"In Deutschland weiß eigentlich niemand, dass es mich gibt", sagte Elisabeth Mann Borgese einmal, und es schien sie nicht zu bekümmern. Die jüngste Tochter von Thomas Mann hat früh ihren Weg aus dem Schatten des großen Vaters gefunden. Trotzdem liebte sie ihn genauso wie die vitale und praktisch veranlagte Mutter. Und es scheint das Vermächtnis Katjas zu sein, der willensstarken und hochintelligenten Ehefrau Thomas Manns, das Elisabeth vor schmerzlich gefährlicher Selbstbespiegelung, vor der Mannschen Zerrissenheit zwischen Begabung und Labilität bewahrte.
Das familiäre Erbe prägte Elisabeth Mann Borgese, ohne sie zu lähmen. Sie ist ausgebildete Konzertpianistin, hat diesen Beruf aber nie ausgeübt. Sie arbeitete als Politologin an mehreren wissenschaftlichen Instituten, seit 1980 - ohne je studiert zu haben - als Professorin an der politischen Fakultät der Universität von Halifax, Canada.
Sie schrieb Bücher mit Essays und Aufsätzen, Novellen und Theaterstücke und zog außerdem zwei Töchter groß. Als engagierte Meeresschützerin hat sie sich internationale Anerkennung und Berühmtheit erworben.
Das familiäre Erbe prägte Elisabeth Mann Borgese, ohne sie zu lähmen. Sie ist ausgebildete Konzertpianistin, hat diesen Beruf aber nie ausgeübt. Sie arbeitete als Politologin an mehreren wissenschaftlichen Instituten, seit 1980 - ohne je studiert zu haben - als Professorin an der politischen Fakultät der Universität von Halifax, Canada.
Sie schrieb Bücher mit Essays und Aufsätzen, Novellen und Theaterstücke und zog außerdem zwei Töchter groß. Als engagierte Meeresschützerin hat sie sich internationale Anerkennung und Berühmtheit erworben.
Kerstin Holzer über den Lebensweg von Elisabeth Mann Borgese
"Die Manns" haben ungebrochen Konjunktur. Dabei ist die Auswahl an Gestalten, mit deren Präsentation der deutsche Kulturbetrieb auf seiner Ebene jene Publikumsbedürfnisse befriedigen kann, für die der Massenpresse mit dem Adel, dem Film und dem Sport ein ganz anderes Reservoir zur Verfügung steht, nicht sehr groß. So kommt es, daß über dem bleibenden Ruhm, den das Werk von Thomas Mann erlangt hat, ein pseudomythisches Kollektiv, fast von der Art der Wagner-Sippe, generiert werden konnte.
Zwar schwimmt auch Kerstin Holzer, wie die erkennbar schnelle Machart ihres Buches verrät, auf dieser Welle. Doch hat sie sich dankenswerter Weise jene Persönlichkeit zum Gegenstand für ihr locker gemaltes Lebensbild gewählt, die in der bisherigen Mann-Literatur fast nur als des Vaters früher Herzensliebling zur Kenntnis genommen wurde, weil der Dichter dieses "Kindchen" in einem Hexameter-Gesang gefeiert hatte: von Elisabeth Veronika, dem zweitjüngsten der sechs Kinder von Katia und Thomas Mann, also handelt das Buch, und eben darum ist es zu begrüßen.
Elisabeth, Medi genannt, ist hierzulande ziemlich unbekannt. Im großen "Literatur Lexikon der Autoren und Werke deutscher Sprache" von Walter Killy sind nicht nur Erika, Klaus und Golo, sondern sogar Monika und Michael Mann mit eigenen Artikeln vertreten; hingegen sucht man Elisabeth Mann Borgese vergeblich, obwohl sie mit ihrer Lebensleistung und sogar mit davon zeugenden Büchern und späten poetischen Improvisationen einige ihrer Geschwister bei weitem überragt. Ja, man darf ohne Übertreibung sagen, daß sie weltweit, das heißt über den engeren deutschen und literarischen Horizont hinaus betrachtet, als die berühmteste der Geschwisterschar gelten darf. Und nicht etwa, weil sie die anderen überlebt hat und folglich als "die letzte Mann", wie man sie im Augenblick gerne nennt, als authentische Zeugin begehrt ist.
