Empire, as Hardt and Negri demonstrate, is the new political order of globalization. Their book shows how this emerging structure is fundamentally different from the imperialism of European dominance and capitalist expansion in previous eras. Rather, todayâ s Empire draws on the hybrid identities and expanding frontiers of U.S. constitutionalism.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2002Cäsar, go home!
Das Buch "Empire": Globalisierungskritik als Lebensgefühl
Bei einem Buch wie "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt haben Rezensionen fast etwas Unangemessenes. Nicht daß das Werk über Kritik erhaben wäre, im Gegenteil; aber offensichtlich geht seine Rezeption über das übliche Verhältnis eines Lesers zu einem Text hinaus. Seit über einem Jahr hat das amerikanische Original (F.A.Z. vom 16. August 2001) und seit kurzem auch die deutsche Übersetzung eine ausufernde Diskussion jenseits der gewohnten Institutionen des Betriebs entfesselt: in verschworenen "Lesezirkeln" und Underground-Postillen ebenso wie im Internet. Ihr anachronistischer Ernst hat eine gänzlich verloren geglaubte Einrichtung ins Leben zurückgerufen: die "linke Debatte", die traditionellerweise davon handelt, was Linkssein überhaupt ist. Diese Wirkung scheint mit einer stilistischen Eigenart des Buchs zu tun zu haben: Nicht der tatsächliche, rezensierbare Inhalt regt offenbar die kollektive Phantasie an, sondern der gigantische Leerraum, den die meist vagen, sich selbst genügenden Abstraktionen lassen. So ist das Buch vor allem als Symptom einer Erwartung interessant.
In den Rezensionen wurde "Empire" durchweg als Globalisierungstheorie gehandelt, als die erfolgreichste Streitschrift gegen den Kapitalismus seit langem. Doch es ist offenkundig etwas anderes, was den erstaunlichen Rumor zustande brachte, den dieses Buch zwischen "nächster Großtheorie" ("New York Times") und "neuem Kommunistischem Manifest" (Slavoj Zizek) von Anfang an umgab. Globalisierungsanalysen bieten viele an, und "Empire" tut es eigentlich gar nicht. Die Ökonomie kommt hier neben Foucault, Deleuze und dem heiligen Augustinus nur wie ein Zitat unter vielen vor; keineswegs ist ihre Beschreibung leitend für die überbordende, sich weitgehend auf Theoriesysteme anderer stützende Begriffsproduktion des Werks. Das spezifische Merkmal von "Empire" ist etwas anderes: Es ist eine feierliche Theorie der linken Existenz und insgeheim dabei auch noch ein Manifest gegen die Kulturkritik. Die Antwort, die sich eine vom Fatalismus bedrohte Linke von ihm zu erhoffen scheint, betrifft die Frage, wie sie sich wieder als Subjekt der Geschichte fühlen und, noch grundsätzlicher, wo ihr vagabundierendes Widerstandsbedürfnis seinen Gegner finden kann: "Den Gegner zu bestimmen ist keine geringe Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Ausbeutung über keinen spezifischen Ort mehr verfügt."
Manche enthusiastischen Kommentare haben Adorno/Horkheimer oder gar Marx/Engels als die Ahnen der "Empire"-Autoren Hardt/Negri aufgerufen. Doch wenn man denn nach Ahnen sucht, so ist ein anderes Paar zu nennen, das freilich im Literaturverzeichnis von "Empire" nicht auftaucht: Peters/Waterman. Diese Theoretiker des modernen Managements haben mit ihrer ausgefuchsten Dialektik die Marktwirtschaft zur Erfüllung des linken Emanzipationsversprechens erklärt: Wenn der Kapitalismus heute die gesamte Persönlichkeit seiner Funktionsträger in Anspruch nimmt, läßt es sich gar nicht mehr unterscheiden, ob der Kapitalismus die Menschen oder nicht vielmehr die Menschen den Kapitalismus für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ein schlichter Gedanke wie dieser ist geeignet, aller grundsätzlichen Systemkritik die Luft aus den Segeln zu nehmen.
