"Sibylle Berg ist einer der wenigen deutschsprachigen Autorinnen, für die es sich noch lohnt, eine Buchhandlung zu überfallen." (Süddeutsche Zeitung)
Eine Frau um die vierzig sieht, dass alles den Bach runter geht. Flutkatastrophen, Seuchen, Terroranschläge. Ihren Job in der Agentur ist sie auch los. Nun denn. Die Menschheit ist immer Scheiße gewesen. Und nun geht eben die Welt unter. Etwas Besseres kann nicht passieren.
Der große Roman von Sibylle Berg: Unverwechselbar im Ton, radikal und zärtlich, bestürzend und beglückend.
Eine Frau um die vierzig sieht, dass alles den Bach runter geht. Flutkatastrophen, Seuchen, Terroranschläge. Ihren Job in der Agentur ist sie auch los. Nun denn. Die Menschheit ist immer Scheiße gewesen. Und nun geht eben die Welt unter. Etwas Besseres kann nicht passieren.
Der große Roman von Sibylle Berg: Unverwechselbar im Ton, radikal und zärtlich, bestürzend und beglückend.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2004Piranha im Goldfischteich
Virtuoses Lamento: Sibylle Bergs Weltverschlechterungsroman
In Sibylle Bergs neuem Roman "Ende gut" geht die Welt unter. Aber das eigentliche Desaster besteht darin, daß die Heldin und Erzählerin vierzig geworden ist. Ein Alter, in dem man sich nicht mehr vormachen kann, daß die eigene Existenz noch in den äußeren Einzugsbereich der Jugend gehört. Wer nicht jung ist, ist alt.
"Was soll nach der Jugend anderes kommen als der Verfall und die Wiederholungen, denen das Gefühl abhanden gekommen ist?" Mit den Errungenschaften von Medizin und Kosmetik sind die Ansprüche an glatte Körperoberflächen gestiegen, ist die Wahrnehmung der unvermeidlichen Defizite genauer und unbarmherziger geworden. Über das Vergammeln der Körper zu Lebzeiten - und die Seele in der Wiederholungsschleife - hat seit Gottfried Benn vielleicht niemand mehr so gehässig und untröstlich geschrieben wie Sibylle Berg. Sie ist geradezu biblisch in ihrer Verachtung des menschlichen Leibes.
Aber in "Ende gut" richtet die Ich-Erzählerin den Blick nicht nur auf den eigenen Verfall. Ergänzend wird ein großformatiges Panorama der Trostlosigkeiten geboten. Anders gesagt: Sibylle Berg lästert gewaltig ab - über alles, was ihr so in den Sinn und vor den bösen Blick kommt. Am Leitfaden der Misanthropie wird der Leser zunächst durch eine mittlere deutsche Stadt geführt. Wuppertal, Gießen, Hannover, Duisburg werden wahlweise als Vorstellungshilfe angeboten. Ein Genrebildchen der Abgewracktheit reiht sich dabei ans nächste. Die Erzählerin ekelt sich vor dem banalen Leben in gewöhnlichen Wohnstuben und dem kollektiven Stumpfsinn der ausgeweiteten Einkaufszone, aber am meisten verabscheut sie die stilisierten Existenzen, die vorgeben, etwas Besonders zu sein: "Lifestyleredakteusen" und die Welt, die sie erschaffen. Sibylle Berg macht sich lustig über die Trendforscherei in den Magazinen - allerdings war die schärfste Kritikerin der Trendforscher früher selber eine. Ist, genaugenommen, immer noch eine, denn viele Phänomene, die die kolumnenerprobte Autorin auf die kalte Nadel ihres Sarkasmus spießt, gehören in den Bereich der Moden und Lebensstile. All das, was den archivierungslustigen Poproman ausmacht, findet man auch in "Ende gut". Nur daß von affirmativer Verliebtheit ins Popdetail nun wirklich keine Rede sein kann.
