Zeichnungen provoziert. Das sollte nun umfassend
fortgesetzt werden. Ich entschloß mich zu Radierungen,
mithin zu einer grafischen Technik, die ich zuletzt Anfang
der 90er Jahre in Begleitung zur Manuskriptarbeit der Erzählung
Unkenrufe geübt hatte. Ab Sommer 2010 entstanden
eine Fülle von Vorzeichnungen, dann auf Kupferplatten
in verschiedenem Format die ersten Ätz- und Kaltnadelradierungen.
Die Stahlnadel als Werkzeug. Nach eineinhalb Jahren Rückblick
auf ein Buch, das ich als junger Autor geschrieben hatte,
lagen eine Fülle von Skizzen und über hundert Motive für
die Jubiläumsausgabe des Romans "Hundejahre" vor, darunter
auch Radierungen in Aquatinta.
Für mich selbst überraschend hatten sich offenbar bereits
während dieser intensiven Arbeitsperiode mit Stichel und
Ätzbad in Kupfer zahllose Gedichte angesammelt, die jetzt zu
Papier gebracht werden wollten; ich nannte sie Eintagsfliegen."
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Jahre andauernder Prozeß, der aus dreimal wechselnder
Sicht mich zum Gegenstand hatte: als Jugendlicher,
als Vater und als politisch engagierter Bürger.
Kaum war ein Schlußstrich unter meine "Trilogie der Erinnerung
" gesetzt, begann ich mir einen schon seit langem
tickenden Wunsch zu erfüllen. Der 1963 publizierte Roman
Hundejahre hatte mich bereits während der Zeit des Entstehens
zu Zeichnungen provoziert. Das sollte nun umfassend
fortgesetzt werden. Ich entschloß mich zu Radierungen,
mithin zu einer grafischen Technik, die ich zuletzt Anfang
der 90er Jahre in Begleitung zur Manuskriptarbeit der Erzählung
Unkenrufe geübt hatte. Ab Sommer 2010 entstanden
eine Fülle von Vorzeichnungen, dann auf Kupferplatten
in verschiedenem Format die ersten Ätz- und Kaltnadelradierungen.
Die Stahlnadel als Werkzeug. Nach eineinhalb Jahren Rückblick
auf ein Buch, das ich als junger Autor geschrieben hatte,
lagen eine Fülle von Skizzen und über hundert Motive für
die Jubiläumsausgabe des Romans "Hundejahre" vor, darunter
auch Radierungen in Aquatinta.
Für mich selbst überraschend hatten sich offenbar bereits
während dieser intensiven Arbeitsperiode mit Stichel und
Ätzbad in Kupfer zahllose Gedichte angesammelt, die jetzt zu
Papier gebracht werden wollten; ich nannte sie Eintagsfliegen."
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.10.2012Wenn der Faden reißt
In seinem neuen Band „Eintagsfliegen“ versammelt Günter Grass seine jüngsten Gedichte,
darunter die Attacken auf die Atommacht Israel und die Verteidigung Griechenlands
Die „Eintagsfliegen“, der jüngste, gerade erschienene Gedichtband von Günter Grass, ist wie eine Kladde aufgemacht: im Querformat, in einem dunkelroten Karton, der von einer Art schwarzem Klebestreifen zusammengehalten wird. Auch die aquarellierten Zeichnungen, die der Schriftsteller seinen gut achtzig Gedichten beigegeben hat, erscheinen eher wie hingeworfen, ein Randgekritzel, für den Tag gemacht und nicht auf Dauer berechnet, eben demselben Programm verpflichtet.
Und doch kommt dieses scheinbar schon halb der Vergänglichkeit überantwortete Werk mit erheblichem Anspruch daher: Denn selbstverständlich ist diese Aufmachung eine kleine Kostbarkeit, und selbstverständlich meint es Günter Grass auch mit diesem Werk sehr ernst. Das fängt bei der Ausstattung – Baskerville Book, schweres Papier, Leinen aus Bamberg – an und hört bei der letzten Zeile – „von Station zu Station“, weitere Stationen inbegriffen – noch lange nicht auf.
