Hazal ist fast 18 und lebt mit ihrer türkischen Familie in Berlin.Sie und ihre Freundinnen fühlen sich dort nicht zu Hause. Nicht in Berlin, und nicht in ihren Familien.Die Mädchen jobben und hängen rum.Sie haben keine Ahnung, wie ihre Zukunft aussehen soll.Wir stolpern zurück zum S-Bahnhof.Gül schimpft die ganze Zeit laut vor sich hin.Elma und ich schweigen.Ich habe Wut im Bauch.Genau wie Elma.Ich kann ihre Wut spüren.Sie wächst und wächst.In dem Roman Ellbogen schreibt die junge Autorin über die Lage vieler junger Menschen in Deutschland mit ausländischen Wurzeln. Sie sind zerrissen zwischen dem, was ihre Familien von ihnen erwarten, und ihren eigenen Wünschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2017Nur Mörderin, kein Monster
Fatma Aydemir erzählt in ihrem Debüt "Ellbogen" von der jungen wütenden Hazal, Tochter türkischer Einwanderer. Das Buch will so sehr Zeitgeschehen sein, dass alles Literarische in einen Kampf mit Schlagzeilen ziehen muss
Ein deutsch-türkisches Monster hätte Hazal werden können. Sie, 18, aus Wedding. Ein Monster, das ein Land zeigt: Deutschland. Doch Hazal ist in Seiten eingemauert, in einer Journalistenprosa geschrieben von einer Journalistin, von Fatma Aydemir. Ihr Debütroman "Ellbogen" fühlt sich so an wie eine Woche "Spiegel Online" Lesen. Ohne Pause. Alles kommt einmal vor: Kopftücher, benachteiligte Ausländer, Deutsche, die Ausländer benachteiligen, "Charlie Hebdo", der Hass auf Facebook, IS-Kämpfer und IS-Attentate, Kurden, Flüchtlinge, Silvesternacht in Köln, Neonazis, das "Berghain", Überwachungsbilder von ausländischen U-Bahn-Schlägern, ein Kätzchen und zum Schluss auch noch der Putschversuch in der Türkei.
Ja, es ist ein Headlinebuch. Dabei beginnt es ohne Headlines, beginnt mit einem Versprechen: Jemand, der echtes fremdes Deutschland kennt, schreibt echte fremde deutsche Literatur.
Es ist Hazals Geschichte - in Deutschland wurde sie geboren, die Eltern sind Türken - und sie fängt an mit einem Diebstahl. Hazal ist sieben, sie klaut einen Lippenstift, weil ihre Freundin Desiree ihn kauft. Dann diese Szene: Die Mutter von Hazal bemerkt den Lippenstift, jagt ihre Tochter mit einem Küchenmesser. ",Mit welcher Hand hast du geklaut?', brüllte sie. ,Links oder rechts?' Ich versteckte die Hände hinter meinem Rücken und schob sie in den Spalt zwischen Heizung und Fensterbrett." Aydemirs Sprache ohne Adjektive ist scharf, so schneidend, dass sie auf einmal auf die Schläfen drückt und man trotz Kopfweh mehr von dieser Sprache will.
Der Text aber stürzt in ein Präsens, es ist nicht nachvollziehbar, nicht mehr so literarisch, er stürzt in eine Art von Sätzen, die angeblich die jungen Menschen in den angeblichen Problemvierteln so sagen. Die beinah achtzehnjährige Hazal erzählt über ihr Jetzt, ihr Leben, über Wedding, die Eltern - der Vater Taxifahrer, die Mutter depressiv -, über die Freundinnen, sie heißen Elma, Gül und Ebru, und über Tante Semra, die nicht so lebt wie andere Türkinnen, sie lebt ohne einen Mann. Und während sie erzählt, muss die heranwachsende Hazal so klingen wie Heranwachsende klingen. Deshalb muss sie auch immer wieder "Opfer" sagen oder "Nutte" und Deutsche dann "Kartoffeln" nennen.