Nach der desaströsen Bestandsaufnahme der Conditio humana geht es erst richtig zur Sache. Der kollabierende Alltag, wie Berg ihn beschreibt, ist immer schon am Vorabend der Apokalypse angesiedelt, die auf den folgenden zweihundert Seiten des Romans mit dem Mut zum Katastrophen-Trash ausphantasiert wird. "Ende gut" spielt vor islamistischen Drohkulissen in einer nahen Zukunft der schlimmsten Art: Demonstrationen, Explosionen, tausend Attentate, von denen keiner mehr hören will, Giftgaswolken, Killer-Viren, versehentlich einschlagende Raketen, brennende Rathäuser, Straßensperren und Kadaver auf allen Wegen. Gleichzeitig hat sich Mutter Natur zur Rache entschlossen: Eisschmelzen am Pol, jahrelange Überschwemmungen, Tornados in Süddeutschland, Erdrutsche sondergleichen. Die alte Sehnsucht der Menschheit, metaphysisch abgestraft zu werden, wird übererfüllt.
In diesem nicht ganz ernst zu nehmenden Inferno führt der Fluchtweg der Heldin über Hamburg nach Berlin, was Berg wiederum Gelegenheit gibt, allerhand böswitziges Beobachtungs- und Vorurteilsmaterial über die beiden Städte und ihre szenetypischen Bewohner einzubringen, die sich auf dem finalen Jahrmarkt der Eitelkeiten ergötzen. Dann tritt unvermittelt eine Nazi-Geheimgesellschaft auf den Plan. Die Heldin wird aus den verseuchten Gebieten herausgeschmuggelt, nach Weimar. Warum ausgerechnet Weimar? Nun, vermutlich weil Sibylle Berg dort geboren wurde und eine DDR-Kindheit verbrachte und wohl auch diesen Komplex einmal polemisch abarbeiten muß.
Aber auch in Thüringen ist angesichts des weltweiten Ausnahmezustands nicht gut bleiben. Nur in Finnland gibt es noch ein paar verschonte Regionen. Auf dem Weg dorthin wird ein stummer Mann zum Begleiter der Frau - einer, der weder coole noch geistreiche Sprüche absondert, sondern angenehme Ruhe und Zuverlässigkeit ausstrahlt. Ein Mann nicht für die Liebe, aber doch für das "stille Einverständnis", was vielleicht besser ist. Man landet auf einer Quarantäneinsel, wo eine idealistische Kommune deutscher Flüchtlinge unter der Führung einer gewissen Hildelore "Impulse für eine zukünftige Welt" geben will - garantiert ökologisch und antiimperialistisch. Billiger Spott auf deutsche Gutmenschlichkeit? Gewiß, aber doch auch treffsicher.
Als dann noch Scharen von meditativen Sinnsuchern eintreffen, macht sich die Ich-Erzählerin wieder auf den Weg, immer der Ruhe nach, die sie auf einer anderen Insel wiederfindet. Dort lebt sie mit ein paar guten Büchern und selbstangebautem Gemüse. Ende gut. Ein lautes, schrilles Buch findet einen leisen Abschluß. Aber auch leise Töne können falsch klingen, sollen es wohl auch.
Terror hat Konjunktur in der jüngeren Literatur und im Regietheater. Bomben müssen explodieren, als könnten die Autoren es gar nicht mehr erwarten bis zum ersten Anschlag auf deutschem Boden. Das ist zuweilen unappetitlich. Auch bei Sibylle Berg gibt es Leichen im Schlußverkauf. Phantasien individueller wie kollektiver Vernichtung spielten in ihrem Werk von Anfang an eine große Rolle. Anders aber als zum Beispiel Frédéric Beigbeder in seinem ebenso dilettantischen wie auf den Effekt kalkulierten Roman über den 11. September ("Windows on the World") ist Sibylle Berg keine Trittbrettfahrerin des Grauens. Sie bindet keinem ansonsten harmlosen, ungekonnten Buch den modischen Sprengstoffgürtel um.
