Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.1996Das ostdeutsche Superweib
Eine Untersuchung über das Leben der Frauen in der DDR
Heike Trappe: Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik. Akademie Verlag, Berlin 1996. 242 Seiten, 64,- Mark.
Diese Frau steht ihren Mann im Betrieb, diese Frau hat dem Erzeuger ihrer zwei Kinder den Laufpaß gegeben, als er sich als Tunichtgut erwies, diese Frau absolviert nebenbei erfolgreich ein Fernstudium, diese Frau engagiert sich in der SED, der Gewerkschaft und dem Frauenbund, und zwischen samstäglicher - unbezahlter - Sonderschicht und Besuch des Tierparks mit den Kindern am Sonntag hat sie sogar noch Zeit für ein kleines amouröses Abenteuer mit dem für eine erneute Eheschließung auserkorenen Parteisekretär aus dem benachbarten Betrieb. Ja, so war es, das ostdeutsche Superweib, zumindest in einschlägigen DDR-Filmen!
Mag die Lebenswirklichkeit von Frauen in der DDR im Normalfall weniger anstrengend und auch trister gewesen sein, einen wahren Kern scheint diese Betrachtungsweise zu enthalten; Heike Trappe liefert jedenfalls mit ihrer Untersuchung zu Frauen zwischen Erwerbsarbeit und Familie einige Anhaltspunkte hierfür. Die Studie zeigt, wie verschiedene Frauengenerationen unterschiedlich mit der ihnen von der SED-Führung zugedachten Doppelrolle in Familie und Beruf zurechtkamen. Angesichts einer innovationsschwachen und produktivitätsarmen Wirtschaft, steigender Flüchtlingszahlen und sinkender Geburtenraten forderte die Parteiführung von den Frauen eine Zunahme der Geburtenzahlen und gleichzeitig ihre Vollerwerbstätigkeit. Da der Lohn des Mannes zumeist nicht ausreichte, eine Familie auf halbwegs angemessenem Niveau zu ernähren, gab es auch für Frauen, die ihre Verwirklichung nicht unbedingt in der Arbeit sahen, einen hinreichenden materiellen Anreiz.
Während ältere Frauengenerationen nach der Geburt ihrer Kinder noch zu längerer Arbeitsunterbrechung neigten und ihre Rolle zwischen Beruf oder Familie einnahmen, konnten sich jüngere Frauen dem gesellschaftlichen Druck, Beruf und Familie gleichzeitig zu meistern, kaum entziehen. Erleichtert wurde dieser Spagat durch die staatliche Sozialpolitik, die seit den siebziger Jahren durch die Bereitstellung einer umfassenden institutionellen Betreuung und Erziehung von Babys, Kindern und Jugendlichen auf eine weitere Erhöhung der Frauenerwerbstätigenquote zielte. Sie stieg von 44 Prozent im Jahre 1950 über 60 Prozent (1960) und 70 Prozent (1970) auf schließlich knapp 81 Prozent im Jahre 1989 und erreichte damit das Niveau der Berufstätigkeit von Männern.
Für die marxistisch-leninistischen Ideologen der SED war damit die Gleichstellung der Geschlechter und die Lösung der Frauenfrage durch Berufstätigkeit erreicht. Ebenso wie für Männer gab es für Frauen ein Recht auf Arbeit, das jedoch gleichzeitig Pflicht zur Arbeit bei staatlich verordneten Löhnen war. Da Arbeit in der DDR als höchste Erfüllung menschlichen Lebens zu gelten hatte, waren die Frauen sogar bevorzugt, durften sie doch zusätzlich den Löwenanteil der Hausarbeit erledigen.