Was sie von ihren Geschwistern unterschied, war ihre Unabhängigkeit innerhalb der familiären Verstrickungen - eine Freiheit, die ihrer Liebe zu den Eltern eher zugute kam und die Teilhabe an den Leiden der Geschwister nie gemindert hat. Diese Freiheit war nicht die Folge einer frühen Ehe, sondern umgekehrt: Die Einundzwanzigjährige entschloß sich nicht, den dreieinhalb Jahrzehnte älteren sizilianischen Adligen G. A. Borgese zu heiraten, um von der Mann-Familie loszukommen und sich unter den Schutz eines Ersatz-Vaters zu begeben. Ihr imponierte vielmehr die geistige Statur und die politische Haltung des schon 1931 in die Vereinigten Staaten emigrierten Mussolini-Gegners, der in Chicago Literatur- und Politikwissenschaft lehrte.
Thomas Mann kam so zu einem gerade sieben Jahre jüngeren Schwiegersohn, der zwar zu seiner eigenen Generation gehörte und selber schon erwachsene Kinder aus anderer Ehe hatte, ansonsten aber bei Besuchen meist gehörig auf die Nerven ging. Borgeses gefürchtete Temperaments-Explosionen und seine autoritär vertretenen Anschauungen ließen ihn zu einem anstrengenden Zeitgenossen werden. Elisabeths Fazit, nach einem halben Jahrhundert der Biographin anvertraut, lautet denn auch: "Er war ein Gentleman, ehrenhaft und hochanständig, und ich habe ihn verehrt. Aber er war eben unerträglich." Das erinnert, wie vieles hier von Kerstin Holzer auf der Basis von Gesprächen und Tonband-Aufzeichnungen als glaubhaft authentisch Mitgeteiltes an Katia Manns knappe, realistisch-unsentimentale Diktion. Überhaupt hat sich das mütterliche Erbe bei Elisabeth erkennbar stärker durchgesetzt als bei ihren Geschwistern.
Nach zehn Jahren geriet die Ehe - die Borgeses hatten inzwischen zwei Töchter - in ihre schwerste Krise. Sie schleppte sich dahin. Als sich für Borgese, der, wie Thomas Mann, unter dem mit dem Kalten Krieg in den Vereinigten Staaten eingetretenen politischen Klimawechsel immer stärker litt, die Möglichkeit einer gesicherten Existenz in der alten Heimat bot, versprach er sich mit der Rückkehr nach Italien auch die Rettung seiner Ehe. Elisabeth hatte ihre begründeten Zweifel. Desungeachtet zog man im Oktober 1952 nach Florenz. Im November war Borgeses siebzigster Geburtstag zu feiern; Anfang Dezember schon ist die erst Vierunddreißigjährige Witwe. Ein Foto zeigt sie, mit den beiden Töchtern an der Hand, begleitet von Katia, auf dem Weg zur Beerdigung.
Vierzehn Jahre wird sie dann in Italien bleiben. Nach einer Weile, in der sie neben den häuslichen Pflichten sich wieder mehr Zeit für ihre musischen Neigungen gönnte, begann sie, wie schon früher, als sie Borgese auch als Mitarbeiterin zur Seite gestanden, sich bei Projekten zu engagieren, in denen sich die Sphären der Politik mit denen der Humanität und der Ökologie überkreuzen und folglich meist reiben. Elisabeths quasi angeborenen Liebe zum Meer zerrinnt ihr dadurch nicht im kontemplativen, von Klagen begleiteten Genuß, sie wird vielmehr zur Forscherin und energischen Organisatorin. 1970 ist sie, als Mitbegründerin des Club of Rome, dessen einziges weibliches Mitglied. Mit Gesinnungsgenossen weckt sie das Weltgewissen gegen die zerstörerische Ausbeutung der Ozeane, so daß nach zähem Kampf gegen nationale und merkantile Egoismen mit der UN-Seerechtskonvention von 1982 wenigstens ein Anfang zur Rettung der bedrohten Meere zustande kommt. Der Lebens- und Berufsweg führte von Italien wieder zurück nach Kalifornien und schließlich an die kanadische Atlantikküste. Auch dort gibt sich die längst zur Expertin und Professorin avancierte Hochbegabte nicht einem gemächlichen Ruhestand hin.
Ein erfolgreiches Leben wird nicht immer auch als ein glückliches empfunden, es kann sich, gerade im Alter, die realistische Skepsis von einst in Resignation oder gar Depression verwandeln. Elisabeth Mann Borgese ist von solcher Verdüsterung verschont geblieben, und sie besteht auch darauf, daß ihre Kindheit glücklich war. Und nicht nur die ihre. Sie opponiert damit vehement gegen die von den eigenen Geschwistern initiierte und durch einige Schicksale angeblich beglaubigte Legende von einem dem Vater anzulastenden unheilschwangeren Familienleben. Daß Elisabeths Revision des tendenziös ausgenützten Bildes vom kalten, narzistischen Großschriftsteller durch Kerstin Holms Buch auch in weitere Kreise dringt, ist ein Grund mehr, ihm eine große Leserschaft zu gönnen.
