Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,26 €
  • Gebundenes Buch

Der Krieg in Tschetschenien werde geführt, um den dort um sich greifenden Terror zu bekämpfen, der die Sicherheit der russischen Bevölkerung bedrohe. So lautet die amtliche Standardversion. Litwinenko und Felshtinsky treten ihr entschieden entgegen. Ihre Hauptthese: Die blutigen Bombenanschläge auf Wohnhäuser, Schulen und Discos in Moskau und anderen Städten waren nicht das Werk radikaler Separatisten aus einer aufmüpfigen Republik, sondern wurden vom russischen Geheimdienst inszeniert mit dem Ziel, seine Macht zu bewahren und auszubauen. Eine Verschwörungsfantasie? Ein Hirngespinst? Das…mehr

Produktbeschreibung
Der Krieg in Tschetschenien werde geführt, um den dort um sich greifenden Terror zu bekämpfen, der die Sicherheit der russischen Bevölkerung bedrohe. So lautet die amtliche Standardversion. Litwinenko und Felshtinsky treten ihr entschieden entgegen. Ihre Hauptthese: Die blutigen Bombenanschläge auf Wohnhäuser, Schulen und Discos in Moskau und anderen Städten waren nicht das Werk radikaler Separatisten aus einer aufmüpfigen Republik, sondern wurden vom russischen Geheimdienst inszeniert mit dem Ziel, seine Macht zu bewahren und auszubauen. Eine Verschwörungsfantasie? Ein Hirngespinst? Das behaupten offizielle Verlautbarungen, aber die Tatsachen widersetzen sich allen Beschwichtigungsversuchen.
Autorenporträt
Alexander W. Litwinenko, 1962 in Woronesch geboren, war ab 1988 in der Spionageabwehr des KGB tätig und an Einsätzen in verschiedenen Konfliktherden der Sowjetunion und später Russlands beteiligt. In der KGB-Nachfolgeorganisation FSB wurde die Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen zu seinem Spezialgebiet. 1998 trat er erstmals als Kritiker des russischen Machtapparats an die Öffentlichkeit. Nach mehreren Verhaftungen und Strafverfahren flüchtete er 2000 nach London, wo ihm politisches Asyl gewährt wurde und er schließlich im Oktober 2006 die britische Staatsbürgerschaft erhielt. Bis zu seiner Ermordung im November 2006 arbeitete er in England als Journalist und Autor.

Yuri G. Felshtinsky (Juri G. Felschtinski) wurde 1956 in Moskau geboren. Er begann 1974 ein Geschichtsstudium in seiner Geburtsstadt. Nach seiner Emigration in die USA setzte er sein Studium 1978 an der Brandeis University fort. An der Rutgers University erhielt er den Doktorgrad im Fach Geschichte. 1993 verteidigte er eine weitere Doktorarbeit am Historischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften. In der Folgezeit trat Felshtinsky als Herausgeber und Buchautor in Erscheinung.Udo Rennert, Jahrgang 1938, übersetzt vorwiegend aus dem Englischen Bücher zur europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen Robert Conquest, Richard Pipes, Harold James, Francis Fukuyama, Eric Hobsbawm, Raul Hilberg, Richard Evans, Richard Overy und David Blackbourn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007

Nichts ist unmöglich
Wie der russische Geheimdienst die "Wachsamkeit" förderte / Von Werner Adam

Wie ruchlos war der FSB gegenüber der eigenen Bevölkerung? Steckte er hinter Sprengstoffanschlägen?

Geheimdienste pflegen gelegentlich aus dem Ruder zu laufen. Dagegen sind selbst gestandene Demokratien nicht gefeit. Was aber, wenn Geheimdienste zum Synonym für ein Regierungssystem schlechthin werden? Dann geschieht das, was dem vermeintlich neuen Russland einen kaum länger nur schleichenden Rückfall in Zeiten sowjetischen Angedenkens beschert. Wladimir Putin bekennt sich nicht nur stolz zu seiner eigenen KGB-Vergangenheit, will sich nicht nur weiterhin als "Tschekist" verstanden wissen. Er hat überdies nahezu alle bedeutsamen Posten in Politik und Wirtschaft mit Männern aus dem ihm so vertrauten Milieu besetzt. Allerdings darf vermutet werden, dass auch ihn längst die Frage nach wirksamer Kontrolle über ein Netzwerk bewegen muss, das nach Darstellung eines ehemaligen Insiders schier undurchdringlich ist. Unter dem Dach des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB), der Nachfolgeorganisation des Komitees für Staatssicherheit (KGB), habe sich - so der Autor dieses Buches - ein beklemmender Wirrwarr geheimdienstlicher Querverbindungen zu "wirtschaftskriminellen Banden" und "Brigaden von Auftragskillern" gebildet.