Mehr positives Denken
Tatsächlich gewann er, auch ganz unabhängig von seiner Formulierung durch Peters/Waterman, mit den Jahren eine solche Evidenz, daß die Linke weitgehend verstummte. Ihre antikapitalistische Kulturkritik wurde folgenlos, versandete entweder in übelgelauntem Trotz oder frivoler Affirmation. Die Dialektik der Geschichte und der ihr innewohnenden Vernunft schien sich in ein Argument für das Bestehende zu verwandeln oder in ein Argument für Fatalismus. Wenn linke Konzepte in Sprache und Inhalt kaum noch von Managementtheorien zu unterscheiden sind, dann lassen sich umgekehrt auch alle vermeintlichen Freiheiten und Fortschritte als Teil eines umfassenden Unheilszusammenhangs interpretieren, einer gigantischen Entfremdungsverschwörung. "Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg", dekretierte Adorno, der Scham selbst darüber empfand, "daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt".
Das Zauberkunststück, das Antonio Negri und Michael Hardt gelingt, ist, daß sie diese bisherigen Befunde linker Kulturkritik auf die Spitze treiben und ihnen dann einfach ein anderes Vorzeichen geben. Ja, dem Empire könne niemand entrinnen, doch in ebendieser Immanenz liege auch schon sein Ende, der Keim seiner Zerrüttung. So wie Peters/Waterman alle Systemkritik im modernen Management aufhoben und dann zum Verschwinden brachten, lassen Hardt/Negri das System sich in den Händen derer, die es bilden, auflösen. Beide überwinden ihren Widerpart nicht, indem sie ihn bekämpfen, sondern indem sie ihn sich einverleiben - im gelassenen Bewußtsein der eigenen Überlegenheit.
Denn das Empire ist zwar total, kennt kein Außen mehr, aber es ist selbst bloß parasitär, sekundär. Primär ist sein dialektisches Gegenstück: die "Multitude", die Menge der vielen einzelnen, deren "Produktivkraft" überhaupt erst die Grundlage des Empires abgibt. Empire und Multitude sind dialektisch aufs engste miteinander verwoben, doch keineswegs auf derselben Ebene. Sobald sich die Multitude ihrer Vorrangigkeit bewußt wird, der Kraft ihrer Subjektivität und Gemeinschaft, ist es um das Empire geschehen: "Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben." Mit anderen Worten: Die Dialektik steht wieder auf seiten des "Widerstands".
"Empire" offeriert also nichts Geringeres als die Möglichkeit, sich wieder als Revolutionär fühlen zu können (auch wenn der Begriff nicht verwendet wird), ohne dabei die Vorteile der umzustürzenden Gesellschaft zu missen. Es wird akzeptiert, daß der Revolutionär neuen Typs das System mit seiner Arbeit in der ausdifferenzierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaft selbst am Laufen hält; ihm wird nicht mehr der Selbstbetrug abverlangt, er stehe in Wahrheit irgendwo außerhalb. Was ihn unterscheidet, ist allein eine Bewußtseinstatsache: Wie der moderne Manager bei Peters/Waterman glaubt er daran, daß es vor allem von seiner inneren Einstellung, von seiner Interpretationsleistung abhängt, wie sich die Dinge verhalten. Daher spielt das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, auf dem ein gut Teil der neueren Managementliteratur beruht, auch bei Hardt/Negri eine große Rolle. Beifällig wird Spinoza zitiert: Der Prophet muß sein eigenes Volk hervorbringen. Die analytische Energie wird nicht auf die Beschreibung oder Widerlegung des Gegners verwandt, sondern auf die eigenen mentalen Bedingungen des Erfolgs. "Empire" ist ein linkes Manifest des positiven Denkens.
