Die Anforderungen an die Modernisierung des Staates und seine Verwaltung in einem globalen Wettbewerb der politischen Systeme haben sich radikal zugespitzt. Weltweit entstehen Konzepte, die vor allem auf dem Einsatz der Internet-Technologie basieren. Nach eCommerce im Handel (B2C) und eBusiness zwischen Unternehmen (B2B) wird sich eGovernment in den kommenden Jahren zur dritten und radikalsten Revolution des Internets entwickeln: die Virtualisierung des öffentlichen Sektors.
Die Konsequenzen für die Politik bzw. ihre Organisation und für das Verhältnis von Politik, Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern sind heute erst in Ansätzen erkennbar. Es geht dabei aber weniger um Technologie oder eine neoliberale Verschlankung des Staates. Es geht um nichts Geringeres als die Wiedereinführung des Politischen in die Politik.
Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat decken hier die aktuellen paradoxen Herausforderungen des Staates auf; eines Staates zwischen Globalisierung und Lokali sierung, zwischen öffentlicher und privater Produktion öffentlicher Güter, zwischen aktiver und aktivierender Intervention, zwischen flexibler "Entwaltung" und Verläßlichkeit, zwischen Verschlankung und steigender Dienstleistungsqualität.
Diesen Herausforderungen stellen sie die vier zentralen Trends des eGovernment gegenüber:
- prosumerism: Einbeziehung der Bürger in die Produktion von öffentlichen Gütern (digitales Rathaus);
- policy networks: Neue Politikverfahren für eine Steuerung in modernen ausdifferenzierten Gesellschaften,
- procurement: die Optimierung der öffentlichen Wertschöpfungskette,
- public memory: Wissensmanagement und politisches Gedächtnis der öffentlichen Institutionen.
Die Konsequenzen für die Politik bzw. ihre Organisation und für das Verhältnis von Politik, Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern sind heute erst in Ansätzen erkennbar. Es geht dabei aber weniger um Technologie oder eine neoliberale Verschlankung des Staates. Es geht um nichts Geringeres als die Wiedereinführung des Politischen in die Politik.
Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat decken hier die aktuellen paradoxen Herausforderungen des Staates auf; eines Staates zwischen Globalisierung und Lokali sierung, zwischen öffentlicher und privater Produktion öffentlicher Güter, zwischen aktiver und aktivierender Intervention, zwischen flexibler "Entwaltung" und Verläßlichkeit, zwischen Verschlankung und steigender Dienstleistungsqualität.
Diesen Herausforderungen stellen sie die vier zentralen Trends des eGovernment gegenüber:
- prosumerism: Einbeziehung der Bürger in die Produktion von öffentlichen Gütern (digitales Rathaus);
- policy networks: Neue Politikverfahren für eine Steuerung in modernen ausdifferenzierten Gesellschaften,
- procurement: die Optimierung der öffentlichen Wertschöpfungskette,
- public memory: Wissensmanagement und politisches Gedächtnis der öffentlichen Institutionen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2001Der surfende Prosument
Informationstechnologische Seiten der Verwaltungsmodernisierung
Stephan A. Jansen/Birger P. Priddat: Electronic Government. Neue Potentiale für einen modernen Staat. Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 184 Seiten, 39,50 Mark.
"Electronic Government" bezeichnet nicht nur die informationstechnologische Seite der Verwaltungsmodernisierung, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für Verwaltung und Politik. So lautet die Botschaft des Bandes von Jansen und Priddat, in dem sie die Dimensionen der Virtualisierung des öffentlichen Sektors - der dritten Revolution des Internets - und deren Konsequenzen für das Verhältnis von Politik, Staat, Wirtschaft und Bürgern beschreiben. Es geht um die Stichworte "Kundenorientierung" (Aufbau von digitalen Informations- und Dienstleistungsangeboten für den Bürger), "Auftraggeberorientierung" (elektronische Abwicklung der Beschaffung für die öffentliche Hand) und "Demokratieorientierung" (stärkere Bürgerbeteiligung bei kommunalen Entscheidungen und Planungen über das Internet).
Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft wirkt sich fundamental auf die Städte und Gemeinden aus. Globalisierung und Internationalisierung der Unternehmen ergänzen diesen Prozeß. Der Bürger erwartet mehr Service und Orientierungen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Nicht mehr die Zuständigkeit der Behörden steht im Vordergrund, sondern deren Produkte und Dienstleistungen. Insgesamt sehen die Autoren vier Trends des E-Governments, durch die sich die Beziehung von Verwaltung/Bürger und von Politik/Bürger ändert:
Erstens, der Bürger ist nicht nur Kunde des Staates, sondern sein Wissen fließt in Produkte und Dienstleistungen zunehmend mit ein. Hier reicht das Spektrum von Anträgen auf Sozialhilfe, Verlängerung von Pässen, elektronischen Steuererklärungen bis hin zu Kraftfahrzeuganmeldungen, Ummeldungen beim Einwohnermeldeamt, polizeilichen Führungszeugnissen und Bauanträgen. Zweitens, der Staat stellt sich selbst in Frage, nimmt seine Steuerungsform ("governance") zurück. Auf diese Weise fördert er die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft, schafft ihnen den notwendigen Freiraum und zieht sich selbst auf die Rolle des Moderators zurück. Damit wird der Staat als Organisation offen und kann einen Wettbewerb um seine eigenen staatlichen Dienstleistungen in Gang bringen - denen er seine Existenz verdankt. Voraussetzung dafür ist, daß er geeignete Organisations- und Kooperationsformen anbietet, die die Aufgabenerledigung stabilisieren.
Als dritten Trend bezeichnen die Autoren die zunehmende Realisierung der Politik, daß Wohlfahrtssteigerungen durch die Optimierung der eigenen Aktivitäten zur Wohlfahrtssteigerung zu erzielen sind. Unternehmensberater haben längst entdeckt, welch großes Potential eine Optimierung der staatlichen Wertschöpfungskette bei Staatsquoten von 50 Prozent birgt. Zukünftig werden Regierungen daher entscheiden, aus bestimmten Operationen herauszugehen, vor allem durch Outsourcing ihrer Nebenaufgaben - von der Steuererhebung bis zur Vergabe von Betriebsgenehmigungen. Das wird es ihnen erlauben, sich auf ihre Hauptaufgaben zu konzentrieren.
Bleibt als vierter Trend die wachsende Erkenntnis um die Bedeutung des Faktors Wissen als wertvolle Ressource des öffentlichen Sektors. Die Zielrichtungen eines besseren Wissensmanagements sind vielfältig: Sie reichen von Führungs- und Gemeindeinformationssystemen mit Dokumentationen der Finanzen, Produkte und Prozesse über Rechtsinformationssysteme bis hin zu Bürgerinformationssystemen, können aber auch Beratung der Politik durch die Bürger sein.
Zusammenfassend läßt sich festhalten: Der Bürger wird Produzent und Konsument zugleich ("Prosument"), Verwaltungen operieren kosten- und leistungsbewußter, die Demokratisierung der Gesellschaft wird vorangetrieben. E-Government verschafft den Zugang zu einem gleichzeitig "aktivierenden" wie "effizienten Staat", der nicht als "Kostensenkungsmaschine" ("schlanker Staat") arbeitet - was meistens eine Verschlechterung der Dienstleistungsqualität bedeutet -, sondern das Wissen und die Meinungen seiner Bürger stärker ins Spiel bringt. Auf diese Weise bedeutet der partielle Rückzug nicht etwa eine Schwächung, sondern die Stärkung des Staates.
In Deutschland steht diese Entwicklung erst am Anfang. Die Restriktionen reichen von den zu erwartenden hohen Investitionskosten über den Fachkräftebedarf bei den Kommunen, Software-Probleme bis hin zum fehlenden Zugang für Angestellte zum Internet. Zwar beginnt auch hier die Politik mit neuen Regeln zu operieren wie etwa mit "zivilgesellschaftlichen" Momenten einer stärkeren Redelegation von öffentlichen Aufgaben an die Bürger. Damit will sie sich zum einen von der Überlast des Wohlfahrtsstaates befreien (und damit den Bürger fairer bedienen), zum anderen soll sie mit Hilfe des Wissens der Bürger die politischen Entscheidungen qualifizieren.
