So wie New Orleans für Jazz und Blues gilt das Düsseldorf der 1970er und 80er als Mekka der elektronischen Popmusik. Hier schraubte »Kraftwerk« im legendären Klingklang-Studio an Klassikern wie »Autobahn« oder »Wir sind die Roboter«, hier schuf »Neu!« den Motorik Beat, hier brachte »DAF« den Sequenzern das Schwitzen bei. Und je größer der Abstand, nach Kilometern wie nach Jahren, umso mythischer erscheint der Ort. Rüdiger Esch, selbst Düsseldorfer und als Mitglied von »Die Krupps« Teil der Szene, beleuchtet deren Entwicklung von den Anfängen um 1970 bis zum Ende der analogen Phase um 1986. Und zwar sowohl von innen, als Spur aus exklusiven O-Tönen ihrer Protagonisten wie Wolfgang Flür (»Kraftwerk«), Bodo Staiger (»Rheingold«), Gabi Delgado (»DAF)«, Jürgen Engler (»Die Krupps«), Ralf Dörper (»Propaganda«), wie zugleich von außen, in exklusiven Statements von Giorgio Moroder, Ryuichi Sakamoto, Andy McCluskey (»OMD«), Martyn Ware (»The Human League«), Glenn Gregory (»Heaven 17«) u. v. a. nebst Dokumenten aus der Rezeptionsgeschichte. So wird sowohl die Wirklichkeit des Mythos wie die Wirklichkeit hinter dem Mythos sichtbar, die Weltmetropole des Modernismus genauso wie das Dorf in Düsseldorf.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Stefan Michalzik lernt Grundlegendes aus der Popgeschichte von Rüdiger Esch und seinem Gesprächsband über Düsseldorf als Mittelpunkt der elektronischen Musik von 1970 bis 1986. Wenn der Autor von "Die Krupps" Kollegen zu Wort kommen lässt, wird für Michalzik deutlich, was den "Quantensprung" im Pop bedingte: Neben dem Geld der Kraftwerk-Leute eine Mischung aus avantgardistischem Kunstverständnis, Mode und Werbung. Da der Autor nicht großspurig Mythen konstruiert, sondern lebhaft, vielstimmig Sittengeschichte schreibt, kann der Rezensent darüber hinwegsehen, dass vieles im Buch längst bekannt ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2014Wetten, dass Kraftwerk jeder kennt
Ein Biotop für Spinner an Synthesizern: Rüdiger Esch geht der Frage auf den Grund, warum Düsseldorf vor vierzig Jahren vorübergehend Weltmusikhauptstadt wurde.
Achtung, die Bundesrepublik muss bitte kurz einmal zuhören, es geht um eine ihrer geheimen Geschichten, aber diesmal handelt sie nicht vom Einfluss Stefan Georges auf die späteren Eliten oder von Heidegger und Augstein im Gespräch, sondern von Synthesizern.
Wir sind im Jahr 1997. Bei "Wetten, dass ..?" ist Superstar David Bowie zu Gast, der zwanzig Jahre vorher in dieser Bundesrepublik gelebt und Musik gemacht hat. Und der auf dem Sofa, erzählt der Düsseldorfer Popmusiker Ralf Dörper, von Gottschalk nach seiner Lieblingsband befragt wird: "Bowie sagt, er habe in seiner Berlin-Zeit all die tolle Musik aus Deutschland von Bands wie Kraftwerk, Neu! und Harmonia gehört, und fragte dann ins Publikum, ob jemand außer ihm die Gruppe Neu! kenne. Nur ein Einziger hob bescheiden und unsicher die Hand (...). Das war für Bowie vollkommen unverständlich, so, als würden wir nach England reisen und feststellen, dass niemand dort den Namen David Bowie kennt."
Man könnte diese Szene mit allen Moderatoren von "Wetten, dass ..?" durchspielen und Bowie gegen immer neue internationale Popstars austauschen, gegen den Gitarristen der Red Hot Chili Peppers und die Sänger von Coldplay oder Blur: Immer würde wohl nur ein Typ im Publikum aufzeigen. Daran könnte aber eine feine Dokumentation etwas ändern, aus der diese Anekdote stammt: "Electri_City" rekonstruiert die Phase zwischen 1970 und 1986, als die innovativste Popmusik der Welt aus Westdeutschland kam und Düsseldorf die Hauptstadt dieser Welt war. Diese neue Popmusik interessierte sich nicht mehr für die Konventionen des Rock, sondern suchte nach der eigenen Form, nach Endlosigkeit und Wiederholung und die Schönheit im Krach, was dann wiederum englische und amerikanische Musiker inspirierte, die ihrerseits ermüdet waren von ihren eigenen Routinen, wie Bowie.