Also wie nun? Aus dem Tag und für den Tag? Oder doch eher für zumindest eine halbe Ewigkeit? Nein, beides zugleich, als Eingriff in das tägliche Leben und als die Zeiten überdauerndes Werk. Tatsächlich hat Günter Grass zur Befestigung dieses Anspruchs im Lauf der Jahrzehnte eine besondere rhetorische Form perfektioniert, die sowohl mit dem Oxymoron – „Eile mit Weile“ – als auch mit der Präteritio – „nicht der Rede wert“ – verwandt ist und sich, logisch betrachtet, als Erhöhung des Bedeutungsanspruchs durch scheinbare Selbstverminderung darstellt.
Wie programmatisch Günter Grass diese Figur einsetzt, legt er im zweiten Gedicht dieser Sammlung dar, das den Titel „Nachgewiesene Existenz“ trägt: „Warum dann dieser Aufwand mit Wörtern,“ heißt es darin, „Rauchzeichen und datierten Tatsachen, / für die jemand, der ich sein soll, / haftbar zu machen ist, weil sie benennbar sind.“
Einmal abgesehen von der Sprachmagie, die in dem Gedanken steckt, es trete jemand in Welt, nur weil er einen Namen trage; abgesehen auch von einem Rechtsfanatismus, der glaubt, Haftung sei die erste Äußerungsform eines Ichs – die Technik, ein Subjekt dadurch zu erschaffen, dass man von ihm redet, indem man seine Existenz erst einmal nicht gelten lässt, dürfte die sicherste Methode sein, es zu ungeahnter Größe heranwachsen zu lassen.
Gedichte hat Grass in diesem Band versammelt, und der Genrebegriff ist groß genug, um jede Art von Texten mit Zeilenbruch in sich aufzunehmen. Tatsächlich sind Zeilenbrüche, die an den Grenzen von Satzteilen entlanggehen, sowie gelegentliche Leerzeilen, um die Übergänge zu neuen Strophen (oder Sätzen) zu markieren, hier oft das einzige formale Merkmal, das die Lyrik als solche ausweist. Ausnahmen gibt es, etwa in „Europas Schande“, dem Gedicht, das in urdeutscher Liebe zur vermeintlichen Heimat des Humanismus demonstrativ mit dem daktylischen Erbe des Hexameters spielt, um Griechenland gegen „dem Krösus verwandtes Gefolge“ zu verteidigen.
Aber nicht die Form ist hier das entscheidende Merkmal, sondern der Umgang mit dem lyrischen Ich. Dass dieses Ich nicht identisch ist mit dem Autor, lernten Germanisten früher im ersten Semester. Bei Günter Grass aber wird das Changieren zwischen dem empirischen und dem poetischen Ich, wird die emphatisch reklamierte und zugleich zurückgewiesene Autorschaft zur Grundlage des Dichtens überhaupt.
Denn weniger, als dass er seine Gedichte schriebe, wachsen sie vor sich hin: „Wo fängt Prosa an, wo hört Lyrik auf?“, lautet die letzte Strophe eines Gedichts, das „Kleine Versschule“ heißt. „Vielleicht wissen beamtete Schriftgelehrte / oder das freischwebende Feuilleton, / ab wann die Erzählung rhythmisch stolpern, / das Gedicht episch wuchern darf“. Die Frage ist rhetorisch gemeint und verwandelt Wissenschaft wie Kritik in eine Art Literaturpolizei, während sie für den Schriftsteller eine modernisierte Variante des Genies reklamiert. Dichtung ist, demselben Gedanken zufolge, ein literarisches Genre, das seinen Urheber absolut unangreifbar macht, weil nicht er, sondern eine durch ihn hindurch wirkende Kraft der eigentliche Autor eines Werkes ist. „Für mich selbst überraschend“, erklärt Günter Grass im aktuellen Katalog seines Verlags, hatten sich „zahllose Gedichte angesammelt, die jetzt zu Papier gebracht werden wollten.“
Was dann spricht, ist eher Medium als Dichter, und es ist das Medium, das weiß, dass Menschen, die mit solchen Botschaften nicht einverstanden sind, denen womöglich die Achtung vor dem Originalen und der Glaube ans Genie fehlt, „Kleinmeister billiger Häme“ sind. Es gibt im Deutschen eine ganze Reihe grammatischer und rhetorischer Figuren, die dazu geeignet sind, dieses stolze Nicht-Ich auftreten zu lassen. Die Rede von sich selbst in der dritten Person: „er, dem seit kurzem / immer wieder der Faden reißt; die Beschreibung eines Subjekts durch seine Attribute: „Sonst noch zeugen von ihm hinterlassene Krümel“; die Verschiebung des Subjekts: „sobald sich mir eines der Bücher öffnet“ oder „Wach hingegen hält mich von frühan“; ein abstrakter Stellvertreter des Subjekts: „Sobald die Ampel wieder einmal / auf Rot steht, kommt mir in den Sinn“; Das Passiv gehört auch dazu, aber Günter Grass scheint es eher in Prosa zu bevorzugen.
