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Wie alles begann: Der unbekannte Dichter Bob Dylan schrieb 1963 ein langes Poem, das fast vergessen ist und nun von Wolf Biermann höchst lebendig ins Deutsche transportiert wird. Als junger Mann, bevor er der große Sänger und Musiker wurde, den wir heute kennen, schrieb Bob Dylan 1963 ein langes Gedicht mit dem Titel 'Eleven Outlined Epitaphs'. Kaum ein Dylan-Liebhaber kennt es, es wurde halb vergessen und bald ganz überflutet von den immer besser und immer populärer werdenden Songs des Sängers, der für viele auch der bedeutendste Dichter Amerikas ist. Für Wolf Biermann aber ist das Poem 'der…mehr

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Produktbeschreibung
Wie alles begann: Der unbekannte Dichter Bob Dylan schrieb 1963 ein langes Poem, das fast vergessen ist und nun von Wolf Biermann höchst lebendig ins Deutsche transportiert wird.
Als junger Mann, bevor er der große Sänger und Musiker wurde, den wir heute kennen, schrieb Bob Dylan 1963 ein langes Gedicht mit dem Titel 'Eleven Outlined Epitaphs'. Kaum ein Dylan-Liebhaber kennt es, es wurde halb vergessen und bald ganz überflutet von den immer besser und immer populärer werdenden Songs des Sängers, der für viele auch der bedeutendste Dichter Amerikas ist. Für Wolf Biermann aber ist das Poem 'der erste große dichterische Wurf des jungen Mannes aus Minnesota'. Es ist die kraftvolle, sympathisch auf-den-Putz-hau-erische Antrittsrede des Weltpoeten an die Menschheit: 'So bin ich. So bin ich nicht. So will ich dichten. Aber so auf keinen Fall. Solche Menschen sind mir lieb und teuer. Aber solche finde ich zum Kotzen. So will ich leben. So will ich sterben. So liebe ich und so hasse ich. Amen. Ihr geliebten Arschlöcher.'
Wie kommt es zu der aufregenden Kombination Biermann/Dylan? Biermann: 'Weil es verblüffende Parallelen in Dylans Poem gibt zu mir damals in der DDR, zu meiner Situation in genau der gleichen Zeit Anfang der sechziger Jahre, aber in einem extrem anderen Land, vor allem in einer diametral entgegengesetzten Gesellschaftsform.'
Diese Nähe spürt man in Biermanns Übertragung dieses nun zum ersten Mal in Deutsch vorliegenden großen Gedichts Zeile für Zeile. Eine kleine literarische Sensation.
Autorenporträt
Bob Dylan (Robert Allen Zimmermann), geb. 1941 in Duluth/Minnesota. Idol in den 60ern, Star in den 70ern und seither Legende. Dylan hat in den letzten 40 Jahren die Geschichte der populären Musik geprägt wie kein anderer und gilt darüber hinaus als einer der großen und einflussreichsten Lyriker unserer Zeit. Für sein Schaffen wurde er 2016 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2003

Wüste Winde heulen kalt
Transportschäden: Wolf Biermann vergreift sich an Bob Dylan

Dreiundzwanzig Jahre war Bob Dylan alt, als er den ersten, den Ur-Verrat seiner Laufbahn beging. "The Times They Are A-Changin": der Titel seiner dritten Schallplatte signalisierte nicht nur einen politischen, sondern auch einen künstlerischen Umbruch. Zum ersten Mal war dem Album ein Gedichtzyklus beigefügt, ein komplexer Selbstkommentar unter der befremdlichen Überschrift "11 Outlined Epitaphs". Sein Grundthema war die Desertion des Einzelgängers, der Abschied von den Weggefährten wie von den eigenen Idolen. Im Rückblick erwies sich, was auf diesen Epitaphen zu lesen war, als eine Abkehr von den Achtundsechzigern - vier Jahre vor achtundsechzig. Getrieben war dieser radikale Individualismus, den der Frontmann des Folk Movement halb trotzig, halb erschrocken für sich entdeckte, von einem religiösen Reinheitsverlangen, das durch keinen politischen Aktivismus zu stillen war. Mit einem Zitat aus Truffauts Film "Schießen Sie auf den Pianisten" endet das letzte Gedicht: "Music, man, that's where it's at." Dylan fügt hinzu: "It is a religious line."

