Nach einem Vierteljahrhundert politischer Theoriemüdigkeit haben Michael Hardt und Antonio Negri mit ihrer brillanten, provokanten und heiß diskutierten Analyse des postmodernen Kapitalismus im Zeitalter der Globalisierung das Denken über die Weltordnung am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts in Bewegung gebracht. Mit ihrem Bestseller »Empire« gaben sie der Hoffnung auf die politische Gestaltbarkeit einer neuen, gerechteren Weltordnung ein anspruchsvolles theoretisches Fundament. Das Buch wurde von Slavoj Zizek als Versuch eines »kommunistische[n] Manifest[s] des 21. Jahrhunderts« bezeichnet und gilt als zentrales Werk des Postoperaismus.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2002Ein Weltreich für alle Menschen
Das Empire ist tot, es lebe das Empire – wie die Globalisierung ihre eigenen Gesetze macht
MICHAEL HARDT, ANTONIO NEGRI: Empire. Die Neue Weltordnung, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2002. 480 Seiten,34,90 Euro.
Den Begriff Empire kannte man bisher in drei Zusammenhängen: in Bezug auf das frühere britische Weltreich, desweiteren in Form des ehemaligen französischen Kaiserreichs unter Napoleon I. sowie zuletzt als Kunststil jener Epoche. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der Philosoph Antonio Negri, der in Italien immer noch von vielen als geistiger Brandstifter der Roten Brigaden stigmatisiert wird, haben den Wörterbüchern jetzt eine neue Definition hinzugefügt: Empire als neue globale Ordnung, die alle Lebenswelten und Menschen zu durchdringen und sie zu vereinnahmen sucht.
Dies geschieht, so die Autoren, jedoch nicht mehr mit den Mitteln des klassischen Imperialismus, „der stets darum bemüht war, seine Macht linear auf geschlossene Räume auszuweiten und die unterworfenen Länder zu besetzen, zu zerstören und der eigenen Souveränität zu unterwerfen”. Gemeint ist vielmehr ein imperiales Modell, das einen offenen Raum neu organisiert und sich unbegrenzte, vielfältige Netzwerkbeziehungen schafft. Das Empire bewegt sich in diesem Sinne nicht mehr von innen nach außen, sondern agiert unter der einen, der einzigartigen Dunstglocke des Weltmarktes und Unternehmenskapitals – dezentralisiert und deterritorialisiert.
Gegenwart wird Ewigkeit
Hardt und Negri beschreiben diese One World als eine Herrschaftsmaschinerie ohne Zentrum, als ein Weltreich, das sich jenseits von Nationalstaat und aufklärerischer Moderne nach eigenen Gesetzen entfaltet. Dabei, so Hardt und Negri, etabliert es aber „neue Zerstörungs- und Unterdrückungsmechanismen”. Denn das Empire kennt längst keine Grenzen mehr, und es will die Gegenwart für die Ewigkeit festschreiben. Das scheint auch die Absicht der Autoren zu sein, die sich als die Vollender der These vom Ende der Geschichte gerieren, wie sie Francis Fukuyama formuliert hat.
Der Preis ist hoch, den wir nach Überzeugung der Autoren bezahlen sollen. Denn im Foucaultschen Sinne durchdringt das Empire nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch „Bewusstsein und Körper der Individuen”, breitet sich also nicht nur als ökonomischer Kontrollmechanismus aus, sondern auch „kulturell, körperlich und subjektiv”. Durch die Kommunikationsindustrien werden Zurichtung und Zugriff kanalisiert. „No limits, no exit!” wiederholen Hardt und Negri gebetsmühlenartig. Im „ökonomisch-industriell-kommunikativen Apparat” sitze jeder wie eine Schraube im Gewinde fest: „Heute ist es fast die gesamte Menschheit, die entweder in die Netzwerke kapitalistischer Ausbeutung integriert oder ihnen unterworfen ist.”
Hat man bis hierher gelesen, dann legt man das Buch erst einmal zur Seite und beginnt zu rätseln. Keine Frage: In glänzender Manier weiß das Buch zwar vom Übergang der Moderne zur Postmoderne beziehungsweise vom Imperialismus zum Empire zu berichten, besonders im Hinblick auf die Ideen- und Kulturgeschichte. Auch ist der Übergang von der kapitalistischen Produktionsweise des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart messerscharf konturiert. Indes fehlt das Empire dort, wo Empire draufsteht. Etwas salopp formuliert: Es reicht nicht aus, zu belegen, dass heute alles anders als früher ist, wenn man in der Folge allzu sehr über das Früher räsoniert und die Gegenwart mit hochtrabender Vermutungsrhetorik zuklebt.
Ein Beispiel hierfür ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Ende des Kolonialismus und der schwindenden Macht der Nationen. Die Autoren begleiten ihre Analyse mit dem erhobenen Zeigefinger der Marxisten und begeben sich zunächst auf die Spur der Dialektik kolonialer Souveränität: „Während der Nationalstaat und die ihn begleitende Ideologie in ihrem Bereich unermüdlich darum bemüht sind, für die Reinheit des Volkes zu sorgen und diese zu erhalten, ist der Nationalstaat nach außen hin eine Maschine, die Andere produziert, Rassenunterschiede schafft und Schranken errichtet, die das moderne Souveränitätssubjekt ein- beziehungsweise abgrenzen und stützen.” Will heißen: Europa – sowie später USA, Japan und die Sowjetunion – überhöhten mit Hilfe eines rassistisch begründeten Kolonialismus die eigene Identität.