Den Meriten stehen freilich erhebliche Schwächen gegenüber. Biographien entstehen für gewöhnlich durch die geschickte Mixtur von Primärzeugnissen mit den Ergebnissen der Forschung, also der Sekundärliteratur. In diesem Sinne kann man sie dann als Tertiärliteratur bezeichnen, ohne sie damit abwerten zu wollen. Das gilt auch für die beiden beachtenswertesten neueren Biographien, die von Klaus Harpprecht (1995) und die von Hermann Kurzke (1999). Für Kerstin Holzer sind sie, vor allem jene von Kurzke, zur Hauptquelle nicht nur im Hinblick auf die Mann-Familie, sondern auch auf die historisch-politischen Begleitumstände geworden. Noch einmal verkürzt wird so aus der Teritär- eine Art Quartärliteratur. Daneben kann die Autorin erfreulicherweise aber viele unveröffentlichte Dokumente, vor allem aus dem Besitz Elisabeths, präsentieren.
Der schnelle Zugriff auf Bücher wie die von Harpprecht oder Kurzke führt naturgemäß zu riskanten Vereinfachungen. So lesen wir nun, daß Thomas Mann an einem Kreislaufkollaps gestorben sei. Als Quelle dient wiederum Kurzke. Bei ihm taucht das Wort zwar auch auf, aber davor heißt es korrekt, wenn auch ohne Herkunftsangabe (der authentische Obduktionsbericht wurde 1997 im Thomas Mann-Jahrbuch publiziert): "Riß der unteren Bauchschlagader, plötzlicher großer Blutverlust und Kreislaufkollaps." Fataler ist freilich, wenn die junge Autorin und "Focus"-Mitarbeiterin durch den allzu dünnen Bildungsboden ihres Politologie- und Germanistikstudiums bricht. So zitiert sie aus Thomas Manns Tagebuch vom 7. Mai 1933 und meint, dem Leser durch ein hinzugefügtes Wörtchen zu Hilfe kommen zu sollen: "Angesichts eines beeindruckenden Regenbogens, der sich über die blaue Bucht spannte, sang er für Elisabeth sogar den Rheingold-Schluß, wie ich schon früher, angesichts des Meerschloßartigen des Hotels, zitiert hatte: ,Bin ich in Cornwall? - Nicht doch, in Kareol!'" - Selbst Peter de Mendelssohn, der ansonsten nie eine Gelegenheit ausließ, den Kommentar zu bereichern, hielt es in diesem Fall für unter seiner und der Leser Würde, darauf hinzuweisen, daß das zweite Wagner-Zitat dem "Tristan" entstammt. Pech für Kerstin Holzer, sie wäre sonst vielleicht doch nicht auf die Idee verfallen, Thomas Manns Text dergestalt zu verdeutlichen, daß der Regenbogen nun auch über Kareol glänzt.
Trotz alledem und manch anderem: dem Buch ist, um seines Gegenstandes willen, die breite, mit den "Manns" noch wenig vertraute Leserschaft zu wünschen, auf die es, seiner Machart gemäß, angelegt ist.
ECKHARD HEFTRICH
Kerstin Holzer: "Elisabeth Mann Borgese". Ein Lebensportrait. Kindler Verlag, Berlin 2001. 240 S., geb., 44,79 DM.
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»Sie war erwünscht und willkommen auf dieser Welt, geliebt von Anfang an, "mehr als die vier anderen zusammengenommen", schreibt Thomas Mann an Elisabeths Paten Bertram. Dieses Gefühl der unbedingten Zuneigung trägt die Tochter ein ganzes Leben lang durch viele Gefahren und schwere Stunden auf der weiten Reise über die Kontinente ...
Sie war das einzige der Mann-Kinder, das mit der Familie versöhnt war.«
(Heinrich Breloer in seinem Nachruf auf Elisabeth Mann Borgese, die am 8. Februar 2002 starb.)
Sie war das einzige der Mann-Kinder, das mit der Familie versöhnt war.«
(Heinrich Breloer in seinem Nachruf auf Elisabeth Mann Borgese, die am 8. Februar 2002 starb.)