Ihr Weltekel speist sich aus einem unerledigten romantischen Potential. Das Leben ist erbärmlich und die Realität nichts als Dummheit und Schmutz - aber die Autorin wird angetrieben von einer großen Sehnsucht nach Reinheit. Frauen sind in dieser Welt das enttäuschbare Geschlecht; Männer eher zum Arrangement mit den Verhältnissen geschaffen: Bei ihnen ist die Liebe kein Traum, sie stellt sich als Nebenprodukt angenehmer geschlechtlicher Gewohnheit ein. Selbst der geistesverwandte Michel Houellebecq - dem die Autorin zu Beginn des Romans ihre Reverenz erweist - entwickelt bei allem Pessimismus ja viel versöhnliche Lebensfreude, wenn er sich zum kleinen Glück im Swingerclub bekennt. Die Wahl-Züricherin dagegen findet, daß Sex eine Zumutung ist. Daß die Liebe nicht dem Traum von Liebe entspricht, wird ihr nicht verziehen.
Die Komposition dieses ausschweifend vor sich hin räsonierenden Buchs ist dürftig, aber trotzdem hat es erheblichen Unterhaltungswert. Die Handlung ist farcenhaft, aber doch dem Lesefluß dienlich. Die bis zur Armseligkeit verknappte Sprache von Sibylle Bergs ersten Büchern ist einem virtuosen Lamento gewichen. Der Trübsinn wird durch Sprachwitz und Komik austariert, vor allem in den Stimmen-Imitationen, die den Bericht der Erzählerin regelmäßig unterbrechen und für Auflockerung der negativistischen Verbissenheit sorgen. Es sind surreal entstellte "O-Töne" aus der deutschen Lebenswirklichkeit, mit einer Spannbreite vom Drogenwrack bis zum jungen Feuilletonchef. "Ich weiß, daß es Klischees sind, die ich lebe", sagt eine der Figuren, "aber mir ist nichts Besseres eingefallen." In gewisser Weise gilt das auch für die Autorin. Aber man muß zugeben, daß es derzeit niemanden gibt, der aus Klischees grellere Funken schlagen kann. In der jungen deutschen Literatur ist Sibylle Berg der Piranha im Goldfischteich.
WOLFGANG SCHNEIDER
Sibylle Berg: "Ende gut". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 335 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Virtuoses Lamento: Sibylle Bergs Weltverschlechterungsroman
In Sibylle Bergs neuem Roman "Ende gut" geht die Welt unter. Aber das eigentliche Desaster besteht darin, daß die Heldin und Erzählerin vierzig geworden ist. Ein Alter, in dem man sich nicht mehr vormachen kann, daß die eigene Existenz noch in den äußeren Einzugsbereich der Jugend gehört. Wer nicht jung ist, ist alt.
"Was soll nach der Jugend anderes kommen als der Verfall und die Wiederholungen, denen das Gefühl abhanden gekommen ist?" Mit den Errungenschaften von Medizin und Kosmetik sind die Ansprüche an glatte Körperoberflächen gestiegen, ist die Wahrnehmung der unvermeidlichen Defizite genauer und unbarmherziger geworden. Über das Vergammeln der Körper zu Lebzeiten - und die Seele in der Wiederholungsschleife - hat seit Gottfried Benn vielleicht niemand mehr so gehässig und untröstlich geschrieben wie Sibylle Berg. Sie ist geradezu biblisch in ihrer Verachtung des menschlichen Leibes.
