Ekkehard - Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert. ist ein unveränderter, hochwertiger Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahr 1896.
Hansebooks ist Herausgeber von Literatur zu unterschiedlichen Themengebieten wie Forschung und Wissenschaft, Reisen und Expeditionen, Kochen und Ernährung, Medizin und weiteren Genres. Der Schwerpunkt des Verlages liegt auf dem Erhalt historischer Literatur. Viele Werke historischer Schriftsteller und Wissenschaftler sind heute nur noch als Antiquitäten erhältlich. Hansebooks verlegt diese Bücher neu und trägt damit zum Erhalt selten gewordener Literatur und historischem Wissen auch für die Zukunft bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Es wär' zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein
Joseph Victor von Scheffel rasselt in Rumpelkammern mit rostiger Rüstung / Von Peter von Matt
Es gibt Klassiker, es gibt Zweitklassiker, und es gibt Drittklassiker. Die Klassiker sind Schullektüre und bei Reclam reich vertreten. Die Zweitklassiker erscheinen bei Reclam mit einem oder zwei Bändchen, für unkonventionelle Lehrer. Die Drittklassiker sind bei Reclam nicht mehr greifbar, kein Schüler hat unter ihnen zu leiden, und doch kennt man die Namen noch und erinnert sich vielleicht auch, daß so ein Buch einst in Großmutters Bücherschrank gestanden hat. Die Drittklassiker überleben in merkwürdig verstreuten Spuren. In der Kanondiskussion, die alle drei Jahre aufflackert und sofort wieder einschläft, tauchen sie nicht mehr auf. Dennoch hat jeder irgendein Zitat im Kopf, das von ihnen stammt.
Zu den Klassikern zählen Schiller und Heine, zu den Zweitklassikern zählen Lenau und Heyse, zu den Drittklassikern zählt Joseph Victor von Scheffel, dessen historischer Roman "Ekkehard" von 1855 jetzt in einem kleinen, einfallsreichen Verlag am Bodensee wieder aufgelegt wurde. Meine Mutter hat das Buch 1923 zu Weihnachten geschenkt bekommen und das Ereignis auf dem Deckblatt freudig vermerkt. Da war sie neunzehn Jahre alt und Scheffel offensichtlich noch ein Zweitklassiker. Wenige Jahrzehnte früher war er ein unbestrittener Erstklassiker. Als er 1886 starb, lag "Ekkehard" in der 97. Auflage vor und die Verserzählung "Der Trompeter von Säckingen" in der 156. Auflage. Aus dieser Zeit seiner triumphalen Präsenz im Bewußtsein der Kulturnation haben wir noch Fetzen im Ohr: "Liebe und Trompetenblasen / Nützen zu viel guten Dingen", oder: "Behüet dich Gott! Es wär' zu schön gewesen, / Behüet dich Gott, es hat nicht sollen sein!" Letzteres kann uns allerdings auch aus einem Wunschkonzert im Gehörgang hängengeblieben sein; in den Wunschkonzerten leben die Verse nämlich munter fort - mit Trompetenbegleitung, da sie eben aus dem "Trompeter von Säckingen" stammen. Wer aber auch davon nichts mehr wissen sollte, hat wenigstens mit einiger Gewißheit in jüngeren Jahren "Als die Römer frech geworden . . ." gesungen oder zum Himmel geröhrt. Es ist die zählebigste Schöpfung Scheffels, nur denkt dabei keiner mehr an den Verfasser.
"Ekkehard" war möglicherweise der meistgelesene deutsche Roman im späten neunzehnten Jahrhundert. Die Vermutung wird gelegentlich geäußert, und die zeitgenössischen Zeugnisse sprechen nicht dagegen. So bemerkte etwa Robert Koenig in seiner vielgelesenen "Deutschen Literaturgeschichte" noch zu Lebzeiten des Autors: "An seinem fünfzigsten Geburtstag 1876 ist ihm (Scheffel) eine Huldigung aus allen Teilen Deutschlands zu Teil geworden, wie kaum je einem andern Dichter. Auch der erbliche Adelsstand wurde ihm an diesem Festtage verliehen." Bismarck schickte übrigens ein Telegramm.