Der besagte Insider lebt nicht mehr. Alexander Litwinenko, vormals Oberstleutnant im FSB, starb am 23. November 2006 an einer tödlichen Dosis des radioaktiven Schwermetalls Polonium-210 in seinem Londoner Exil. Mutmaßlicher Mörder soll nach Ermittlungen der britischen Staatsanwaltschaft der unbehelligt in Moskau lebende frühere KGB-Agent Andrei Lugowoi sein. Das Opfer war nach Eintritt seiner Erkrankung freilich noch weitergegangen und hatte den russischen Präsidenten persönlich für den Anschlag verantwortlich gemacht. Welche Gründe Putin dafür gehabt haben könnte, hat Litwinenko in detaillierten Aufzeichnungen darzulegen versucht, die unter der Mitautorenschaft des in Amerika lebenden russischen Historikers Yuri Felshtinsky in aktualisierter Fassung nun erst nach seinem Tod erschienen sind.

Die darin erhobenen Anschuldigungen muten erschreckend an, werden in mindestens einem Fall aber recht überzeugend belegt: Im September 1999, zwei Wochen nach der Berufung des damaligen Geheimdienstchefs Putin zum Ministerpräsidenten, kommen bei Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser in Moskau und anderen russischen Städten nahezu dreihundert Menschen ums Leben. Die Untaten sollen das Werk des FSB mit dem Ziel gewesen sein, sie den Tschetschenen anzulasten und so den Vorwand für einen zweiten Krieg gegen die abtrünnige Kaukasus-Republik zu schaffen - einen Krieg, in dem sich Putin als künftiger Präsident Russlands habe profilieren wollen. Tatsächlich wurde er zum Jahreswechsel von dem damaligen Kremlherrn Boris Jelzin zu dessen Nachfolger eingesetzt und dann im März 2000 bei Wahlen, vor denen sich Putin als oberster Kriegsherr im Kampf gegen die unbotmäßigen Tschetschenen feiern ließ, in seinem Amt mit großer Mehrheit bestätigt.

Und dennoch: Konnte der russische Geheimdienst derart ruchlos gegenüber der eigenen Bevölkerung gewesen sein und mit Wissen, wenn nicht gar auf Geheiß Putins gehandelt haben? Die bloße Vorstellung löst selbst bei der Lektüre noch Abwehrreflexe aus. Allerdings gibt es da eben einen Fall - und der macht gleichsam den Kern dieses Buches aus -, der glücklicherweise zwar keine Menschenleben forderte, aber als Machwerk des FSB unter seinem auch heute noch als Chef wirkenden Nikolaj Patruschew außer Frage steht. Er trug sich in jenem düsteren September 1999 in der 180 Kilometer südöstlich von Moskau gelegenen Stadt Rjasan zu. Im Keller eines zwölfstöckigen Mietshauses wurden drei Säcke mit Hexogen und eine auf fünf Uhr dreißig des nächsten Morgens eingestellte Schaltuhr entdeckt, die dort nach den Beobachtungen eines der Hausbewohner von zwei unbekannten Personen deponiert worden waren. Als die sogleich verdächtigten Geheimdienstorgane nach dieser Entdeckung nicht mehr ein noch aus wussten, verstiegen sie sich zu der Behauptung, hier habe es sich lediglich um eine "Übung" zur Aufspürung von "Engpässen in der Tätigkeit der Rechtsschutzorgane" gehandelt. Im Übrigen, so FSB-Chef Patruschew zwei Tage später, seien die Säcke nicht mit Hexogen, sondern mit harmlosem Zucker gefüllt gewesen. Er sprach von einer "Wachsamkeitsübung", die völlig ungefährlich gewesen sei. Fast zur gleichen Stunde freilich lobte der russische Innenminister Wladimir Ruschailo Sicherheitsbeamte seines Ministeriums dafür, das Gebäude in Rjasan "vor der sicheren Zerstörung bewahrt" zu haben.

