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Die Funktion der Reichsbahn in Eroberungskrieg und Judenmord gehört zu den Schattenseiten der deutschen Technikgeschichte zwischen 1933 und 1945. Doch es gab unter einer Million deutscher Eisenbahner immer auch Männer, die ihren Eigensinn behielten und widerstanden: Durch den Druck von Flugblättern, durch Hilfe für Verfolgte, durch Weitergabe geheimer Informationen und sogar durch Sabotage. Viele von ihnen wurden ertappt und hingerichtet. Der Band stellt erstmals Hunderte von Namen aus dem Widerstand bei der Deutschen Reichsbahn zusammen. In 25 biografischen Einzelstudien werden zudem die…mehr

Produktbeschreibung
Die Funktion der Reichsbahn in Eroberungskrieg und Judenmord gehört zu den Schattenseiten der deutschen Technikgeschichte zwischen 1933 und 1945. Doch es gab unter einer Million deutscher Eisenbahner immer auch Männer, die ihren Eigensinn behielten und widerstanden: Durch den Druck von Flugblättern, durch Hilfe für Verfolgte, durch Weitergabe geheimer Informationen und sogar durch Sabotage. Viele von ihnen wurden ertappt und hingerichtet. Der Band stellt erstmals Hunderte von Namen aus dem Widerstand bei der Deutschen Reichsbahn zusammen. In 25 biografischen Einzelstudien werden zudem die Lebensläufe von bekannten wie von unbekannten Gewerkschaftern, Sozialdemokraten, Kommunisten und engagierten Christen bei der Staatsbahn exemplarisch beschrieben. Ihre "Taten" waren höchst unterschiedlich - und wurden mit Zuchthaus oder Fallbeil geahndet.
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Autorenporträt
Alfred Gottwaldt, Jahrgang 1949, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und der Neueren Geschichte, seit 1983 Leiter der Abteilung Eisenbahnwesen im Deutschen Technikmusum Berlin, ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Eisenbahngeschichte hervorgetreten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2009

Auf dem richtigen Gleis
Hitler-Gegner bei der Deutschen Reichsbahn und im Reichsluftfahrtministerium in Berlin

Das "Dritte Reich" verfügte über fast eine Million Eisenbahner. Nur wenige von ihnen stellten sich dem Regime entgegen: durch den Druck und die Verbreitung von Flugblättern, die Hilfe für politisch oder rassisch Verfolgte, die Weitergabe geheimer Informationen an die Kriegsgegner - insbesondere an die Sowjetunion - sowie Sabotage. Solche Aktionen und Personen nimmt der Technikhistoriker Alfred Gottwaldt unter die Lupe. Sein sehr informatives Buch ist gegliedert in vier Großkapitel (bis Ende 1936, bis September 1939, bis Ende 1942 und bis Mai 1945), denen jeweils anschauliche Einzelporträts folgen. Vorangestellt sind Bemerkungen über "Pflichterfüllung und Widerstand bei der Staatsbahn". Hier stellt Gottwaldt die "Mitwirkung der Eisenbahn" am Holocaust heraus: "Nach der Moral hat niemand gefragt bei dem gigantischen Dienstleistungsunternehmen in Form einer staatlichen Verwaltung, deren Funktion auf Befehl und Gehorsam fußte."

Jene "kleine Gruppe" von Eisenbahnern verdiene - so Gottwaldt - Aufmerksamkeit, "die sich dem NS-System in Wort und Tat entzogen und widersprachen". Oftmals begingen sie "ihre widerständigen Handlungen übrigens nicht am Arbeitsplatz, denn ein solches Tun schien - vorsichtig formuliert - der Berufsehre zu widersprechen. Ihr Kennzeichen war weniger die geschlossene Organisation des Widerstands, sondern eher ein individueller Gegenstandpunkt zu Zielen und Praxis des Unrechtsstaates." Allerdings ließen sich nur "in seltensten Fällen" konkrete Belege dafür finden, dass ein Eisenbahner - wie vom DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin 1951 dargestellt - heroisch "Munitionszüge und Truppentransporte falsch dirigierte oder stundenlang auf verstopften Strecken warten ließ".