Keineswegs war dieser Zyklus Dylans erste lyrische Publikation, wohl aber war es die erste, die literarischen Ehrgeiz erkennen ließ. Es sind eilige, nervöse Notate von einer gleichsam witternden Anspannung, frech aus Verletzlichkeit: Weil der Deserteur befürchten muß, auf der Flucht erschossen zu werden, geht er gleich selber zum Angriff über. So anrührend, manchmal eindrucksvoll diese Verse sich lesen - ihnen fehlt das Genie der Songs; sie bleiben das Experiment eines Liederdichters in einem zwar geläufigen, aber nicht geliebten Genre. Der Schauplatzwechsel dient einer Selbstvergewisserung aus der Außenperspektive. Was hier erprobt wird, bildet die Basis eines poetisch-musikalischen Lebenswerks, das sich fortan auf keine Position mehr festlegen ließ außer auf jene "religious line".

Dylan, den "Welt-Poeten", habe er sich nach Shakespeares Sonetten und Katzenelsons jiddischem Poem vorgenommen, erklärt Wolf Biermann im Nachwort zu seiner Übersetzung; an seiner Liebe zu diesen Texten ist so wenig zu zweifeln wie an seiner Hingabe an ein Vorbild, als dessen "Transportarbeiter" er sich in heikler Bescheidenheit ausgibt. Denn leider erweist dieses Bild sich als zutreffend. Mit gröberem Griff, als er es hier getan hat, hätte man Dylans Dichtung schwerlich anpacken können. (Und selten hat man so dankbar an Carl Weissners textnahe Übersetzung von 1975 gedacht wie hier.)

Langvers statt Kurzzeile

Das beginnt schon beim bloßen Umfang. Was bei Dylan 1964 noch kleingedruckt auf ein Plattencover und ein Beilageblatt paßte, dehnt sich hier über hundertsechzig Druckseiten aus, von denen allerdings Biermanns Nachwort allein schon mehr als ein Drittel umfaßt. Wo Dylans Text in hastigen Kurzzeilen dahineilt, schichtet der Transportarbeiter Langvers auf Langvers, viele frei hinzuerfunden; und so schwillt eine Strophe von dreiunddreißig Wörtern an auf ein dreistrophiges Ungetüm von nahezu der sechsfachen Wörterzahl. Wo Dylan einsilbig bleibt, redet sich Biermann in Rage, und es rumpelt und pumpelt, als wären's lauter Wackerstein'.

Dabei läßt er keinen Zweifel daran, daß es auch seine Sache ist, was hier verhandelt wird. In der Tat bietet wohl nichts im Werk des amerikanischen Songpoeten eine geeignetere Projektionsfläche für die Lebens- und Werkgeschichte des Dissidenten Biermann als dieser Zyklus. Und so werden denn dessen eigene Erfahrungen so offen wie ungeniert in Dylans Positionsbestimmung eingetragen, vom englischen Zitat aus Karl Marx' Londoner Briefen über Stalinismus-Anspielungen, die Dylan sich nicht hätte träumen lassen, bis zum Berliner Proletentonfall, dem das Alltagsamerikanisch hier überantwortet wird.

Das ginge soweit in Ordnung, verwechselte Biermann nicht fortwährend seine eigenen Projektionen mit Dylans Poesie - und hätte er etwas mehr Takt- und Stilempfinden. Die Grundfrage des Dissidenten lautet bei Dylan knapp: "Jim Jim / where is our party?" In Biermanns Bearbeitung schwillt sie auf: "Jimmy, o Jim / zu welche Partei / gehörn wa bloß hin?" Da zeigt sich, von der berlinernden Larmoyanz bis zum überflüssigen Reimversuch, das ganze Elend dieses groß gedachten Unternehmens.

Da Biermann die Vorlagen einerseits poetisch aufdonnern, andererseits aber proletarischem Slang annähern will, kommen vor allem Monstren heraus. "The town I was born in holds no memories", steht bei Dylan. Bei Biermann klingt das so: "Erinn'rung hab ich keinen Schimmer an das Kaff / wo ich geboren ward." Der Folksänger Paul Clayton wird zu "Claytons Paul", warum nicht gleich zu Paule? Zugleich aber läßt Biermann, ganz Bildungsbürger, den Hobo aus Hibbing statt des vertrauten Blues und Hillbilly Schubert-Aufnahmen anhören und dabei denken: "Good Old Germany".