Doch grobe Worte in Romansätze zu nähen, reicht nicht, um eine Sprache einer anderen Welt, einer Generation, zu bauen. Wie das so geht, das zeigte "Axolotl Roadkill". Helene Hegemann hat ihre junge und kaputte Heldin so sprechen lassen, dass jedes Wort den Leser immer tiefer in diese andere Welt gestoßen hat. In Aydemirs Roman klingen viele Sätze aber künstlich. Besonders dann, wenn Hazal auch noch reflektieren muss. Das Mädchen denkt sehr feministische Gedanken, sie passen nicht zum Rest. Es ist vermutlich das, was Fatma Aydemir selbst denkt: Es geht um Gleichberechtigung, um Mädchen aus deutsch-türkischen Familien, die immer lernen, nur zu nicken, niemals zu sprechen über ernste Dinge. Es sind nicht die Gedanken dieses Mädchens, das Hazal sein soll. Nicht die des Mädchens, das an seinem 18. Geburtstag nachts einen Studenten an der U-Bahnhaltestelle prügelt, tötet. Nicht die des Mädchens, das alle anderen auf der Welt dafür verantwortlich macht, das es kein gutes Leben hat. Die Deutschen und die Türken.
Aydemirs Eltern sind auch aus der Türkei, sie wurde 1986 in Karlsruhe geboren und ist heute "tageszeitung"-Redakteurin. Wie Wedding ist Karlsruhe kaum, und sicher denken Wedding-Mädchen selten wie Zeitungsredakteurinnen. Deshalb sieht dieses Buch schnell aus wie einer dieser deutschen Fernsehfilme, zum Beispiel über Nazis. Die Villen und KZs sind ausgestattet, wie man so denkt, wie Villen und KZs mal ausgestattet waren. Überall ist Patina pedantisch aufgemalt, alles korrekt auf alt, auf abgenutzt oder auf glänzend und auf neu gesprüht, und trotzdem nur Kulisse, Plastik. So ist auch der Roman von Fatma Aydemir, zumindest, wenn er in Berlin-Wedding spielt. Dass der Roman da spielt, das gefällt sehr bestimmten Lesern, den satten, deutschen, aufrechten und linken.
Denn dieses so schön ausstaffierte Türkenleben in Berlin ist was Exotisches, das schaut man sich ganz gerne an: den Çay und diese Orientalen, wie sie zusammen fernsehen, die türkischen Kanäle, und dann sagt man erleichtert, laut: "Was für ein Glück, jetzt haben die Orientalen auch einmal eine Stimme." So ähnlich sagte es der letzte "Literaturspiegel", er sagte: "Aydemir gibt den türkischen Neukölln-Mädchen endlich eine literarische Stimme." Und das war zweimal falsch und halb rassistisch. Denn erst mal geht es niemals um Neukölln im Buch, es spielt in Wedding. Aber die Türken sind die Türken, und ihre Stadtteile egal, dachte man sich vielleicht als satte, deutsche, aufrechte und linke "Literaturspiegel"-Autorin. Doch wenn eine deutsch-deutsche Schriftstellerin die deutsche Heldin in Hellersdorf beschrieben hätte, hätte man Hellersdorf verwechselt, mit Mitte beispielsweise?
Es ist außerdem auch nicht sauber, zu schreiben und zu denken, dass man den armen Ausländern "endlich" mal eine "Stimme" geben müsste, als ob sie keine Stimme hätten, als ob Ausländer in Deutschland keine Romane schreiben würden. Daraus spricht nur die Überheblichkeit, der Voyeurismus, der Wunsch, in eine Orientalen-Türken-Welt hineinzuschauen wie in einen Käfig mit sehr fremden Tieren. Und deshalb sind die Menschen, die diese "Ellbogen"-Geschichte gut finden und schonungslos und rührend, schrecklicher als diese "Ellbogen"-Geschichte es selbst in Wahrheit ist.
Aydemir kann eigentlich erzählen, das sagt die erste Szene, das sagen auch noch andere, sie spielen in Istanbul. Hazal flieht vor der "Sache in Berlin", der U-Bahn-Schlägerei - die Freundinnen, die auch geprügelt haben, sitzen bald schon in Untersuchungshaft -, sie flieht vor ihren Eltern, vor deutscher Polizei in die Türkei, zu einem Freund aus ihrem Facebook: Mehmet. Dort ändert sich die Sprache wieder, und die Beobachtung. In Istanbul sind Damen in Neonsportanzügen und jüngere, die aussehen, als ob sie in der türkischen Version von "Shopping Queen" mitmachten, da ist ein onkelhafter, lockiger Verkäufer, der Russinnen für Schlampen hält. Da ist das Nicht-mehr-schlafen-Können, und da ist Mehmet, er nennt Hazal sein "Baby". In Istanbul ist Hazal eine deutsche Türkin, die sich für ihr deutsch angefärbtes Türkisch schämt.