Auf Hermlin kommt Gottwaldt zurück in der Einzelbiographie über John Sieg. Der als Kind katholischer Auswanderer 1903 in Detroit geborene und seit 1912 in Deutschland lebende kommunistische Schriftsteller war 1933 einige Monate in Haft gewesen, kam 1937 als Aushilfsarbeiter zur Reichsbahn, wo er von der "ständigen Schreibhilfe" über den Reichsbahngehilfen bis zum Reichsbahnassistenten aufstieg. Er hatte Kontakt zur "Roten Kapelle" und gab mit Freunden die in jeweils 50 bis 100 Exemplaren vervielfältigte Zeitung "Die innere Front - Kampfblatt für ein neues freies Deutschland" heraus. Als er im Oktober 1942 seine neuerliche Verhaftung befürchtete, verbrannte er seine Manuskripte, darunter viele Gedichte. Nach viertägiger Folter erhängte er sich am 15. Oktober im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße.

Niemand könne - so Gottwaldt - heute sagen, ob jene Sabotageakte, die Hermlin dem Fahrdienstleiter Sieg nachsagte, tatsächlich stattfanden. Jedenfalls ehrte die DDR den Eisenbahner in Ost-Berlin mit einer "John-Sieg-Straße" in Lichtenberg und mit einer "John-Sieg-Oberschule" in Friedrichshain. Der Name der Schule sei bald nach dem Ende der DDR verworfen worden. Gottwaldt resümiert: "Selbst wenn John Sieg nicht für ein demokratisches System im heutigen Sinne eintrat, verdient sein lebensgefährlicher Einsatz doch Anerkennung." Damit ruft Gottwaldt indirekt ein Grundproblem ins Gedächtnis. Den kommunistischen Widerstand klammerte der Westen Deutschlands über Jahrzehnte mehr oder weniger aus, während sich der Osten in Huldigungen übte, um das "antifaschistische Erbe" für sich zu reklamieren. Von den 25 "widerständigen" Eisenbahnern - Vorstandsmitglied der Eisenbahnergewerkschaft, Streckenarbeiter, Vorhandwerker, Lokomotivbauer oder Schlosserlehrling, die Gottwaldt und 16 Mitautoren nun vorstellen - hatten "acht das Kriegsende nicht mehr erleben können. An den Folgen der erlittenen Haft in Gefängnissen und Konzentrationslagern des NS-Systems starben bis 1950 weitere zwei Männer."

Zu den mutigen Hitler-Gegnern im Staatsdienst, die ihr Leben verloren, zählte auch Rüdiger Schleicher. Der 1895 in Stuttgart geborene Arztsohn und Schwager des bedeutenden Theologen und energischen Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer studierte Rechtswissenschaft und wurde 1923 in Tübingen promoviert mit einer Dissertation über Internationales Luftfahrtrecht. Anschließend trat er ins Reichsverkehrsministerium ein, wechselte 1933 in das neue Reichsluftfahrtministerium. Dort leitete er als Ministerialrat die Rechtsabteilung. Im August 1939 wurde er ins Allgemeine Luftamt versetzt. Zusätzlich leitete er seither als Honorarprofessor das Institut für Luftrecht der Universität Berlin. In Schleichers Institut fanden konspirative Treffen statt, an denen der Lufthansa-Rechtsberater Klaus Bonhoeffer (älterer Bruder von Dietrich Bonhoeffer), der Heeresrichter Karl Sack, der Diplomat Adam von Trott zu Solz sowie der Justitiar der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union Friedrich Justus Perels teilnahmen: "Sie alle wurden ermordet, daher konnte über die Gespräche nichts in Erfahrung gebracht werden." Darauf macht Uwe Gerrens aufmerksam, der sich für Schleichers Lebensgeschichte, vor allem für die ihn "prägenden Einflüsse", interessiert.

Die Quellenlage ist ziemlich dürftig, die Formulierungs- und Einfühlungskünste des Biographen sind eher schlicht: "Unter militärischen Gesichtspunkten kann Schleichers Beteiligung am militärischen Widerstand unterschiedlich bewertet werden. Einerseits war er als Zivilist (zwar im Krieg im Range eines Oberst) für den militärischen Teil des Umsturzes, wie schon erwähnt, wegen seiner Gehbehinderung kaum geeignet, andrerseits besaß das Reichsluftfahrtministerium erhebliche militärische Relevanz für die Verschwörer; seine Kontrolle nach einem erfolgreichen Umsturz wäre wichtig gewesen." Der Hinweis auf die "Gehbehinderung" trägt nicht, wenn man bedenkt, wie schwer kriegsversehrt der Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg war. Außerdem lag Schleichers Bedeutung für den Widerstand doch klar im zivilen Sektor.