In der postimperialistischen Variante des heutigen Empire zeigen Hardt und Negri am Beispiel einer mittelamerikanischen Bananenplantage die postkoloniale Fratze des Empire. In besagter Plantage arbeiten Europäer, Afrikaner und Indianer zusammen. Gegenüber jeder Arbeitergruppe würden dabei, so heißt es ohne jede weitere Ausführung, andere Methoden und Grade der Ausbeutung und Unterdrückung angewendet. Dies steigere den Gewinn und erleichtere die Kontrolle. Die ethnische Differenz, so die Autoren, werde im Rahmen einer allgemeinen Kommando-Ökonomie koordiniert. Soll das bedeuten, dass überall in der globalisierten Ökonomie, wo Menschen fremder Länder aufeinander treffen, Ausbeutung betrieben wird? Bei der Analyse der Netzwerkökonomie und der Information-Highways durch die Autoren findet sich noch eine Steigerung dieser Weltfremdheit. Dort heißt es: Während Produktionsprozesse und -standorte dezentralisiert stattfinden, komme es zu „einer Zentralisierung der Kontrolle der Produktion”. Der Arbeiter werde von entfernten Orten dauerhaft kontrolliert. Das gleiche Muster in Sachen Internet: Monopole wie Hollywood, IBM oder Microsoft würde das Versprechen einer Demokratie im Internet zerstören. Bei über drei Milliarden Websites ist das erkennbar eine hanebüchene These.
Globaler Aufbruch
Bleibt zuletzt die Frage, wie sich die Masse diesem Moloch, der auf Beute aus ist, widersetzen soll. Das Rezept klingt zunächst banal: „Wir müssen lernen, global zu denken und zu handeln. Der Globalisierung muss mit Gegen-Globalisierung begegnet werden, dem Empire mit einem Gegen-Empire”. Ähnlich dem Gottesstaat des Augustinus müssen sich Menschen aus allen Teilen der Welt zum gemeinsamen Aufbruch vereinen. Zu allererst allerdings soll der Industriearbeiter auf die Barrikaden steigen; eine große Gewerkschaft wird gefordert. Der Wille zum Widerstand müsse allenthalben gefördert werden. Jeder solle sich den Strukturen der Ausbeutung, der Entfremdung und des Kommandos entziehen. Körper und Geist sollten sich verweigern, auf dass sie zum Schluss nicht mehr für das Empire zu gebrauchen sind.
Was bleibt? Eine grandiose Analyse des Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert, brillant entwickelte Argumentationslinien bezüglich der politischen Ideengeschichte – und die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart. Was fehlt? Eine ideologiefreie und realistische Analyse des Empire mit dem Willen, den Auswüchsen entgegenzuarbeiten. Dennoch verdient dieses Buch höchste Beachtung, weil es in der Tat der erste Entwurf einer politischen Theorie des Übergangs zum Empire darstellt.
PETER FELIXBERGER
Der Rezensent ist Publizist und Geschäftsführer des Online-Magazins changeX.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Das Empire ist tot, es lebe das Empire – wie die Globalisierung ihre eigenen Gesetze macht
MICHAEL HARDT, ANTONIO NEGRI: Empire. Die Neue Weltordnung, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2002. 480 Seiten,34,90 Euro.
Den Begriff Empire kannte man bisher in drei Zusammenhängen: in Bezug auf das frühere britische Weltreich, desweiteren in Form des ehemaligen französischen Kaiserreichs unter Napoleon I. sowie zuletzt als Kunststil jener Epoche. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der Philosoph Antonio Negri, der in Italien immer noch von vielen als geistiger Brandstifter der Roten Brigaden stigmatisiert wird, haben den Wörterbüchern jetzt eine neue Definition hinzugefügt: Empire als neue globale Ordnung, die alle Lebenswelten und Menschen zu durchdringen und sie zu vereinnahmen sucht.
Dies geschieht, so die Autoren, jedoch nicht mehr mit den Mitteln des klassischen Imperialismus, „der stets darum bemüht war, seine Macht linear auf geschlossene Räume auszuweiten und die unterworfenen Länder zu besetzen, zu zerstören und der eigenen Souveränität zu unterwerfen”. Gemeint ist vielmehr ein imperiales Modell, das einen offenen Raum neu organisiert und sich unbegrenzte, vielfältige Netzwerkbeziehungen schafft. Das Empire bewegt sich in diesem Sinne nicht mehr von innen nach außen, sondern agiert unter der einen, der einzigartigen Dunstglocke des Weltmarktes und Unternehmenskapitals – dezentralisiert und deterritorialisiert.
