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Produktdetails
  • Verlag: Prh Grupo Editorial
  • Seitenzahl: 640
  • Erscheinungstermin: 18. Januar 2022
  • Spanisch
  • Abmessung: 228mm x 153mm x 34mm
  • Gewicht: 914g
  • ISBN-13: 9788418363634
  • ISBN-10: 8418363630
  • Artikelnr.: 62569526

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  • Herstellerkennzeichnung
  • Libri GmbH
  • Europaallee 1
  • 36244 Bad Hersfeld
  • 06621 890
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.10.2021

Innen ohne Außen

Jonathan Franzen will die amerikanischen Mythologien entziffern, und wenn es drei Romane dauert: "Crossroads"

Achthundertdreißig Seiten zählt der neue Roman des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen, "Crossroads". Und das ist erst der Anfang einer dreiteiligen Familiensaga, die Franzen, Autor der "Korrekturen", vielleicht der wichtigste amerikanische Roman seit Beginn des 21. Jahrhunderts, in den kommenden Jahren fertigstellen will. "Ein Schlüssel zu allen Mythologien" hat Franzen seine Trilogie genannt. Sie erzählt aus dem Leben der Familie Hildebrandt: von Russ, dem Vater, Pfarrer einer jugendbewegten Gemeinde im Mittleren Westen. Und Marion, seiner Frau. Und den vier Kindern Clem, Becky, Perry und Judson. Eine Familie im Mittleren Westen: Dort ist das erzählerische Werk Franzens seit seinem Debüt "Die 27. Stadt" zu Hause. Es spielte in St. Louis, der Stadt, in der Franzen aufwuchs, einem mittleren Ort mitten in einem Land, das im 20. Jahrhundert zur Zentrale der Welt wurde - bis die amerikanische Siegermentalität zu schwinden begann. Franzens Romane handeln alle davon, wie es ist, sich zu Höherem geboren zu fühlen und dann zurückstecken zu müssen, Frieden schließen zu müssen damit, dass sich nicht alle Versprechen einlösen, auch wenn das Gefühl nicht vergeht, dass man Anspruch darauf hat. Die biographiehaften Motive der amerikanischen Geschichte hat Franzen als Romanstoff erkannt und daraus mitreißende Geschichten geformt.

In "Crossroads" erzählt er jetzt von den Hildebrandts der frühen Siebzigerjahre. Vater und Mutter suchen nach Fluchtwegen aus ihrer Ehe. Clem ist auf dem College, aber vor allem im Bett seiner Freundin. Becky, die Tochter, ist die Ballkönigin ihrer Highschool, ein Star. Perry, etwas jünger als Becky, ist hochbegabt, psychotisch und drogenabhängig - und Judson noch zu klein, um schon irgendwas zu sein. Und auch wenn Franzen wie in den "Korrekturen" aus wechselnden Perspektiven erzählt und vor und zurück in der Zeit springt, interessiert er sich am stärksten für Becky. Und am wenigsten für Judson, aber wie gesagt: "Crossroads" ist ja erst der Anfang dieser Trilogie.

Deren Titel, "Ein Schlüssel zu allen Mythologien", ist dagegen schon fast der ganze Franzen, diese Brechung von Größenwahn und Ironie, die man von diesem postmodernen Realisten kennt. Und die seine Kritiker regelmäßig auf die Palme bringt. Es ist, als würde Franzen sich für eine Anmaßung genieren, die er dann aber mit voller Kraft begeht, weil er nicht anders kann. Wie sollte ein Roman von heute "alle Mythologien" entschlüsseln können? Aber was, wenn nicht ein Roman, sollte dazu imstande sein?

Vor allem wenn er von Jonathan Franzen ist. In den "Korrekturen" hatte der also den Familienroman als sozialen Diagnoseapparat für sich wiederentdeckt. Seitdem hat Franzen ihn immer wieder angewandt, im Vertrauen darauf, dass seine Figuren mit ihren Affekten zugleich die Affekte repräsentieren, welche die amerikanische Gegenwart umtreiben. Indem aber Franzen jetzt für seine Trilogie, deren Auftakt im Winter 1971 spielt, einen Titel gefunden hat, der wie das gigantomanische Konzeptalbum einer albernen langhaarigen Rockband exakt jener Jahre klingt, hebelt er den eigenen Anspruch auf Repräsentation scheinbar direkt wieder aus. Ohne ihn aber dann auch wirklich aufzugeben. Man konnte sich in Franzens Romanen aber noch nie einfach hineinfallen lassen. Man darf dem erzählerischen Sog nicht trauen, den sie bislang hatten. Franzen trickst.