Um den seit Mitte der sechziger Jahre einsetzenden drastischen Geburtenrückgang zu stoppen, verstärkte die SED in den siebziger Jahren ihre Bemühungen zur Erhöhung der "Reproduktionsrate" der Bevölkerung. Zum Leitbild wurde die Familie mit drei Kindern erklärt. Durch entsprechende finanzielle Förderung gelang es, die Geburtenrate anzuheben, wenn auch nicht auf das hohe Niveau der fünfziger und sechziger Jahre. Die Last hatten die Frauen zu tragen, da die SED-Familienpolitik immer noch ausgeprägter als in der Bundesrepublik Frauen- beziehungsweise Mütterpolitik blieb. An der überkommenen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern änderte sich nicht viel, trotz der Vollerwerbstätigkeit waren in erster Linie Frauen für Kinder und Haushalt zuständig. Diese von der Autorin als "Familienarbeit" bezeichneten Tätigkeiten mußten weitgehend der Erwerbsarbeit untergeordnet werden, so blieb für die Kinder oft wenig Zeit.
Leider enthält das Buch keine weiteren Angaben über die zeitliche Inanspruchnahme von Kinderkrippen oder Kindergärten; die Auswirkungen der frühen und umfassenden staatlichen Kindererziehung werden ebensowenig thematisiert wie die Absicht der totalitären Staatspartei, die Kinder in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu steuern.
Die sozialpolitische Bevorzugung von Frauen führte freilich auch zu betrieblichen Nachteilen, gerade jüngere Frauen wurden in stärkerem Maße als ihre männlichen Kollegen in unterqualifizierten Positionen beschäftigt. Die Mitgliedschaft in der SED verhinderte zwar - wie bei Männern - berufliche Abstiege, sicherte aber keineswegs den Aufstieg in Führungspositionen. An der Spitze von Partei, Staat und Wirtschaft blieben Männer zumeist älteren Jahrgangs weitgehend unter sich.
Mit erheblichem finanziellen Aufwand, ideologischem Druck sowie der gesellschaftlichen Benachteiligung nicht erwerbsbereiter Frauen hatte es die SED Mitte der achtziger Jahre geschafft, den Lebensalltag von Frauen zu vereinheitlichen. "Es ist nicht übertrieben, für diese jüngeren Frauen von einer hochgradigen sozialpolitischen Steuerung ihrer Lebensgestaltung zu sprechen. Frauen neigten nicht dazu, individuelle Gegenstrategien zu entwickeln, sondern viel eher dazu, die institutionellen Regelungssysteme strategisch und pragmatisch zu nutzen. Die häufig kräftezehrende Alltagsbewältigung bedingte eine sorgsame Kalkulation der individuellen Kräfte."
So hatten die Frauen zwar eine relative ökonomische Unabhängigkeit von ihren Männern erreicht, individuell zu nutzende Optionen für die Lebensgestaltung eröffneten sich damit nicht. Die empirischen Ergebnisse der Studie sprechen für sich: Die SED kann ihren verstärkt seit Mitte der siebziger Jahre formulierten Anspruch, direkt und umfassend in die Gesellschaft und die Persönlichkeitsentwicklung steuernd einzugreifen, auf diesem Feld verwirklichen. Die von der Autorin vorgenommene Kennzeichnung der Sozialpolitik als eine "Variante moderner Gesellschaften auf industriegesellschaftlichem Niveau" oder als "staatssozialistisches System" mit einem "hohen Maß an sozialer Absicherung" erschließt sich zwar nicht unbedingt aus ihren Ergebnissen, mindert aber auch nicht den Informationsgehalt des Buches.
Im vereinten Deutschland treffen die in der DDR aufgewachsenen und ungebrochen erwerbsbereiten Frauen nun auf westliche Geschlechtsgenossinnen, die ganz andere Möglichkeiten hatten, Beruf und Familie zu vereinbaren. In der gegenseitigen Wahrnehmung könnte bisweilen der Kontrast nicht größer sein; hier die durch den Mann finanziell gutgestellte und mit der Erziehung schon eines Kindes und der Erfüllung ihrer Selbstverwirklichungsansprüche überforderte, ewig klagende westdeutsche Frau, dort die arbeitsame, sich klaglos unterordnende und alle Familienprobleme meisternde Frau, an der alle Unwägbarkeiten dieser Welt abzuprallen scheinen. KLAUS SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Untersuchung über das Leben der Frauen in der DDR
Heike Trappe: Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik. Akademie Verlag, Berlin 1996. 242 Seiten, 64,- Mark.