Kehrt hier ein vergessenes Meisterwerk zurück, so wie einst "Woyzeck" oder der späte Hölderlin aus langer Verschollenheit wieder auftauchten und in ihren endgültigen Rang traten? Man kann auf die Frage mit Scheffel selbst antworten: "Es wär' zu schön gewesen. Es hat nicht sollen sein." Der Roman ist nicht zu retten. Daß er aus dem Kanon gerutscht ist, spricht für die Zuverlässigkeit dieser vielgeschmähten Instanz. Er ist schablonenhaft in der Psychologie, voller Lücken in der Motivierung, in einer forciert historisierenden Sprache geschrieben und durchsetzt mit Weisheiten von entsetzlicher Banalität. Respektvoll gesagt: Er ist ein Zeitdokument. Respektlos gesagt: Er ist eine Romanleiche aus dem neunzehnten Jahrhundert.
Man könnte versuchen, die krassen Mängel des Werks von seinem historischen Hintergrund her zu rechtfertigen. Der Roman spielt um das Jahr 1000, und vieles, was passiert, ist aus geschichtlichen Dokumenten bezogen, insbesondere aus der berühmten St. Galler Klosterchronik. Könnte da der inkohärente Handlungsbau nicht die archaische Sprunghaftigkeit dieser Berichte spiegeln? Und soll man überhaupt von einer Geschichte aus grauer Vorzeit mit ungefügen Menschen aus den noch kaum gerodeten Wäldern um den Bodensee subtile Psychologie verlangen? Ist es da nicht gerade richtig, wenn alles in rohen Blöcken nebeneinanderliegt? Das wäre durchaus eine Möglichkeit, nur ist es nicht Scheffels poetische Vision. Seine Vision ist der psychologische Roman im Kostüm des frühen Mittelalters, und also muß er auf seelische Subtilitäten und genau vernetzte Geschehnisse aus sein, und das möchte er und versucht er und kann es nicht.
Der Kunstgriff, die Defizite durch eine archaisierende Sprache wettzumachen, macht alles noch schlimmer. Da ergeben sich Einsichten etwa folgender Art: "Der Frauen Gemüt, wie hoch es auch genaturt sein mag, erfreut sich allzeit an Schmuck, Zierat und prächtiger Gewandung." Oder: "Scherz zu unrechter Zeit wirkt wie Essig auf Honigseim." Und wenn von der unglücklichen Ehe der weiblichen Hauptfigur zu berichten ist, tönt es so: "Bevor Herr Burkhard zu seinen Vätern versammelt ward, hatte er sich noch ein Ehgemahl erlesen. Das war die junge Frau Hadwig, Tochter des Herzogs von Bayern. Aber in das Abendrot eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenstern nicht freudig scheinen." Das ist so geziert wie platt und ein astronomischer Unsinn überdies. Es zeigt die hilflose Prätention dieser künstlichen Erzählsprache. Als es darum geht, die erwähnte Frau, deren Liebesgeschichte mit einem Mönch die Romanhandlung bestimmt, als Person vorzustellen, wird die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf psychologische Raffinesse und der hölzernen Geschlechterstereotypie peinvoll offenbar: "Die junge Witib war von adeligem Gemüt und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein wenig aufgeworfen, und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmutige Grüblein, so den Frauen so minnig ansteht, bei ihr nicht zu finden war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge." Solcher Sprachschrott scheppert durch den ganzen Roman. Hat das wirklich einst breite Leserschaften faszinieren können und Bismarck in Bann geschlagen? Es ist ein Designer-Deutsch aus den 1850er Jahren, mit eminent modischem Effekt offenbar.
Man müßte von Scheffel aus das Problem der Sprache im historischen Roman generell diskutieren. Kann es einen historischen Roman geben, der sich nicht bei der Sprache der beschriebenen Epoche anbiedert, um authentisch zu wirken? Das ist in der Tat möglich, aber nur über eine spezifische Ironie, die aus der Reflexion über die doppelte Sprache des historischen Erzählens entspringt. Wir finden sie beim Thomas Mann der Josephs-Romane, aber auch schon, in geisterhafter Vollkommenheit, in den "Sieben Legenden" Gottfried Kellers.
Ironie gibt es bei Scheffel, aber sie betrifft nur einzelne Figuren, der eigenen Sprache gegenüber bleibt er naiv. Er hat in Wahrheit keine eigene Sprache, die an einem geschichtlichen Stoff zu erproben wäre, wie Stifter es im "Hochwald" getan hat und Gotthelf in dem famosen "Kurt von Koppigen". Scheffel gewinnt seine Sprache aus dem Zitat, so wie er Sinnlichkeit und Tatkraft und Lebensfreude aus einem synthetischen Mittelalter gewinnen möchte.
