Sanaa ist tot, eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Kimmo Joentaa, ihr Mann, weiß, dass seine junge Frau gerade an Krebs gestorben ist, aber er kann es nicht begreifen. Wie in Trance versucht er, sein Leben weiterzuführen als sei nichts gewesen. Wie in Trance sitzt er in seinem Büro in der Polizeidirektion der finnischen Stadt Turku, als ihn die Nachricht erreicht, dass eine Frau schlafend in ihrem Bett erstickt wurde. Als er den Tatort betritt, glaubt er Sanaa vor sich zu sehen - eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.
Die Tote wird nicht das einzige Opfer bleiben. Alle werden im Schlaf erstickt, von einem Mörder, der durch Wände zu gehen scheint. Auf seltsame Weise fühlt Kimmo sich mit dem Mörder verbunden, fühlt, dass sie beide etwas eint: Die Angst vor der großen Leere und der Versuch, den Tod zu verstehen. Kimmo spürt, dass nur die Suche nach dem Mörder seinem leer gewordenen Leben noch eine Hülle gibt und dass ihre Gemeinsamkeit ihn zu ihm führen wird. Und er weiß, dass die Lösung des Falles ihm seinen letzten Lebenszweck rauben wird.
Ein Roman von unheimlicher literarischer Kraft - Jan Costin Wagner ist ein Buch voller überraschender Wendungen und psychologischer Tiefe gelungen, das für die deutsche Literatur Maßstäbe setzen wird.
Die Tote wird nicht das einzige Opfer bleiben. Alle werden im Schlaf erstickt, von einem Mörder, der durch Wände zu gehen scheint. Auf seltsame Weise fühlt Kimmo sich mit dem Mörder verbunden, fühlt, dass sie beide etwas eint: Die Angst vor der großen Leere und der Versuch, den Tod zu verstehen. Kimmo spürt, dass nur die Suche nach dem Mörder seinem leer gewordenen Leben noch eine Hülle gibt und dass ihre Gemeinsamkeit ihn zu ihm führen wird. Und er weiß, dass die Lösung des Falles ihm seinen letzten Lebenszweck rauben wird.
Ein Roman von unheimlicher literarischer Kraft - Jan Costin Wagner ist ein Buch voller überraschender Wendungen und psychologischer Tiefe gelungen, das für die deutsche Literatur Maßstäbe setzen wird.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Tobias Gohlis ist begeistert von diesem "außerordentlichen" Kriminalroman. Jan Costin Wagner lassen "die Regeln des Genres gleichgültig". Es geht um den Tod in diesem Buch, erfahren wir. Die Frau des Kommissars Joentaa stirbt im Krankenhaus, schläft einfach ein, erzählt Gohlis. Joentaa, tief erschüttert, wird danach von der "Leere" schier erdrückt. Doch dann gibt es seltsame Todesfälle: Mehrere Frauen werden auf "beinahe liebevolle" Art getötet. Auch dieser Mann, glaubt Joentaa, hat jemanden verloren. Sein Verstandnis für den Täter, das "Gemeinschaftsgefühl der vom Tod Affizierten", lässt Joentaa den Fall lösen. Doch für Gohlis geht es in diesem Roman nicht um das "wer", sondern um das "warum", um "das Geheimnis des Todes" selbst. In seiner "ruhigen, kargen, introspektiven Sprache" ist Wagner nah an dieses Rätsel herangerückt, schreibt unser tief beeindruckter Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2003Der Trick heißt Atmen
Ästhetisierung der Todeswelt: Jan Costin Wagners neuer Krimi
Daß am Anfang eines Kriminalromans der Tod eines Menschen steht, ist nichts Ungewöhnliches. Selten jedoch handelt es sich dabei um natürliche Todesfälle. Am Beginn von Jan Costin Wagners zweitem Roman "Eismond" stirbt Sanna Joentaa im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren an der Hodgkinschen Krankheit, einer Form des Lymphdrüsenkrebses. Der Mann der jungen Architektin, auch nur ein paar Jahre älter, ist Kriminalpolizist in der südfinnischen Stadt Turku. Sein Beruf konfrontiert ihn immer wieder mit dem Tod, doch der private Schicksalsschlag verändert seine Wahrnehmung. Auf einmal erhält, was bisher dienstliche Routine war, einen existentiellen Bezug zum eigenen Leben: "Er spürte, daß etwas bevorstand, er wußte, es würde etwas sein, das er nicht kannte."