Es ist diese Figur der reklamierten und zugleich zurückgewiesenen Autorschaft, dieses literarische „Hier stehe ich und kann nicht anders“, das auch dem berühmtesten Gedicht dieser Sammlung zugrundeliegt, den neun Strophen von „Was gesagt werden muss“, die vor einem halben Jahr nach ihrem Abdruck in der Süddeutschen Zeitung einen mittleren politischen Skandal auslösten, weil der Dichter darin Israel anklagte, einen Atomschlag gegen den Iran vorzubereiten.
Ob Günter Grass nun in der Buchfassung eine Zeile geändert hat – es heißt nun nicht mehr „die Regierung der Atommacht Israel“, sondern „die gegenwärtige Regierung der Atommacht Israel“ – ist in dieser Hinsicht ebenso unerheblich wie das Auftauchen eines Gedichts zu Ehren von Mordechai Vanunu, des Technikers, der vor fünfundzwanzig Jahren englischen Zeitungen die Existenz des israelischen Atomwaffenprogramms verriet.
Denn es geht in solchen Zeilen ja letztlich nicht um Fakten, die sich verifizieren, oder um Argumente, die sich begründen lassen. Sondern um das „Unbequeme“ in literarischer Form: um eine literarisch-politische Existenz mithin, die man nur bestätigen kann. Oder auch nicht.
THOMAS STEINFELD
Gern spricht das Ich
dieser Gedichte von sich selbst
in der dritten Person
Günter Grass: Eintagsfliegen.
Steidl Verlag, Göttingen 2012.
103 Seiten, 28 Euro.
Eine der Eintagsfliegen aus dem neuen Gedichtband des Literaturnobelpreisträgers, eine aquarellierte Federzeichnung von Günter Grass.
FOTO: VERLAG
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seinem neuen Band „Eintagsfliegen“ versammelt Günter Grass seine jüngsten Gedichte,
darunter die Attacken auf die Atommacht Israel und die Verteidigung Griechenlands
Die „Eintagsfliegen“, der jüngste, gerade erschienene Gedichtband von Günter Grass, ist wie eine Kladde aufgemacht: im Querformat, in einem dunkelroten Karton, der von einer Art schwarzem Klebestreifen zusammengehalten wird. Auch die aquarellierten Zeichnungen, die der Schriftsteller seinen gut achtzig Gedichten beigegeben hat, erscheinen eher wie hingeworfen, ein Randgekritzel, für den Tag gemacht und nicht auf Dauer berechnet, eben demselben Programm verpflichtet.
Und doch kommt dieses scheinbar schon halb der Vergänglichkeit überantwortete Werk mit erheblichem Anspruch daher: Denn selbstverständlich ist diese Aufmachung eine kleine Kostbarkeit, und selbstverständlich meint es Günter Grass auch mit diesem Werk sehr ernst. Das fängt bei der Ausstattung – Baskerville Book, schweres Papier, Leinen aus Bamberg – an und hört bei der letzten Zeile – „von Station zu Station“, weitere Stationen inbegriffen – noch lange nicht auf.
Also wie nun? Aus dem Tag und für den Tag? Oder doch eher für zumindest eine halbe Ewigkeit? Nein, beides zugleich, als Eingriff in das tägliche Leben und als die Zeiten überdauerndes Werk. Tatsächlich hat Günter Grass zur Befestigung dieses Anspruchs im Lauf der Jahrzehnte eine besondere rhetorische Form perfektioniert, die sowohl mit dem Oxymoron – „Eile mit Weile“ – als auch mit der Präteritio – „nicht der Rede wert“ – verwandt ist und sich, logisch betrachtet, als Erhöhung des Bedeutungsanspruchs durch scheinbare Selbstverminderung darstellt.