Gegenwart wird Ewigkeit
Hardt und Negri beschreiben diese One World als eine Herrschaftsmaschinerie ohne Zentrum, als ein Weltreich, das sich jenseits von Nationalstaat und aufklärerischer Moderne nach eigenen Gesetzen entfaltet. Dabei, so Hardt und Negri, etabliert es aber „neue Zerstörungs- und Unterdrückungsmechanismen”. Denn das Empire kennt längst keine Grenzen mehr, und es will die Gegenwart für die Ewigkeit festschreiben. Das scheint auch die Absicht der Autoren zu sein, die sich als die Vollender der These vom Ende der Geschichte gerieren, wie sie Francis Fukuyama formuliert hat.
Der Preis ist hoch, den wir nach Überzeugung der Autoren bezahlen sollen. Denn im Foucaultschen Sinne durchdringt das Empire nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch „Bewusstsein und Körper der Individuen”, breitet sich also nicht nur als ökonomischer Kontrollmechanismus aus, sondern auch „kulturell, körperlich und subjektiv”. Durch die Kommunikationsindustrien werden Zurichtung und Zugriff kanalisiert. „No limits, no exit!” wiederholen Hardt und Negri gebetsmühlenartig. Im „ökonomisch-industriell-kommunikativen Apparat” sitze jeder wie eine Schraube im Gewinde fest: „Heute ist es fast die gesamte Menschheit, die entweder in die Netzwerke kapitalistischer Ausbeutung integriert oder ihnen unterworfen ist.”
Hat man bis hierher gelesen, dann legt man das Buch erst einmal zur Seite und beginnt zu rätseln. Keine Frage: In glänzender Manier weiß das Buch zwar vom Übergang der Moderne zur Postmoderne beziehungsweise vom Imperialismus zum Empire zu berichten, besonders im Hinblick auf die Ideen- und Kulturgeschichte. Auch ist der Übergang von der kapitalistischen Produktionsweise des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart messerscharf konturiert. Indes fehlt das Empire dort, wo Empire draufsteht. Etwas salopp formuliert: Es reicht nicht aus, zu belegen, dass heute alles anders als früher ist, wenn man in der Folge allzu sehr über das Früher räsoniert und die Gegenwart mit hochtrabender Vermutungsrhetorik zuklebt.
Ein Beispiel hierfür ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Ende des Kolonialismus und der schwindenden Macht der Nationen. Die Autoren begleiten ihre Analyse mit dem erhobenen Zeigefinger der Marxisten und begeben sich zunächst auf die Spur der Dialektik kolonialer Souveränität: „Während der Nationalstaat und die ihn begleitende Ideologie in ihrem Bereich unermüdlich darum bemüht sind, für die Reinheit des Volkes zu sorgen und diese zu erhalten, ist der Nationalstaat nach außen hin eine Maschine, die Andere produziert, Rassenunterschiede schafft und Schranken errichtet, die das moderne Souveränitätssubjekt ein- beziehungsweise abgrenzen und stützen.” Will heißen: Europa – sowie später USA, Japan und die Sowjetunion – überhöhten mit Hilfe eines rassistisch begründeten Kolonialismus die eigene Identität.
In der postimperialistischen Variante des heutigen Empire zeigen Hardt und Negri am Beispiel einer mittelamerikanischen Bananenplantage die postkoloniale Fratze des Empire. In besagter Plantage arbeiten Europäer, Afrikaner und Indianer zusammen. Gegenüber jeder Arbeitergruppe würden dabei, so heißt es ohne jede weitere Ausführung, andere Methoden und Grade der Ausbeutung und Unterdrückung angewendet. Dies steigere den Gewinn und erleichtere die Kontrolle. Die ethnische Differenz, so die Autoren, werde im Rahmen einer allgemeinen Kommando-Ökonomie koordiniert. Soll das bedeuten, dass überall in der globalisierten Ökonomie, wo Menschen fremder Länder aufeinander treffen, Ausbeutung betrieben wird? Bei der Analyse der Netzwerkökonomie und der Information-Highways durch die Autoren findet sich noch eine Steigerung dieser Weltfremdheit. Dort heißt es: Während Produktionsprozesse und -standorte dezentralisiert stattfinden, komme es zu „einer Zentralisierung der Kontrolle der Produktion”. Der Arbeiter werde von entfernten Orten dauerhaft kontrolliert. Das gleiche Muster in Sachen Internet: Monopole wie Hollywood, IBM oder Microsoft würde das Versprechen einer Demokratie im Internet zerstören. Bei über drei Milliarden Websites ist das erkennbar eine hanebüchene These.
Globaler Aufbruch
Bleibt zuletzt die Frage, wie sich die Masse diesem Moloch, der auf Beute aus ist, widersetzen soll. Das Rezept klingt zunächst banal: „Wir müssen lernen, global zu denken und zu handeln. Der Globalisierung muss mit Gegen-Globalisierung begegnet werden, dem Empire mit einem Gegen-Empire”. Ähnlich dem Gottesstaat des Augustinus müssen sich Menschen aus allen Teilen der Welt zum gemeinsamen Aufbruch vereinen. Zu allererst allerdings soll der Industriearbeiter auf die Barrikaden steigen; eine große Gewerkschaft wird gefordert. Der Wille zum Widerstand müsse allenthalben gefördert werden. Jeder solle sich den Strukturen der Ausbeutung, der Entfremdung und des Kommandos entziehen. Körper und Geist sollten sich verweigern, auf dass sie zum Schluss nicht mehr für das Empire zu gebrauchen sind.