Der "süddeutsche Liberale", der sich laut Gerrens "nach einem erfolgreichen Umsturz für einen allmählichen Übergang zu einer Demokratie eingesetzt" hätte, wurde am 4. Oktober 1944 als Mitwisser des 20. Juli verhalftet. In Moabit im Gefängnis Lehrter Straße konnte ihn seine Frau Ursula mit Lebensmittelpäckchen versorgen und ihm seine Geige zukommen lassen. Die Mitgefangenen tröstete Schleicher mit Bach, die Posten unterhielt er mit Volksliedern und Schlagern.

Am 2. Februar 1945 verurteilte ihn der Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler zum Tode. Am nächsten Tag - während eines amerikanischen Bombenangriffs auf Berlin - traf den in den Keller des Volksgerichtshofs eilenden Freisler ein herabstürzenden Holzbalken, was zu einer Begegnung mit dem gerade von der Ostfront zurückgekehrten Stabsarzt Rolf Schleicher führte. Darüber schrieb Ursula Schleicher ihrem Sohn Hans-Walter eine Woche später: "Zur Zeit des Angriffs war Onkel Rolf, der zufällig am 2. gekommen war und helfen wollte, unten in der S-Bahn am Potsdamer Platz. Er sah dann, wie wir auch . . . , dass der Volksgerichtshof brannte, und eilte hin. Er wurde als erster Arzt zu dem sterbenden Freisler gerufen; als er nach den Personalien gefragt wurde, sagte er: ,Ich bin der Bruder desjenigen, der gestern unschuldig von diesem Mann zum Tode verurteilt wurde.' Worauf die Umstehenden ein deutliches, zum Teil ausgesprochenes Entsetzen ergriff." Zahlreiche persönliche Vorstöße und schriftliche Gnadengesuche zu Schleichers Gunsten scheiterten in den folgenden Wochen. Am 24. März 1945 - die Amerikaner hatten den Rhein überquert und die Russen drangen weiter westwärts auf Berlin vor - wurde Schleicher wegen "Unwürdigkeit" vom Rektor der Tübinger Universität noch schnell der Doktortitel aberkannt. Dieses abstoßende Vorgehen erklärte dann Anfang der neunziger Jahre der damalige Dekan der Juristischen Fakultät der Tübinger Eberhard Karls Universität, Wolfgang Graf Vitzthum, für ungültig.

In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 wurde Schleicher erschossen, ganz in der Nähe des Lehrter Bahnhofs. Im Epilog "Ende des Regimes - nicht des Unrechts" erwähnt Gerrens die erniedrigenden Auseinandersetzungen mit Behörden und Gerichten, die Ursula Schleicher bis 1955 führen musste, um endlich eine Pension bewilligt zu bekommen - zu einer Zeit, als sich die Ehefrauen von Freisler und anderen Regimefanatikern längst am amtsangemessenen fetten Witwengeld erfreuten, um das sie nie zu kämpfen brauchten.

RAINER BLASIUS

Alfred Gottwaldt: Eisenbahner gegen Hitler. Widerstand und Verfolgung bei der Reichsbahn 1933-1945. Matrixverlag, Wiesbaden 2009. 352 S., 20,- [Euro].

Uwe Gerrens: Rüdiger Schleicher. Leben zwischen Staatsdienst und Verschwörung. Gütersloher Verlagshaus, München 2009. 254 S., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Alfred Gottwaldt, seines Zeichens Leiter der Abteilung Schienenverkehr beim Deutschen Technikmuseum, hat mit seinen Biografien von Reichsbahnern, die sich gegen die Nazis stellten, gute und wertvolle Arbeit geleistet hat, lobt Rezensent Klaus Hillenbrand. Das Buch leiste auch eine überfällige "Ehrenrettung" für Menschen, die in der bisherigen Forschung weitgehend übersehen wurden. Zwar waren die Sabotagemöglichkeiten und der Erfolg der Eisenbahner begrenzt – sie konnten keinen der Züge, mit denen Juden deportiert wurden, zum Stehen bringen – trotzdem zeigt sich der Rezensent durchaus beeindruckt von dem "großen Mut", den ihre Aktionen ihm offenbarten.

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