Seiner Prägung nach war dieser Autor ein liberaler deutscher Intellektueller der 48er Generation, kaum sieben Jahre jünger als Keller und Fontane. Seine literarische Initiation muß Heine gewesen sein. Noch um 1920 schreibt Oskar Walzel in Hinsicht auf den "Trompeter von Säckingen": "Scheffel gilt für Heines größten Schüler." Das hört sich heute mit Verblüffung an. In der Tat aber ist der "Trompeter" eine Umschaffung des "Atta Troll" ins Wackere, sympathisch Biedere. Er macht aus Heines poetischem Hochseilakt dämoniefreies Handwerk, versetzt mit einem schüchternen Rest bürgerlicher Adelskritik. Und ein Hauch von jungdeutscher Kirchen- und Askesefeindlichkeit liegt denn auch über dem "Ekkehard". Aber die übliche Konsequenz solcher Erzählungen, daß ein Mönch seinem Kloster entläuft und zu einer hübschen Frau in ein warmes, wartendes Bett kriecht, bleibt hier aus. Das Scheitern der Liebesgeschichte zwischen Mönch und Herzogin, die das Buch seinerzeit pikant machte, ist nicht nur schlecht und frauenfeindlich motiviert, es widerspricht vor allem dem intonierten Gestus eines Triumphs der Natur über falsche Entsagung. Und weil Scheffel von der monastischen Spiritualität nichts begriffen hat, kann auch kein echtes Dilemma zwischen geistlicher und weltlicher Existenz entstehen. So ist dann die Lösung einmal mehr der deutsche Künstlerroman. Das macht das Buch historisch interessant. Sein Scheitern ist auch Dokument. Und für Leute, die mit der Region um den Bodensee vertraut sind, bleibt es trotz allem ein kurzweiliges Erzählspiel. Ob die erotischen Nöte des Klostermannes und seiner Herzogin am heutigen Bodensee noch nachvollzogen werden können, ist eine andere Frage.
Der Verlag hat die neue Ausgabe mit hübschen Zeichnungen versehen. Im Anhang findet sich auch das aufschlußreiche Vorwort Scheffels zur ersten Auflage und seine vielen teils ironischen, teils ernst gemeinten Anmerkungen zum eigenen Text. Gelegentliche lateinische Wendungen im Roman werden im Anhang übersetzt, die viel längeren lateinischen Zitate der Anmerkungen merkwürdigerweise nicht.
Joseph Victor von Scheffel: "Ekkehard." Eine Geschichte aus dem 10. Jahrhundert. Mit Zeichnungen von Johannes Grützke. Libelle Verlag, Lengwil 2000. 520 S., geb., 49,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joseph Victor von Scheffel rasselt in Rumpelkammern mit rostiger Rüstung / Von Peter von Matt
Es gibt Klassiker, es gibt Zweitklassiker, und es gibt Drittklassiker. Die Klassiker sind Schullektüre und bei Reclam reich vertreten. Die Zweitklassiker erscheinen bei Reclam mit einem oder zwei Bändchen, für unkonventionelle Lehrer. Die Drittklassiker sind bei Reclam nicht mehr greifbar, kein Schüler hat unter ihnen zu leiden, und doch kennt man die Namen noch und erinnert sich vielleicht auch, daß so ein Buch einst in Großmutters Bücherschrank gestanden hat. Die Drittklassiker überleben in merkwürdig verstreuten Spuren. In der Kanondiskussion, die alle drei Jahre aufflackert und sofort wieder einschläft, tauchen sie nicht mehr auf. Dennoch hat jeder irgendein Zitat im Kopf, das von ihnen stammt.
Zu den Klassikern zählen Schiller und Heine, zu den Zweitklassikern zählen Lenau und Heyse, zu den Drittklassikern zählt Joseph Victor von Scheffel, dessen historischer Roman "Ekkehard" von 1855 jetzt in einem kleinen, einfallsreichen Verlag am Bodensee wieder aufgelegt wurde. Meine Mutter hat das Buch 1923 zu Weihnachten geschenkt bekommen und das Ereignis auf dem Deckblatt freudig vermerkt. Da war sie neunzehn Jahre alt und Scheffel offensichtlich noch ein Zweitklassiker. Wenige Jahrzehnte früher war er ein unbestrittener Erstklassiker. Als er 1886 starb, lag "Ekkehard" in der 97. Auflage vor und die Verserzählung "Der Trompeter von Säckingen" in der 156. Auflage. Aus dieser Zeit seiner triumphalen Präsenz im Bewußtsein der Kulturnation haben wir noch Fetzen im Ohr: "Liebe und Trompetenblasen / Nützen zu viel guten Dingen", oder: "Behüet dich Gott! Es wär' zu schön gewesen, / Behüet dich Gott, es hat nicht sollen sein!" Letzteres kann uns allerdings auch aus einem Wunschkonzert im Gehörgang hängengeblieben sein; in den Wunschkonzerten leben die Verse nämlich munter fort - mit Trompetenbegleitung, da sie eben aus dem "Trompeter von Säckingen" stammen. Wer aber auch davon nichts mehr wissen sollte, hat wenigstens mit einiger Gewißheit in jüngeren Jahren "Als die Römer frech geworden . . ." gesungen oder zum Himmel geröhrt. Es ist die zählebigste Schöpfung Scheffels, nur denkt dabei keiner mehr an den Verfasser.