Die Pointe ist freilich, daß dieses Mentaltraining ganz im Zeichen der Rückkehr materialistischer Kategorien stattfindet. Es komme darauf an, "aus dem Reich der Ideen in das der Produktion überzuwechseln". Dort und nicht auf der Ebene der kulturellen Codierungen spiele sich die Auseinandersetzung ab: Diese Überzeugung bildet vielleicht den größten Unterschied zum linken Common sense der letzten Jahrzehnte, für den die Kultur ein bequemer Schlupfwinkel inmitten der ansonsten fest zementierten Verhältnisse war. Hardt/Negri bestehen darauf, daß die marxistische Kategorie der Produktivkraft kampfentscheidend sei, die freilich in Zeiten postindustrieller Virtualität ins Subjektive, Mentale verlegt ist. Das Sein, das heute das Bewußtsein bestimmt, ist seinerseits vom Bewußtsein geprägt.
Weniger Kulturkritik
Die Abkehr von der fatalismusfördernden "Kulturkritik" ist die erste - freilich unausgesprochene - Bedingung für die gute Laune, die "Empire" propagiert. Die andere, durchaus explizierte Voraussetzung ist die Abwehr des Historismus. An die Stelle der "Geschichte" und ihrer vermeintlichen Linearität setzen Hardt/Negri die "Macht der Menge, Geschichte zu machen": das unerschöpfliche Potential der "res gestae", der historischen Taten und Ereignisse. "Der Ansatz bricht methodisch mit jeglicher Geschichtsphilosophie, insofern er deterministische Vorstellungen von historischer Entwicklung ebenso verwirft wie die ,rationale' Rechtfertigung von Resultaten. Er zeigt vielmehr, wie das geschichtliche Ereignis in der Potentialität ruht." Ein einziges spontanes "Ereignis" könne einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit der Geschichte ebenso den Boden entziehen wie dem Glauben an eine Naturwüchsigkeit des Marktes.
Worin ein solches Ereignis bestehen könnte, was überhaupt die Gesellschaft auszeichnet, die an die Stelle des Empires treten soll, darüber schweigen sich die Autoren aus. Ihnen kommt es allein darauf an, ihren archimedischen Punkt der Bewußtseinstransformation historisch und ontologisch zu verankern. Was dem Empire zum Untergang gereichen wird, sei vor allem sein "imperialer Mangel an Sein", während das Gute, also die vitale Produktivität der nach Liebe und Gemeinschaft strebenden Multitude, mit dem Wahren, dem Schönen und dem Sein selbst konvergiert. Historisch ziehen Hardt/Negri immer wieder Parallelen zum Römischen Reich, das ja bekanntlich auch vor den vermeintlich machtlosen Christen und Barbaren unversehens kollabierte. Doch die Autoren verschweigen, daß die Christen eine durchaus konkrete Vorstellung davon hatten, was sie selber wollten, den Untergang der weltlichen Macht dagegen gar nicht direkt intendierten. Bei der Multitude ist es umgekehrt. Um sie vor aller sektiererischen Engführung zu bewahren, weichen die Autoren in einen mystischen Universalismus aus, der in seiner jegliche Konkretisierung scheuenden Unvermitteltheit nichts anderes ist als Kitsch: "Wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen." Das Schlußkapitel mit seiner Berufung auf den heiligen Franziskus trägt messianische Züge: "Diese Militanz verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der Liebe."
Doch man sollte den Einfluß dieses esoterischen Programms auf die neuen linken Bewegungen deswegen nicht unterschätzen. Zwar gibt es markante Unterschiede auf der operativen Ebene: Die Globalisierungskritiker von "Attac" zum Beispiel fordern mit der Tobin-Steuer eine quasistaatliche Struktur für die ganze Welt, um so den Wildwuchs einzudämmen, während Hardt/Negri das Chaos noch erst richtig entfesseln wollen, um die imperiale Macht zu brechen. Doch spezifischer sind die Gemeinsamkeiten. Auch die sogenannten Globalisierungsgegner bejahen die Globalisierung; auch sie haben erklärtermaßen kein neues "System" und beziehen ihre für altgediente Achtundsechziger fast schon unheimliche gute Laune daraus, daß die geschichtsphilosophischen und kulturkritischen Distinktionsschlachten der Altvorderen für sie überhaupt keine Rolle spielen. Mit "Empire" bekommt das positive Denken nun zwar keinen Grund, aber doch Methode.