Diese Frau steht ihren Mann im Betrieb, diese Frau hat dem Erzeuger ihrer zwei Kinder den Laufpaß gegeben, als er sich als Tunichtgut erwies, diese Frau absolviert nebenbei erfolgreich ein Fernstudium, diese Frau engagiert sich in der SED, der Gewerkschaft und dem Frauenbund, und zwischen samstäglicher - unbezahlter - Sonderschicht und Besuch des Tierparks mit den Kindern am Sonntag hat sie sogar noch Zeit für ein kleines amouröses Abenteuer mit dem für eine erneute Eheschließung auserkorenen Parteisekretär aus dem benachbarten Betrieb. Ja, so war es, das ostdeutsche Superweib, zumindest in einschlägigen DDR-Filmen!
Mag die Lebenswirklichkeit von Frauen in der DDR im Normalfall weniger anstrengend und auch trister gewesen sein, einen wahren Kern scheint diese Betrachtungsweise zu enthalten; Heike Trappe liefert jedenfalls mit ihrer Untersuchung zu Frauen zwischen Erwerbsarbeit und Familie einige Anhaltspunkte hierfür. Die Studie zeigt, wie verschiedene Frauengenerationen unterschiedlich mit der ihnen von der SED-Führung zugedachten Doppelrolle in Familie und Beruf zurechtkamen. Angesichts einer innovationsschwachen und produktivitätsarmen Wirtschaft, steigender Flüchtlingszahlen und sinkender Geburtenraten forderte die Parteiführung von den Frauen eine Zunahme der Geburtenzahlen und gleichzeitig ihre Vollerwerbstätigkeit. Da der Lohn des Mannes zumeist nicht ausreichte, eine Familie auf halbwegs angemessenem Niveau zu ernähren, gab es auch für Frauen, die ihre Verwirklichung nicht unbedingt in der Arbeit sahen, einen hinreichenden materiellen Anreiz.
Während ältere Frauengenerationen nach der Geburt ihrer Kinder noch zu längerer Arbeitsunterbrechung neigten und ihre Rolle zwischen Beruf oder Familie einnahmen, konnten sich jüngere Frauen dem gesellschaftlichen Druck, Beruf und Familie gleichzeitig zu meistern, kaum entziehen. Erleichtert wurde dieser Spagat durch die staatliche Sozialpolitik, die seit den siebziger Jahren durch die Bereitstellung einer umfassenden institutionellen Betreuung und Erziehung von Babys, Kindern und Jugendlichen auf eine weitere Erhöhung der Frauenerwerbstätigenquote zielte. Sie stieg von 44 Prozent im Jahre 1950 über 60 Prozent (1960) und 70 Prozent (1970) auf schließlich knapp 81 Prozent im Jahre 1989 und erreichte damit das Niveau der Berufstätigkeit von Männern.
Für die marxistisch-leninistischen Ideologen der SED war damit die Gleichstellung der Geschlechter und die Lösung der Frauenfrage durch Berufstätigkeit erreicht. Ebenso wie für Männer gab es für Frauen ein Recht auf Arbeit, das jedoch gleichzeitig Pflicht zur Arbeit bei staatlich verordneten Löhnen war. Da Arbeit in der DDR als höchste Erfüllung menschlichen Lebens zu gelten hatte, waren die Frauen sogar bevorzugt, durften sie doch zusätzlich den Löwenanteil der Hausarbeit erledigen.