In Istanbul hat Fatma Aydemir im letzten Jahr auch ein paar Monate gelebt. Und so erklärt sich dieses Istanbul, es ist authentisch, und diese Hazal, auch sie authentisch, denn sie muss nicht mehr künstlich "Opfer" sagen. Alles wird jetzt beschrieben ohne Plastik, wird überzeugend, tief, wird literarisch. Doch es sind Augenblicke. Dann sind sie wieder da: die Schlagzeilen, die auf den Leser einschlagen, brutal und unpoetisch. Es geht um diesen einen Terroranschlag auf den Flughafen Atatürk im Juni letzten Jahres, es geht um Islamisten. Und später sitzt der Mitbewohner Mehmets an einem Tisch und redet über Kurden und redet über Türken, die Kurden hassen, töten. Und Hazal? Auch sie denkt über Kurden nach, sie denkt in Sätzen, die nach gesichtslosen und moralistischen Artikeln klingen aus irgendwelchen Zeitungen: "Denken Menschen, die bei lebendigem Leib in ihren Kellern verbrennen, noch daran, zu beten? Und beten die, die sie verbrennen, dann zum selben Gott?" Und dann spürt Hazal selbst Gewalt, sie landet im Gesicht des Mädchens, schlägt ihr die Augenbraue auf. Es sind die Männer der Anti-Terror-Einheit Erdogans, wer sonst. Hazals Geschichte stürzt dann auch noch in diese eine Nacht im Juli letzten Jahres: Panzer. Maschinengewehre. Putsch.
Vielleicht sollte "Ellbogen" so werden wie ein Film von Fatih Akin. Hazal liebt auch diesen Akin-Film, zum ersten Mal hat sie ihn sich mit ihrer Mutter angeschaut: "Als der Abspann lief, wusste ich: Irgendwas hat ,Gegen die Wand' gerade mit mir gemacht, irgendwas ist jetzt für immer anders." Was in dem Film passiert? Es geht um Sibel, auch Tochter von Einwanderern, Hazals konservative und erdoganverliebte Mutter fasst es dann so zusammen: "Na, die heiratet irgendeinen Penner, damit sie herumhuren kann. Und die Eltern erlauben das auch noch, obwohl sie sehen, was das für ein Penner ist. Und dann auf einmal wollen sie angeblich Ehrenmord machen, und sie geht nach Istanbul, um dort mit dem Herumhuren weiterzumachen. Hallo? Wer lebt denn so? Wer von uns lebt so?" Ja, eine halbkomische, halbgute Stelle, in einem Roman, der es im Gegensatz zu Akins schmerzhaftem, ehrlichem und originellem Film nicht schafft, irgendwas für immer zu verändern.
Hazal hat keine Chance. Ein echtes Monster hätte aus ihr werden können, ein literarisches, ein starkes. Warum man solche Monster braucht? Weil die Literatur durch solche Monster lebt. Durch Helden, die man hassen kann und lieben muss, Helden, die nicht in Leitartikeln denken, die nicht das Zeitgeschehen ablaufen. Und auch, weil Deutschland solche Monster braucht. Weil so ein Monster der Literatur das Land aufschütteln könnte und die Menschen. Denn im Moment sind Deutsche und ist Deutschland zu beschäftigt mit einem schläfrigen, aufzehrenden Gefrage nach dem, was deutsch ist und was nicht. Eine Autorin wie Fatma Aydemir, die auch das fremde Leben kennt, hätte die ewig deutschen Fragen vergessen müssen, nur erzählen. Ohne die Schlagzeilen, das Plastik.
ANNA PRIZKAU
Fatma Aydemir: "Ellbogen". Hanser, 272 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fatma Aydemir erzählt in ihrem Debüt "Ellbogen" von der jungen wütenden Hazal, Tochter türkischer Einwanderer. Das Buch will so sehr Zeitgeschehen sein, dass alles Literarische in einen Kampf mit Schlagzeilen ziehen muss
Ein deutsch-türkisches Monster hätte Hazal werden können. Sie, 18, aus Wedding. Ein Monster, das ein Land zeigt: Deutschland. Doch Hazal ist in Seiten eingemauert, in einer Journalistenprosa geschrieben von einer Journalistin, von Fatma Aydemir. Ihr Debütroman "Ellbogen" fühlt sich so an wie eine Woche "Spiegel Online" Lesen. Ohne Pause. Alles kommt einmal vor: Kopftücher, benachteiligte Ausländer, Deutsche, die Ausländer benachteiligen, "Charlie Hebdo", der Hass auf Facebook, IS-Kämpfer und IS-Attentate, Kurden, Flüchtlinge, Silvesternacht in Köln, Neonazis, das "Berghain", Überwachungsbilder von ausländischen U-Bahn-Schlägern, ein Kätzchen und zum Schluss auch noch der Putschversuch in der Türkei.
