Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2000 Lesetipp zum Wochenende
Die langen Tage im leeren Kreis
Wie Kay Thompson und Hilary Knight das unaufgeräumte Leben von „Eloise” im New Yorker Plaza dokumentieren
Das geht alles auf Rechnung . . . Der Satz bestimmt das Leben von Eloise, sechs Jahre alt, ihren Alltag in der Welt des Plaza, des berühmten Luxushotels von New York, des amerikanischen Hotels par excellence.
Ein Mädchen im Hotel, der Traum eines Kinderdaseins! Das Zimmer im obersten Stock, dazu der Zugang zu einem Labyrinth von Korridoren und Zimmern und Salons, so gewaltig, dass ein Leben nicht ausreicht, sie zu erforschen. Jeden Tag macht Eloise Touren im Aufzug, Exkursionen in den Palmengarten – Konversation mit Thomas und ein Stück Guglhupf – oder in den Barocksalon, wo man noch die Kreidestückchen auf dem Tisch findet und den Krug Eiswasser von der Sitzung von General Motors.
Kay Thompson hat die Geschichte von Eloise erzählt, Hilary Knight hat die Szenen gezeichnet, und zusammen haben sie ein prächtiges Bild der amerikanischen Gesellschaft entworfen im Jahr 1955. Ein großes Jahr, wenn man es mit den Augen eines erwachsenen Kindes sieht oder eines frühreifen Erwachsenen – Erich Kästner hatte es ähnlich in Deutschland versucht. 1955, das war die Zeit des letzten Glamours, gesellschaftlich an der Ost-, filmisch an der Westküste. Dort gehörte Kay Thompson bei der MGM zum Arthur Freed-Team, zusammen mit Vincente Minnelli und Gene Kelly, Robert Alton und Charles Walters, und gemeinsam haben sie damals die schönsten Musicals der Welt produziert. Thompson, selber ein Plaza-Kind, lehrte Gesang, und man kann sie als Chefin von Fred Astaire bewundern in „Funny Face”.
Das geht alles auf Rechnung, ein Leben voll mit Zimmerservice, im Zeichen des geheimnisvollen doppelten P. Ein Leben mit den Haustieren Weenie und Skipperdee, mit den Puppen Seemann und Sabrina – und mit Nanny, dem Kindermädchen. Denn die Mutter ist fern, in Europa, telefonisch nur erreichbar. Dreißig ist sie, sie hat ein Konto bei Bergdorf’s, und sie kennt Coco Chanel.
Im Plaza ist das Exquisite gemixt mit dem Ordinären. Man erlebt Nanny in Schlappen und beim Schnüren des Korsetts, aber wenn sie ihre Tasse an die Lippen führt, ist ihr Gesicht mit Grandezza verklärt. Ein Leben im Hotel, das ist in den USA selbstverständlicher als in Europa, wo man Fundamente, Wurzeln, Grenzlinien braucht. Mit Stern oder Kreis markiert Eloise ihre Tage im Kalender. Der Stern steht für neat, ein leerer Kreis für untidy, und alle Tage des laufenden Monats – oder ist es schon der vorige, der vorvorige, der vom letzten Jahr? – haben den Kreis. Ein unaufgeräumtes Leben also, da bleibt nur eins: Geschichten erfinden, Geschichten erfinden, Geschichten erfinden.
FRITZ GÖTTLER
KAY THOMPSON: Eloise. Deutsch von Joachim Kalka. Berlin Verlag 2000. 60 Seiten, 29,90 Mark.
Ein Glück exklusiv für Amerika – Eloise beim Schuhputzen im Plaza.
Abb. : Verlag
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Die langen Tage im leeren Kreis
Wie Kay Thompson und Hilary Knight das unaufgeräumte Leben von „Eloise” im New Yorker Plaza dokumentieren
Das geht alles auf Rechnung . . . Der Satz bestimmt das Leben von Eloise, sechs Jahre alt, ihren Alltag in der Welt des Plaza, des berühmten Luxushotels von New York, des amerikanischen Hotels par excellence.
Ein Mädchen im Hotel, der Traum eines Kinderdaseins! Das Zimmer im obersten Stock, dazu der Zugang zu einem Labyrinth von Korridoren und Zimmern und Salons, so gewaltig, dass ein Leben nicht ausreicht, sie zu erforschen. Jeden Tag macht Eloise Touren im Aufzug, Exkursionen in den Palmengarten – Konversation mit Thomas und ein Stück Guglhupf – oder in den Barocksalon, wo man noch die Kreidestückchen auf dem Tisch findet und den Krug Eiswasser von der Sitzung von General Motors.
Kay Thompson hat die Geschichte von Eloise erzählt, Hilary Knight hat die Szenen gezeichnet, und zusammen haben sie ein prächtiges Bild der amerikanischen Gesellschaft entworfen im Jahr 1955. Ein großes Jahr, wenn man es mit den Augen eines erwachsenen Kindes sieht oder eines frühreifen Erwachsenen – Erich Kästner hatte es ähnlich in Deutschland versucht. 1955, das war die Zeit des letzten Glamours, gesellschaftlich an der Ost-, filmisch an der Westküste. Dort gehörte Kay Thompson bei der MGM zum Arthur Freed-Team, zusammen mit Vincente Minnelli und Gene Kelly, Robert Alton und Charles Walters, und gemeinsam haben sie damals die schönsten Musicals der Welt produziert. Thompson, selber ein Plaza-Kind, lehrte Gesang, und man kann sie als Chefin von Fred Astaire bewundern in „Funny Face”.
Das geht alles auf Rechnung, ein Leben voll mit Zimmerservice, im Zeichen des geheimnisvollen doppelten P. Ein Leben mit den Haustieren Weenie und Skipperdee, mit den Puppen Seemann und Sabrina – und mit Nanny, dem Kindermädchen. Denn die Mutter ist fern, in Europa, telefonisch nur erreichbar. Dreißig ist sie, sie hat ein Konto bei Bergdorf’s, und sie kennt Coco Chanel.
Im Plaza ist das Exquisite gemixt mit dem Ordinären. Man erlebt Nanny in Schlappen und beim Schnüren des Korsetts, aber wenn sie ihre Tasse an die Lippen führt, ist ihr Gesicht mit Grandezza verklärt. Ein Leben im Hotel, das ist in den USA selbstverständlicher als in Europa, wo man Fundamente, Wurzeln, Grenzlinien braucht. Mit Stern oder Kreis markiert Eloise ihre Tage im Kalender. Der Stern steht für neat, ein leerer Kreis für untidy, und alle Tage des laufenden Monats – oder ist es schon der vorige, der vorvorige, der vom letzten Jahr? – haben den Kreis. Ein unaufgeräumtes Leben also, da bleibt nur eins: Geschichten erfinden, Geschichten erfinden, Geschichten erfinden.
FRITZ GÖTTLER
KAY THOMPSON: Eloise. Deutsch von Joachim Kalka. Berlin Verlag 2000. 60 Seiten, 29,90 Mark.
Ein Glück exklusiv für Amerika – Eloise beim Schuhputzen im Plaza.
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