Insgesamt trägt die erklärte Absicht der Regierung: "Weniger staatliche Fürsorge, mehr Freiheit für die Wirtschaft" bislang noch wenig Früchte. Noch immer ist Deutschland mit seiner Staatsquote international führend - immerhin doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten. Ob das von den Autoren zitierte britische Beispiel einer systematischen Privatfinanzierung von öffentlichen Gütern allerdings tatsächlich die Lösung ist, bleibt in jedem einzelnen Fall kritisch zu prüfen. Die zunehmende Ineffizienz zahlreicher aus dem öffentlichen Gesamtinvestitionsetat in eine privatfinanzierte Projektierung überführter Bereiche läßt das britische Modell zumindest als fragwürdigen Erfolg erscheinen.
Viel fraglicher aber ist, ob die Bürger die aus diesem Modell theoretisch erwachsenden größeren Partizipationschancen über das Internet überhaupt nutzen. Noch fehlen die interaktiven Angebote. Lediglich erste Formulare sind auf den www-Seiten abrufbar - ein Hinweis auf einen wahrscheinlich lang andauernden Prozeß der Ausbreitung.
STEFAN FRÖHLICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Informationstechnologische Seiten der Verwaltungsmodernisierung
Stephan A. Jansen/Birger P. Priddat: Electronic Government. Neue Potentiale für einen modernen Staat. Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 184 Seiten, 39,50 Mark.
"Electronic Government" bezeichnet nicht nur die informationstechnologische Seite der Verwaltungsmodernisierung, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für Verwaltung und Politik. So lautet die Botschaft des Bandes von Jansen und Priddat, in dem sie die Dimensionen der Virtualisierung des öffentlichen Sektors - der dritten Revolution des Internets - und deren Konsequenzen für das Verhältnis von Politik, Staat, Wirtschaft und Bürgern beschreiben. Es geht um die Stichworte "Kundenorientierung" (Aufbau von digitalen Informations- und Dienstleistungsangeboten für den Bürger), "Auftraggeberorientierung" (elektronische Abwicklung der Beschaffung für die öffentliche Hand) und "Demokratieorientierung" (stärkere Bürgerbeteiligung bei kommunalen Entscheidungen und Planungen über das Internet).
Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft wirkt sich fundamental auf die Städte und Gemeinden aus. Globalisierung und Internationalisierung der Unternehmen ergänzen diesen Prozeß. Der Bürger erwartet mehr Service und Orientierungen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Nicht mehr die Zuständigkeit der Behörden steht im Vordergrund, sondern deren Produkte und Dienstleistungen. Insgesamt sehen die Autoren vier Trends des E-Governments, durch die sich die Beziehung von Verwaltung/Bürger und von Politik/Bürger ändert:
Erstens, der Bürger ist nicht nur Kunde des Staates, sondern sein Wissen fließt in Produkte und Dienstleistungen zunehmend mit ein. Hier reicht das Spektrum von Anträgen auf Sozialhilfe, Verlängerung von Pässen, elektronischen Steuererklärungen bis hin zu Kraftfahrzeuganmeldungen, Ummeldungen beim Einwohnermeldeamt, polizeilichen Führungszeugnissen und Bauanträgen. Zweitens, der Staat stellt sich selbst in Frage, nimmt seine Steuerungsform ("governance") zurück. Auf diese Weise fördert er die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft, schafft ihnen den notwendigen Freiraum und zieht sich selbst auf die Rolle des Moderators zurück. Damit wird der Staat als Organisation offen und kann einen Wettbewerb um seine eigenen staatlichen Dienstleistungen in Gang bringen - denen er seine Existenz verdankt. Voraussetzung dafür ist, daß er geeignete Organisations- und Kooperationsformen anbietet, die die Aufgabenerledigung stabilisieren.
Als dritten Trend bezeichnen die Autoren die zunehmende Realisierung der Politik, daß Wohlfahrtssteigerungen durch die Optimierung der eigenen Aktivitäten zur Wohlfahrtssteigerung zu erzielen sind. Unternehmensberater haben längst entdeckt, welch großes Potential eine Optimierung der staatlichen Wertschöpfungskette bei Staatsquoten von 50 Prozent birgt. Zukünftig werden Regierungen daher entscheiden, aus bestimmten Operationen herauszugehen, vor allem durch Outsourcing ihrer Nebenaufgaben - von der Steuererhebung bis zur Vergabe von Betriebsgenehmigungen. Das wird es ihnen erlauben, sich auf ihre Hauptaufgaben zu konzentrieren.