Ja, es ist ein Headlinebuch. Dabei beginnt es ohne Headlines, beginnt mit einem Versprechen: Jemand, der echtes fremdes Deutschland kennt, schreibt echte fremde deutsche Literatur.
Es ist Hazals Geschichte - in Deutschland wurde sie geboren, die Eltern sind Türken - und sie fängt an mit einem Diebstahl. Hazal ist sieben, sie klaut einen Lippenstift, weil ihre Freundin Desiree ihn kauft. Dann diese Szene: Die Mutter von Hazal bemerkt den Lippenstift, jagt ihre Tochter mit einem Küchenmesser. ",Mit welcher Hand hast du geklaut?', brüllte sie. ,Links oder rechts?' Ich versteckte die Hände hinter meinem Rücken und schob sie in den Spalt zwischen Heizung und Fensterbrett." Aydemirs Sprache ohne Adjektive ist scharf, so schneidend, dass sie auf einmal auf die Schläfen drückt und man trotz Kopfweh mehr von dieser Sprache will.
Der Text aber stürzt in ein Präsens, es ist nicht nachvollziehbar, nicht mehr so literarisch, er stürzt in eine Art von Sätzen, die angeblich die jungen Menschen in den angeblichen Problemvierteln so sagen. Die beinah achtzehnjährige Hazal erzählt über ihr Jetzt, ihr Leben, über Wedding, die Eltern - der Vater Taxifahrer, die Mutter depressiv -, über die Freundinnen, sie heißen Elma, Gül und Ebru, und über Tante Semra, die nicht so lebt wie andere Türkinnen, sie lebt ohne einen Mann. Und während sie erzählt, muss die heranwachsende Hazal so klingen wie Heranwachsende klingen. Deshalb muss sie auch immer wieder "Opfer" sagen oder "Nutte" und Deutsche dann "Kartoffeln" nennen.
Doch grobe Worte in Romansätze zu nähen, reicht nicht, um eine Sprache einer anderen Welt, einer Generation, zu bauen. Wie das so geht, das zeigte "Axolotl Roadkill". Helene Hegemann hat ihre junge und kaputte Heldin so sprechen lassen, dass jedes Wort den Leser immer tiefer in diese andere Welt gestoßen hat. In Aydemirs Roman klingen viele Sätze aber künstlich. Besonders dann, wenn Hazal auch noch reflektieren muss. Das Mädchen denkt sehr feministische Gedanken, sie passen nicht zum Rest. Es ist vermutlich das, was Fatma Aydemir selbst denkt: Es geht um Gleichberechtigung, um Mädchen aus deutsch-türkischen Familien, die immer lernen, nur zu nicken, niemals zu sprechen über ernste Dinge. Es sind nicht die Gedanken dieses Mädchens, das Hazal sein soll. Nicht die des Mädchens, das an seinem 18. Geburtstag nachts einen Studenten an der U-Bahnhaltestelle prügelt, tötet. Nicht die des Mädchens, das alle anderen auf der Welt dafür verantwortlich macht, das es kein gutes Leben hat. Die Deutschen und die Türken.
Aydemirs Eltern sind auch aus der Türkei, sie wurde 1986 in Karlsruhe geboren und ist heute "tageszeitung"-Redakteurin. Wie Wedding ist Karlsruhe kaum, und sicher denken Wedding-Mädchen selten wie Zeitungsredakteurinnen. Deshalb sieht dieses Buch schnell aus wie einer dieser deutschen Fernsehfilme, zum Beispiel über Nazis. Die Villen und KZs sind ausgestattet, wie man so denkt, wie Villen und KZs mal ausgestattet waren. Überall ist Patina pedantisch aufgemalt, alles korrekt auf alt, auf abgenutzt oder auf glänzend und auf neu gesprüht, und trotzdem nur Kulisse, Plastik. So ist auch der Roman von Fatma Aydemir, zumindest, wenn er in Berlin-Wedding spielt. Dass der Roman da spielt, das gefällt sehr bestimmten Lesern, den satten, deutschen, aufrechten und linken.