Wie programmatisch Günter Grass diese Figur einsetzt, legt er im zweiten Gedicht dieser Sammlung dar, das den Titel „Nachgewiesene Existenz“ trägt: „Warum dann dieser Aufwand mit Wörtern,“ heißt es darin, „Rauchzeichen und datierten Tatsachen, / für die jemand, der ich sein soll, / haftbar zu machen ist, weil sie benennbar sind.“
Einmal abgesehen von der Sprachmagie, die in dem Gedanken steckt, es trete jemand in Welt, nur weil er einen Namen trage; abgesehen auch von einem Rechtsfanatismus, der glaubt, Haftung sei die erste Äußerungsform eines Ichs – die Technik, ein Subjekt dadurch zu erschaffen, dass man von ihm redet, indem man seine Existenz erst einmal nicht gelten lässt, dürfte die sicherste Methode sein, es zu ungeahnter Größe heranwachsen zu lassen.
Gedichte hat Grass in diesem Band versammelt, und der Genrebegriff ist groß genug, um jede Art von Texten mit Zeilenbruch in sich aufzunehmen. Tatsächlich sind Zeilenbrüche, die an den Grenzen von Satzteilen entlanggehen, sowie gelegentliche Leerzeilen, um die Übergänge zu neuen Strophen (oder Sätzen) zu markieren, hier oft das einzige formale Merkmal, das die Lyrik als solche ausweist. Ausnahmen gibt es, etwa in „Europas Schande“, dem Gedicht, das in urdeutscher Liebe zur vermeintlichen Heimat des Humanismus demonstrativ mit dem daktylischen Erbe des Hexameters spielt, um Griechenland gegen „dem Krösus verwandtes Gefolge“ zu verteidigen.
Aber nicht die Form ist hier das entscheidende Merkmal, sondern der Umgang mit dem lyrischen Ich. Dass dieses Ich nicht identisch ist mit dem Autor, lernten Germanisten früher im ersten Semester. Bei Günter Grass aber wird das Changieren zwischen dem empirischen und dem poetischen Ich, wird die emphatisch reklamierte und zugleich zurückgewiesene Autorschaft zur Grundlage des Dichtens überhaupt.
Denn weniger, als dass er seine Gedichte schriebe, wachsen sie vor sich hin: „Wo fängt Prosa an, wo hört Lyrik auf?“, lautet die letzte Strophe eines Gedichts, das „Kleine Versschule“ heißt. „Vielleicht wissen beamtete Schriftgelehrte / oder das freischwebende Feuilleton, / ab wann die Erzählung rhythmisch stolpern, / das Gedicht episch wuchern darf“. Die Frage ist rhetorisch gemeint und verwandelt Wissenschaft wie Kritik in eine Art Literaturpolizei, während sie für den Schriftsteller eine modernisierte Variante des Genies reklamiert. Dichtung ist, demselben Gedanken zufolge, ein literarisches Genre, das seinen Urheber absolut unangreifbar macht, weil nicht er, sondern eine durch ihn hindurch wirkende Kraft der eigentliche Autor eines Werkes ist. „Für mich selbst überraschend“, erklärt Günter Grass im aktuellen Katalog seines Verlags, hatten sich „zahllose Gedichte angesammelt, die jetzt zu Papier gebracht werden wollten.“
Was dann spricht, ist eher Medium als Dichter, und es ist das Medium, das weiß, dass Menschen, die mit solchen Botschaften nicht einverstanden sind, denen womöglich die Achtung vor dem Originalen und der Glaube ans Genie fehlt, „Kleinmeister billiger Häme“ sind. Es gibt im Deutschen eine ganze Reihe grammatischer und rhetorischer Figuren, die dazu geeignet sind, dieses stolze Nicht-Ich auftreten zu lassen. Die Rede von sich selbst in der dritten Person: „er, dem seit kurzem / immer wieder der Faden reißt; die Beschreibung eines Subjekts durch seine Attribute: „Sonst noch zeugen von ihm hinterlassene Krümel“; die Verschiebung des Subjekts: „sobald sich mir eines der Bücher öffnet“ oder „Wach hingegen hält mich von frühan“; ein abstrakter Stellvertreter des Subjekts: „Sobald die Ampel wieder einmal / auf Rot steht, kommt mir in den Sinn“; Das Passiv gehört auch dazu, aber Günter Grass scheint es eher in Prosa zu bevorzugen.