Akteure von damals kommen zu Wort, Wolfgang Flür von Kraftwerk, sicher bis heute die berühmteste Band jener Jahre, die auch bei "Wetten, dass ..?" jeder kennen würde; Michael Rother von Neu! und sein einstiger Partner und Feind Klaus Dinger, der vor ein paar Jahren starb; und auch Ralf Dörper von Propaganda, der sich an die Szene zwischen Gottschalk und Bowie erinnert. Rüdiger Esch, der die Interviews geführt und mit älteren Zeugenaussagen montiert hat, ist Bassist der Krupps, einer Punkband, die ihre Gitarren gegen Sequencer tauschte.
Denn auch das kam in Düsseldorf zusammen - Hippies und Punks, die nichts verband bis auf den Wunsch, mit dem zu brechen, was sie vorfanden an Verhaltensmustern und Traditionen. Man kennt das Bauprinzip von "Electri_City" schon aus Jürgen Teipels epochaler Punkdokumentation "Verschwende deine Jugend", es erlaubt offenen Widerspruch und Ungerechtigkeit und Wut und Leidenschaft. Man müsste das eigentlich mal für andere intellektuelle Bewegungen der Bundesrepublik ausprobieren, eine "Oral History" der Gruppe 47 zum Beispiel könnte sehr lehrreich sein oder eine der Sozialgeschichtsschreibung, Hauptstadt Bielefeld.
Aber warum war nun ausgerechnet Düsseldorf die Hauptstadt der Spezialmusik? Weil es eine Kunststadt war und hier Joseph Beuys wirkte, der anders als der elektronische Neutöner Karl-Heinz Stockhausen im benachbarten Köln nicht um seinen akademischen Status fürchtete, wenn da um ihn herum plötzlich ein paar interessante Spinner an diesen neuartigen Synthesizern herumspielten. Es lag aber auch an der Mode- und Werbeagenturszene, die ein offenes Klima schuf und immer neue interessante Spinner in die Stadt spülte, Geld zirkulierte hier sowieso schon. Und es lag an Conny Plank, der erst Kraftwerk und Neu! produziert hatte und in dessen Studio im Rhein-Sieg-Kreis dann später Bands wie Ultravox! und Eurythmics arbeiteten. Bowie wollte auch, aber Plank wollte nicht.
Dafür entstand das zweite Album von Herbert Grönemeyer im Studio von Conny Plank, der 1987 starb. Ohne Grönemeyer würden viele Platten aus diesen elektronischen Wunderjahren gar nicht mehr erhältlich sein, er hat sie auf seinem Label Grönland neu herausgebracht. Dort ist auch die CD zu "Electri_City" erschienen: dreizehn Stücke von DAF, La Düsseldorf, Neu! und anderen: eigensinnige, widerspenstige, neue Musik, die aus dem Nichts kam und dorthin wieder verschwand, jedenfalls in dem Land, in dem sie entstand. Eine Musik, die keine Tradition hatte und auch keine ausgebildet hat, bis auf versprengte Epigonen. Kraftwerk, die berühmteste Düsseldorfer Formation, hat zwar Techno ausgelöst, ist aber mittlerweile ins Museum eingezogen, freiwillig. Dahin gehört die Musik von damals aber nicht, dafür ist sie zu lebendig.
TOBIAS RÜTHER.
Rüdiger Esch:"Electri_City". Elektronische Musik aus Düsseldorf 1970-1986.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 364 S., Abb., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Biotop für Spinner an Synthesizern: Rüdiger Esch geht der Frage auf den Grund, warum Düsseldorf vor vierzig Jahren vorübergehend Weltmusikhauptstadt wurde.
Achtung, die Bundesrepublik muss bitte kurz einmal zuhören, es geht um eine ihrer geheimen Geschichten, aber diesmal handelt sie nicht vom Einfluss Stefan Georges auf die späteren Eliten oder von Heidegger und Augstein im Gespräch, sondern von Synthesizern.
Wir sind im Jahr 1997. Bei "Wetten, dass ..?" ist Superstar David Bowie zu Gast, der zwanzig Jahre vorher in dieser Bundesrepublik gelebt und Musik gemacht hat. Und der auf dem Sofa, erzählt der Düsseldorfer Popmusiker Ralf Dörper, von Gottschalk nach seiner Lieblingsband befragt wird: "Bowie sagt, er habe in seiner Berlin-Zeit all die tolle Musik aus Deutschland von Bands wie Kraftwerk, Neu! und Harmonia gehört, und fragte dann ins Publikum, ob jemand außer ihm die Gruppe Neu! kenne. Nur ein Einziger hob bescheiden und unsicher die Hand (...). Das war für Bowie vollkommen unverständlich, so, als würden wir nach England reisen und feststellen, dass niemand dort den Namen David Bowie kennt."
