In the same delectable format as The Matisse Stories, this collection deals with betrayal and loyalty, quests and longings, loneliness and passion - the mysterious absences at the heart of the fullest lives.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002Wattierte Welt mit Kühlsystem
Antonia S. Byatts elegante Stories / Von Heinrich Wefing
Es ist unmöglich, über das Werk der britischen Schriftstellerin Antonia S. Byatt zu schreiben, ohne das Wort "elegant" zu gebrauchen. Spätestens seit ihrem auch in Deutschland fabelhaft erfolgreichen Roman "Besessen", einer vielfach verspiegelten Verschränkung von Detektivgeschichte, Gelehrtensatire und Romanze, gilt sie als Meisterin der raffinierten Form. Und die sechs "Geschichten von Feuer und Eis", die nun, vier Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung, auf deutsch erschienen sind, festigen diesen Ruf.
Die Geschichten, die von Alter und Abschied, vom Schauen und Erinnern, von Farben und Licht handeln, sind allesamt von einer feinen Gelehrsamkeit. Sie stecken voller Verweise auf Kunst, Musik und Literatur, ohne mit dem Zitatenschatz zu protzen. Die Anspielungen scheinen wie von leichter Hand eingewoben, weniger aufdringlich als in einigen der frühen Romane der Autorin. In der ersten, längsten und vielleicht bedeutendsten Erzählung des Bändchens, "Krokodilstränen", kollabiert die Hauptfigur Patricia, eine kultivierte britische Unternehmerin Mitte Fünfzig auf der Flucht vor dem Tod ihres Mannes, nicht irgendwo unter der sengenden provençalischen Sonne, sondern ausgerechnet auf den Stufen des Maison Carrée in Nîmes. Eine gewissermaßen bildungsbürgerliche Ohnmacht, ganz nach dem Geschmack der Literaturwissenschaftlerin A. S. Byatt.
Wie die Eisprinzessin Fiammarosa in der märchenhaften Erzählung "Heiß und Kalt", die im Wüstenreich ihres Prinzen nur in einer Höhle mit kunstvoll ersonnenen Kristallgärten und intrikaten Kühlsystemen überleben kann, bewegen sich Byatts Figuren in einer wattierten Welt ohne hitzige Leidenschaft. Nicht Fleischeslust oder Lebensgier treibt sie, sondern verfeinerte Passionen: "Sie aß Loup de mer, ein kleines silbernes Fischquadrat mit einem Gitter goldener Linien auf einem Bett aus schmelzendem Fenchel; sie aß rote Beeren in einem Förmchen aus Bitterschokolade; sie trank Pouilly-Fumé. Die Schlichtheit bedeutete höchsten Genuß. Sie aß formvollendet."
Auch ihre Tage bringen Byatts Akteure formvollendet zu. Patricia versucht im Garten eines Luxushotels Proust zu lesen, um sich in die Einsamkeit einzuüben, und sinnt über eine Polke-Ausstellung im gläsernen Carré d'Art nach, dem unendlich eleganten Werk eines anderen Engländers, Norman Foster. Ihr zufälliger Reisebegleiter Nils Isaken studiert die antiken Soldatengräber von Nîmes oder gibt jedenfalls vor, sich den römischen Gefallenen zu widmen, während ihn in Wahrheit andere Tote umtreiben. Ein weiterer von Byatts britischen Flüchtlingen in Frankreich, der Maler Bernard, widersteht den Verlockungen einer verzauberten Wasserschlange in den Cevennen, die er mit einem einzigen Kuß in die begehrenswerteste Frau verwandeln könnte. Er zögert, weil er anderen Reizen erlegen ist, weil er sich mehr für die tausenderlei Schattierungen der Schlangenhaut interessiert, für die karmesinroten Balken und purpurnen Streifen, die er zu malen versucht: "Er wollte unbedingt, daß sie in seinem Schwimmbecken blieb, in ihrer gegenwärtigen Gestalt, bis er das Problem der Farben gelöst hatte, und eine faustische Verdammnis hätte er fast in Kauf genommen."