Es ist diese Figur der reklamierten und zugleich zurückgewiesenen Autorschaft, dieses literarische „Hier stehe ich und kann nicht anders“, das auch dem berühmtesten Gedicht dieser Sammlung zugrundeliegt, den neun Strophen von „Was gesagt werden muss“, die vor einem halben Jahr nach ihrem Abdruck in der Süddeutschen Zeitung einen mittleren politischen Skandal auslösten, weil der Dichter darin Israel anklagte, einen Atomschlag gegen den Iran vorzubereiten.
Ob Günter Grass nun in der Buchfassung eine Zeile geändert hat – es heißt nun nicht mehr „die Regierung der Atommacht Israel“, sondern „die gegenwärtige Regierung der Atommacht Israel“ – ist in dieser Hinsicht ebenso unerheblich wie das Auftauchen eines Gedichts zu Ehren von Mordechai Vanunu, des Technikers, der vor fünfundzwanzig Jahren englischen Zeitungen die Existenz des israelischen Atomwaffenprogramms verriet.
Denn es geht in solchen Zeilen ja letztlich nicht um Fakten, die sich verifizieren, oder um Argumente, die sich begründen lassen. Sondern um das „Unbequeme“ in literarischer Form: um eine literarisch-politische Existenz mithin, die man nur bestätigen kann. Oder auch nicht.
THOMAS STEINFELD
Gern spricht das Ich
dieser Gedichte von sich selbst
in der dritten Person
Günter Grass: Eintagsfliegen.
Steidl Verlag, Göttingen 2012.
103 Seiten, 28 Euro.
Eine der Eintagsfliegen aus dem neuen Gedichtband des Literaturnobelpreisträgers, eine aquarellierte Federzeichnung von Günter Grass.
FOTO: VERLAG
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Grafiker Günter Grass (einseitige Liebe) kommt noch schlechter weg als der Lyriker Günter Grass, und der kommt schon ziemlich schlecht weg in dieser Besprechung von Andreas Platthaus. Zwar sei der Band in rotem Leinen gestalterisch ein Fest (passend zum 85. des Autors), der Inhalt aber, laut Platthaus reicht die Themenvielfalt vom Ungemach übers Altern bis zum Ungemach über die Kritiker, weitgehend ironiefrei übrigens, überzeugt den Rezensenten auch formal gar nicht. Auch wenn es politische Lyrik ist, die Platthaus da begutachtet, mehr als zufälligen Zeilenfall und links liegen gelassenen Rhythmus hätte er gern gelesen. Oder doch lieber nicht? Einmal reimt der Autor doch, und wie! Wiese auf Krise, Schrott auf bankrott, Pleite auf Weite.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2012Durchschaubar als Trick
An die Gemeinde meiner Feinde: Zum heutigen 85. Geburtstag von Günter Grass erscheint ein neuer Band: "Eintagsfliegen" versammelt vierundachtzig "Gelegentliche Gedichte".
Anlässlich seines heutigen fünfundachtzigsten Geburtstags hat Günter Grass bereits zwei Geschenke erhalten. Das Grass-Haus in der Lübecker Glockengießerstraße eröffnete am Sonntag eine neu konzipierte Sammlungsausstellung unter dem Motto "Das Ungenaue genau treffen". Und der Steidl Verlag, seit langem publizistische Heimat des Literaturnobelpreisträgers, brachte pünktlich zum Festtag ein neues Buch heraus: den Gedichtband "Eintagsfliegen".
Der ist auch gestalterisch ein Fest: als großes Querformat eingebunden in flammend rotes Leinen mit schwarzen Applikationen an Bund und beiden Außenecken, die an ein Fotoalbum denken lassen. Dazu ein eingeklebtes Titelschild und zu jedem einzelnen der vierundachtzig neuen "Gelegentlichen Gedichte" (so der Untertitel des neuen Bands) eine aquarellierte Tuschezeichnung aus der Insektenwelt. Nur das im Impressum angekündigte Lesebändchen fehlt.
