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Welche Auswirkungen hatte der Erste Weltkrieg auf die deutsche und englische Gesellschaft? Das Buch beantwortet diese Frage aus einer neuen Perspektive: Sonja Levsen untersucht, wie sich englische und deutsche Studenten vor und nach dem Ersten Weltkrieg als nationale Elite entwarfen. Durch den doppelten Vergleich kann Levsen zeigen, dass vor 1918 beiderseits des Kanals die Gemeinsamkeiten überwogen. Ausschlaggebend für die radikal divergierende Entwicklung nach 1918 sind die Folgen von Sieg und Niederlage im Weltkrieg: Während der militärische Sieg in England einen Prozess der Pluralisierung…mehr

Produktbeschreibung
Welche Auswirkungen hatte der Erste Weltkrieg auf die deutsche und englische Gesellschaft? Das Buch beantwortet diese Frage aus einer neuen Perspektive: Sonja Levsen untersucht, wie sich englische und deutsche Studenten vor und nach dem Ersten Weltkrieg als nationale Elite entwarfen. Durch den doppelten Vergleich kann Levsen zeigen, dass vor 1918 beiderseits des Kanals die Gemeinsamkeiten überwogen. Ausschlaggebend für die radikal divergierende Entwicklung nach 1918 sind die Folgen von Sieg und Niederlage im Weltkrieg: Während der militärische Sieg in England einen Prozess der Pluralisierung und Individualisierung ermöglichte, führte die Niederlage unter deutschen Studenten zu einer Fixierung auf Gemeinschaft, Nation und das Ideal militärischer Männlichkeit.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Dr. Sonja Levsen ist Dilthey Fellow am Historischen Seminar der Universität Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2006

Kampf der Eliten
Studenten in Cambridge und Tübingen vor und nach 1914

Um den Mikrokosmos Cambridge zu verstehen, braucht es Jahre. Jedes College hat seine eigene historische und politische Tradition, jede Debatte der Union Society kann sowohl als satirisch wie als todernst interpretiert werden; jede dahingeworfene Bemerkung kann einen schwer entschlüsselbaren Subtext enthalten. Viele der vermeintlichen Traditionen sind erst im 19. Jahrhundert erfunden worden, werden jedoch zelebriert wie sorgsam gehütete mittelalterliche Rituale. Den Portwein bei einem Festessen nicht zügig im Uhrzeigersinn weiterzureichen kann zum Ende von langjährigen Freundschaften führen. Auch intellektuelle Fallstricke lauern bei jedem gemeinschaftlichen Essen. Die Anekdote von dem Cambridge-Neuling, der seinen Nachbarn über die Schönheiten Stockholms belehrte, ist hierfür symptomatisch. Ob er auch schon einmal in Stockholm gewesen sei, fragte der Neuling nach seinem Endlosvortrag. "Ja, aber nur einmal", kam die Antwort seines schweigsamen Nachbarn: "Um den Nobelpreis für Chemie entgegenzunehmen." Ähnlich unangenehm muß der Moment für einen angetrunkenen Studenten gewesen sein, als er mit seinem Fahrrad in den hochmotorisierten Rollstuhl eines verwirrt aussehenden Mannes raste. Bei schlagartig einsetzender Nüchternheit stellte der Student fest, daß er Stephen Hawking angefahren hatte.

Es zeugt von großer Courage, daß sich Sonja Levsen in das Labyrinth Cambridge begeben hat und darüber hinaus noch einen Vergleich mit einer deutschen Institution - der Universität Tübingen - wagt. Zwar ist die Quellenlage nicht völlig symmetrisch, doch Frau Levsens Fragestellung ist durchaus legitim. Sie will wissen, in welchem Maße Cambridger und Tübinger Studenten sich vor 1914 als eine nationale Elite stilisierten und welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf das studentische Selbstverständnis hatte. Schon der Titel des Buches gibt die Methodik vor: Elite, Männlichkeit und Kriegserfahrung sind Schlüsselworte der Kulturforschung geworden, und die Autorin bedient sie souverän. Einen deutschen Sonderweg kann sie bis 1914 nicht erkennen; studentische Selbst- und Weltbilder ähnelten sich in Großbritannien wie in Süddeutschland. Begeisterung für Sport, Militär und Trinkgelage gab es auf beiden Seiten.

