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Fast niemand kennt bisher Elisabeth Schmitz. Dabei hätte sie unbedingt das Zeug dazu, eine "protestantische Heilige" des 20. Jahrhunderts zu werden. Erst 1999 wurde enthüllt, dass sie es war, die 1933/36 mit ihrer berühmten (anonymen) Denkschrift gegen die Judenverfolgung ein aufrüttelndes Manifest gegen nationalsozialistische Willkür, Verfolgung und Gewalt verfasste. Und buchstäblich niemand sah die heraufziehenden nationalsozialistischen Schreckensdinge so scharf und klar wie Schmitz. Sie war promovierte Historikerin und Theologin. Bis 1943 war sie Studienrätin in Berlin. Von Adolf von…mehr

Produktbeschreibung
Fast niemand kennt bisher Elisabeth Schmitz. Dabei hätte sie unbedingt das Zeug dazu, eine "protestantische Heilige" des 20. Jahrhunderts zu werden. Erst 1999 wurde enthüllt, dass sie es war, die 1933/36 mit ihrer berühmten (anonymen) Denkschrift gegen die Judenverfolgung ein aufrüttelndes Manifest gegen nationalsozialistische Willkür, Verfolgung und Gewalt verfasste. Und buchstäblich niemand sah die heraufziehenden nationalsozialistischen Schreckensdinge so scharf und klar wie Schmitz. Sie war promovierte Historikerin und Theologin. Bis 1943 war sie Studienrätin in Berlin. Von Adolf von Harnack und Friedrich Meinecke entscheidend geprägt, debattierte Schmitz in den 1930er Jahren auf gleicher Augenhöhe - kritisch und stets vorantreibend - mit den großen Theologen und Kirchenmännern der Zeit wie Karl Barth, Martin Niemöller, Walter Künneth, Helmut Gollwitzer.
Autorenporträt
Manfred Gailus, geboren 1949, ist Professor für Neuere Geschichte und lehrt am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sozial- und Politikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, v.a. Protestantismus und Nationalsozialismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2008

Frühe Mahnerin vor dem Terror der Nazidiktatur
Hanau will eine Straße nach der Theologin und Lehrerin Schmitz benennen / Buch über ihr Leben und Werk

Vor der "Größe der Schuld, die das deutsche Volk auf sich lädt", hat Elisabeth Schmitz 1935 gewarnt.

lu. HANAU. "Sollten die Gesetze, wie sie heute sind, für längere Zeit bestehen bleiben, so würde dies das Todesurteil bedeuten für Hunderttausende von Menschen, vielleicht für Millionen. Zu alledem schweigt die Kirche." Elisabeth Schmitz, Verfasserin dieser Zeilen aus dem Jahr 1934, zählte zu den wenigen Deutschen, die früh vor den Gefahren des nationalsozialistischen Regimes warnten. "Es ist keine Übertreibung, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen werden muss", sah die in Hanau geborene protestantische Lehrerin schon 1935 in ihrer Denkschrift die Katastrophe voraus, und bald zog sie für sich selbst die Konsequenzen. Als 1938 neue Lehrpläne vorgeschrieben wurden, mit deren Hilfe Kinder zu nationalsozialistischen Menschen erzogen werden sollten, und nachdem in der Pogromnacht die jüdischen Synagogen geschändet worden waren, stellte sie einen Antrag auf Entlassung aus dem Schuldienst.

Der 1977 in Offenbach verstorbenen und in Hanau beerdigten tapferen Mahnerin will die Stadt Hanau noch in diesem Jahr in dem neu entstehenden Baugebiet auf dem Areal der ehemaligen Milchzentrale einen Straßennamen widmen. Außerdem soll eine Gedenktafel an ihrem Geburtshaus Corniceliusstraße 16 an die tapfere Studienrätin erinnern. Angebracht wird sie auf Initiative des Hanauer Geschichtsvereins zu ihrem 115. Geburtstag am 23. August dieses Jahres.

