Es ist das sprichwörtliche Märchen vom Fund auf dem Dachboden. Schauplatz: ein Zürcher Einfamilienhaus. Gegenstand: eine größere Anzahl alter Kisten. Inhalt: Der Nachlaß eines Mannes, der ein Universalkünstler war: zuerst Architekt, dann Innenarchitekt und Designer, dann Gebrauchsgraphiker, dann Plakatkünstler, dann Bühnenbildner, daneben natürlich auch Zeichner, Maler, Autor - und zwar nicht als fröhlicher Dilettant, sondern als anerkannter, ja berühmter Vertreter seiner Fächer. Die Rede ist von Emil Pirchan (1884-1957), der so vieles rasch hintereinander und auch wieder gleichzeitig machte, daß die gesetzte Kunst- und Theater geschichte nicht hinterher kam und das offizielle Kulturleben es schließlich dabei bewenden ließ, eine Gasse in Wien nach ihm zu benennen. Die Entdeckung auf dem Dachboden gab Beat Steffan, dem Enkel des Künstlers, nun Anlaß zu einer Expedition in Emil Pirchans kreative Welt. Zu dem Fund gehörten Skizzenbücher, graphische Arbeiten, Bühnenbildentwürfe, biographische Materialien, eine umfangreiche Bibliothek. Es stellte sich zudem heraus, daß im Theatermuseum Wien ein größerer Bestand ruhte, neben Plakaten in einschlägigen Sammlungen wie dem Stadtmuseum München oder dem Folkwang Museum Essen. Ein größeres Autorenteam hat es in den letzten zwei Jahren unternommen, das Material zu ordnen, zu erfassen, zu sichten und aufzubereiten. Das Ergebnis ist ein Band, der eine ganze Epoche der deutschösterreichisch- tschechischen Kulturgeschichte in ungeahntem Facettenreichtum wieder erlebbar macht. Dazu dienen mehr als 300 größtenteils unbekannte Abbildungen sowie Beiträge von anerkannten Fachleuten aller Disziplinen, in denen Pirchan sich bewegt hat. Der Band erscheint in einer deutschen und in einer englischen Ausgabe und enthält auch umfassende Verzeichnisse zu Pirchans Schaffen u.a. für seine Graphik, Plakate, Bühnenbilder, Bücher, Aufsätze etc. Die Publikation wird deswegen auf absehbare Zeit das maßgebende Referenzwerk für den Künstler bilden.Emil Pirchan (1884 -1957), geboren in Brünn, begann seine künstlerische Laufbahn als Schüler des berühmten Wiener Jugendstil- Architekten Otto Wagner, wechselte dann zum Interior-Design. Bald erweiterte er sein Feld auf Werbe-Graphik mit Schwerpunkt bei der Plakatkunst, gründete 1913 in München eine Schule für Gebrauchsgraphik und Bühnenbild, deren verheißungsvolle Entwicklung durch den 1. Weltkrieg unterbrochen wurde. Als Austattungsleiter am Bayerischen Staatstheater machte Pirchan durch revolutionäre expressionistische Bühnenbilder Furore; ab 1921 schuf seine Zusammenarbeit mit Leopold Jessner in Berlin epochemachende Inszenierungen zeitgenössischer und klassischer Stücke. Infolge der Wirtschaftskrise wechselte Pirchan 1930 nach Prag, ehe er 1936 zum Professor an die Akademie der Bildenden Künste nach Wien berufen wurde. Während der Zeit des Nationalsozialisus zog er sich vermehrt auf das Schreiben zurück und publizierte diverse Monographien (darunter das erste Übersichtswerk zu Gustav Klimt) und einschlägige Werke über Theaterkunst und Tanz (u.a. «Harald Kreutzberg», 1941). Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg war schließlich von Lehrtätigkeit geprägt.
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