Was bleibt? Eine grandiose Analyse des Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert, brillant entwickelte Argumentationslinien bezüglich der politischen Ideengeschichte – und die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart. Was fehlt? Eine ideologiefreie und realistische Analyse des Empire mit dem Willen, den Auswüchsen entgegenzuarbeiten. Dennoch verdient dieses Buch höchste Beachtung, weil es in der Tat der erste Entwurf einer politischen Theorie des Übergangs zum Empire darstellt.
PETER FELIXBERGER
Der Rezensent ist Publizist und Geschäftsführer des Online-Magazins changeX.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2002Cäsar, go home!
Das Buch "Empire": Globalisierungskritik als Lebensgefühl
Bei einem Buch wie "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt haben Rezensionen fast etwas Unangemessenes. Nicht daß das Werk über Kritik erhaben wäre, im Gegenteil; aber offensichtlich geht seine Rezeption über das übliche Verhältnis eines Lesers zu einem Text hinaus. Seit über einem Jahr hat das amerikanische Original (F.A.Z. vom 16. August 2001) und seit kurzem auch die deutsche Übersetzung eine ausufernde Diskussion jenseits der gewohnten Institutionen des Betriebs entfesselt: in verschworenen "Lesezirkeln" und Underground-Postillen ebenso wie im Internet. Ihr anachronistischer Ernst hat eine gänzlich verloren geglaubte Einrichtung ins Leben zurückgerufen: die "linke Debatte", die traditionellerweise davon handelt, was Linkssein überhaupt ist. Diese Wirkung scheint mit einer stilistischen Eigenart des Buchs zu tun zu haben: Nicht der tatsächliche, rezensierbare Inhalt regt offenbar die kollektive Phantasie an, sondern der gigantische Leerraum, den die meist vagen, sich selbst genügenden Abstraktionen lassen. So ist das Buch vor allem als Symptom einer Erwartung interessant.
In den Rezensionen wurde "Empire" durchweg als Globalisierungstheorie gehandelt, als die erfolgreichste Streitschrift gegen den Kapitalismus seit langem. Doch es ist offenkundig etwas anderes, was den erstaunlichen Rumor zustande brachte, den dieses Buch zwischen "nächster Großtheorie" ("New York Times") und "neuem Kommunistischem Manifest" (Slavoj Zizek) von Anfang an umgab. Globalisierungsanalysen bieten viele an, und "Empire" tut es eigentlich gar nicht. Die Ökonomie kommt hier neben Foucault, Deleuze und dem heiligen Augustinus nur wie ein Zitat unter vielen vor; keineswegs ist ihre Beschreibung leitend für die überbordende, sich weitgehend auf Theoriesysteme anderer stützende Begriffsproduktion des Werks. Das spezifische Merkmal von "Empire" ist etwas anderes: Es ist eine feierliche Theorie der linken Existenz und insgeheim dabei auch noch ein Manifest gegen die Kulturkritik. Die Antwort, die sich eine vom Fatalismus bedrohte Linke von ihm zu erhoffen scheint, betrifft die Frage, wie sie sich wieder als Subjekt der Geschichte fühlen und, noch grundsätzlicher, wo ihr vagabundierendes Widerstandsbedürfnis seinen Gegner finden kann: "Den Gegner zu bestimmen ist keine geringe Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Ausbeutung über keinen spezifischen Ort mehr verfügt."
Manche enthusiastischen Kommentare haben Adorno/Horkheimer oder gar Marx/Engels als die Ahnen der "Empire"-Autoren Hardt/Negri aufgerufen. Doch wenn man denn nach Ahnen sucht, so ist ein anderes Paar zu nennen, das freilich im Literaturverzeichnis von "Empire" nicht auftaucht: Peters/Waterman. Diese Theoretiker des modernen Managements haben mit ihrer ausgefuchsten Dialektik die Marktwirtschaft zur Erfüllung des linken Emanzipationsversprechens erklärt: Wenn der Kapitalismus heute die gesamte Persönlichkeit seiner Funktionsträger in Anspruch nimmt, läßt es sich gar nicht mehr unterscheiden, ob der Kapitalismus die Menschen oder nicht vielmehr die Menschen den Kapitalismus für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ein schlichter Gedanke wie dieser ist geeignet, aller grundsätzlichen Systemkritik die Luft aus den Segeln zu nehmen.