Ein Liebhaberobjekt also, geschrieben und gezeichnet von einem Autor, der sich darin gefällt zu schmollen. Die Gelegenheiten, zu denen die Gedichte entstanden, sind meist solche, die das Ungemach des Alterns oder die Dreistigkeit der Welt (besonders der Kritik), an Günter Grass zu zweifeln, bestimmt haben. "An die Gemeinde meiner Feinde" ist eines überschrieben, und eine seiner acht dreizeiligen Strophen lautet: "Haltet in Treue zu meinesgleichen, / denn ohne Autoren bliebe Euch Wiederkäuern / nur dürre Wiese und Trockenfutter als Fraß." Das ist so wahr wie banal wie häufig schon gesagt und wohl noch häufiger von Dichtern geseufzt worden.
Nur gibt es in dem neuen Lyrikband, dem immerhin vierten seit 2003, als Günter Grass mit "Letzte Tänze" eine mehr als dreißigjährige publizistische Gedichtepause beendete, wenig, wovon es sich als Leser (und zumal als Rezensent) zu nähren lohnte. Natürlich sind "Was gesagt werden muss" und "Europas Schande" enthalten, jene beiden Prosagedichte also, die im Laufe der letzten Monate einigen Wirbel verursachten, der seine Ursache jeweils indes nicht in der wenig virtuosen Form, die den Zeilenfall nach Zufallsgegebenheiten zu setzen scheint, sondern dem politischen Inhalt hatte. Das eine Mal ging es gegen Israel, das andere für Griechenland, und da die Aufregung beim Ersteren viel größer war, ist zum Erscheinen von "Eintagsfliegen" auch prompt das Poem "Ein Held unserer Tage" ins Gerede gekommen, mit dem Günter Grass dem israelischen Atomspion Mordechai Vanunu seine Reverenz erweist. Die Debatte darüber war aber noch nicht einmal eine Eintagsfliege.
Wie kläglich, wenn sich Poesie durch Politik ins Spiel bringt. Doch das ist natürlich nicht die Schuld des Dichters allein, dazu gehört die "Gemeinde der Feinde" genauso wie die der Freunde. Günter Grass, dessen frühes lyrisches Werk selbst unter notorischen Skeptikern wie Marcel Reich-Ranicki starke Befürworter hat, ist nach der Rückkehr auf dieses Feld zum Befindlichkeitsdichter geworden, der sich um Rhythmik und Reim nicht groß schert. Ausnahmen wie eine Hommage an Peter Rühmkorf bestätigen die Regel und zeigen leider auch, warum Günter Grass gut daran tut, das Feinbesteck bei der lyrischen Arbeit nicht aufzunehmen: "Nur Web noch auf Nepp, / die Wiese auf Krise / und Schrott auf bankrott. / Was sonst noch sich reimt / Und Scherben verleimt, / kehrt Reste zuhauf, / nimmt Leergut in Kauf / und sucht nach der Pleite / das Weite. // Durchschaubar als Trick / verbraucht sich das Glück / wie Geld, das verfällt, / denn niemand verbellt / mit Reimen die Welt, / ob End- oder Binnen-, / seit Rühmkorf von hinnen." Spräche das Gedicht doch nur wahr!
Ein Segen also, dass Günter Grass meist auf Reime verzichtet. Zumal seine Poeme nicht selten den Charakter von Aphorismen haben, am deutlichsten in "Dreizehn einfache Sätze". Aber auch das melancholische Spiel mit der buchtitelgebenden Eintagsfliege bewegt sich eher in diesem reflektiven Bereich: "Wir hingegen sind erst seit kurzem hier, / flüchtige Gäste, die schwinden werden, / überlebt von Insekten vielerlei Art, / von denen eine von uns, die wir alles benennen, / Eintagsfliege getauft wurde, ein Name, / der eher die Menschen kleidet, / gemessen an ihrer Frist." Wobei einer wie Günter Grass bei Frist natürlich nur sub specie aeternitatis denkt.