Die damaligen Vorgänge, die bald auch auf internationales Misstrauen stoßen sollten, sind nahezu minutiös nachgezeichnet und auf eine Weise dokumentarisch unterlegt, die eigentlich keinen Zweifel daran zulässt, dass die Serie der Häusersprengungen in Rjasan fortgesetzt werden sollte. Von wem? Während sich die FSB-Führung in Widersprüche verwickelte und diese mit zum Teil geradezu dummdreisten Behauptungen zu kaschieren suchte, schälte sich eines immer deutlicher heraus: Die von Moskau in schrillen Lettern an die Wand gemalte "tschetschenische Verbindung" gab es bei allen diesen Missetaten nicht.

Unter den Hunderten von Namen, die dem Leser hier vor Augen geführt werden und ihn den Überblick manchmal verlieren lassen, taucht einer nur am Rande auf: der des einstigen "Top-Oligarchen" Boris Beresowskij. Dabei spielte gerade er bis zum Ende der Jelzin-Ära eine auch politisch bedeutsame Rolle und behauptete später sogar, an der Karriere Putins nicht ganz unbeteiligt gewesen zu sein. Schon 1998 und mithin zwei Jahre vor dem Machtwechsel im Kreml soll Litwinenko indes nach eigenem Bekunden vom FSB, dem seinerzeit Putin vorstand, den Auftrag erhalten haben, Beresowskij zu liquidieren. Litwinenko vertraute sich angeblich nicht nur dem angeblichen Todeskandidaten an, sondern äußerte sich über seinen vermeintlichen Auftrag auch vor der Presse. Das trug ihm neben seiner Entlassung aus dem FSB freilich nur eine vergleichsweise kurze Untersuchungshaft ein. Und obwohl er anschließend rund um die Uhr observiert worden sein soll, gelang es ihm, folgt man dem Vorwort Felshtinskys zu diesem Buch, erstaunlich leicht, sich im Herbst 2000 und damit wenige Monate nach der Wahl Putins zum Präsidenten in den Westen abzusetzen und schließlich in London Asyl zu finden.

Dort hielt sich mittlerweile auch Beresowskij auf, der mit Blick auf Putin seither nur noch von Todfeindschaft spricht und mit großer Wahrscheinlichkeit auch seinen Erfahrungsschatz als einstiger Moskauer Insider in dieses Buch eingebracht haben dürfte. Es wäre weltfremd, bei der Beschreibung solcher Vorgänge untadelige Objektivität zu erwarten. Düster sind sie allemal und verdichten sich hier obendrein zu dem Faktum, dass der Hauptautor auf eine Art aus dem Weg geräumt worden ist, die geheimdienstliche Professionalität schlimmster Sorte verrät.

Alexander Litwinenko/Yuri Felshtinsky: "Eiszeit im Kreml". Das Komplott der russischen Geheimdienste. Verlag Hoffmann und Campe, Stuttgart 2007. 360 S., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ziemlich finster findet Werner Adam dieses Buch über die Machenschaften der russischen Geheimdienste. Er erinnert an die Vergiftung eines der beiden Autoren, Alexander Litwinenko, im November 2006 in London, für den ein ehemaliger FSB-Agent verantwortlich sein soll. Dank des in Amerika lebenden russischen Historiker Yuri Felshtinsky liegen die Aufzeichnungen des Ermordeten über die Geheimdienstaktivitäten des FSB nun in einer aktualisierten Fassung vor. Die Anschuldigungen, die gegenüber dem russischen Geheimdienst und dessen ehemaligen Chef Putin erhoben werden, scheinen Adam "erschreckend". Der FSB soll zum Beispiel die Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser 1999 inszeniert haben, um sie den Tschetschenen anzulasten und einen Vorwand für den zweiten Krieg gegen die anbtrünnige Kaukasus-Republik zu schaffen. Adam äußert sich hierüber zurückhaltend, ohne die Darstellung freilich in Frage zu stellen. Bei einem weiteren Fall, bei dem ein tödlicher Anschlag verhindert werden konnte, hält er die Beteiligung der Geheimdienste für erwiesen. Er bescheinigt den Autoren, die Ereignisse akribisch aufzurollen und die Widersprüche der FSB-Führung vor Augen zu führen. Auch wenn das Buch in Adams Augen nicht hundertprozentig objektiv ist, hält er es insgesamt für sehr glaubwürdig.

© Perlentaucher Medien GmbH