Denn dieses so schön ausstaffierte Türkenleben in Berlin ist was Exotisches, das schaut man sich ganz gerne an: den Çay und diese Orientalen, wie sie zusammen fernsehen, die türkischen Kanäle, und dann sagt man erleichtert, laut: "Was für ein Glück, jetzt haben die Orientalen auch einmal eine Stimme." So ähnlich sagte es der letzte "Literaturspiegel", er sagte: "Aydemir gibt den türkischen Neukölln-Mädchen endlich eine literarische Stimme." Und das war zweimal falsch und halb rassistisch. Denn erst mal geht es niemals um Neukölln im Buch, es spielt in Wedding. Aber die Türken sind die Türken, und ihre Stadtteile egal, dachte man sich vielleicht als satte, deutsche, aufrechte und linke "Literaturspiegel"-Autorin. Doch wenn eine deutsch-deutsche Schriftstellerin die deutsche Heldin in Hellersdorf beschrieben hätte, hätte man Hellersdorf verwechselt, mit Mitte beispielsweise?
Es ist außerdem auch nicht sauber, zu schreiben und zu denken, dass man den armen Ausländern "endlich" mal eine "Stimme" geben müsste, als ob sie keine Stimme hätten, als ob Ausländer in Deutschland keine Romane schreiben würden. Daraus spricht nur die Überheblichkeit, der Voyeurismus, der Wunsch, in eine Orientalen-Türken-Welt hineinzuschauen wie in einen Käfig mit sehr fremden Tieren. Und deshalb sind die Menschen, die diese "Ellbogen"-Geschichte gut finden und schonungslos und rührend, schrecklicher als diese "Ellbogen"-Geschichte es selbst in Wahrheit ist.
Aydemir kann eigentlich erzählen, das sagt die erste Szene, das sagen auch noch andere, sie spielen in Istanbul. Hazal flieht vor der "Sache in Berlin", der U-Bahn-Schlägerei - die Freundinnen, die auch geprügelt haben, sitzen bald schon in Untersuchungshaft -, sie flieht vor ihren Eltern, vor deutscher Polizei in die Türkei, zu einem Freund aus ihrem Facebook: Mehmet. Dort ändert sich die Sprache wieder, und die Beobachtung. In Istanbul sind Damen in Neonsportanzügen und jüngere, die aussehen, als ob sie in der türkischen Version von "Shopping Queen" mitmachten, da ist ein onkelhafter, lockiger Verkäufer, der Russinnen für Schlampen hält. Da ist das Nicht-mehr-schlafen-Können, und da ist Mehmet, er nennt Hazal sein "Baby". In Istanbul ist Hazal eine deutsche Türkin, die sich für ihr deutsch angefärbtes Türkisch schämt.
In Istanbul hat Fatma Aydemir im letzten Jahr auch ein paar Monate gelebt. Und so erklärt sich dieses Istanbul, es ist authentisch, und diese Hazal, auch sie authentisch, denn sie muss nicht mehr künstlich "Opfer" sagen. Alles wird jetzt beschrieben ohne Plastik, wird überzeugend, tief, wird literarisch. Doch es sind Augenblicke. Dann sind sie wieder da: die Schlagzeilen, die auf den Leser einschlagen, brutal und unpoetisch. Es geht um diesen einen Terroranschlag auf den Flughafen Atatürk im Juni letzten Jahres, es geht um Islamisten. Und später sitzt der Mitbewohner Mehmets an einem Tisch und redet über Kurden und redet über Türken, die Kurden hassen, töten. Und Hazal? Auch sie denkt über Kurden nach, sie denkt in Sätzen, die nach gesichtslosen und moralistischen Artikeln klingen aus irgendwelchen Zeitungen: "Denken Menschen, die bei lebendigem Leib in ihren Kellern verbrennen, noch daran, zu beten? Und beten die, die sie verbrennen, dann zum selben Gott?" Und dann spürt Hazal selbst Gewalt, sie landet im Gesicht des Mädchens, schlägt ihr die Augenbraue auf. Es sind die Männer der Anti-Terror-Einheit Erdogans, wer sonst. Hazals Geschichte stürzt dann auch noch in diese eine Nacht im Juli letzten Jahres: Panzer. Maschinengewehre. Putsch.
