Produktdetails
- Verlag: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins
- ISBN-13: 9783807701905
- ISBN-10: 3807701907
- Artikelnr.: 24080372
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Pünktlich zum Tag der Berliner Love Parade bespricht Ralph Hammerthaler das Buch von Gabriele Klein, mit dem die Techno-Szene praktisch wie theoretisch unter die Lupe genommen wird. In der Techno-Szene stehen Körperlichkeit und Genuss an erster Stelle, darin kann der Rezensent der Autorin folgen, was gegen den Anschein häufig mit Triebverzicht oder zumindest Triebaufschub verbunden sei. (Aufschlussreich in diesem Zusammenhang, worin sich die Tanzstile der 70er und 90er Jahre unterscheiden, oder wie sich das Flirtverhalten verändert hat.) Für etwas übertrieben hält Hammerthaler Kleins Mutmaßungen über den politischen Charakter von Veranstaltungen wie die Love Parade. Auch hat sie für seinen Geschmack etwas zu viel theoretisches Geschütz gegen die Adornosche These von der kulturindustriellen Massenmanipulation ins Feld geführt. So schieße Klein im Eifer des Gefechts über das Ziel hinausschieße, wenn sie den Körper als den eigentlichen Adressaten der Kulturindustrie proklamiere. Ein Fehltreffer, der laut Hammerthaler am Verdienst dieses Buches nichts zu ändern vermag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.1999Heutzutage tanzt man eher offen
Selbst die geschlossene Gesellschaft der Techno-Clubs steckt voller Freiheiten: Gabriele Klein sucht in der Jugendszene ihren soziologischen Rhythmus
Wer ins Zentrum heutiger Jugendkultur vordringen will, muss sich nicht selten an den Rand der Stadt begeben. Der Puls der Freizeit schlägt in stillgelegten Fabrikhallen, ausgedienten Speichern, Gasometern und E-Werken: Wo einst Stechuhr und Sirenen Arbeitern Beine machten, gönnt heute der Techno-DJ den Tänzern keine Ruhepause. Mit den halb legalen Anfängen der schlecht beleumundeten Rave-Kultur allein ist nicht zu erklären, warum Jugendliche ausgesprochen gerne Ruinen der Industriegesellschaft zu Kultstätten der Zerstreuung küren. Die Trendforscher Adorno und Horkheimer hatten in der "Dialektik der Aufklärung" eine Erklärung parat: "Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus . . . Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße." Die durchtanzte Nacht als Akkordarbeit, als perfide Mimesis an die Leistungsgesellschaft: Am Rave wird anschaulich, was mit Kulturindustrie gemeint ist. Kann es Zufall sein, dass Frankfurt als Mekka der Techno-Bewegung gilt?
Die Soziologin Gabriele Klein nähert sich in ihrer umfangreichen Studie "Electronic Vibration" dem Phänomen Techno auf dem Umweg über ein kulturtheoretisches Studium generale: erst die Arbeit am Begriff, dann das Vergnügen der Anschauung. Das hat seine Berechtigung; zur Oberseminarszeit ist in den Tanztempeln ohnehin noch nichts los. Klein hat ihre Frankfurter gelesen, die backsteinschwere Suhrkamp-Werkausgabe aber an der Garderobe ihres Clubs abgegeben, so dass sie trotz ihrer Vorbildung zu einer differenzierten Analyse und Bewertung der wichtigsten Jugendkultur der neunziger Jahre kommt.
Bei der "Raving Society" (Jürgen Laarmann) scheinen die Zangen traditioneller Gesellschaftskritik nicht zu greifen. Die britischen Cultural Studies haben gegen den kritisch-theoretischen Mainstream seit den siebziger Jahren eine Underground-Variante der Popkulturforschung entwickelt, in der der Konsument und sein kreativer Umgang mit dem vorgegebenen Material die erste Geige, pardon: Gitarre spielen. Begriffe wie "Subversion" oder "Abweichung" gehören seitdem zu den Evergreens jeder Debatte über Popkultur. Ein Massenphänomen wie Techno lässt sich aber nicht mehr als Gegenkultur begreifen. Raver trennen in der Regel klar zwischen ihrem durchaus gewöhnlichen Schul- oder Berufsalltag und ihren Nachtschichten am Wochenende. Techno ist keine Abstimmung mit den Füßen, sondern, wenn überhaupt, eine Jugendbewegung auf Teilzeitbasis.