Aber eben nur beinahe. Das Wörtchen "fast" ist so etwas wie das Schlüsselwort zu Byatts Geschichten. Sie beschreiben Menschen, die Abstand wahren. "Wie soll man entscheiden, wann man aufhört, etwas zu betrachten?" grübelt Patricia in der ersten Geschichte, während sie durch eine Galerie schlendert, und diese delikate Frage deutet das Erkenntnisinteresse aller Erzählungen an. Sie erforschen ein Terrain am Rande der Entscheidungen und Ereignisse, ein Königreich des Konjunktivs. Bernard läuft gar keine Gefahr, sich tatsächlich zwischen der Malerei und dem schillernden Fabelwesen entscheiden zu müssen, da ihm ein zupackender Freund zuvorkommt und ein Prachtweib mit "herrischen Brüsten und perlengleichen Zähnen" von dannen führt. In der Geschichte "Jael" denkt eine alternde Werbefilmerin lange über eine Jugendsünde nach, die sie nie begangen hat. "Ich habe das Gegenteil von Alzheimer, ich erinnere mich an Dinge, die mit Sicherheit nicht passiert sind." Selbst in der ereignisreichsten Erzählung, dem atemlosen Albtraum "Pennerin", geschieht kaum mehr, als daß die vornehme Daphne Gulver-Robinson in einer labyrinthischen Einkaufspassage irgendwo in Indien oder Indonesien die Orientierung verliert und schließlich in einer Toilette Zuflucht sucht, die Kreditkarten verschwunden, das Make-up zerlaufen, die Seidenstrümpfe zerrissen. In einer asiatischen Shopping mall gestrandet: Das ist die verstörendste Phantasie, die sich Byatt erlaubt.
Dem schönen Büchlein eignet durchweg eine Distanz zu den Dingen, die man zutiefst britisch nennen wollte, wäre sie nicht längst der geheime Wesenszug aller abendländischen Vollkaskogesellschaften. Das Erstaunliche an Byatts eher kühlen denn feurigen Geschichten besteht darin, daß ihre ausgesuchte Eleganz keineswegs langweilt, sondern fesselt. Ihre Erzählungen entfalten einen subtilen Sog, dem man sich gern ergibt. Sie beziehen ihre Spannung nicht aus rasanten Plots, sondern aus der Fülle exquisiter Details, aus der Präzision der Beobachtung und der schwebenden Leichtigkeit ihres Stils. A. S. Byatts "Geschichten von Feuer und Eis" sind Meisterwerke der Miniatur, handkoloriert und tiefenscharf, transparent und reicher als viele Breitwandgemälde der Gegenwartsliteratur.
Antonia S. Byatt: "Geschichten von Feuer und Eis". Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 158 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Antonia S. Byatts elegante Stories / Von Heinrich Wefing
Es ist unmöglich, über das Werk der britischen Schriftstellerin Antonia S. Byatt zu schreiben, ohne das Wort "elegant" zu gebrauchen. Spätestens seit ihrem auch in Deutschland fabelhaft erfolgreichen Roman "Besessen", einer vielfach verspiegelten Verschränkung von Detektivgeschichte, Gelehrtensatire und Romanze, gilt sie als Meisterin der raffinierten Form. Und die sechs "Geschichten von Feuer und Eis", die nun, vier Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung, auf deutsch erschienen sind, festigen diesen Ruf.
Die Geschichten, die von Alter und Abschied, vom Schauen und Erinnern, von Farben und Licht handeln, sind allesamt von einer feinen Gelehrsamkeit. Sie stecken voller Verweise auf Kunst, Musik und Literatur, ohne mit dem Zitatenschatz zu protzen. Die Anspielungen scheinen wie von leichter Hand eingewoben, weniger aufdringlich als in einigen der frühen Romane der Autorin. In der ersten, längsten und vielleicht bedeutendsten Erzählung des Bändchens, "Krokodilstränen", kollabiert die Hauptfigur Patricia, eine kultivierte britische Unternehmerin Mitte Fünfzig auf der Flucht vor dem Tod ihres Mannes, nicht irgendwo unter der sengenden provençalischen Sonne, sondern ausgerechnet auf den Stufen des Maison Carrée in Nîmes. Eine gewissermaßen bildungsbürgerliche Ohnmacht, ganz nach dem Geschmack der Literaturwissenschaftlerin A. S. Byatt.
Wie die Eisprinzessin Fiammarosa in der märchenhaften Erzählung "Heiß und Kalt", die im Wüstenreich ihres Prinzen nur in einer Höhle mit kunstvoll ersonnenen Kristallgärten und intrikaten Kühlsystemen überleben kann, bewegen sich Byatts Figuren in einer wattierten Welt ohne hitzige Leidenschaft. Nicht Fleischeslust oder Lebensgier treibt sie, sondern verfeinerte Passionen: "Sie aß Loup de mer, ein kleines silbernes Fischquadrat mit einem Gitter goldener Linien auf einem Bett aus schmelzendem Fenchel; sie aß rote Beeren in einem Förmchen aus Bitterschokolade; sie trank Pouilly-Fumé. Die Schlichtheit bedeutete höchsten Genuß. Sie aß formvollendet."