Mehr positives Denken
Tatsächlich gewann er, auch ganz unabhängig von seiner Formulierung durch Peters/Waterman, mit den Jahren eine solche Evidenz, daß die Linke weitgehend verstummte. Ihre antikapitalistische Kulturkritik wurde folgenlos, versandete entweder in übelgelauntem Trotz oder frivoler Affirmation. Die Dialektik der Geschichte und der ihr innewohnenden Vernunft schien sich in ein Argument für das Bestehende zu verwandeln oder in ein Argument für Fatalismus. Wenn linke Konzepte in Sprache und Inhalt kaum noch von Managementtheorien zu unterscheiden sind, dann lassen sich umgekehrt auch alle vermeintlichen Freiheiten und Fortschritte als Teil eines umfassenden Unheilszusammenhangs interpretieren, einer gigantischen Entfremdungsverschwörung. "Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg", dekretierte Adorno, der Scham selbst darüber empfand, "daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt".
Das Zauberkunststück, das Antonio Negri und Michael Hardt gelingt, ist, daß sie diese bisherigen Befunde linker Kulturkritik auf die Spitze treiben und ihnen dann einfach ein anderes Vorzeichen geben. Ja, dem Empire könne niemand entrinnen, doch in ebendieser Immanenz liege auch schon sein Ende, der Keim seiner Zerrüttung. So wie Peters/Waterman alle Systemkritik im modernen Management aufhoben und dann zum Verschwinden brachten, lassen Hardt/Negri das System sich in den Händen derer, die es bilden, auflösen. Beide überwinden ihren Widerpart nicht, indem sie ihn bekämpfen, sondern indem sie ihn sich einverleiben - im gelassenen Bewußtsein der eigenen Überlegenheit.
Denn das Empire ist zwar total, kennt kein Außen mehr, aber es ist selbst bloß parasitär, sekundär. Primär ist sein dialektisches Gegenstück: die "Multitude", die Menge der vielen einzelnen, deren "Produktivkraft" überhaupt erst die Grundlage des Empires abgibt. Empire und Multitude sind dialektisch aufs engste miteinander verwoben, doch keineswegs auf derselben Ebene. Sobald sich die Multitude ihrer Vorrangigkeit bewußt wird, der Kraft ihrer Subjektivität und Gemeinschaft, ist es um das Empire geschehen: "Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben." Mit anderen Worten: Die Dialektik steht wieder auf seiten des "Widerstands".
"Empire" offeriert also nichts Geringeres als die Möglichkeit, sich wieder als Revolutionär fühlen zu können (auch wenn der Begriff nicht verwendet wird), ohne dabei die Vorteile der umzustürzenden Gesellschaft zu missen. Es wird akzeptiert, daß der Revolutionär neuen Typs das System mit seiner Arbeit in der ausdifferenzierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaft selbst am Laufen hält; ihm wird nicht mehr der Selbstbetrug abverlangt, er stehe in Wahrheit irgendwo außerhalb. Was ihn unterscheidet, ist allein eine Bewußtseinstatsache: Wie der moderne Manager bei Peters/Waterman glaubt er daran, daß es vor allem von seiner inneren Einstellung, von seiner Interpretationsleistung abhängt, wie sich die Dinge verhalten. Daher spielt das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, auf dem ein gut Teil der neueren Managementliteratur beruht, auch bei Hardt/Negri eine große Rolle. Beifällig wird Spinoza zitiert: Der Prophet muß sein eigenes Volk hervorbringen. Die analytische Energie wird nicht auf die Beschreibung oder Widerlegung des Gegners verwandt, sondern auf die eigenen mentalen Bedingungen des Erfolgs. "Empire" ist ein linkes Manifest des positiven Denkens.
Die Pointe ist freilich, daß dieses Mentaltraining ganz im Zeichen der Rückkehr materialistischer Kategorien stattfindet. Es komme darauf an, "aus dem Reich der Ideen in das der Produktion überzuwechseln". Dort und nicht auf der Ebene der kulturellen Codierungen spiele sich die Auseinandersetzung ab: Diese Überzeugung bildet vielleicht den größten Unterschied zum linken Common sense der letzten Jahrzehnte, für den die Kultur ein bequemer Schlupfwinkel inmitten der ansonsten fest zementierten Verhältnisse war. Hardt/Negri bestehen darauf, daß die marxistische Kategorie der Produktivkraft kampfentscheidend sei, die freilich in Zeiten postindustrieller Virtualität ins Subjektive, Mentale verlegt ist. Das Sein, das heute das Bewußtsein bestimmt, ist seinerseits vom Bewußtsein geprägt.
Weniger Kulturkritik
Die Abkehr von der fatalismusfördernden "Kulturkritik" ist die erste - freilich unausgesprochene - Bedingung für die gute Laune, die "Empire" propagiert. Die andere, durchaus explizierte Voraussetzung ist die Abwehr des Historismus. An die Stelle der "Geschichte" und ihrer vermeintlichen Linearität setzen Hardt/Negri die "Macht der Menge, Geschichte zu machen": das unerschöpfliche Potential der "res gestae", der historischen Taten und Ereignisse. "Der Ansatz bricht methodisch mit jeglicher Geschichtsphilosophie, insofern er deterministische Vorstellungen von historischer Entwicklung ebenso verwirft wie die ,rationale' Rechtfertigung von Resultaten. Er zeigt vielmehr, wie das geschichtliche Ereignis in der Potentialität ruht." Ein einziges spontanes "Ereignis" könne einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit der Geschichte ebenso den Boden entziehen wie dem Glauben an eine Naturwüchsigkeit des Marktes.
Worin ein solches Ereignis bestehen könnte, was überhaupt die Gesellschaft auszeichnet, die an die Stelle des Empires treten soll, darüber schweigen sich die Autoren aus. Ihnen kommt es allein darauf an, ihren archimedischen Punkt der Bewußtseinstransformation historisch und ontologisch zu verankern. Was dem Empire zum Untergang gereichen wird, sei vor allem sein "imperialer Mangel an Sein", während das Gute, also die vitale Produktivität der nach Liebe und Gemeinschaft strebenden Multitude, mit dem Wahren, dem Schönen und dem Sein selbst konvergiert. Historisch ziehen Hardt/Negri immer wieder Parallelen zum Römischen Reich, das ja bekanntlich auch vor den vermeintlich machtlosen Christen und Barbaren unversehens kollabierte. Doch die Autoren verschweigen, daß die Christen eine durchaus konkrete Vorstellung davon hatten, was sie selber wollten, den Untergang der weltlichen Macht dagegen gar nicht direkt intendierten. Bei der Multitude ist es umgekehrt. Um sie vor aller sektiererischen Engführung zu bewahren, weichen die Autoren in einen mystischen Universalismus aus, der in seiner jegliche Konkretisierung scheuenden Unvermitteltheit nichts anderes ist als Kitsch: "Wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen." Das Schlußkapitel mit seiner Berufung auf den heiligen Franziskus trägt messianische Züge: "Diese Militanz verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der Liebe."
Doch man sollte den Einfluß dieses esoterischen Programms auf die neuen linken Bewegungen deswegen nicht unterschätzen. Zwar gibt es markante Unterschiede auf der operativen Ebene: Die Globalisierungskritiker von "Attac" zum Beispiel fordern mit der Tobin-Steuer eine quasistaatliche Struktur für die ganze Welt, um so den Wildwuchs einzudämmen, während Hardt/Negri das Chaos noch erst richtig entfesseln wollen, um die imperiale Macht zu brechen. Doch spezifischer sind die Gemeinsamkeiten. Auch die sogenannten Globalisierungsgegner bejahen die Globalisierung; auch sie haben erklärtermaßen kein neues "System" und beziehen ihre für altgediente Achtundsechziger fast schon unheimliche gute Laune daraus, daß die geschichtsphilosophischen und kulturkritischen Distinktionsschlachten der Altvorderen für sie überhaupt keine Rolle spielen. Mit "Empire" bekommt das positive Denken nun zwar keinen Grund, aber doch Methode.
MARK SIEMONS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Buch "Empire": Globalisierungskritik als Lebensgefühl
Bei einem Buch wie "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt haben Rezensionen fast etwas Unangemessenes. Nicht daß das Werk über Kritik erhaben wäre, im Gegenteil; aber offensichtlich geht seine Rezeption über das übliche Verhältnis eines Lesers zu einem Text hinaus. Seit über einem Jahr hat das amerikanische Original (F.A.Z. vom 16. August 2001) und seit kurzem auch die deutsche Übersetzung eine ausufernde Diskussion jenseits der gewohnten Institutionen des Betriebs entfesselt: in verschworenen "Lesezirkeln" und Underground-Postillen ebenso wie im Internet. Ihr anachronistischer Ernst hat eine gänzlich verloren geglaubte Einrichtung ins Leben zurückgerufen: die "linke Debatte", die traditionellerweise davon handelt, was Linkssein überhaupt ist. Diese Wirkung scheint mit einer stilistischen Eigenart des Buchs zu tun zu haben: Nicht der tatsächliche, rezensierbare Inhalt regt offenbar die kollektive Phantasie an, sondern der gigantische Leerraum, den die meist vagen, sich selbst genügenden Abstraktionen lassen. So ist das Buch vor allem als Symptom einer Erwartung interessant.
In den Rezensionen wurde "Empire" durchweg als Globalisierungstheorie gehandelt, als die erfolgreichste Streitschrift gegen den Kapitalismus seit langem. Doch es ist offenkundig etwas anderes, was den erstaunlichen Rumor zustande brachte, den dieses Buch zwischen "nächster Großtheorie" ("New York Times") und "neuem Kommunistischem Manifest" (Slavoj Zizek) von Anfang an umgab. Globalisierungsanalysen bieten viele an, und "Empire" tut es eigentlich gar nicht. Die Ökonomie kommt hier neben Foucault, Deleuze und dem heiligen Augustinus nur wie ein Zitat unter vielen vor; keineswegs ist ihre Beschreibung leitend für die überbordende, sich weitgehend auf Theoriesysteme anderer stützende Begriffsproduktion des Werks. Das spezifische Merkmal von "Empire" ist etwas anderes: Es ist eine feierliche Theorie der linken Existenz und insgeheim dabei auch noch ein Manifest gegen die Kulturkritik. Die Antwort, die sich eine vom Fatalismus bedrohte Linke von ihm zu erhoffen scheint, betrifft die Frage, wie sie sich wieder als Subjekt der Geschichte fühlen und, noch grundsätzlicher, wo ihr vagabundierendes Widerstandsbedürfnis seinen Gegner finden kann: "Den Gegner zu bestimmen ist keine geringe Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Ausbeutung über keinen spezifischen Ort mehr verfügt."
Manche enthusiastischen Kommentare haben Adorno/Horkheimer oder gar Marx/Engels als die Ahnen der "Empire"-Autoren Hardt/Negri aufgerufen. Doch wenn man denn nach Ahnen sucht, so ist ein anderes Paar zu nennen, das freilich im Literaturverzeichnis von "Empire" nicht auftaucht: Peters/Waterman. Diese Theoretiker des modernen Managements haben mit ihrer ausgefuchsten Dialektik die Marktwirtschaft zur Erfüllung des linken Emanzipationsversprechens erklärt: Wenn der Kapitalismus heute die gesamte Persönlichkeit seiner Funktionsträger in Anspruch nimmt, läßt es sich gar nicht mehr unterscheiden, ob der Kapitalismus die Menschen oder nicht vielmehr die Menschen den Kapitalismus für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ein schlichter Gedanke wie dieser ist geeignet, aller grundsätzlichen Systemkritik die Luft aus den Segeln zu nehmen.
Mehr positives Denken
Tatsächlich gewann er, auch ganz unabhängig von seiner Formulierung durch Peters/Waterman, mit den Jahren eine solche Evidenz, daß die Linke weitgehend verstummte. Ihre antikapitalistische Kulturkritik wurde folgenlos, versandete entweder in übelgelauntem Trotz oder frivoler Affirmation. Die Dialektik der Geschichte und der ihr innewohnenden Vernunft schien sich in ein Argument für das Bestehende zu verwandeln oder in ein Argument für Fatalismus. Wenn linke Konzepte in Sprache und Inhalt kaum noch von Managementtheorien zu unterscheiden sind, dann lassen sich umgekehrt auch alle vermeintlichen Freiheiten und Fortschritte als Teil eines umfassenden Unheilszusammenhangs interpretieren, einer gigantischen Entfremdungsverschwörung. "Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg", dekretierte Adorno, der Scham selbst darüber empfand, "daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt".
Das Zauberkunststück, das Antonio Negri und Michael Hardt gelingt, ist, daß sie diese bisherigen Befunde linker Kulturkritik auf die Spitze treiben und ihnen dann einfach ein anderes Vorzeichen geben. Ja, dem Empire könne niemand entrinnen, doch in ebendieser Immanenz liege auch schon sein Ende, der Keim seiner Zerrüttung. So wie Peters/Waterman alle Systemkritik im modernen Management aufhoben und dann zum Verschwinden brachten, lassen Hardt/Negri das System sich in den Händen derer, die es bilden, auflösen. Beide überwinden ihren Widerpart nicht, indem sie ihn bekämpfen, sondern indem sie ihn sich einverleiben - im gelassenen Bewußtsein der eigenen Überlegenheit.
Denn das Empire ist zwar total, kennt kein Außen mehr, aber es ist selbst bloß parasitär, sekundär. Primär ist sein dialektisches Gegenstück: die "Multitude", die Menge der vielen einzelnen, deren "Produktivkraft" überhaupt erst die Grundlage des Empires abgibt. Empire und Multitude sind dialektisch aufs engste miteinander verwoben, doch keineswegs auf derselben Ebene. Sobald sich die Multitude ihrer Vorrangigkeit bewußt wird, der Kraft ihrer Subjektivität und Gemeinschaft, ist es um das Empire geschehen: "Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben." Mit anderen Worten: Die Dialektik steht wieder auf seiten des "Widerstands".
"Empire" offeriert also nichts Geringeres als die Möglichkeit, sich wieder als Revolutionär fühlen zu können (auch wenn der Begriff nicht verwendet wird), ohne dabei die Vorteile der umzustürzenden Gesellschaft zu missen. Es wird akzeptiert, daß der Revolutionär neuen Typs das System mit seiner Arbeit in der ausdifferenzierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaft selbst am Laufen hält; ihm wird nicht mehr der Selbstbetrug abverlangt, er stehe in Wahrheit irgendwo außerhalb. Was ihn unterscheidet, ist allein eine Bewußtseinstatsache: Wie der moderne Manager bei Peters/Waterman glaubt er daran, daß es vor allem von seiner inneren Einstellung, von seiner Interpretationsleistung abhängt, wie sich die Dinge verhalten. Daher spielt das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, auf dem ein gut Teil der neueren Managementliteratur beruht, auch bei Hardt/Negri eine große Rolle. Beifällig wird Spinoza zitiert: Der Prophet muß sein eigenes Volk hervorbringen. Die analytische Energie wird nicht auf die Beschreibung oder Widerlegung des Gegners verwandt, sondern auf die eigenen mentalen Bedingungen des Erfolgs. "Empire" ist ein linkes Manifest des positiven Denkens.