Kleins Kritik richtet sich gegen eine nachträgliche Politisierung von "Pop" durch den akademischen Diskurs, deren Resultat seine Entkörperlichung ist. Popkultur spielt sich nach Klein vor allem auf dem Dancefloor ab, als Massenbewegung im Wortsinn, als "Körperpraxis": "Medium der Erfahrung ist der Tanz, der dem Einzelnen temporär die Aufhebung seiner Ich-Grenzen suggeriert." Musik geht zuerst in die Beine und nicht in die Birne.
Was allerdings an dieser Körperlichkeit am Ende doch "politische Widerstandskraft" entfalten soll, bleibt rätselhaft. Mit gleichem Recht könnte man auch Bungee-Jumping, Finnisches Saunen oder Triathlon zum Widerstandsakt erklären. So viele Haken sie auf der Tanzfläche auch schlägt, Klein gerät immer wieder in den Scheinwerferkegel der Kritischen Theorie. Mit Walter Benjamin sieht sie in der Selbstbewusstwerdung der Masse, ihrem Umschlag ins "Kollektiv" das Telos der Rave-Gemeinschaft. Aber ist das nicht ebenso ideologisch wie die Abqualifizierung der Tänzer als zugedröhnte Horde von Kryptofaschisten durch die Torwächter der Kultur?
Von Triebstrukturen redet Klein nicht. Dabei hatte der Techno-Kritiker Adorno schon richtig erkannt, dass Kulturindustrie nicht "sublimiert, sondern unterdrückt. Indem sie das Begehrte immer wieder exponiert, den Busen im Sweater und den nackten Oberkörper des sportlichen Helden, stachelt sie bloß die unsublimierte Vorlust auf, die durch die Gewohnheit der Versagung längst zur masochistischen verstümmelt ist." Statt immer um den heißen Blick herumzureden, muss man einmal klar sagen: Es geht beim Tanzen auch um das Phantasma einer "befreiten" Sexualität, um eine imaginäre Entlastung von triebunterdrückenden gesellschaftlichen Zwängen. Die Übersexualisierung, die die Raver durch (Nicht-)Bekleidung oder aufreizende Tanzstile selbst thematisieren, wird bei Klein unter ein unbestimmt bleibendes "Körperbewusstsein" zusammengefasst.
"Sex and Drugs and Rock 'n' Roll": An ihrem Verhältnis zu diesen drei Gestalten des Dionysos muss sich jeder Versuch einer Theodizee der Popkultur messen lassen. Während Klein die Besonderheiten des Geschlechterverhältnisses im Zeitalter von Aids und unklaren sexuellen Identitäten immerhin streift, kommt der spezifischen Wirkung von Partydrogen wie Ecstasy kaum Beachtung zu. Auch schenkt sie sich eine nähere Beschäftigung mit der Musik. Die meisten ihrer Beobachtungen könnten auch auf die Disco-Welle der Siebziger, auf Punk oder Grunge zutreffen. Um die Bedeutung des Körpers beim Raven oder Pogen festzustellen, bedarf es aber keiner ausgefeilten Methode, sondern da reicht eine falsche Bewegung auf der überfüllten Tanzfläche. In der Nacht sind alle Flecken blau.
Obwohl die Hauptthese allzu abstrakt bleibt, muss man anerkennen, dass Klein sich offenbar so manche Freitagnacht aus dem Lehnstuhl der Kultursoziologie hat herausreißen lassen. Gegenüber der Fülle an erhellenden Detailbeobachtungen fällt es weniger ins Gewicht, dass die theoretischen Bezugsrahmen nicht wirklich miteinander ins Gespräch gebracht werden. Klein bedient sich des "Cut 'n' Mix", eines Verfahrens, das für die Techno-Musik stilbildend geworden ist. Das ist in diesem Fall produktiver als ein methodisches Festnageln des allzu beweglichen Gegenstandes. Ein weiteres Plus ihres Buches ist seine opulente Bebilderung, die auch in Trockenzeiten der Argumentation an die Sinnlichkeit des Gegenstandes erinnert. Wenn künftigen Pop-Theoretikern auch von zähneknirschenden Türstehern Einlass gewährt wird, an dem hier gesetzten Standard kommen sie nicht mehr vorbei.