Auch ihre Tage bringen Byatts Akteure formvollendet zu. Patricia versucht im Garten eines Luxushotels Proust zu lesen, um sich in die Einsamkeit einzuüben, und sinnt über eine Polke-Ausstellung im gläsernen Carré d'Art nach, dem unendlich eleganten Werk eines anderen Engländers, Norman Foster. Ihr zufälliger Reisebegleiter Nils Isaken studiert die antiken Soldatengräber von Nîmes oder gibt jedenfalls vor, sich den römischen Gefallenen zu widmen, während ihn in Wahrheit andere Tote umtreiben. Ein weiterer von Byatts britischen Flüchtlingen in Frankreich, der Maler Bernard, widersteht den Verlockungen einer verzauberten Wasserschlange in den Cevennen, die er mit einem einzigen Kuß in die begehrenswerteste Frau verwandeln könnte. Er zögert, weil er anderen Reizen erlegen ist, weil er sich mehr für die tausenderlei Schattierungen der Schlangenhaut interessiert, für die karmesinroten Balken und purpurnen Streifen, die er zu malen versucht: "Er wollte unbedingt, daß sie in seinem Schwimmbecken blieb, in ihrer gegenwärtigen Gestalt, bis er das Problem der Farben gelöst hatte, und eine faustische Verdammnis hätte er fast in Kauf genommen."
Aber eben nur beinahe. Das Wörtchen "fast" ist so etwas wie das Schlüsselwort zu Byatts Geschichten. Sie beschreiben Menschen, die Abstand wahren. "Wie soll man entscheiden, wann man aufhört, etwas zu betrachten?" grübelt Patricia in der ersten Geschichte, während sie durch eine Galerie schlendert, und diese delikate Frage deutet das Erkenntnisinteresse aller Erzählungen an. Sie erforschen ein Terrain am Rande der Entscheidungen und Ereignisse, ein Königreich des Konjunktivs. Bernard läuft gar keine Gefahr, sich tatsächlich zwischen der Malerei und dem schillernden Fabelwesen entscheiden zu müssen, da ihm ein zupackender Freund zuvorkommt und ein Prachtweib mit "herrischen Brüsten und perlengleichen Zähnen" von dannen führt. In der Geschichte "Jael" denkt eine alternde Werbefilmerin lange über eine Jugendsünde nach, die sie nie begangen hat. "Ich habe das Gegenteil von Alzheimer, ich erinnere mich an Dinge, die mit Sicherheit nicht passiert sind." Selbst in der ereignisreichsten Erzählung, dem atemlosen Albtraum "Pennerin", geschieht kaum mehr, als daß die vornehme Daphne Gulver-Robinson in einer labyrinthischen Einkaufspassage irgendwo in Indien oder Indonesien die Orientierung verliert und schließlich in einer Toilette Zuflucht sucht, die Kreditkarten verschwunden, das Make-up zerlaufen, die Seidenstrümpfe zerrissen. In einer asiatischen Shopping mall gestrandet: Das ist die verstörendste Phantasie, die sich Byatt erlaubt.
Dem schönen Büchlein eignet durchweg eine Distanz zu den Dingen, die man zutiefst britisch nennen wollte, wäre sie nicht längst der geheime Wesenszug aller abendländischen Vollkaskogesellschaften. Das Erstaunliche an Byatts eher kühlen denn feurigen Geschichten besteht darin, daß ihre ausgesuchte Eleganz keineswegs langweilt, sondern fesselt. Ihre Erzählungen entfalten einen subtilen Sog, dem man sich gern ergibt. Sie beziehen ihre Spannung nicht aus rasanten Plots, sondern aus der Fülle exquisiter Details, aus der Präzision der Beobachtung und der schwebenden Leichtigkeit ihres Stils. A. S. Byatts "Geschichten von Feuer und Eis" sind Meisterwerke der Miniatur, handkoloriert und tiefenscharf, transparent und reicher als viele Breitwandgemälde der Gegenwartsliteratur.
Antonia S. Byatt: "Geschichten von Feuer und Eis". Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 158 S., geb., 18,90 [Euro].
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