MARK SIEMONS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Buch "Empire": Globalisierungskritik als Lebensgefühl
Bei einem Buch wie "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt haben Rezensionen fast etwas Unangemessenes. Nicht daß das Werk über Kritik erhaben wäre, im Gegenteil; aber offensichtlich geht seine Rezeption über das übliche Verhältnis eines Lesers zu einem Text hinaus. Seit über einem Jahr hat das amerikanische Original (F.A.Z. vom 16. August 2001) und seit kurzem auch die deutsche Übersetzung eine ausufernde Diskussion jenseits der gewohnten Institutionen des Betriebs entfesselt: in verschworenen "Lesezirkeln" und Underground-Postillen ebenso wie im Internet. Ihr anachronistischer Ernst hat eine gänzlich verloren geglaubte Einrichtung ins Leben zurückgerufen: die "linke Debatte", die traditionellerweise davon handelt, was Linkssein überhaupt ist. Diese Wirkung scheint mit einer stilistischen Eigenart des Buchs zu tun zu haben: Nicht der tatsächliche, rezensierbare Inhalt regt offenbar die kollektive Phantasie an, sondern der gigantische Leerraum, den die meist vagen, sich selbst genügenden Abstraktionen lassen. So ist das Buch vor allem als Symptom einer Erwartung interessant.
In den Rezensionen wurde "Empire" durchweg als Globalisierungstheorie gehandelt, als die erfolgreichste Streitschrift gegen den Kapitalismus seit langem. Doch es ist offenkundig etwas anderes, was den erstaunlichen Rumor zustande brachte, den dieses Buch zwischen "nächster Großtheorie" ("New York Times") und "neuem Kommunistischem Manifest" (Slavoj Zizek) von Anfang an umgab. Globalisierungsanalysen bieten viele an, und "Empire" tut es eigentlich gar nicht. Die Ökonomie kommt hier neben Foucault, Deleuze und dem heiligen Augustinus nur wie ein Zitat unter vielen vor; keineswegs ist ihre Beschreibung leitend für die überbordende, sich weitgehend auf Theoriesysteme anderer stützende Begriffsproduktion des Werks. Das spezifische Merkmal von "Empire" ist etwas anderes: Es ist eine feierliche Theorie der linken Existenz und insgeheim dabei auch noch ein Manifest gegen die Kulturkritik. Die Antwort, die sich eine vom Fatalismus bedrohte Linke von ihm zu erhoffen scheint, betrifft die Frage, wie sie sich wieder als Subjekt der Geschichte fühlen und, noch grundsätzlicher, wo ihr vagabundierendes Widerstandsbedürfnis seinen Gegner finden kann: "Den Gegner zu bestimmen ist keine geringe Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Ausbeutung über keinen spezifischen Ort mehr verfügt."
Manche enthusiastischen Kommentare haben Adorno/Horkheimer oder gar Marx/Engels als die Ahnen der "Empire"-Autoren Hardt/Negri aufgerufen. Doch wenn man denn nach Ahnen sucht, so ist ein anderes Paar zu nennen, das freilich im Literaturverzeichnis von "Empire" nicht auftaucht: Peters/Waterman. Diese Theoretiker des modernen Managements haben mit ihrer ausgefuchsten Dialektik die Marktwirtschaft zur Erfüllung des linken Emanzipationsversprechens erklärt: Wenn der Kapitalismus heute die gesamte Persönlichkeit seiner Funktionsträger in Anspruch nimmt, läßt es sich gar nicht mehr unterscheiden, ob der Kapitalismus die Menschen oder nicht vielmehr die Menschen den Kapitalismus für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ein schlichter Gedanke wie dieser ist geeignet, aller grundsätzlichen Systemkritik die Luft aus den Segeln zu nehmen.