Vielleicht sollte "Ellbogen" so werden wie ein Film von Fatih Akin. Hazal liebt auch diesen Akin-Film, zum ersten Mal hat sie ihn sich mit ihrer Mutter angeschaut: "Als der Abspann lief, wusste ich: Irgendwas hat ,Gegen die Wand' gerade mit mir gemacht, irgendwas ist jetzt für immer anders." Was in dem Film passiert? Es geht um Sibel, auch Tochter von Einwanderern, Hazals konservative und erdoganverliebte Mutter fasst es dann so zusammen: "Na, die heiratet irgendeinen Penner, damit sie herumhuren kann. Und die Eltern erlauben das auch noch, obwohl sie sehen, was das für ein Penner ist. Und dann auf einmal wollen sie angeblich Ehrenmord machen, und sie geht nach Istanbul, um dort mit dem Herumhuren weiterzumachen. Hallo? Wer lebt denn so? Wer von uns lebt so?" Ja, eine halbkomische, halbgute Stelle, in einem Roman, der es im Gegensatz zu Akins schmerzhaftem, ehrlichem und originellem Film nicht schafft, irgendwas für immer zu verändern.
Hazal hat keine Chance. Ein echtes Monster hätte aus ihr werden können, ein literarisches, ein starkes. Warum man solche Monster braucht? Weil die Literatur durch solche Monster lebt. Durch Helden, die man hassen kann und lieben muss, Helden, die nicht in Leitartikeln denken, die nicht das Zeitgeschehen ablaufen. Und auch, weil Deutschland solche Monster braucht. Weil so ein Monster der Literatur das Land aufschütteln könnte und die Menschen. Denn im Moment sind Deutsche und ist Deutschland zu beschäftigt mit einem schläfrigen, aufzehrenden Gefrage nach dem, was deutsch ist und was nicht. Eine Autorin wie Fatma Aydemir, die auch das fremde Leben kennt, hätte die ewig deutschen Fragen vergessen müssen, nur erzählen. Ohne die Schlagzeilen, das Plastik.
ANNA PRIZKAU
Fatma Aydemir: "Ellbogen". Hanser, 272 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein warmherziger und wilder Debütroman." Ute Wegmann, Deutschlandfunk, 05.12.17
"Aydemir mutmaßt im ersten Teil noch über Hazals Leben, um es im zweiten vollends in seiner existenziellen Hilflosigkeit auszuloten. Das gelingt ihr bestens." Brigitte 13/2017
"Aydemirs Roman will nichts erklären und keine Antworten geben, sondern nur Fragen stellen, vorzugsweise unbequeme. (...) Mit 'Ellbogen' wollte die Autorin eine 'schnelle, harte Geschichte erzählen, in der alles schonungslos angeschaut wird'. Sie hat dafür eine überzeugende, klare Sprache gefunden, die ohne jeden Slangmischmasch auskommt." Nicole Henneber, Tagesspiegel, 21.04.17
"Fatma Aydemir hat einen großartigen Roman geschrieben, der eine universelle Geschichte erzählt - die einer Emanzipation." Dennis Wagner, ARD ttt - titel, thesen, temperamente, 26.03.17
"Sozialdrama, Milieustudie - Fatma Aydemirs Roman ist beides, aber ihr Roman überrascht mit einer Heldin, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lässt. (...) Fatma Aydemirs Buch bietet keine einfachen Lösungen an, sie wirft nur kluge Fragen auf. Ein unbedingt lesenswertes Debüt." Marcella Drumm, WDR 3 "Gutenbergs Welt", 12.03.17
"'Ellbogen' hat Wucht wie ein Tritt in die Magengrube, auch deshalb, weil es auf Ghetto-Slang-Folklore verzichtet und uns mit einer Protagonistin konfrontiert, die viel zu wütend ist, um versöhnlich zu sein." Christian Möller, WDR 5, 09.03.17
"Mit 'Ellbogen' hat Fatma Aydemir ein beachtliches Debüt vorgelegt. Die Geschichte ist knapp und rau erzählt, alle Figuren werden schonungslos seziert. Der Sound ist cool bis düster - ein packender Roman über eine brennende Frage unserer Zeit." Manfred Heinfeldner, SWR "Kunscht!", 02.03.17
"... ein wichtiger Roman über unsere gespaltene Gesellschaft." Nina Berendonk, Freundin Donna, 3/2017
"Ein wichtiges Buch. Ein wuchtiges Buch. Ein rasantes Buch." Anne-Dore Krohn, rbb Kulturradio, 11.02.17
