Wasser, Feuer, Erde, Luft - die Urprinzipien der Welt. Vier Elemente, aus denen jedes Sein besteht. Franz Josef Czernin macht diese mythischen Urkategorien der Elemente nicht nur zum Thema seines Sonettenzyklus, sie prägen die Gedichte auch in ihrer Form. Die Sprache ist von Element-Metaphern wie "ganz Feuer und Flamme" oder "Du bist Luft für mich" durchsetzt und weist mit ihrer Bildhaftigkeit darauf hin, wie tief die Elemente in die Natur der Sprache reichen.
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Worte, wortwörtlich genommen: Franz Josef Czernins Gedichte
Ein moderner Dichter, der nicht aufs Ganze geht, hat seinen Beruf verfehlt. Für Beschreibung und Analyse ist Prosa zuständig, für Stimmungen sorgen Pop-Poeten und Werbetexter, und so bleibt für Lyrik eine Aufgabe, die an Sprachphilosophie grenzt: darzustellen, wie aus den Interferenzen von Wörtern und Gegenständen Wirklichkeit entsteht. Im geglückten poetischen Prozeß läßt sich punktuell der Zusammenhang der Welt als Ganze erfahren. Vertrackterweise ist das fertige Gedicht seinerseits ein ontologischer Zwitter: Gegenstand der Außenwelt, an dem wir Wahrnehmungen machen, und inneres Sprachgeschehen. Das Gedicht, ob es will oder nicht, gehört selbst zum Weltzusammenhang, den es doch erhellen wollte.
Lyriker wie Paul Celan oder Octavio Paz haben die entsprechenden semiotischen Theorien explizit in ihre Gedichte integriert. Franz Josef Czernin, der mit sprachanalytischer Philosophie wohlvertraut ist, kehrt den Blick um. Nicht bloß unser Zeichengebrauch verheddert sich in den Gegenständen, sondern auch der Weltzusammenhang verfängt sich - unser Glück! - in der Sprache. Das klingt metaphysisch, aber jedes Kind muß Metaphysik üben, sobald es die Augen öffnet: Holz verbrennt, Wasser verdunstet, Regen fällt aus der Luft, Schlamm wird zu Ton gebrannt - alles geht ineinander über, und die Konstanten sind schwer erkennbar. Das bis in die frühe Neuzeit hinein wirksame und erst spät durch die chemischen Elemente und jüngst durch den subatomaren Teilchenzoo abgelöste Ordnungssystem der Welt ist dasjenige des Vorsokratikers Empedokles, dessen vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft als Wurzelstränge die Welt in ihren verschiedenen Zuständen durchgängig konstituieren.
Ist aber schon Empedokles' Philosophie alles andere als eine Kinder-Metaphysik, so hat Czernin den Aspekt entdeckt, der die Elemente zum Zündstoff seiner Dichtung macht: Sie sind allgegenwärtig in unserer Sprache. Rede ist flüssig, wir brennen auf etwas, Mienen versteinern, Windiges kommt uns in den Sinn: Die stofflichen Prinzipien der Außenwelt sind das häufigste Deutungsmuster unseres Inneren. Und nicht von ungefähr werden die Zustände der Elemente bei Empedokles durch zwei Kräfte bestimmt, die seit je Herz, Hirn und Zunge der Dichter bewegen: Liebe und Streit.
Czernin führt in 129 Sonetten, zyklisch um die vier Elemente geordnet, die deutsche Sprache und den Menschen in seiner leibhaften Geistigkeit durch einen Prozeß "elementarer" Übertragungen zwischen Himmel und Hölle. Krude Körperlichkeit "verpißt sich, verduftet, geht flöten, verpufft" - oder wird zu einem "honiglecken" und "aus den fingern saugen". Der Körper, "dies eingefleischte kleid", behaftet mit allen Konnotationen der biblischen Schöpfung des Menschen aus dem Staub, vermag zu einem Träger erotischer und intellektueller Freuden zu werden. Bisweilen fallen positiver wie negativer Aspekt - Liebe und Streit - in eins. Das Pronomen "wir" läßt sich bei Czernin oft ebensogut auf das Menschengeschlecht wie auf ein Liebespaar beziehen.
Diese Ambivalenz wie auch das Versmaß des Alexandriners deuten auf den Ursprung von Czernins Kunst in der barocken Sonett-Tradition. Seine Sprache ist allerdings radikal modern: Verknappungen und Auslassungen führen zu einer verstörenden Fremdheit. Hat man aber erst erkannt, daß die Verbalform "siehst" eindeutig die zweite Person impliziert, kann das fehlende Pronomen, wie es etwa im Italienischen oder Lateinischen die Regel ist, leicht hinzugehört werden. Da viele Vorgänge zudem im unpersönlichen Reflexiv spielen, ist der Grund von Czernins abweichender Diktion rasch ersichtlich: Die elementaren Verwandlungen finden an und in Personen statt, diesseits und jenseits subjektiver Willkür. In den Facetten dieser fragmentierten und neu zusammengesetzten Sprache spiegelt sich, kunstvoll gebrochen, die Tradition deutscher Dichtung und antiker Mythen. In das "sonett, brunnen" ist die Kaskade der Brunnengedichte bis Rilke eingegangen, um neu aufgemischt zu werden: ". . . bis welche welle ausbricht, hochsteigt, ausgelassen / zusammenschlägt, dass (unter-, übergang!) im sprung / zu grund getaucht sind ganz; uns überflutend schemen / zu gliedern dergestalt sind bildsam; im entringen / selbst überschäumen, herzerweichend uns einnehmen, / ja, jüngst, im augenblick! wie wir uns jetzt entspringen, / selbst ausgebadet wasser reichen, überströmen, / doch leibhaft, fest aufs neu an all dies licht uns bringen!" Wer Ohren hat zu lesen, wird an dieser Verwandlung deutscher Phrasen in erotische Wortgischt erkennen, daß diese Dichtung nicht bloß aus Philosophie, sondern auch aus Sprachlust erwächst. Was, wie Nestroy und Wittgenstein zeigen, gut zusammenpaßt. Czernins Kunst besteht im Wörtlichnehmen von Worten und Wendungen, die sich in neuen Kontexten bewahrheiten. Wenn etwa die Phrase "aus allen Wolken fallen" im "sonett, auch mit narziss" beim Blick ins Wasser verkehrt wird zu "in alle wolken fallen", so läßt uns diese sprachliche Spiegelung selbstverliebte Reflexion - natürlich auch dichterische! - so unmittelbar einsehen, wie es keine Psychologie vermag.