Er kommt nicht von Tolstoi, Homer (höchstens von Simpson), Cervantes, er kommt aus einer amerikanischen Literatur, deren erzählerische Stärke in der Entzifferung von Oberflächenphänomenen steckt. Konsum, politische Inszenierung, Image: Das ist der Stoff für den Mythos der amerikanischen Auserwähltheit heute. Und so sind auch alle Figuren bei Franzen permanent auf Sendung. Alle reden, reden, betteln um Aufmerksamkeit. Kaum jemand schreibt Dialoge wie Jonathan Franzen in den "Korrekturen" oder im grandiosen Roman danach, "Freiheit". Wer solche Dialoge schreiben kann, hat vielleicht nicht alle Mythologien entschlüsselt, aber die Gegenwart im Griff.

Und man wartet auf diese Dialoge auch in "Crossroads", wartet sehnsüchtig, aber vergeblich. Dieser erste Teil der großen amerikanischen Chronik um die Familie Hildebrandt ist reine Introspektion: Man folgt den Figuren tief nach innen, während sie sich durch ihre amerikanische Epoche bewegen, kurz nach der Bürgerrechtsbewegung und 1968. Aber was die Figuren dort antreffen, dient nur dazu, die eigene Selbstsucht zu stillen: Pfarrer Russ bringt Spenden aus seiner weißen Vorstadt in die schwarzen Armutsviertel von Chicago, aber eigentlich nur, weil er die verwitwete, heiße Frances beeindrucken will. Clem schmeißt das College, meldet sich freiwillig für Vietnam, weil er seinem Vater zeigen will, was der für ein Heuchler ist. Marion verkennt die Psychose ihres Sohnes Perry, weil sie zu beschäftigt damit ist, ihm zu zeigen, dass sie genauso jung ist wie er.

Zentrum, battleground all dieser narzisstischen Kämpfe ist die Jugendgruppe der Kirchengemeinde: Sie nennt sich "Crossroads" und versammelt die - weiße - Vorortjugend zu Songs und Seelenstriptease. Aber auch hier herrschen die Codes von Beliebtheit und Coolness, und auch hier will Pfarrer Russ zu den Beliebten und Coolen gehören, wird aber von den Jugendlichen verstoßen, die soeben ihre Macht entdeckt haben. Die sich aus sozialen Umbrüchen jener Zeit ergeben hat.

Oder vielleicht auch nicht. Jonathan Franzen zeigt keine Umbrüche, sondern nur Bewusstsein im Wandel, es ist zwar Winter 1971, also ungefähr fünf Minuten vor Watergate, aber es dauert 506 Seiten, bis der Name "Nixon" fällt. Und mehr als der Name fällt dann auch nicht. Kann sein, dass Franzen mit dieser erzählerischen Konstruktion die Selbstbezogenheit seiner Figuren und der Nation, der sie angehören, auch im Formalen spiegeln wollte. Der strenge Ton der inneren Prüfung passt auch zum Pfarrhaus, in dem "Crossroads" spielt. Aber diese Prosa ist bleischwer, und ihre mechanische deutsche Übersetzung macht es einem auch nicht leicht.

"Russ wusste, dass er sich kindisch benahm, aber sein Schmerz und auch sein Hass waren von einer horizontlosen Totalität, die durch keine Erwachsenenperspektive geschmälert wurde, und darunter lag das süße Gefühl, auf Gottes Gnade zurückgeworfen zu sein: sich in eine solche Einsamkeit und Jämmerlichkeit hineinzumanövrieren, dass nur noch Gott ihn lieben konnte." So geht das 832 Seiten lang. Man hält sie durch aus Loyalität zu diesem großen Erzähler, hält sich fest an den wenigen Augenblicken von Franzen-Magie. Aber dieser Roman ist genauso beschäftigt mit seiner Bedeutung in der Welt wie die Figuren, von denen er erzählt, mit ihrer. Wie es mit Becky weitergeht, will man trotzdem wissen. Tobias Rüther

Jonathan Franzen, "Crossroads". Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 832 Seiten, 28 Euro.

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