Auf diesen ersten Seiten, die schildern, wie Kimmo Joentaa das Sterben seiner Frau erlebt, ist zu spüren, daß hier der Tod ernster genommen wird, als das oft in Kriminalromanen der Fall ist. Er ist hier nicht nur ein Mittel, die Handlung in Gang zu setzen, sondern zentrales Thema. Die weiteren Todesfälle in diesem Buch sind dann allerdings Morde: Zwei Frauen und ein Mann werden im Schlaf erstickt. In einem weiteren Fall, der der Polizei verborgen bleibt, scheitert der Versuch. Von Beginn an läßt Wagner den Leser diese Morde beobachten, ja sogar in die Gedanken- und Gefühlswelt des Serienmörders blicken. Nach einem knappen Drittel des Buches kennt man auch seinen Namen. Spannung muß also auf andere Weise erzeugt werden als durch die Frage nach dem Täter. Vielmehr geht es um das Duell zwischen Verbrecher und Ermittler, in dem dieser freilich nicht durch Kampf, sondern nur aufgrund von Einfühlung erfolgreich sein kann: Wandel durch Annäherung. In den überwiegend ruhigen Fluß des Erzählens fügt Wagner immer wieder Reihen meist kurzer Sätze ein, die allesamt mit "er" beginnen. Was, sparsam eingesetzt, ein wirkungsvolles Stilmittel sein könnte, erscheint in dieser Häufung als bloße Manier.
Für seinen ersten Roman "Nachtfahrt" hat Wagner den Marlowe-Preis der deutschen Raymond-Chandler-Gesellschaft erhalten, mit der Begründung, er habe die Genregrenzen erweitert. In "Eismond" fällt hingegen vor allem auf, wie kreativ der Autor gerade typische Elemente der Tradition zu nutzen versteht. Das gilt vor allem für den alten Grundsatz, daß Täter und Detektiv irgendeine gemeinsame Basis haben müssen: Miss Marple ermittelt nicht gegen die Mafia, und Humphrey Bogart mußte, als er von Gangster- zu Detektivrollen wechselte, weder an seinem Darstellungsstil noch an der Hutmode etwas verändern. Wagner geht hier allerdings ungewöhnlich weit, indem er den Polizisten Joentaa geradezu eine Art Seelenverwandtschaft mit dem psychopathischen Mörder entdecken läßt, die gemeinsame Besessenheit beider vom Thema Tod.
Die Genregrenzen des Krimis aber sind heute ohnehin schon äußerst weit gesteckt, und die Versuche allzu restriktiver Definitionen scheitern am Praxistest wie einst der berühmte Versuch Richard Alewyns, eine strikte Trennung der Begriffe "Kriminal-" und "Detektivroman" zu etablieren: Jener erzähle die Geschichte eines Verbrechens, dieser hingegen die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens. Heutzutage erzählen die meisten Romane beides. Die "offene Täterführung", so der Fachbegriff, ermöglicht dabei frühzeitige Einblicke in das Seelenleben und die Denkstruktur des Mörders. Genau darin liegt aber in diesem Roman auch ein Problem: So glaubwürdig Wagner die Darstellung von Joentaas Seelenzustand gelingt, so sehr sind Zweifel angebracht, wenn er das gleiche bei dem psychopathischen Serienkiller versucht. Hier scheint er sich - literarisch durchaus legitim - eher an poetischen als an psychologischen Gesichtspunkten zu orientieren und verwendet eine Fülle von Metaphern, die den Mond, Farben und immer wieder das Atmen betreffen: Der Mörder inhaliert Töne und Bilder, Angst und Macht. Eine Entsprechung gibt es beim Ermittler, jedoch in abgeschwächter Form: Statt zu inhalieren, atmet er nur ein. Wenn Wagner sagt, er interessiere sich für die Täterseelen, meint er wohl eher deren Ästhetisierung. Die Wahrscheinlichkeit bleibt dabei auf der Strecke.