"Wie Fatma Aydemir diese Figur heraufbeschwört, das ist sensationell. Ihr genügen wenige Sätze, um Menschen zu beschreiben, Lügen zu sezieren oder Verzweiflung und Frust spürbar zu machen. Und das in einem ganz eigenen Ton. Hazal erzählt mit Witz, aber auch unterschwellig aggressiv und immer treffend. (...) 'Ellbogen' trifft einen wie eine Ohrfeige zum Wachwerden. Der jungen deutschen Literatur kann das nicht schaden." Antje Deistler, Deutschlandfunk Büchermarkt, 07.02.17
"'Ellbogen' ist eine Provokation der liberalen Mehrheitsgesellschaft. (...) ein Tritt in den Magen. Genauer, zwei Tritte. Einer für die misogyne türkische Gesellschaft. Und einer für die Verlogenheit der ach so liberalen Deutschen." Philipp Bovermann, Süddeutsche Zeitung, 04.02.17
"Ein wahnsinnig intensiver, krasser, teilweise auch richtig lustiger und auch zärtlicher Roman." Gesa Ufer, rbb radioeins "Favorit Buch", 02.02.17
"Fatma Aydemir hat mit ihrer Coming-of-Age Geschichte von Hazal einen politischen Roman geliefert, der aktueller nicht sein könnte." Laura Freisberg, BR2 Zündfunk, 02.02.17
"Dieser Roman ist ein Hammer. Er erwischt seine Leserinnen und Leser mit voller Wucht (...) Ein packender Roman, emotional und brutal - wie ein Schlag mit dem Ellbogen in die Magengrube." Katja Weise, NDR Kultur "Neue Bücher", 01.02.17
"Es gibt immer wieder Momente, in denen man sich an Wolfgang Herrndorfs 'Tschick' oder an 'Scherbenpark' von Alina Bronsky erinnert fühlt. 'Ellbogen' ist das Protokoll einer Verrohung, die Aydemir auf beinahe dokumentarische Weise nachzeichnet: mit einer harten Sprache, knappen Dialogen und starken Szenen. Kein Multikulti-Idyll, auch kein cooles Metropolen-Panorama, sondern eine Mischung aus Psychogramm und bedrängender Milieustudie, die es in sich hat." Maike Albath, Deutschlandradio Kultur "Lesart", 01.02.17
"Ein Buch, das man ohne Pause durchlesen will. In klarer, einfacher Sprache erzählt sie den Frust von Hazal, derb authentisch, ohne in peinliche Jugendsprache oder in albernen Kiez-Slang abzurutschen. (...) Ein starkes, berührendes, wichtiges Debüt." Judith Liere, stern, 02.02.17
"Meine wärmste Leseempfehlung. (...) Ein wichtiges Buch über die Suche nach der eigenen Identität und der Frage nach Heimat - für Leute, die Bücher zum Nachgrübeln mögen und keine Angst vor brutalen Wahrheiten haben." Gesa Wegeng, WDR 1live, 30.01.17
"Ein starkes Romandebüt." Felix Bayer, Spiegel Online, 29.01.17
"Fatma Aydemir gibt den türkischen Neukölln-Mädchen endlich eine literarische Stimme. (...) Sie vermisst die engen Grenzen von Hazals Leben so genau, dass ihr Debüt für die Buchwelt werden könnte, was Fatih Akins 'Gegen die Wand' für die Filmlandschaft ist." Maren Keller, Literatur Spiegel, 2/2017
"Ein Debütroman, wie er sein muss: kontrovers, mit viel Energie und Mut." Thomas Schindler, ARD "Morgenmagazin", 25.01.17
"Aydemir mutmaßt im ersten Teil noch über Hazals Leben, um es im zweiten vollends in seiner existenziellen Hilflosigkeit auszuloten. Das gelingt ihr bestens." Brigitte 13/2017
"Aydemirs Roman will nichts erklären und keine Antworten geben, sondern nur Fragen stellen, vorzugsweise unbequeme. (...) Mit 'Ellbogen' wollte die Autorin eine 'schnelle, harte Geschichte erzählen, in der alles schonungslos angeschaut wird'. Sie hat dafür eine überzeugende, klare Sprache gefunden, die ohne jeden Slangmischmasch auskommt." Nicole Henneber, Tagesspiegel, 21.04.17
"Fatma Aydemir hat einen großartigen Roman geschrieben, der eine universelle Geschichte erzählt - die einer Emanzipation." Dennis Wagner, ARD ttt - titel, thesen, temperamente, 26.03.17
"Sozialdrama, Milieustudie - Fatma Aydemirs Roman ist beides, aber ihr Roman überrascht mit einer Heldin, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lässt. (...) Fatma Aydemirs Buch bietet keine einfachen Lösungen an, sie wirft nur kluge Fragen auf. Ein unbedingt lesenswertes Debüt." Marcella Drumm, WDR 3 "Gutenbergs Welt", 12.03.17