Aber in "Ende gut" richtet die Ich-Erzählerin den Blick nicht nur auf den eigenen Verfall. Ergänzend wird ein großformatiges Panorama der Trostlosigkeiten geboten. Anders gesagt: Sibylle Berg lästert gewaltig ab - über alles, was ihr so in den Sinn und vor den bösen Blick kommt. Am Leitfaden der Misanthropie wird der Leser zunächst durch eine mittlere deutsche Stadt geführt. Wuppertal, Gießen, Hannover, Duisburg werden wahlweise als Vorstellungshilfe angeboten. Ein Genrebildchen der Abgewracktheit reiht sich dabei ans nächste. Die Erzählerin ekelt sich vor dem banalen Leben in gewöhnlichen Wohnstuben und dem kollektiven Stumpfsinn der ausgeweiteten Einkaufszone, aber am meisten verabscheut sie die stilisierten Existenzen, die vorgeben, etwas Besonders zu sein: "Lifestyleredakteusen" und die Welt, die sie erschaffen. Sibylle Berg macht sich lustig über die Trendforscherei in den Magazinen - allerdings war die schärfste Kritikerin der Trendforscher früher selber eine. Ist, genaugenommen, immer noch eine, denn viele Phänomene, die die kolumnenerprobte Autorin auf die kalte Nadel ihres Sarkasmus spießt, gehören in den Bereich der Moden und Lebensstile. All das, was den archivierungslustigen Poproman ausmacht, findet man auch in "Ende gut". Nur daß von affirmativer Verliebtheit ins Popdetail nun wirklich keine Rede sein kann.
Nach der desaströsen Bestandsaufnahme der Conditio humana geht es erst richtig zur Sache. Der kollabierende Alltag, wie Berg ihn beschreibt, ist immer schon am Vorabend der Apokalypse angesiedelt, die auf den folgenden zweihundert Seiten des Romans mit dem Mut zum Katastrophen-Trash ausphantasiert wird. "Ende gut" spielt vor islamistischen Drohkulissen in einer nahen Zukunft der schlimmsten Art: Demonstrationen, Explosionen, tausend Attentate, von denen keiner mehr hören will, Giftgaswolken, Killer-Viren, versehentlich einschlagende Raketen, brennende Rathäuser, Straßensperren und Kadaver auf allen Wegen. Gleichzeitig hat sich Mutter Natur zur Rache entschlossen: Eisschmelzen am Pol, jahrelange Überschwemmungen, Tornados in Süddeutschland, Erdrutsche sondergleichen. Die alte Sehnsucht der Menschheit, metaphysisch abgestraft zu werden, wird übererfüllt.
In diesem nicht ganz ernst zu nehmenden Inferno führt der Fluchtweg der Heldin über Hamburg nach Berlin, was Berg wiederum Gelegenheit gibt, allerhand böswitziges Beobachtungs- und Vorurteilsmaterial über die beiden Städte und ihre szenetypischen Bewohner einzubringen, die sich auf dem finalen Jahrmarkt der Eitelkeiten ergötzen. Dann tritt unvermittelt eine Nazi-Geheimgesellschaft auf den Plan. Die Heldin wird aus den verseuchten Gebieten herausgeschmuggelt, nach Weimar. Warum ausgerechnet Weimar? Nun, vermutlich weil Sibylle Berg dort geboren wurde und eine DDR-Kindheit verbrachte und wohl auch diesen Komplex einmal polemisch abarbeiten muß.
Aber auch in Thüringen ist angesichts des weltweiten Ausnahmezustands nicht gut bleiben. Nur in Finnland gibt es noch ein paar verschonte Regionen. Auf dem Weg dorthin wird ein stummer Mann zum Begleiter der Frau - einer, der weder coole noch geistreiche Sprüche absondert, sondern angenehme Ruhe und Zuverlässigkeit ausstrahlt. Ein Mann nicht für die Liebe, aber doch für das "stille Einverständnis", was vielleicht besser ist. Man landet auf einer Quarantäneinsel, wo eine idealistische Kommune deutscher Flüchtlinge unter der Führung einer gewissen Hildelore "Impulse für eine zukünftige Welt" geben will - garantiert ökologisch und antiimperialistisch. Billiger Spott auf deutsche Gutmenschlichkeit? Gewiß, aber doch auch treffsicher.
Als dann noch Scharen von meditativen Sinnsuchern eintreffen, macht sich die Ich-Erzählerin wieder auf den Weg, immer der Ruhe nach, die sie auf einer anderen Insel wiederfindet. Dort lebt sie mit ein paar guten Büchern und selbstangebautem Gemüse. Ende gut. Ein lautes, schrilles Buch findet einen leisen Abschluß. Aber auch leise Töne können falsch klingen, sollen es wohl auch.