Überregional ist die Widerstandskämpferin nie stark in Erscheinung getreten. In der Stadt Hanau aber wird das Gedenken an sie gepflegt. Nicht nur mit dem Ehrengrab, das die Stadt für sie auf dem Hauptfriedhof errichtet hat. Auch in Schulprojekten wird an sie erinnert. So erst kürzlich im Karl-Rehbein-Gymnasium, wo Schmitz unterrichtete. Erstmals setzt sich nun ein Buch intensiv mit dem Leben und Werk der promovierten Historikerin und Theologin auseinander. In dem Band "Elisabeth Schmitz und ihre Gedenkschrift gegen die Judenverfolgung - Konturen einer vergessenen Biographie (1893 bis 1977)" hat Herausgeber Manfred Gailus, Professor an der Technischen Universität Berlin, die Vorträge einer wissenschaftlichen Tagung zum dreißigsten Todestag von Elisabeth Schmitz in Berlin publiziert, die in der Gesamtschau ein umfassendes Lebensbild der Hanauerin abgeben.

Neben ihrem Leben und den teilweise in Briefwechseln erfolgten theologischen Diskursen wird darin insbesondere ihre zwei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers verfasste Denkschrift "Zur Lage der deutschen Nichtarier" beleuchtet. Obwohl sie den Text anonym verfasste, brachte sich Schmitz damit natürlich in Lebensgefahr. Sie ließ das 19 Seiten umfassende Werk 200 Mal kopieren und legte es den Synoden der "Bekennenden Kirche der altpreußischen Union" vor, deren Mitglied sie war. Die Synode tagte im September 1935 in Berlin-Steglitz und sollte laut Dietgard Meyer die sogenannte Judenfrage erörtern. Die Denkschrift soll allen Synodalen vorgelegen haben, aber nicht zur Sprache gekommen sein.

Dietgard Meyer, die im Jahr 1999 die Autorenschaft von Schmitz an der Denkschrift aufdeckte, ist eine der wenigen Zeitzeugen, die als ehemalige Schülerin von Schmitz aus persönlicher Bekanntschaft berichten konnte. Die Überschrift der Denkschrift habe bewusst aufrütteln sollen, schreibt sie in ihrem Beitrag. Es gehe dabei nicht nur um die evangelischen Nichtarier, es gehe um alle deutschen Staatsbürger, die das "Dritte Reich" als Juden definiert und verfolgt habe.

Den Inhalt der Schrift bezeichnet Gailus als aufrüttelndes Manifest gegen nationalsozialistische Willkür, Verfolgung und Gewalt, verfasst von einer Frau, die er als zurückhaltend, bescheiden und klug beschreibt. Die dreiteilige Denkschrift beschäftigt sich unter anderem mit der "Aufhetzung der öffentlichen Meinung und ihre Folgen für die Kinder und die Ehe". Schmitz prangert darin die Mitwirkung der Christen und die Tatenlosigkeit der Kirche an und erörtert die Stellung der Kirche zum Rassenwahn. Die Folgen der "schweren Verfolgung" seien "weithin unbekannt und damit auch die Größe der Schuld, die das deutsche Volk auf sich lädt". Dass Schmitz dies als Pädagogin so klar ausgesprochen habe, hätte für sie einschneidende Konsequenzen haben können, wertet auch Hartmut Ludwig in seinem Beitrag über die Denkschrift das Handeln der Theologin.

Doch Schmitz hat trotz ihres Wagemuts die Jahre des Terrors in Deutschland äußerlich unversehrt überstanden. Nachdem sie während ihrer Berliner Jahre aus dem Schuldienst ausgetreten war, stellte sie sich der Kirche für ehrenamtliche Arbeiten zur Verfügung. Im Sommer 1943 kehrte sie in ihr Elternhaus nach Hanau zurück. Nach dem Krieg wurde sie wieder in das Lehramt berufen. Als Oberstudienrätin wirkte sie nach siebenjähriger Unterbrechung ihrer Lehrtätigkeit bis 1958 an der Karl-Rehbein-Schule und war bis zu ihrem Lebensende im Hanauer Geschichtsverein aktiv.

Das Buch "Elisabeth Schmitz und ihre Denkschrift gegen die Judenverfolgung - Konturen einer vergessenen Biographie (1893-1977)", herausgegeben von Manfred Gailus, ist erschienen in der Wichern-Verlag GmbH, Berlin, und kostet 19,80 Euro.

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