Daß sich dies 1918 radikal änderte, ist nicht überraschend. Während die Cambridge-Studenten pazifistischer wurden und einen Generationskonflikt mit den old men austrugen, die sie für den Krieg verantwortlich machten, konstatiert die Autorin für Tübingen einen Zusammenhalt der gedemütigten Generationen. Gemeinsam vollzog man eine "völkische Wende", um die Krise der nationalen Identität zu überwinden. Militarismus wurde als die einzige Möglichkeit gesehen, die politische und wirtschaftliche Misere - manifestiert in der verhaßten Weimarer Republik - zu überwinden. Das Bild, das Sonja Levsen von den Tübinger Studenten zeichnet, ist in all seinen Facetten überzeugend. Bei der Cambridger Nachkriegsgeneration unterschätzt sie jedoch einen Faktor: Diese Studenten gehörten immer häufiger einer anderen Klasse an als ihre Kommilitonen aus der Vorkriegszeit. Die staatliche Einmischung durch die Royal Commission von 1922 veränderte mehr, als die Autorin zugesteht. Seit dieser Zeit ist die soziale Zusammensetzung von Cambridge pluralistischer geworden.

In den zwanziger Jahren mußte man nicht mehr von einer Public School kommen, um zu reüssieren. Und es waren gerade die "armen", aber begabten Grammar School boys, die die Universität neu prägten. Am pointiertesten zeigt dies eine Szene aus dem berühmten Cambridge-Film "Chariots of Fire", in dem ein dünkelhafter College-Pförtner versucht, einen jüdischen Studenten aus der Mittelschicht zu demütigen. Es ist jedoch gerade dieser Student, der 1924 den Ton des Colleges verändert und den aristokratischen Amateurcharakter des Sports professionalisiert. Ähnliches findet man in unzähligen Tagebüchern und Romanen von Oxford- und Cambridge-Studenten.

Frau Levsens Studie endet mit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die dreißiger Jahre mit der nationalsozialistischen Affinität der deutschen Studenten auf der einen Seite und der punktuellen kommunistischen Unterwanderung von Gruppen wie den Cambridge Five auf der anderen Seite hätten die ideologischen Wirren der Zwischenkriegszeit noch deutlicher herausheben können. Damals zeigte sich auch, wie heterogen Cambridge sein konnte: Während sich in Trinity College eine Spionagezelle für den KGB bildete, produzierte das benachbarte St. John's College die Gegenspieler für den britischen Nachrichtendienst.

KARINA URBACH

Sonja Levsen: Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900 bis 1929. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 411 S., 46,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erhellend findet Karina Urbach diese vergleichende Studie über Tübinger und Cambridger Studenten zwischen 1900 und 1929, die Sonja Levsen vorgelegt hat. Wie Urbach berichtet, geht die Autorin in ihrer Studie der Frage nach, inwieweit sich Cambridger und Tübinger Studenten vor 1914 als eine nationale Elite stilisierten und wie sich der Erste Weltkrieg auf das studentische Selbstverständnis auswirkte. Die Ergebnisse der Arbeit scheinen ihr durchaus nachvollziehbar. Bis 1914 ähnelten sich danach die Selbst- und Weltbilder der Studenten in Cambridge und Tübingen, um sich ab 1918 zunehmend zu unterscheiden, da die Cambridge-Studenten pazifistischer und die Tübinger Studenten "völkischer" und militaristischer wurden. Allerdings hält Urbach der Autorin vor, nicht hinreichend zu berücksichtigen, dass die Cambridger Nachkriegsgeneration wesentlich pluralistischer zusammengesetzt war als die Studentenschaft aus der Vorkriegszeit.

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