"Ekkehard" war möglicherweise der meistgelesene deutsche Roman im späten neunzehnten Jahrhundert. Die Vermutung wird gelegentlich geäußert, und die zeitgenössischen Zeugnisse sprechen nicht dagegen. So bemerkte etwa Robert Koenig in seiner vielgelesenen "Deutschen Literaturgeschichte" noch zu Lebzeiten des Autors: "An seinem fünfzigsten Geburtstag 1876 ist ihm (Scheffel) eine Huldigung aus allen Teilen Deutschlands zu Teil geworden, wie kaum je einem andern Dichter. Auch der erbliche Adelsstand wurde ihm an diesem Festtage verliehen." Bismarck schickte übrigens ein Telegramm.
Kehrt hier ein vergessenes Meisterwerk zurück, so wie einst "Woyzeck" oder der späte Hölderlin aus langer Verschollenheit wieder auftauchten und in ihren endgültigen Rang traten? Man kann auf die Frage mit Scheffel selbst antworten: "Es wär' zu schön gewesen. Es hat nicht sollen sein." Der Roman ist nicht zu retten. Daß er aus dem Kanon gerutscht ist, spricht für die Zuverlässigkeit dieser vielgeschmähten Instanz. Er ist schablonenhaft in der Psychologie, voller Lücken in der Motivierung, in einer forciert historisierenden Sprache geschrieben und durchsetzt mit Weisheiten von entsetzlicher Banalität. Respektvoll gesagt: Er ist ein Zeitdokument. Respektlos gesagt: Er ist eine Romanleiche aus dem neunzehnten Jahrhundert.
Man könnte versuchen, die krassen Mängel des Werks von seinem historischen Hintergrund her zu rechtfertigen. Der Roman spielt um das Jahr 1000, und vieles, was passiert, ist aus geschichtlichen Dokumenten bezogen, insbesondere aus der berühmten St. Galler Klosterchronik. Könnte da der inkohärente Handlungsbau nicht die archaische Sprunghaftigkeit dieser Berichte spiegeln? Und soll man überhaupt von einer Geschichte aus grauer Vorzeit mit ungefügen Menschen aus den noch kaum gerodeten Wäldern um den Bodensee subtile Psychologie verlangen? Ist es da nicht gerade richtig, wenn alles in rohen Blöcken nebeneinanderliegt? Das wäre durchaus eine Möglichkeit, nur ist es nicht Scheffels poetische Vision. Seine Vision ist der psychologische Roman im Kostüm des frühen Mittelalters, und also muß er auf seelische Subtilitäten und genau vernetzte Geschehnisse aus sein, und das möchte er und versucht er und kann es nicht.
Der Kunstgriff, die Defizite durch eine archaisierende Sprache wettzumachen, macht alles noch schlimmer. Da ergeben sich Einsichten etwa folgender Art: "Der Frauen Gemüt, wie hoch es auch genaturt sein mag, erfreut sich allzeit an Schmuck, Zierat und prächtiger Gewandung." Oder: "Scherz zu unrechter Zeit wirkt wie Essig auf Honigseim." Und wenn von der unglücklichen Ehe der weiblichen Hauptfigur zu berichten ist, tönt es so: "Bevor Herr Burkhard zu seinen Vätern versammelt ward, hatte er sich noch ein Ehgemahl erlesen. Das war die junge Frau Hadwig, Tochter des Herzogs von Bayern. Aber in das Abendrot eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenstern nicht freudig scheinen." Das ist so geziert wie platt und ein astronomischer Unsinn überdies. Es zeigt die hilflose Prätention dieser künstlichen Erzählsprache. Als es darum geht, die erwähnte Frau, deren Liebesgeschichte mit einem Mönch die Romanhandlung bestimmt, als Person vorzustellen, wird die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf psychologische Raffinesse und der hölzernen Geschlechterstereotypie peinvoll offenbar: "Die junge Witib war von adeligem Gemüt und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein wenig aufgeworfen, und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmutige Grüblein, so den Frauen so minnig ansteht, bei ihr nicht zu finden war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge." Solcher Sprachschrott scheppert durch den ganzen Roman. Hat das wirklich einst breite Leserschaften faszinieren können und Bismarck in Bann geschlagen? Es ist ein Designer-Deutsch aus den 1850er Jahren, mit eminent modischem Effekt offenbar.