Man könnte diese Szene mit allen Moderatoren von "Wetten, dass ..?" durchspielen und Bowie gegen immer neue internationale Popstars austauschen, gegen den Gitarristen der Red Hot Chili Peppers und die Sänger von Coldplay oder Blur: Immer würde wohl nur ein Typ im Publikum aufzeigen. Daran könnte aber eine feine Dokumentation etwas ändern, aus der diese Anekdote stammt: "Electri_City" rekonstruiert die Phase zwischen 1970 und 1986, als die innovativste Popmusik der Welt aus Westdeutschland kam und Düsseldorf die Hauptstadt dieser Welt war. Diese neue Popmusik interessierte sich nicht mehr für die Konventionen des Rock, sondern suchte nach der eigenen Form, nach Endlosigkeit und Wiederholung und die Schönheit im Krach, was dann wiederum englische und amerikanische Musiker inspirierte, die ihrerseits ermüdet waren von ihren eigenen Routinen, wie Bowie.
Akteure von damals kommen zu Wort, Wolfgang Flür von Kraftwerk, sicher bis heute die berühmteste Band jener Jahre, die auch bei "Wetten, dass ..?" jeder kennen würde; Michael Rother von Neu! und sein einstiger Partner und Feind Klaus Dinger, der vor ein paar Jahren starb; und auch Ralf Dörper von Propaganda, der sich an die Szene zwischen Gottschalk und Bowie erinnert. Rüdiger Esch, der die Interviews geführt und mit älteren Zeugenaussagen montiert hat, ist Bassist der Krupps, einer Punkband, die ihre Gitarren gegen Sequencer tauschte.
Denn auch das kam in Düsseldorf zusammen - Hippies und Punks, die nichts verband bis auf den Wunsch, mit dem zu brechen, was sie vorfanden an Verhaltensmustern und Traditionen. Man kennt das Bauprinzip von "Electri_City" schon aus Jürgen Teipels epochaler Punkdokumentation "Verschwende deine Jugend", es erlaubt offenen Widerspruch und Ungerechtigkeit und Wut und Leidenschaft. Man müsste das eigentlich mal für andere intellektuelle Bewegungen der Bundesrepublik ausprobieren, eine "Oral History" der Gruppe 47 zum Beispiel könnte sehr lehrreich sein oder eine der Sozialgeschichtsschreibung, Hauptstadt Bielefeld.
Aber warum war nun ausgerechnet Düsseldorf die Hauptstadt der Spezialmusik? Weil es eine Kunststadt war und hier Joseph Beuys wirkte, der anders als der elektronische Neutöner Karl-Heinz Stockhausen im benachbarten Köln nicht um seinen akademischen Status fürchtete, wenn da um ihn herum plötzlich ein paar interessante Spinner an diesen neuartigen Synthesizern herumspielten. Es lag aber auch an der Mode- und Werbeagenturszene, die ein offenes Klima schuf und immer neue interessante Spinner in die Stadt spülte, Geld zirkulierte hier sowieso schon. Und es lag an Conny Plank, der erst Kraftwerk und Neu! produziert hatte und in dessen Studio im Rhein-Sieg-Kreis dann später Bands wie Ultravox! und Eurythmics arbeiteten. Bowie wollte auch, aber Plank wollte nicht.
Dafür entstand das zweite Album von Herbert Grönemeyer im Studio von Conny Plank, der 1987 starb. Ohne Grönemeyer würden viele Platten aus diesen elektronischen Wunderjahren gar nicht mehr erhältlich sein, er hat sie auf seinem Label Grönland neu herausgebracht. Dort ist auch die CD zu "Electri_City" erschienen: dreizehn Stücke von DAF, La Düsseldorf, Neu! und anderen: eigensinnige, widerspenstige, neue Musik, die aus dem Nichts kam und dorthin wieder verschwand, jedenfalls in dem Land, in dem sie entstand. Eine Musik, die keine Tradition hatte und auch keine ausgebildet hat, bis auf versprengte Epigonen. Kraftwerk, die berühmteste Düsseldorfer Formation, hat zwar Techno ausgelöst, ist aber mittlerweile ins Museum eingezogen, freiwillig. Dahin gehört die Musik von damals aber nicht, dafür ist sie zu lebendig.
TOBIAS RÜTHER.
Rüdiger Esch:"Electri_City". Elektronische Musik aus Düsseldorf 1970-1986.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 364 S., Abb., br., 14,99 [Euro].
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»Ein brillanter Suhrkamp-Band, ein Buch über die Erfindung der elektronischen Popmusik im Düsseldorf der Siebziger- und Achtzigerjahre.« Thomas Hüetlin DER SPIEGEL 20150105