RICHARD KÄMMERLINGS
Gabriele Klein: "Electronic Vibration". Pop Kultur Theorie. Rogner & Bernhard, Hamburg 1999. 352 S., 50 Farb- und S/W-Abb., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbst die geschlossene Gesellschaft der Techno-Clubs steckt voller Freiheiten: Gabriele Klein sucht in der Jugendszene ihren soziologischen Rhythmus
Wer ins Zentrum heutiger Jugendkultur vordringen will, muss sich nicht selten an den Rand der Stadt begeben. Der Puls der Freizeit schlägt in stillgelegten Fabrikhallen, ausgedienten Speichern, Gasometern und E-Werken: Wo einst Stechuhr und Sirenen Arbeitern Beine machten, gönnt heute der Techno-DJ den Tänzern keine Ruhepause. Mit den halb legalen Anfängen der schlecht beleumundeten Rave-Kultur allein ist nicht zu erklären, warum Jugendliche ausgesprochen gerne Ruinen der Industriegesellschaft zu Kultstätten der Zerstreuung küren. Die Trendforscher Adorno und Horkheimer hatten in der "Dialektik der Aufklärung" eine Erklärung parat: "Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus . . . Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße." Die durchtanzte Nacht als Akkordarbeit, als perfide Mimesis an die Leistungsgesellschaft: Am Rave wird anschaulich, was mit Kulturindustrie gemeint ist. Kann es Zufall sein, dass Frankfurt als Mekka der Techno-Bewegung gilt?
Die Soziologin Gabriele Klein nähert sich in ihrer umfangreichen Studie "Electronic Vibration" dem Phänomen Techno auf dem Umweg über ein kulturtheoretisches Studium generale: erst die Arbeit am Begriff, dann das Vergnügen der Anschauung. Das hat seine Berechtigung; zur Oberseminarszeit ist in den Tanztempeln ohnehin noch nichts los. Klein hat ihre Frankfurter gelesen, die backsteinschwere Suhrkamp-Werkausgabe aber an der Garderobe ihres Clubs abgegeben, so dass sie trotz ihrer Vorbildung zu einer differenzierten Analyse und Bewertung der wichtigsten Jugendkultur der neunziger Jahre kommt.
Bei der "Raving Society" (Jürgen Laarmann) scheinen die Zangen traditioneller Gesellschaftskritik nicht zu greifen. Die britischen Cultural Studies haben gegen den kritisch-theoretischen Mainstream seit den siebziger Jahren eine Underground-Variante der Popkulturforschung entwickelt, in der der Konsument und sein kreativer Umgang mit dem vorgegebenen Material die erste Geige, pardon: Gitarre spielen. Begriffe wie "Subversion" oder "Abweichung" gehören seitdem zu den Evergreens jeder Debatte über Popkultur. Ein Massenphänomen wie Techno lässt sich aber nicht mehr als Gegenkultur begreifen. Raver trennen in der Regel klar zwischen ihrem durchaus gewöhnlichen Schul- oder Berufsalltag und ihren Nachtschichten am Wochenende. Techno ist keine Abstimmung mit den Füßen, sondern, wenn überhaupt, eine Jugendbewegung auf Teilzeitbasis.
Kleins Kritik richtet sich gegen eine nachträgliche Politisierung von "Pop" durch den akademischen Diskurs, deren Resultat seine Entkörperlichung ist. Popkultur spielt sich nach Klein vor allem auf dem Dancefloor ab, als Massenbewegung im Wortsinn, als "Körperpraxis": "Medium der Erfahrung ist der Tanz, der dem Einzelnen temporär die Aufhebung seiner Ich-Grenzen suggeriert." Musik geht zuerst in die Beine und nicht in die Birne.