Wagner, Anfang dreißig, ist im Hessischen zu Hause, jedoch mit einer Finnin verheiratet und kennt Finnland zweifellos gut. Dennoch ist die Vermutung vielleicht nicht völlig abwegig, daß sein neuer Roman auch deshalb in Nordeuropa spielt, weil in der näheren Umgebung der derzeitige Lieblingskommissar der deutschen Leserschaft, der Schwede Kurt Wallander, ermittelt. Um die Verkaufszahlen eines Henning Mankell zu erreichen, hätte Wagner jedoch vermutlich noch einen Schritt weitergehen und sich etwa Janne Kontti Vaagnäärinen nennen müssen. Denn die Deutschen pflegen bestsellerwürdige Krimiautoren überall zu suchen, nur nicht im eigenen Land.
HARDY REICH
Jan Costin Wagner: "Eismond". Roman. Verlag Eichborn. Berlin, Berlin 2003. 308 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ästhetisierung der Todeswelt: Jan Costin Wagners neuer Krimi
Daß am Anfang eines Kriminalromans der Tod eines Menschen steht, ist nichts Ungewöhnliches. Selten jedoch handelt es sich dabei um natürliche Todesfälle. Am Beginn von Jan Costin Wagners zweitem Roman "Eismond" stirbt Sanna Joentaa im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren an der Hodgkinschen Krankheit, einer Form des Lymphdrüsenkrebses. Der Mann der jungen Architektin, auch nur ein paar Jahre älter, ist Kriminalpolizist in der südfinnischen Stadt Turku. Sein Beruf konfrontiert ihn immer wieder mit dem Tod, doch der private Schicksalsschlag verändert seine Wahrnehmung. Auf einmal erhält, was bisher dienstliche Routine war, einen existentiellen Bezug zum eigenen Leben: "Er spürte, daß etwas bevorstand, er wußte, es würde etwas sein, das er nicht kannte."
Auf diesen ersten Seiten, die schildern, wie Kimmo Joentaa das Sterben seiner Frau erlebt, ist zu spüren, daß hier der Tod ernster genommen wird, als das oft in Kriminalromanen der Fall ist. Er ist hier nicht nur ein Mittel, die Handlung in Gang zu setzen, sondern zentrales Thema. Die weiteren Todesfälle in diesem Buch sind dann allerdings Morde: Zwei Frauen und ein Mann werden im Schlaf erstickt. In einem weiteren Fall, der der Polizei verborgen bleibt, scheitert der Versuch. Von Beginn an läßt Wagner den Leser diese Morde beobachten, ja sogar in die Gedanken- und Gefühlswelt des Serienmörders blicken. Nach einem knappen Drittel des Buches kennt man auch seinen Namen. Spannung muß also auf andere Weise erzeugt werden als durch die Frage nach dem Täter. Vielmehr geht es um das Duell zwischen Verbrecher und Ermittler, in dem dieser freilich nicht durch Kampf, sondern nur aufgrund von Einfühlung erfolgreich sein kann: Wandel durch Annäherung. In den überwiegend ruhigen Fluß des Erzählens fügt Wagner immer wieder Reihen meist kurzer Sätze ein, die allesamt mit "er" beginnen. Was, sparsam eingesetzt, ein wirkungsvolles Stilmittel sein könnte, erscheint in dieser Häufung als bloße Manier.