Einige Gedichttitel verweisen auf Brentano, Heine und Peter Gan; Goethes Sonett "Die Zweifelnden. Die Liebenden" kehrt sogar in jedem der vier Elementzyklen in einer eigenen Übertragung wieder. Schlägt man die zitierten Texte nach, wird man verblüfft durch die Modernität der Tradition: Brentanos klingende Wortvereinzelung, Gans spielerische Tiefe und Goethes konstruktiven Witz liest man nach Czernin mit anderen Augen. Goethes Verse "Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen / Muß Liebesfeuer allgewaltig glühen" könnte sogar als Motto über dem ganzen Band stehen. Ähnliches gilt für die wiederholten Zitate aus Rudolf Borchardts Commedia-Übersetzung, in der alle grammatischen Kühnheiten von Czernins Sprache keimhaft angelegt sind. Borchardts gewaltsame Rückschöpfung eines mittelalterlichen Idioms zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wird unversehens wieder zum Avantgarde-Text. Analog dazu (wenn auch im Furor gemildert) treibt Czernins Dichten aus toten Bereichen der Sprache neue Anschaulichkeit hervor und artikuliert unsere intimsten Erfahrungen neu: Was Wörter wie "anhimmeln", "einräumen" oder "vorschweben" bedeuten, haben wir vor Czernins intellektueller Sprachmagie noch gar nicht gewußt. Die "elemente" sind gewiß nicht einfach zu lesen, aber wer nur ein bißchen Verstand investiert, gewinnt eine Summe gegenwärtiger Poesie. Die gedankliche Kohärenz und der sprachliche Witz dieses Ganzen - das natürlich noch lange nicht alles ist - wird Maß jeder künftigen Dichtung sein.
Wer die Hintergründe Czernins kennenlernen möchte, ohne sich durch ein mehr als zwanzig Bände und zahllose Aufsätze umfassendes Werk hindurchzulesen, der kann dies in dem gleichzeitig erschienenen Bändchen "Voraussetzungen" tun. Auf einen Dialog über "Dichtung und Wissenschaft" folgen zwei Gespräche mit Swedenborg, dem zum Geisterseher gewordenen Naturforscher des achtzehnten Jahrhunderts. Der Dichter übernimmt darin den Part der Rationalität und gestaltet so das Paradox, daß rationale und irrationale Weltdeutung prinzipiell als gleichwertig angesehen werden können - was freilich nur einen naiven Rationalisten überraschen könnte, nicht den abgeklärten Kenner von Engeln und Dämonen. In ganz anderes Territorium führt der Dialog über ein Gedicht aus Heimrad Bäckers Band "nachschrift", das aus nichts anderem besteht als dem Katalog der Reichsgesetzblätter zu Ausgrenzung und Vernichtung der Juden. Wer sich abseits von greller Polemik über die ästhetischen Bedingungen engagierter Kunst klarwerden möchte, wird in Czernins dialogischen Abwägungen verläßliche Kriterien finden. Denn der metaphysische Sprachartist Czernin verfügt über Urteil, Gewissen und Takt. Seine Dichtung setzt das Wissen des historischen Abgrunds voraus.
Franz Josef Czernin: "Voraussetzungen". Vier Dialoge. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2002. 112 S., br., 12,- [Euro].
Franz Josef Czernin: "elemente, sonette". Hanser Verlag, München und Wien 2002. 160 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Thomas Poiss schreibt ausgesprochen angetan über diesen Lyrikband. In 129 Sonetten, die sich Poiss zufolge um die vier Elemente ordnen, führe der als metaphysischer Sprachanalytiker beschriebene Dichter "die deutsche Sprache und den Menschen in seiner leibhaftigen Geistigkeit" durch einen Prozess elementarer Übertragungen zwischen Himmel und Hölle. Der Rezensent sieht "krude Körperlichkeit" sich verpissen, verduften und flötengehen oder auch zu einem Träger intellektueller und erotischer Freude werden. Das Versmaß des Alexandriners deutet für ihn auf den Ursprung dieser Kunst in barocker Sonett-Tradition. Czernins Sprache jedoch findet er "radikal modern" und bewundert daran besonders die Verknappungen und Verfremdungen, die zu einer ihn "verstörenden Fremdheit" führten. In den Facetten dieser fragmentierten und neu zusammengesetzten Sprache sieht er auch, "kunstvoll gebrochen", die Tradition deutscher Dichtung und antiker Mythen sich spiegeln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Wer Ohren hat zu lesen wird erkennen, daß diese Dichtung nicht bloß aus Philosophie, sondern auch aus Sprachlust erwächst." Thomas Poiss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.02 "Seine Lyrik entfaltet eine intensive Art von Sinnlichkeit, schwingt und tönt, dass der Leser tatsächlich zum "augen-, ohrenzeugen" werden kann." Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung, 04.12.02