Was allerdings an dieser Körperlichkeit am Ende doch "politische Widerstandskraft" entfalten soll, bleibt rätselhaft. Mit gleichem Recht könnte man auch Bungee-Jumping, Finnisches Saunen oder Triathlon zum Widerstandsakt erklären. So viele Haken sie auf der Tanzfläche auch schlägt, Klein gerät immer wieder in den Scheinwerferkegel der Kritischen Theorie. Mit Walter Benjamin sieht sie in der Selbstbewusstwerdung der Masse, ihrem Umschlag ins "Kollektiv" das Telos der Rave-Gemeinschaft. Aber ist das nicht ebenso ideologisch wie die Abqualifizierung der Tänzer als zugedröhnte Horde von Kryptofaschisten durch die Torwächter der Kultur?
Von Triebstrukturen redet Klein nicht. Dabei hatte der Techno-Kritiker Adorno schon richtig erkannt, dass Kulturindustrie nicht "sublimiert, sondern unterdrückt. Indem sie das Begehrte immer wieder exponiert, den Busen im Sweater und den nackten Oberkörper des sportlichen Helden, stachelt sie bloß die unsublimierte Vorlust auf, die durch die Gewohnheit der Versagung längst zur masochistischen verstümmelt ist." Statt immer um den heißen Blick herumzureden, muss man einmal klar sagen: Es geht beim Tanzen auch um das Phantasma einer "befreiten" Sexualität, um eine imaginäre Entlastung von triebunterdrückenden gesellschaftlichen Zwängen. Die Übersexualisierung, die die Raver durch (Nicht-)Bekleidung oder aufreizende Tanzstile selbst thematisieren, wird bei Klein unter ein unbestimmt bleibendes "Körperbewusstsein" zusammengefasst.
"Sex and Drugs and Rock 'n' Roll": An ihrem Verhältnis zu diesen drei Gestalten des Dionysos muss sich jeder Versuch einer Theodizee der Popkultur messen lassen. Während Klein die Besonderheiten des Geschlechterverhältnisses im Zeitalter von Aids und unklaren sexuellen Identitäten immerhin streift, kommt der spezifischen Wirkung von Partydrogen wie Ecstasy kaum Beachtung zu. Auch schenkt sie sich eine nähere Beschäftigung mit der Musik. Die meisten ihrer Beobachtungen könnten auch auf die Disco-Welle der Siebziger, auf Punk oder Grunge zutreffen. Um die Bedeutung des Körpers beim Raven oder Pogen festzustellen, bedarf es aber keiner ausgefeilten Methode, sondern da reicht eine falsche Bewegung auf der überfüllten Tanzfläche. In der Nacht sind alle Flecken blau.
Obwohl die Hauptthese allzu abstrakt bleibt, muss man anerkennen, dass Klein sich offenbar so manche Freitagnacht aus dem Lehnstuhl der Kultursoziologie hat herausreißen lassen. Gegenüber der Fülle an erhellenden Detailbeobachtungen fällt es weniger ins Gewicht, dass die theoretischen Bezugsrahmen nicht wirklich miteinander ins Gespräch gebracht werden. Klein bedient sich des "Cut 'n' Mix", eines Verfahrens, das für die Techno-Musik stilbildend geworden ist. Das ist in diesem Fall produktiver als ein methodisches Festnageln des allzu beweglichen Gegenstandes. Ein weiteres Plus ihres Buches ist seine opulente Bebilderung, die auch in Trockenzeiten der Argumentation an die Sinnlichkeit des Gegenstandes erinnert. Wenn künftigen Pop-Theoretikern auch von zähneknirschenden Türstehern Einlass gewährt wird, an dem hier gesetzten Standard kommen sie nicht mehr vorbei.
RICHARD KÄMMERLINGS
Gabriele Klein: "Electronic Vibration". Pop Kultur Theorie. Rogner & Bernhard, Hamburg 1999. 352 S., 50 Farb- und S/W-Abb., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main