Man müßte von Scheffel aus das Problem der Sprache im historischen Roman generell diskutieren. Kann es einen historischen Roman geben, der sich nicht bei der Sprache der beschriebenen Epoche anbiedert, um authentisch zu wirken? Das ist in der Tat möglich, aber nur über eine spezifische Ironie, die aus der Reflexion über die doppelte Sprache des historischen Erzählens entspringt. Wir finden sie beim Thomas Mann der Josephs-Romane, aber auch schon, in geisterhafter Vollkommenheit, in den "Sieben Legenden" Gottfried Kellers.
Ironie gibt es bei Scheffel, aber sie betrifft nur einzelne Figuren, der eigenen Sprache gegenüber bleibt er naiv. Er hat in Wahrheit keine eigene Sprache, die an einem geschichtlichen Stoff zu erproben wäre, wie Stifter es im "Hochwald" getan hat und Gotthelf in dem famosen "Kurt von Koppigen". Scheffel gewinnt seine Sprache aus dem Zitat, so wie er Sinnlichkeit und Tatkraft und Lebensfreude aus einem synthetischen Mittelalter gewinnen möchte.
Seiner Prägung nach war dieser Autor ein liberaler deutscher Intellektueller der 48er Generation, kaum sieben Jahre jünger als Keller und Fontane. Seine literarische Initiation muß Heine gewesen sein. Noch um 1920 schreibt Oskar Walzel in Hinsicht auf den "Trompeter von Säckingen": "Scheffel gilt für Heines größten Schüler." Das hört sich heute mit Verblüffung an. In der Tat aber ist der "Trompeter" eine Umschaffung des "Atta Troll" ins Wackere, sympathisch Biedere. Er macht aus Heines poetischem Hochseilakt dämoniefreies Handwerk, versetzt mit einem schüchternen Rest bürgerlicher Adelskritik. Und ein Hauch von jungdeutscher Kirchen- und Askesefeindlichkeit liegt denn auch über dem "Ekkehard". Aber die übliche Konsequenz solcher Erzählungen, daß ein Mönch seinem Kloster entläuft und zu einer hübschen Frau in ein warmes, wartendes Bett kriecht, bleibt hier aus. Das Scheitern der Liebesgeschichte zwischen Mönch und Herzogin, die das Buch seinerzeit pikant machte, ist nicht nur schlecht und frauenfeindlich motiviert, es widerspricht vor allem dem intonierten Gestus eines Triumphs der Natur über falsche Entsagung. Und weil Scheffel von der monastischen Spiritualität nichts begriffen hat, kann auch kein echtes Dilemma zwischen geistlicher und weltlicher Existenz entstehen. So ist dann die Lösung einmal mehr der deutsche Künstlerroman. Das macht das Buch historisch interessant. Sein Scheitern ist auch Dokument. Und für Leute, die mit der Region um den Bodensee vertraut sind, bleibt es trotz allem ein kurzweiliges Erzählspiel. Ob die erotischen Nöte des Klostermannes und seiner Herzogin am heutigen Bodensee noch nachvollzogen werden können, ist eine andere Frage.
Der Verlag hat die neue Ausgabe mit hübschen Zeichnungen versehen. Im Anhang findet sich auch das aufschlußreiche Vorwort Scheffels zur ersten Auflage und seine vielen teils ironischen, teils ernst gemeinten Anmerkungen zum eigenen Text. Gelegentliche lateinische Wendungen im Roman werden im Anhang übersetzt, die viel längeren lateinischen Zitate der Anmerkungen merkwürdigerweise nicht.
Joseph Victor von Scheffel: "Ekkehard." Eine Geschichte aus dem 10. Jahrhundert. Mit Zeichnungen von Johannes Grützke. Libelle Verlag, Lengwil 2000. 520 S., geb., 49,- DM.
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