Terror hat Konjunktur in der jüngeren Literatur und im Regietheater. Bomben müssen explodieren, als könnten die Autoren es gar nicht mehr erwarten bis zum ersten Anschlag auf deutschem Boden. Das ist zuweilen unappetitlich. Auch bei Sibylle Berg gibt es Leichen im Schlußverkauf. Phantasien individueller wie kollektiver Vernichtung spielten in ihrem Werk von Anfang an eine große Rolle. Anders aber als zum Beispiel Frédéric Beigbeder in seinem ebenso dilettantischen wie auf den Effekt kalkulierten Roman über den 11. September ("Windows on the World") ist Sibylle Berg keine Trittbrettfahrerin des Grauens. Sie bindet keinem ansonsten harmlosen, ungekonnten Buch den modischen Sprengstoffgürtel um.
Ihr Weltekel speist sich aus einem unerledigten romantischen Potential. Das Leben ist erbärmlich und die Realität nichts als Dummheit und Schmutz - aber die Autorin wird angetrieben von einer großen Sehnsucht nach Reinheit. Frauen sind in dieser Welt das enttäuschbare Geschlecht; Männer eher zum Arrangement mit den Verhältnissen geschaffen: Bei ihnen ist die Liebe kein Traum, sie stellt sich als Nebenprodukt angenehmer geschlechtlicher Gewohnheit ein. Selbst der geistesverwandte Michel Houellebecq - dem die Autorin zu Beginn des Romans ihre Reverenz erweist - entwickelt bei allem Pessimismus ja viel versöhnliche Lebensfreude, wenn er sich zum kleinen Glück im Swingerclub bekennt. Die Wahl-Züricherin dagegen findet, daß Sex eine Zumutung ist. Daß die Liebe nicht dem Traum von Liebe entspricht, wird ihr nicht verziehen.
Die Komposition dieses ausschweifend vor sich hin räsonierenden Buchs ist dürftig, aber trotzdem hat es erheblichen Unterhaltungswert. Die Handlung ist farcenhaft, aber doch dem Lesefluß dienlich. Die bis zur Armseligkeit verknappte Sprache von Sibylle Bergs ersten Büchern ist einem virtuosen Lamento gewichen. Der Trübsinn wird durch Sprachwitz und Komik austariert, vor allem in den Stimmen-Imitationen, die den Bericht der Erzählerin regelmäßig unterbrechen und für Auflockerung der negativistischen Verbissenheit sorgen. Es sind surreal entstellte "O-Töne" aus der deutschen Lebenswirklichkeit, mit einer Spannbreite vom Drogenwrack bis zum jungen Feuilletonchef. "Ich weiß, daß es Klischees sind, die ich lebe", sagt eine der Figuren, "aber mir ist nichts Besseres eingefallen." In gewisser Weise gilt das auch für die Autorin. Aber man muß zugeben, daß es derzeit niemanden gibt, der aus Klischees grellere Funken schlagen kann. In der jungen deutschen Literatur ist Sibylle Berg der Piranha im Goldfischteich.
WOLFGANG SCHNEIDER
Sibylle Berg: "Ende gut". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 335 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2005Der Panorama-Tobsuchtsanfall
Sie hat alles gesehen und daran gelitten: Sibylle Bergs nicht zu überbietender Roman „Ende gut”
Es steht nicht gut um dieses Land. Hartz IV? Gefährlicher Rentnerüberhang? Daisys Trauer um Mooshammer? Zwangseinführung der Gen-Datei für wildpinkelnde Königspudel? Kinkerlitzchen! In Chemnitz grassiert Ebola. Erfurt hustet Blut. In Weimar brechen Pusteln auf. Das hätte es in der DDR nicht gegeben. In Dings, Gießen oder was, geht die Pest um. Durch Schwabing stakst die Vogelgrippe. Oder ists Sabine Christiansen? Hamburg steht bis zum Hals unter Wasser. Sofas mit komischen Dreiecken auf den Bezügen stoßen gegen die rostenden Kirchturmglocken. Links gibts nicht mehr. Oben bröckelt. Unten kippelt. Rechts schmilzt ab. Und nicht nur in Deutschland. Auch rheinaufwärts ist die Hölle los. Die Schweiz? Verpufft gleich. Holland ist gestern Mittag um halb eins für immer weggepoldert. Neuseeland ist abhanden gekommen, man weiß nichts Genaues. Wir vermuten, ein Schwarm fall-out-mutierte Kiwis hat die ganze Insel ins Schlepptau genommen und den strudelnden Styx hinuntergezogen, last exit Hades und auf Nimmerwiedersehen. Vorausgesetzt, diese verdammten Kiwis können überhaupt schwimmen. Ornithologie hat uns noch nie interessiert.