Mehr positives Denken
Tatsächlich gewann er, auch ganz unabhängig von seiner Formulierung durch Peters/Waterman, mit den Jahren eine solche Evidenz, daß die Linke weitgehend verstummte. Ihre antikapitalistische Kulturkritik wurde folgenlos, versandete entweder in übelgelauntem Trotz oder frivoler Affirmation. Die Dialektik der Geschichte und der ihr innewohnenden Vernunft schien sich in ein Argument für das Bestehende zu verwandeln oder in ein Argument für Fatalismus. Wenn linke Konzepte in Sprache und Inhalt kaum noch von Managementtheorien zu unterscheiden sind, dann lassen sich umgekehrt auch alle vermeintlichen Freiheiten und Fortschritte als Teil eines umfassenden Unheilszusammenhangs interpretieren, einer gigantischen Entfremdungsverschwörung. "Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg", dekretierte Adorno, der Scham selbst darüber empfand, "daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt".
Das Zauberkunststück, das Antonio Negri und Michael Hardt gelingt, ist, daß sie diese bisherigen Befunde linker Kulturkritik auf die Spitze treiben und ihnen dann einfach ein anderes Vorzeichen geben. Ja, dem Empire könne niemand entrinnen, doch in ebendieser Immanenz liege auch schon sein Ende, der Keim seiner Zerrüttung. So wie Peters/Waterman alle Systemkritik im modernen Management aufhoben und dann zum Verschwinden brachten, lassen Hardt/Negri das System sich in den Händen derer, die es bilden, auflösen. Beide überwinden ihren Widerpart nicht, indem sie ihn bekämpfen, sondern indem sie ihn sich einverleiben - im gelassenen Bewußtsein der eigenen Überlegenheit.
Denn das Empire ist zwar total, kennt kein Außen mehr, aber es ist selbst bloß parasitär, sekundär. Primär ist sein dialektisches Gegenstück: die "Multitude", die Menge der vielen einzelnen, deren "Produktivkraft" überhaupt erst die Grundlage des Empires abgibt. Empire und Multitude sind dialektisch aufs engste miteinander verwoben, doch keineswegs auf derselben Ebene. Sobald sich die Multitude ihrer Vorrangigkeit bewußt wird, der Kraft ihrer Subjektivität und Gemeinschaft, ist es um das Empire geschehen: "Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben." Mit anderen Worten: Die Dialektik steht wieder auf seiten des "Widerstands".
"Empire" offeriert also nichts Geringeres als die Möglichkeit, sich wieder als Revolutionär fühlen zu können (auch wenn der Begriff nicht verwendet wird), ohne dabei die Vorteile der umzustürzenden Gesellschaft zu missen. Es wird akzeptiert, daß der Revolutionär neuen Typs das System mit seiner Arbeit in der ausdifferenzierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaft selbst am Laufen hält; ihm wird nicht mehr der Selbstbetrug abverlangt, er stehe in Wahrheit irgendwo außerhalb. Was ihn unterscheidet, ist allein eine Bewußtseinstatsache: Wie der moderne Manager bei Peters/Waterman glaubt er daran, daß es vor allem von seiner inneren Einstellung, von seiner Interpretationsleistung abhängt, wie sich die Dinge verhalten. Daher spielt das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, auf dem ein gut Teil der neueren Managementliteratur beruht, auch bei Hardt/Negri eine große Rolle. Beifällig wird Spinoza zitiert: Der Prophet muß sein eigenes Volk hervorbringen. Die analytische Energie wird nicht auf die Beschreibung oder Widerlegung des Gegners verwandt, sondern auf die eigenen mentalen Bedingungen des Erfolgs. "Empire" ist ein linkes Manifest des positiven Denkens.