Für seinen ersten Roman "Nachtfahrt" hat Wagner den Marlowe-Preis der deutschen Raymond-Chandler-Gesellschaft erhalten, mit der Begründung, er habe die Genregrenzen erweitert. In "Eismond" fällt hingegen vor allem auf, wie kreativ der Autor gerade typische Elemente der Tradition zu nutzen versteht. Das gilt vor allem für den alten Grundsatz, daß Täter und Detektiv irgendeine gemeinsame Basis haben müssen: Miss Marple ermittelt nicht gegen die Mafia, und Humphrey Bogart mußte, als er von Gangster- zu Detektivrollen wechselte, weder an seinem Darstellungsstil noch an der Hutmode etwas verändern. Wagner geht hier allerdings ungewöhnlich weit, indem er den Polizisten Joentaa geradezu eine Art Seelenverwandtschaft mit dem psychopathischen Mörder entdecken läßt, die gemeinsame Besessenheit beider vom Thema Tod.
Die Genregrenzen des Krimis aber sind heute ohnehin schon äußerst weit gesteckt, und die Versuche allzu restriktiver Definitionen scheitern am Praxistest wie einst der berühmte Versuch Richard Alewyns, eine strikte Trennung der Begriffe "Kriminal-" und "Detektivroman" zu etablieren: Jener erzähle die Geschichte eines Verbrechens, dieser hingegen die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens. Heutzutage erzählen die meisten Romane beides. Die "offene Täterführung", so der Fachbegriff, ermöglicht dabei frühzeitige Einblicke in das Seelenleben und die Denkstruktur des Mörders. Genau darin liegt aber in diesem Roman auch ein Problem: So glaubwürdig Wagner die Darstellung von Joentaas Seelenzustand gelingt, so sehr sind Zweifel angebracht, wenn er das gleiche bei dem psychopathischen Serienkiller versucht. Hier scheint er sich - literarisch durchaus legitim - eher an poetischen als an psychologischen Gesichtspunkten zu orientieren und verwendet eine Fülle von Metaphern, die den Mond, Farben und immer wieder das Atmen betreffen: Der Mörder inhaliert Töne und Bilder, Angst und Macht. Eine Entsprechung gibt es beim Ermittler, jedoch in abgeschwächter Form: Statt zu inhalieren, atmet er nur ein. Wenn Wagner sagt, er interessiere sich für die Täterseelen, meint er wohl eher deren Ästhetisierung. Die Wahrscheinlichkeit bleibt dabei auf der Strecke.
Wagner, Anfang dreißig, ist im Hessischen zu Hause, jedoch mit einer Finnin verheiratet und kennt Finnland zweifellos gut. Dennoch ist die Vermutung vielleicht nicht völlig abwegig, daß sein neuer Roman auch deshalb in Nordeuropa spielt, weil in der näheren Umgebung der derzeitige Lieblingskommissar der deutschen Leserschaft, der Schwede Kurt Wallander, ermittelt. Um die Verkaufszahlen eines Henning Mankell zu erreichen, hätte Wagner jedoch vermutlich noch einen Schritt weitergehen und sich etwa Janne Kontti Vaagnäärinen nennen müssen. Denn die Deutschen pflegen bestsellerwürdige Krimiautoren überall zu suchen, nur nicht im eigenen Land.
HARDY REICH
Jan Costin Wagner: "Eismond". Roman. Verlag Eichborn. Berlin, Berlin 2003. 308 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Eine der erstaunlichsten, jungen deutschen Literaturentdeckungen der letzten Zeit...ein erstaunlicher Gegenschriftsteller der Popliteratur."
(FAZ am Sonntag)
"Meisterhaft."
(Focus)
"Wagner entführt seine Leser in ein Seelen-Labyrinth...Er versteht es, bis zur letzten Seite die Spannung zu halten...Eismond nimmt die berüchtigte Hürde des zweiten Buches so souverän wie elegant."
(Der Spiegel)
(FAZ am Sonntag)
"Meisterhaft."
(Focus)
"Wagner entführt seine Leser in ein Seelen-Labyrinth...Er versteht es, bis zur letzten Seite die Spannung zu halten...Eismond nimmt die berüchtigte Hürde des zweiten Buches so souverän wie elegant."
(Der Spiegel)