Um den seit Mitte der sechziger Jahre einsetzenden drastischen Geburtenrückgang zu stoppen, verstärkte die SED in den siebziger Jahren ihre Bemühungen zur Erhöhung der "Reproduktionsrate" der Bevölkerung. Zum Leitbild wurde die Familie mit drei Kindern erklärt. Durch entsprechende finanzielle Förderung gelang es, die Geburtenrate anzuheben, wenn auch nicht auf das hohe Niveau der fünfziger und sechziger Jahre. Die Last hatten die Frauen zu tragen, da die SED-Familienpolitik immer noch ausgeprägter als in der Bundesrepublik Frauen- beziehungsweise Mütterpolitik blieb. An der überkommenen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern änderte sich nicht viel, trotz der Vollerwerbstätigkeit waren in erster Linie Frauen für Kinder und Haushalt zuständig. Diese von der Autorin als "Familienarbeit" bezeichneten Tätigkeiten mußten weitgehend der Erwerbsarbeit untergeordnet werden, so blieb für die Kinder oft wenig Zeit.
Leider enthält das Buch keine weiteren Angaben über die zeitliche Inanspruchnahme von Kinderkrippen oder Kindergärten; die Auswirkungen der frühen und umfassenden staatlichen Kindererziehung werden ebensowenig thematisiert wie die Absicht der totalitären Staatspartei, die Kinder in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu steuern.
Die sozialpolitische Bevorzugung von Frauen führte freilich auch zu betrieblichen Nachteilen, gerade jüngere Frauen wurden in stärkerem Maße als ihre männlichen Kollegen in unterqualifizierten Positionen beschäftigt. Die Mitgliedschaft in der SED verhinderte zwar - wie bei Männern - berufliche Abstiege, sicherte aber keineswegs den Aufstieg in Führungspositionen. An der Spitze von Partei, Staat und Wirtschaft blieben Männer zumeist älteren Jahrgangs weitgehend unter sich.
Mit erheblichem finanziellen Aufwand, ideologischem Druck sowie der gesellschaftlichen Benachteiligung nicht erwerbsbereiter Frauen hatte es die SED Mitte der achtziger Jahre geschafft, den Lebensalltag von Frauen zu vereinheitlichen. "Es ist nicht übertrieben, für diese jüngeren Frauen von einer hochgradigen sozialpolitischen Steuerung ihrer Lebensgestaltung zu sprechen. Frauen neigten nicht dazu, individuelle Gegenstrategien zu entwickeln, sondern viel eher dazu, die institutionellen Regelungssysteme strategisch und pragmatisch zu nutzen. Die häufig kräftezehrende Alltagsbewältigung bedingte eine sorgsame Kalkulation der individuellen Kräfte."
So hatten die Frauen zwar eine relative ökonomische Unabhängigkeit von ihren Männern erreicht, individuell zu nutzende Optionen für die Lebensgestaltung eröffneten sich damit nicht. Die empirischen Ergebnisse der Studie sprechen für sich: Die SED kann ihren verstärkt seit Mitte der siebziger Jahre formulierten Anspruch, direkt und umfassend in die Gesellschaft und die Persönlichkeitsentwicklung steuernd einzugreifen, auf diesem Feld verwirklichen. Die von der Autorin vorgenommene Kennzeichnung der Sozialpolitik als eine "Variante moderner Gesellschaften auf industriegesellschaftlichem Niveau" oder als "staatssozialistisches System" mit einem "hohen Maß an sozialer Absicherung" erschließt sich zwar nicht unbedingt aus ihren Ergebnissen, mindert aber auch nicht den Informationsgehalt des Buches.
Im vereinten Deutschland treffen die in der DDR aufgewachsenen und ungebrochen erwerbsbereiten Frauen nun auf westliche Geschlechtsgenossinnen, die ganz andere Möglichkeiten hatten, Beruf und Familie zu vereinbaren. In der gegenseitigen Wahrnehmung könnte bisweilen der Kontrast nicht größer sein; hier die durch den Mann finanziell gutgestellte und mit der Erziehung schon eines Kindes und der Erfüllung ihrer Selbstverwirklichungsansprüche überforderte, ewig klagende westdeutsche Frau, dort die arbeitsame, sich klaglos unterordnende und alle Familienprobleme meisternde Frau, an der alle Unwägbarkeiten dieser Welt abzuprallen scheinen. KLAUS SCHROEDER
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