Söhne und Lieder

Auch sonst stellt sich stets das erwartbare Bildungszitat ein, vom Wind, dem "himmlischen Kind", bis zu "Wem die Stunde schlägt"; und nichts von alldem steht im Text. Umgekehrt verfehlt der Nachdichter in der Wendung "a wasteland wind whistles" mit sicherem Mißgriff ausgerechnet das poetische Schlüsselwort und schreibt: "wüste Winde heulen kalt". Daß hier jene Serie von T. S. Eliot-Allusionen einsetzt, die bis zu "Time Out Of Mind" reichen wird, bleibt unbemerkt.

Biermanns Mutmaßung, der "Brechtkenner Dylan" (den mit Brecht doch allenfalls eine flüchtige Liaison in Greenwich Village verband) sei womöglich mit Hölderlin vertraut, ist derart abenteuerlich, daß man sie schon wieder glauben möchte. Das macht einem der Übersetzer insofern leicht, als er den entsprechenden Vers gleich auf eigene Faust interpoliert: also auch Dylans "Mauern stehn sprachlos und kalt / im Winde", und nicht minder sprachlos steht der Leser vor diesem Vers. Ähnlich abwegig ist die Spekulation, als Sproß jüdisch-russischer Immigranten müsse Dylan doch mit der "Muttersprache Jiddisch" vertraut gewesen sein und, warum nicht, mit der "Vatersprache Polnisch" auch. Selten hat sich soviel identifikationswillige Begeisterung mit soviel Uninformiertheit gepaart.

Die scheint zeitweise, man muß es leider sagen, auch die Englischkenntnis einzuschließen. Ein Übersetzer, der "Mr. Tambourine Man" als "Ey Mister Tambourine" zitiert und statt "there ain't no place I'm going to" schreibt: "there is no place I'm going to" - sollte man dem wirklich ausgerechnet Dylan anvertrauen? Manchmal ist nicht zu entscheiden, wo die Sachfehler aufhören und die Druckfehler beginnen. Daß Dylans Geburtsname nicht Zimmermann, sondern Zimmerman lautet, gerät hier seitenweise in Vergessenheit; "Sister Morphine" wird dem armen Mick Jagger zu "Sister Murphy" im Munde umgedreht; und daß die "sons of Germany" etwas anderes sind als die "songs of Germany", hätte irgend jemandem vor der Drucklegung auffallen sollen.

In den wenigen Passagen, in denen das Projekt gelingt, spinnt Wolf Biermann aus Bob Dylans wortkargen Versen eine eigenwillige, mit mächtigem Aufwand kommentierte Interlinearversion heraus. Es sind seltene Lichtblicke. Aus der Wiederentdeckung hätte eine wilde, freche Adaption werden können. Aber es wurde nichts daraus. Über den Poeten Dylan kann man aus diesem Band nicht viel mehr erfahren als aus "Winnetou" über die Apachen.

Bob Dylan: "Eleven Outlined Epitaphs". Wolf Biermann: "Elf Entwürfe für meinen Grabstein". Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2003. 160 S., geb., 16,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wolf Biermann ist unser deutscher Bob Dylan! Zumindest scheint dies Biermann selbst so inszenieren zu wollen, meint ein sich in Verrisslaune befindender Willi Winkler. Bob Dylans frühen, "offenbar besinnungslos aufs Tonband geratschten" Text aus dem Jahr 1964 erkenne man jedenfalls in dieser Übersetzung nicht wieder. Dafür die "Biermannsche Großmäuligkeit". Biermann selbst nennt sein Werk immerhin "weder Übersetzung noch Nachdichtung" (alles andere hätte ihm Winkler wohl sehr übel genommen), sondern "ein Rüberschleppen in unsere Sprache". Warum es ein solches Rüberschleppen geben musste, wo es doch schon eine zum Teil sogar sehr gute Übersetzung ins Deutsche gibt, erklärt sich für den Rezensenten weder aus Biermanns "polterndem" und "wortsturzbetrunkenem" Text, noch aus seinem "gesteinslawinenhaften Nachwort", so Winkler. Biermann kümmere sich nicht um Dylans "Zeilenfall", schreibe am Ton vorbei, in völlig unverständlichen Stilsprüngen, mische viel "Brecht, Hölderlin, John Donne" unter - aber vor allem: ganz viel Biermann. Wo Dylan leger sei, gebärde sich Biermann als "kulturkritischer" Leitartikler, rechthabere er mit Dylans Text, mache ihn zu seiner eigenen "Sprechpuppe". Da bleiben dem schon fast sprachlosen Winkler nur zwei Worte: "Nein danke."

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr