Schweden in den 20er Jahren. Anna ist sechsundreißig und seit zwölf Jahren verheiratet. Ihr Mann Henrik ist Pastor. Mit der Ehe stimmt es schon lange nicht mehr und deshalb nimmt sich Anna einen Liebhaber, einen elf Jahre jüngeren Theologiestudenten. In mehreren Einzelgesprächen leuchtet Bergman die Abgründe dieser Lebenskrise aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.1997Fürsorgliche Verlogenheit
Oder der bleiche Ernst der Wahrheit: Ingmar Bergmans Eheroman
Es ist ein Müssen. Sie glaubt nicht, daß sie eine Wahl gehabt hat: Anna, Ehebrecherin, fünfunddreißig, drei Kinder, gekettet an Henrik, Pastor von Beruf, lebensängstlich, ehrgeizig und brav. Sie fühlt sich ohne Schuld und geht den Schreckensweg, der folgt, bereitwillig. Die Stationen sind die üblichen: ihr Geständnis, weil doch nur die Wahrheit frei machen kann, Henriks Güte, für die er aber nicht stark genug ist, sein selbstquälerisches Verlangen, die Einzelheiten zu wissen, alle. Es kommen die Demütigungswünsche, die Rachegelüste, das Nachspionieren, der Selbsthaß, die Vergiftung, die sich wie Nervengas in den Gemütern ausbreitet. Dann die Selbstmorddrohung, das Rollenspiel, die Psychiatrie und die Erkenntnis, daß die radikale Aufrichtigkeit so unmöglich ist wie die fürsorgliche Verlogenheit. Am Ende das abgestumpfte Dahinleben.
Eine klassische Dreiecksgeschichte also, erzählt mit jener archaischen Wucht, die man auch aus Bergmans Filmen kennt. Das laszive tout comprendre der Postmoderne gibt es hier nicht, sondern nur den bleichen Ernst der existentiellen Wahrheit. Die Beteiligten werden ausgezogen bis aufs Hemd, auch der Geliebte in seiner ganzen Dürftigkeit. Er war ja nichts als ein lockender Körper, der zur Befreiung aus einem Irrtum herhalten mußte, ein kleiner Student, der Anna nach ein paar Jahren sitzenläßt. Weil er viel zu mickrig ist, um "die Wahrheit" zu sein, bleibt der Irrtum das, was gelebt werden muß, und das ist das Furchtbare.
Bergman beleuchte, behauptet der Klappentext, die Hintergründe eines Ehebruchs in einem lebensfeindlichen protestantischen Milieu. Dieser Hinweis ist nicht nur flach, sondern ganz einfach falsch. Es geht nicht um Sozialkritik oder Kirchensatire. Bergman gestaltet im Gegenteil seine Sehnsucht nach Religion. All das unrettbare Schiefe, das auf Erden nicht geheilt werden kann, versammelt sich im Trost des Abendmahls. Als Kind will Anna das Abendmahl nicht nehmen, weil ihr alles wie Theater vorkommt. Am Ende des Romans wird es ihr gegeben, ohne daß man sie fragt. Ihr Ich und seine Einwände sind wesenlos. Ein krebskranker Pastor stirbt, willig und würdig, man reicht ihm Brot und Wein und ihr gleich mit. Sich zu wehren wäre Wichtigtuerei gewesen in diesem Augenblick. Erstickte Tränen fließen. "Christi Blut für dich vergossen." Die Einsetzungsworte und das Vaterunser: Bergman rezitiert sie feierlich, Wort für Wort, mit der Sehnsucht des Ausgeschlossenen, der glauben will, auch wenn er nicht kann. Von Protestantismuskritik ist keine Spur vorhanden, sondern nur von einer durch aufgeklärten Widerstand kaum gebremsten Nostalgie.
Ingmar Bergman ist ein alter Mann, fast achtzig. Es geht ihm ersichtlich nicht um Kunst, sondern um eine Botschaft. Der sterbende Pastor ist ihr Sprachrohr. Dessen Ehe war glücklich, und er will weitersagen, daß so etwas möglich ist. Von Gott will er nicht reden, aber von der Liebe und von der Heiligkeit des Menschen, auch wenn sie nur in glitzernden Scherben vor uns liegt. "Wie in einem Spiegel" hieß ein Bergman-Film vor Jahrzehnten. In mehreren Anspielungen geistert auch dieses Mal der Satz aus dem Liebeshymnus des ersten Korintherbriefs durch die Zeilen: "Jetzt sehen wir wie in einem Spiegel, ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht." HERMANN KURZKE
Ingmar Bergman: "Einzelgespräche". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel. Carl Hanser Verlag, München 1997. 189 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oder der bleiche Ernst der Wahrheit: Ingmar Bergmans Eheroman
Es ist ein Müssen. Sie glaubt nicht, daß sie eine Wahl gehabt hat: Anna, Ehebrecherin, fünfunddreißig, drei Kinder, gekettet an Henrik, Pastor von Beruf, lebensängstlich, ehrgeizig und brav. Sie fühlt sich ohne Schuld und geht den Schreckensweg, der folgt, bereitwillig. Die Stationen sind die üblichen: ihr Geständnis, weil doch nur die Wahrheit frei machen kann, Henriks Güte, für die er aber nicht stark genug ist, sein selbstquälerisches Verlangen, die Einzelheiten zu wissen, alle. Es kommen die Demütigungswünsche, die Rachegelüste, das Nachspionieren, der Selbsthaß, die Vergiftung, die sich wie Nervengas in den Gemütern ausbreitet. Dann die Selbstmorddrohung, das Rollenspiel, die Psychiatrie und die Erkenntnis, daß die radikale Aufrichtigkeit so unmöglich ist wie die fürsorgliche Verlogenheit. Am Ende das abgestumpfte Dahinleben.
Eine klassische Dreiecksgeschichte also, erzählt mit jener archaischen Wucht, die man auch aus Bergmans Filmen kennt. Das laszive tout comprendre der Postmoderne gibt es hier nicht, sondern nur den bleichen Ernst der existentiellen Wahrheit. Die Beteiligten werden ausgezogen bis aufs Hemd, auch der Geliebte in seiner ganzen Dürftigkeit. Er war ja nichts als ein lockender Körper, der zur Befreiung aus einem Irrtum herhalten mußte, ein kleiner Student, der Anna nach ein paar Jahren sitzenläßt. Weil er viel zu mickrig ist, um "die Wahrheit" zu sein, bleibt der Irrtum das, was gelebt werden muß, und das ist das Furchtbare.
Bergman beleuchte, behauptet der Klappentext, die Hintergründe eines Ehebruchs in einem lebensfeindlichen protestantischen Milieu. Dieser Hinweis ist nicht nur flach, sondern ganz einfach falsch. Es geht nicht um Sozialkritik oder Kirchensatire. Bergman gestaltet im Gegenteil seine Sehnsucht nach Religion. All das unrettbare Schiefe, das auf Erden nicht geheilt werden kann, versammelt sich im Trost des Abendmahls. Als Kind will Anna das Abendmahl nicht nehmen, weil ihr alles wie Theater vorkommt. Am Ende des Romans wird es ihr gegeben, ohne daß man sie fragt. Ihr Ich und seine Einwände sind wesenlos. Ein krebskranker Pastor stirbt, willig und würdig, man reicht ihm Brot und Wein und ihr gleich mit. Sich zu wehren wäre Wichtigtuerei gewesen in diesem Augenblick. Erstickte Tränen fließen. "Christi Blut für dich vergossen." Die Einsetzungsworte und das Vaterunser: Bergman rezitiert sie feierlich, Wort für Wort, mit der Sehnsucht des Ausgeschlossenen, der glauben will, auch wenn er nicht kann. Von Protestantismuskritik ist keine Spur vorhanden, sondern nur von einer durch aufgeklärten Widerstand kaum gebremsten Nostalgie.
Ingmar Bergman ist ein alter Mann, fast achtzig. Es geht ihm ersichtlich nicht um Kunst, sondern um eine Botschaft. Der sterbende Pastor ist ihr Sprachrohr. Dessen Ehe war glücklich, und er will weitersagen, daß so etwas möglich ist. Von Gott will er nicht reden, aber von der Liebe und von der Heiligkeit des Menschen, auch wenn sie nur in glitzernden Scherben vor uns liegt. "Wie in einem Spiegel" hieß ein Bergman-Film vor Jahrzehnten. In mehreren Anspielungen geistert auch dieses Mal der Satz aus dem Liebeshymnus des ersten Korintherbriefs durch die Zeilen: "Jetzt sehen wir wie in einem Spiegel, ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht." HERMANN KURZKE
Ingmar Bergman: "Einzelgespräche". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel. Carl Hanser Verlag, München 1997. 189 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Keiner hat wie er die winzigsten Regungen in der Seelenlandschaft eines Paares, das in die Krise gerät, sichtbar zu machen vermocht." (Neue Zürcher Zeitung)