Die individuelle Altmännerproblematik, die viele Gedichte inhaltlich prägt, sei hier gnädig ausgespart, denn auch wenn gilt, dass dem Gedicht kein Thema zu klein sein muss, erfordern doch einige Bereiche größere Ironiefähigkeit, als Günter Grass besitzt. Sehr schön dagegen das Gedicht "Gewagte Liebe" zum Leben eines alten Ehepaars: "Spät, nach letzten Nachrichten / aus dem Küchenradio, / zählen wir einander / unser Häuflein Tabletten zu, / die alle rezeptpflichtig sind. / Manchmal jedoch, / wenn es uns ankommt, / heiß, plötzlich und unwiderstehlich, / schlucke ich ihre, sie meine. // Dann warten wir ab - Seit an Seit - / und wollen erleben, was uns geschieht." Das hat den nötigen Witz bei hoher Schmerzempfindlichkeit.
Der Lyriker Grass kann es also noch, was man für den Zeichner Grass am Beispiel dieses Buchs nicht sagen kann. Die Liebe des Allround-Künstlers zur Graphik ist einseitig. Bizarr, dass Günter Grass diese unerwiderte Liebe auch noch thematisiert, wenn er dichtend die "Caprichos" von Goya preist. "Unerreichbares Maß / sind sie mir und Stachel im Fleisch." Die Schmerzempfindlichkeit von Günter Grass ist hier leider zu niedrig.
ANDREAS PLATTHAUS.
Günter Grass: "Eintagsfliegen". Gelegentliche Gedichte.
Steidl Verlag, Göttingen 2012. 111 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An die Gemeinde meiner Feinde: Zum heutigen 85. Geburtstag von Günter Grass erscheint ein neuer Band: "Eintagsfliegen" versammelt vierundachtzig "Gelegentliche Gedichte".
Anlässlich seines heutigen fünfundachtzigsten Geburtstags hat Günter Grass bereits zwei Geschenke erhalten. Das Grass-Haus in der Lübecker Glockengießerstraße eröffnete am Sonntag eine neu konzipierte Sammlungsausstellung unter dem Motto "Das Ungenaue genau treffen". Und der Steidl Verlag, seit langem publizistische Heimat des Literaturnobelpreisträgers, brachte pünktlich zum Festtag ein neues Buch heraus: den Gedichtband "Eintagsfliegen".
Der ist auch gestalterisch ein Fest: als großes Querformat eingebunden in flammend rotes Leinen mit schwarzen Applikationen an Bund und beiden Außenecken, die an ein Fotoalbum denken lassen. Dazu ein eingeklebtes Titelschild und zu jedem einzelnen der vierundachtzig neuen "Gelegentlichen Gedichte" (so der Untertitel des neuen Bands) eine aquarellierte Tuschezeichnung aus der Insektenwelt. Nur das im Impressum angekündigte Lesebändchen fehlt.
Ein Liebhaberobjekt also, geschrieben und gezeichnet von einem Autor, der sich darin gefällt zu schmollen. Die Gelegenheiten, zu denen die Gedichte entstanden, sind meist solche, die das Ungemach des Alterns oder die Dreistigkeit der Welt (besonders der Kritik), an Günter Grass zu zweifeln, bestimmt haben. "An die Gemeinde meiner Feinde" ist eines überschrieben, und eine seiner acht dreizeiligen Strophen lautet: "Haltet in Treue zu meinesgleichen, / denn ohne Autoren bliebe Euch Wiederkäuern / nur dürre Wiese und Trockenfutter als Fraß." Das ist so wahr wie banal wie häufig schon gesagt und wohl noch häufiger von Dichtern geseufzt worden.
Nur gibt es in dem neuen Lyrikband, dem immerhin vierten seit 2003, als Günter Grass mit "Letzte Tänze" eine mehr als dreißigjährige publizistische Gedichtepause beendete, wenig, wovon es sich als Leser (und zumal als Rezensent) zu nähren lohnte. Natürlich sind "Was gesagt werden muss" und "Europas Schande" enthalten, jene beiden Prosagedichte also, die im Laufe der letzten Monate einigen Wirbel verursachten, der seine Ursache jeweils indes nicht in der wenig virtuosen Form, die den Zeilenfall nach Zufallsgegebenheiten zu setzen scheint, sondern dem politischen Inhalt hatte. Das eine Mal ging es gegen Israel, das andere für Griechenland, und da die Aufregung beim Ersteren viel größer war, ist zum Erscheinen von "Eintagsfliegen" auch prompt das Poem "Ein Held unserer Tage" ins Gerede gekommen, mit dem Günter Grass dem israelischen Atomspion Mordechai Vanunu seine Reverenz erweist. Die Debatte darüber war aber noch nicht einmal eine Eintagsfliege.