Die Pointe ist freilich, daß dieses Mentaltraining ganz im Zeichen der Rückkehr materialistischer Kategorien stattfindet. Es komme darauf an, "aus dem Reich der Ideen in das der Produktion überzuwechseln". Dort und nicht auf der Ebene der kulturellen Codierungen spiele sich die Auseinandersetzung ab: Diese Überzeugung bildet vielleicht den größten Unterschied zum linken Common sense der letzten Jahrzehnte, für den die Kultur ein bequemer Schlupfwinkel inmitten der ansonsten fest zementierten Verhältnisse war. Hardt/Negri bestehen darauf, daß die marxistische Kategorie der Produktivkraft kampfentscheidend sei, die freilich in Zeiten postindustrieller Virtualität ins Subjektive, Mentale verlegt ist. Das Sein, das heute das Bewußtsein bestimmt, ist seinerseits vom Bewußtsein geprägt.
Weniger Kulturkritik
Die Abkehr von der fatalismusfördernden "Kulturkritik" ist die erste - freilich unausgesprochene - Bedingung für die gute Laune, die "Empire" propagiert. Die andere, durchaus explizierte Voraussetzung ist die Abwehr des Historismus. An die Stelle der "Geschichte" und ihrer vermeintlichen Linearität setzen Hardt/Negri die "Macht der Menge, Geschichte zu machen": das unerschöpfliche Potential der "res gestae", der historischen Taten und Ereignisse. "Der Ansatz bricht methodisch mit jeglicher Geschichtsphilosophie, insofern er deterministische Vorstellungen von historischer Entwicklung ebenso verwirft wie die ,rationale' Rechtfertigung von Resultaten. Er zeigt vielmehr, wie das geschichtliche Ereignis in der Potentialität ruht." Ein einziges spontanes "Ereignis" könne einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit der Geschichte ebenso den Boden entziehen wie dem Glauben an eine Naturwüchsigkeit des Marktes.
Worin ein solches Ereignis bestehen könnte, was überhaupt die Gesellschaft auszeichnet, die an die Stelle des Empires treten soll, darüber schweigen sich die Autoren aus. Ihnen kommt es allein darauf an, ihren archimedischen Punkt der Bewußtseinstransformation historisch und ontologisch zu verankern. Was dem Empire zum Untergang gereichen wird, sei vor allem sein "imperialer Mangel an Sein", während das Gute, also die vitale Produktivität der nach Liebe und Gemeinschaft strebenden Multitude, mit dem Wahren, dem Schönen und dem Sein selbst konvergiert. Historisch ziehen Hardt/Negri immer wieder Parallelen zum Römischen Reich, das ja bekanntlich auch vor den vermeintlich machtlosen Christen und Barbaren unversehens kollabierte. Doch die Autoren verschweigen, daß die Christen eine durchaus konkrete Vorstellung davon hatten, was sie selber wollten, den Untergang der weltlichen Macht dagegen gar nicht direkt intendierten. Bei der Multitude ist es umgekehrt. Um sie vor aller sektiererischen Engführung zu bewahren, weichen die Autoren in einen mystischen Universalismus aus, der in seiner jegliche Konkretisierung scheuenden Unvermitteltheit nichts anderes ist als Kitsch: "Wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen." Das Schlußkapitel mit seiner Berufung auf den heiligen Franziskus trägt messianische Züge: "Diese Militanz verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der Liebe."
Doch man sollte den Einfluß dieses esoterischen Programms auf die neuen linken Bewegungen deswegen nicht unterschätzen. Zwar gibt es markante Unterschiede auf der operativen Ebene: Die Globalisierungskritiker von "Attac" zum Beispiel fordern mit der Tobin-Steuer eine quasistaatliche Struktur für die ganze Welt, um so den Wildwuchs einzudämmen, während Hardt/Negri das Chaos noch erst richtig entfesseln wollen, um die imperiale Macht zu brechen. Doch spezifischer sind die Gemeinsamkeiten. Auch die sogenannten Globalisierungsgegner bejahen die Globalisierung; auch sie haben erklärtermaßen kein neues "System" und beziehen ihre für altgediente Achtundsechziger fast schon unheimliche gute Laune daraus, daß die geschichtsphilosophischen und kulturkritischen Distinktionsschlachten der Altvorderen für sie überhaupt keine Rolle spielen. Mit "Empire" bekommt das positive Denken nun zwar keinen Grund, aber doch Methode.
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