Die Pointe ist freilich, daß dieses Mentaltraining ganz im Zeichen der Rückkehr materialistischer Kategorien stattfindet. Es komme darauf an, "aus dem Reich der Ideen in das der Produktion überzuwechseln". Dort und nicht auf der Ebene der kulturellen Codierungen spiele sich die Auseinandersetzung ab: Diese Überzeugung bildet vielleicht den größten Unterschied zum linken Common sense der letzten Jahrzehnte, für den die Kultur ein bequemer Schlupfwinkel inmitten der ansonsten fest zementierten Verhältnisse war. Hardt/Negri bestehen darauf, daß die marxistische Kategorie der Produktivkraft kampfentscheidend sei, die freilich in Zeiten postindustrieller Virtualität ins Subjektive, Mentale verlegt ist. Das Sein, das heute das Bewußtsein bestimmt, ist seinerseits vom Bewußtsein geprägt.
Weniger Kulturkritik
Die Abkehr von der fatalismusfördernden "Kulturkritik" ist die erste - freilich unausgesprochene - Bedingung für die gute Laune, die "Empire" propagiert. Die andere, durchaus explizierte Voraussetzung ist die Abwehr des Historismus. An die Stelle der "Geschichte" und ihrer vermeintlichen Linearität setzen Hardt/Negri die "Macht der Menge, Geschichte zu machen": das unerschöpfliche Potential der "res gestae", der historischen Taten und Ereignisse. "Der Ansatz bricht methodisch mit jeglicher Geschichtsphilosophie, insofern er deterministische Vorstellungen von historischer Entwicklung ebenso verwirft wie die ,rationale' Rechtfertigung von Resultaten. Er zeigt vielmehr, wie das geschichtliche Ereignis in der Potentialität ruht." Ein einziges spontanes "Ereignis" könne einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit der Geschichte ebenso den Boden entziehen wie dem Glauben an eine Naturwüchsigkeit des Marktes.
Worin ein solches Ereignis bestehen könnte, was überhaupt die Gesellschaft auszeichnet, die an die Stelle des Empires treten soll, darüber schweigen sich die Autoren aus. Ihnen kommt es allein darauf an, ihren archimedischen Punkt der Bewußtseinstransformation historisch und ontologisch zu verankern. Was dem Empire zum Untergang gereichen wird, sei vor allem sein "imperialer Mangel an Sein", während das Gute, also die vitale Produktivität der nach Liebe und Gemeinschaft strebenden Multitude, mit dem Wahren, dem Schönen und dem Sein selbst konvergiert. Historisch ziehen Hardt/Negri immer wieder Parallelen zum Römischen Reich, das ja bekanntlich auch vor den vermeintlich machtlosen Christen und Barbaren unversehens kollabierte. Doch die Autoren verschweigen, daß die Christen eine durchaus konkrete Vorstellung davon hatten, was sie selber wollten, den Untergang der weltlichen Macht dagegen gar nicht direkt intendierten. Bei der Multitude ist es umgekehrt. Um sie vor aller sektiererischen Engführung zu bewahren, weichen die Autoren in einen mystischen Universalismus aus, der in seiner jegliche Konkretisierung scheuenden Unvermitteltheit nichts anderes ist als Kitsch: "Wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen." Das Schlußkapitel mit seiner Berufung auf den heiligen Franziskus trägt messianische Züge: "Diese Militanz verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der Liebe."
Doch man sollte den Einfluß dieses esoterischen Programms auf die neuen linken Bewegungen deswegen nicht unterschätzen. Zwar gibt es markante Unterschiede auf der operativen Ebene: Die Globalisierungskritiker von "Attac" zum Beispiel fordern mit der Tobin-Steuer eine quasistaatliche Struktur für die ganze Welt, um so den Wildwuchs einzudämmen, während Hardt/Negri das Chaos noch erst richtig entfesseln wollen, um die imperiale Macht zu brechen. Doch spezifischer sind die Gemeinsamkeiten. Auch die sogenannten Globalisierungsgegner bejahen die Globalisierung; auch sie haben erklärtermaßen kein neues "System" und beziehen ihre für altgediente Achtundsechziger fast schon unheimliche gute Laune daraus, daß die geschichtsphilosophischen und kulturkritischen Distinktionsschlachten der Altvorderen für sie überhaupt keine Rolle spielen. Mit "Empire" bekommt das positive Denken nun zwar keinen Grund, aber doch Methode.
MARK SIEMONS
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»Die Autoren wollen nichts weniger als Marx' Erzählung der Weltgeschichte fortsetzen und auf den neuesten Stand [...] bringen. Das ist ihnen so gut gelungen, dass es auch einen überzeugten Nichtmarxisten [...] erfreut, zumal der Versuch handwerklich hervorragend gearbeitet ist.« FAZ»Empire (ist) eine grandiose Gesellschaftsanalyse ... , die unser Unbehagen bündelt und ihm eine Richtung gibt, für die in der Geschichte der Philosophie das Wort vom 'guten Leben' steht.« Die Zeit »Das Jahrzehnt linker Melancholie ist vorüber.« Neue Zürcher Zeitung»The next big theory« New York Times»Ein probates Mittel gegen die neoliberale Depression« literaturen