Wie kläglich, wenn sich Poesie durch Politik ins Spiel bringt. Doch das ist natürlich nicht die Schuld des Dichters allein, dazu gehört die "Gemeinde der Feinde" genauso wie die der Freunde. Günter Grass, dessen frühes lyrisches Werk selbst unter notorischen Skeptikern wie Marcel Reich-Ranicki starke Befürworter hat, ist nach der Rückkehr auf dieses Feld zum Befindlichkeitsdichter geworden, der sich um Rhythmik und Reim nicht groß schert. Ausnahmen wie eine Hommage an Peter Rühmkorf bestätigen die Regel und zeigen leider auch, warum Günter Grass gut daran tut, das Feinbesteck bei der lyrischen Arbeit nicht aufzunehmen: "Nur Web noch auf Nepp, / die Wiese auf Krise / und Schrott auf bankrott. / Was sonst noch sich reimt / Und Scherben verleimt, / kehrt Reste zuhauf, / nimmt Leergut in Kauf / und sucht nach der Pleite / das Weite. // Durchschaubar als Trick / verbraucht sich das Glück / wie Geld, das verfällt, / denn niemand verbellt / mit Reimen die Welt, / ob End- oder Binnen-, / seit Rühmkorf von hinnen." Spräche das Gedicht doch nur wahr!
Ein Segen also, dass Günter Grass meist auf Reime verzichtet. Zumal seine Poeme nicht selten den Charakter von Aphorismen haben, am deutlichsten in "Dreizehn einfache Sätze". Aber auch das melancholische Spiel mit der buchtitelgebenden Eintagsfliege bewegt sich eher in diesem reflektiven Bereich: "Wir hingegen sind erst seit kurzem hier, / flüchtige Gäste, die schwinden werden, / überlebt von Insekten vielerlei Art, / von denen eine von uns, die wir alles benennen, / Eintagsfliege getauft wurde, ein Name, / der eher die Menschen kleidet, / gemessen an ihrer Frist." Wobei einer wie Günter Grass bei Frist natürlich nur sub specie aeternitatis denkt.
Die individuelle Altmännerproblematik, die viele Gedichte inhaltlich prägt, sei hier gnädig ausgespart, denn auch wenn gilt, dass dem Gedicht kein Thema zu klein sein muss, erfordern doch einige Bereiche größere Ironiefähigkeit, als Günter Grass besitzt. Sehr schön dagegen das Gedicht "Gewagte Liebe" zum Leben eines alten Ehepaars: "Spät, nach letzten Nachrichten / aus dem Küchenradio, / zählen wir einander / unser Häuflein Tabletten zu, / die alle rezeptpflichtig sind. / Manchmal jedoch, / wenn es uns ankommt, / heiß, plötzlich und unwiderstehlich, / schlucke ich ihre, sie meine. // Dann warten wir ab - Seit an Seit - / und wollen erleben, was uns geschieht." Das hat den nötigen Witz bei hoher Schmerzempfindlichkeit.
Der Lyriker Grass kann es also noch, was man für den Zeichner Grass am Beispiel dieses Buchs nicht sagen kann. Die Liebe des Allround-Künstlers zur Graphik ist einseitig. Bizarr, dass Günter Grass diese unerwiderte Liebe auch noch thematisiert, wenn er dichtend die "Caprichos" von Goya preist. "Unerreichbares Maß / sind sie mir und Stachel im Fleisch." Die Schmerzempfindlichkeit von Günter Grass ist hier leider zu niedrig.
ANDREAS PLATTHAUS.
Günter Grass: "Eintagsfliegen". Gelegentliche Gedichte.
Steidl Verlag, Göttingen 2012. 111 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main