"'Ellbogen' hat Wucht wie ein Tritt in die Magengrube, auch deshalb, weil es auf Ghetto-Slang-Folklore verzichtet und uns mit einer Protagonistin konfrontiert, die viel zu wütend ist, um versöhnlich zu sein." Christian Möller, WDR 5, 09.03.17
"Mit 'Ellbogen' hat Fatma Aydemir ein beachtliches Debüt vorgelegt. Die Geschichte ist knapp und rau erzählt, alle Figuren werden schonungslos seziert. Der Sound ist cool bis düster - ein packender Roman über eine brennende Frage unserer Zeit." Manfred Heinfeldner, SWR "Kunscht!", 02.03.17
"... ein wichtiger Roman über unsere gespaltene Gesellschaft." Nina Berendonk, Freundin Donna, 3/2017
"Ein wichtiges Buch. Ein wuchtiges Buch. Ein rasantes Buch." Anne-Dore Krohn, rbb Kulturradio, 11.02.17
"Wie Fatma Aydemir diese Figur heraufbeschwört, das ist sensationell. Ihr genügen wenige Sätze, um Menschen zu beschreiben, Lügen zu sezieren oder Verzweiflung und Frust spürbar zu machen. Und das in einem ganz eigenen Ton. Hazal erzählt mit Witz, aber auch unterschwellig aggressiv und immer treffend. (...) 'Ellbogen' trifft einen wie eine Ohrfeige zum Wachwerden. Der jungen deutschen Literatur kann das nicht schaden." Antje Deistler, Deutschlandfunk Büchermarkt, 07.02.17
"'Ellbogen' ist eine Provokation der liberalen Mehrheitsgesellschaft. (...) ein Tritt in den Magen. Genauer, zwei Tritte. Einer für die misogyne türkische Gesellschaft. Und einer für die Verlogenheit der ach so liberalen Deutschen." Philipp Bovermann, Süddeutsche Zeitung, 04.02.17
"Ein wahnsinnig intensiver, krasser, teilweise auch richtig lustiger und auch zärtlicher Roman." Gesa Ufer, rbb radioeins "Favorit Buch", 02.02.17
"Fatma Aydemir hat mit ihrer Coming-of-Age Geschichte von Hazal einen politischen Roman geliefert, der aktueller nicht sein könnte." Laura Freisberg, BR2 Zündfunk, 02.02.17
"Dieser Roman ist ein Hammer. Er erwischt seine Leserinnen und Leser mit voller Wucht (...) Ein packender Roman, emotional und brutal - wie ein Schlag mit dem Ellbogen in die Magengrube." Katja Weise, NDR Kultur "Neue Bücher", 01.02.17
"Es gibt immer wieder Momente, in denen man sich an Wolfgang Herrndorfs 'Tschick' oder an 'Scherbenpark' von Alina Bronsky erinnert fühlt. 'Ellbogen' ist das Protokoll einer Verrohung, die Aydemir auf beinahe dokumentarische Weise nachzeichnet: mit einer harten Sprache, knappen Dialogen und starken Szenen. Kein Multikulti-Idyll, auch kein cooles Metropolen-Panorama, sondern eine Mischung aus Psychogramm und bedrängender Milieustudie, die es in sich hat." Maike Albath, Deutschlandradio Kultur "Lesart", 01.02.17
"Ein Buch, das man ohne Pause durchlesen will. In klarer, einfacher Sprache erzählt sie den Frust von Hazal, derb authentisch, ohne in peinliche Jugendsprache oder in albernen Kiez-Slang abzurutschen. (...) Ein starkes, berührendes, wichtiges Debüt." Judith Liere, stern, 02.02.17
"Meine wärmste Leseempfehlung. (...) Ein wichtiges Buch über die Suche nach der eigenen Identität und der Frage nach Heimat - für Leute, die Bücher zum Nachgrübeln mögen und keine Angst vor brutalen Wahrheiten haben." Gesa Wegeng, WDR 1live, 30.01.17
"Ein starkes Romandebüt." Felix Bayer, Spiegel Online, 29.01.17
"Fatma Aydemir gibt den türkischen Neukölln-Mädchen endlich eine literarische Stimme. (...) Sie vermisst die engen Grenzen von Hazals Leben so genau, dass ihr Debüt für die Buchwelt werden könnte, was Fatih Akins 'Gegen die Wand' für die Filmlandschaft ist." Maren Keller, Literatur Spiegel, 2/2017
"Ein Debütroman, wie er sein muss: kontrovers, mit viel Energie und Mut." Thomas Schindler, ARD "Morgenmagazin", 25.01.17