Bleibt als vierter Trend die wachsende Erkenntnis um die Bedeutung des Faktors Wissen als wertvolle Ressource des öffentlichen Sektors. Die Zielrichtungen eines besseren Wissensmanagements sind vielfältig: Sie reichen von Führungs- und Gemeindeinformationssystemen mit Dokumentationen der Finanzen, Produkte und Prozesse über Rechtsinformationssysteme bis hin zu Bürgerinformationssystemen, können aber auch Beratung der Politik durch die Bürger sein.
Zusammenfassend läßt sich festhalten: Der Bürger wird Produzent und Konsument zugleich ("Prosument"), Verwaltungen operieren kosten- und leistungsbewußter, die Demokratisierung der Gesellschaft wird vorangetrieben. E-Government verschafft den Zugang zu einem gleichzeitig "aktivierenden" wie "effizienten Staat", der nicht als "Kostensenkungsmaschine" ("schlanker Staat") arbeitet - was meistens eine Verschlechterung der Dienstleistungsqualität bedeutet -, sondern das Wissen und die Meinungen seiner Bürger stärker ins Spiel bringt. Auf diese Weise bedeutet der partielle Rückzug nicht etwa eine Schwächung, sondern die Stärkung des Staates.
In Deutschland steht diese Entwicklung erst am Anfang. Die Restriktionen reichen von den zu erwartenden hohen Investitionskosten über den Fachkräftebedarf bei den Kommunen, Software-Probleme bis hin zum fehlenden Zugang für Angestellte zum Internet. Zwar beginnt auch hier die Politik mit neuen Regeln zu operieren wie etwa mit "zivilgesellschaftlichen" Momenten einer stärkeren Redelegation von öffentlichen Aufgaben an die Bürger. Damit will sie sich zum einen von der Überlast des Wohlfahrtsstaates befreien (und damit den Bürger fairer bedienen), zum anderen soll sie mit Hilfe des Wissens der Bürger die politischen Entscheidungen qualifizieren.
Insgesamt trägt die erklärte Absicht der Regierung: "Weniger staatliche Fürsorge, mehr Freiheit für die Wirtschaft" bislang noch wenig Früchte. Noch immer ist Deutschland mit seiner Staatsquote international führend - immerhin doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten. Ob das von den Autoren zitierte britische Beispiel einer systematischen Privatfinanzierung von öffentlichen Gütern allerdings tatsächlich die Lösung ist, bleibt in jedem einzelnen Fall kritisch zu prüfen. Die zunehmende Ineffizienz zahlreicher aus dem öffentlichen Gesamtinvestitionsetat in eine privatfinanzierte Projektierung überführter Bereiche läßt das britische Modell zumindest als fragwürdigen Erfolg erscheinen.
Viel fraglicher aber ist, ob die Bürger die aus diesem Modell theoretisch erwachsenden größeren Partizipationschancen über das Internet überhaupt nutzen. Noch fehlen die interaktiven Angebote. Lediglich erste Formulare sind auf den www-Seiten abrufbar - ein Hinweis auf einen wahrscheinlich lang andauernden Prozeß der Ausbreitung.
STEFAN FRÖHLICH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Die informationstechnologische Seite" der Verwaltungsreform, übersetzt Stephan Fröhlich den Titel "E-Government": Welche Auswirkungen hat das Internet in der Verwaltung für das Verhältnis von Politik, Staat, Wirtschaft und Bürgern? Kundenorientierung, elektronische Materialbeschaffung und verstärkte Bürgerbeteiligung nennt der Rezensent hier als Stichworte. Fröhlich erfährt von "Trends", durch die sich die Beziehung von Verwaltung, Bürgern und Politik ändert: Die Bevölkerung müsse bessere Möglichkeiten haben, ihr Wissen in "Produkte und Dienstleistungen der Verwaltung" einzubringen; der Staat müsse der Gesellschaft mehr Freiräume lassen; schließlich fordern die Autoren laut Fröhlich ein besseres "Wissensmanagement". Der Rezensent weist darauf hin, dass diese Entwicklung in der Bundesrepublik gerade erst anfängt. Er wirft außerdem die Frage auf, ob die Bürger überhaupt an den skizzierten Veränderungen interessiert sind; darüber wisse man wenig. Leider enthält sich der Rezensent einer Wertung dieser Arbeit - aber sie hat ihn ja zu einer Menge eigener Gedanken angeregt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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