Wir waren gewarnt
Ornithologie hilft uns jetzt auch sowieso nicht mehr weiter. Was wir ganz dringend brauchen, ist aktiver Katastrophenschutz. Und den leistet dankenswerterweise Sibylle Berg mit ihrem Roman „Ende gut”. Die Durchleuchtung der Katastrophe mit Röntgenblick ist die erste Rettungsmaßnahme. Mit diesem Roman hat der deutschsprachige Teil der Welt nun endlich sein eigenes Tsunami-Warnsystem. Sage nachher keiner, er sei nicht gewarnt worden. Sibylle Berg hat den allgegenwärtigen Alarmismus und den mit geheucheltem Mitleid schlecht verbrämten Katastrophenvoyeurismus zusammengerührt und alles auf hoher Flamme überkochen lassen. Sie hat alle Fluten, Seuchen, Beben und Eruptionen der letzten Jahre gesammelt und lässt sie nun noch einmal konzentriert auf Deutschland und den Rest der Welt niedergehen. Mal schauen, was passiert. Fest steht: Auch das Innere der Menschen ist ein schweflig-schwärend Katastrophengebiet. Sibylle Berg hat als Erste die Katastrophe als Lebensform und Erzählprinzip erkannt. Die Welt geht unter. Und das ist gut so. Denn sie war Schrott.
Bergs Heldin ist „um die 40”, und damit fängt das ganze Elend und der wohl definitive Roman über dieses Lebensalter auch schon an. Man hört, über die penetranten Vierzigjährigen sei noch so Einiges in Mache. Also besser gleich alle Mann den Griffel fallen lassen, denn besser gehts eh nimmer. Die Autorin reißt ihre sumpfende Erzählerin aus einem lethargischen Nihilismus und schickt sie auf Studienreise durch die Apokalypse. Seit dem vom dreißigjährigen Krieg gebeutelten Barock und Grimmelshausens „Simplicissimus” weiß man in Deutschland das Road Movie als ein willkommenes Mittel zur Bestandsaufnahme des Weltuntergangs zu schätzen. Von einer namen- und gesichtslosen Stadt aus - Wuppertal, Pfaffenhofen, Schwelm, grad egal - geht bei Berg die Fahrt über zahlreiche trostlose Stationen und durch ausnahmslos verkommene Gesellschaftsschichten hinauf in den hohen Norden, nach Finnland. Vorbei an brennenden Pimky-Zentralen und qualmenden Deichmann-Outlet-Centern, explodierenden Frauenparkplätzen und berstenden Kundenklos. Gut so, alles muss weg. Oft wurde versucht, unsere madige Speckgürtel-Republik in all ihrer grenzenlosen Trost- und Ruchlosigkeit auszumessen. Selten bis nie gelang es so überzeugend wie in Bergs Roman. Die schlecht überschminkte Existenzangst in den Gesichtern der Kassiererinnen, die neonbleichen Todeszonen der Einkaufcenter auf der „Grünen Wiese”, die ungezählten Höllenkreise der Baumärkte samt ihrem infernalischen Kundenstamm, ja, die blasierte Ungezogenheit des oberfrechen Herrgotts höchstpersönlich: Die Erzählerin hat alles gesehen und daran gelitten.
Auf ihrer Reise ans Ende der Nacht liest die Heldin der verkommenen Warenwelt wortmächtig die Leviten. Denn Berg hat erkannt, dass jeder lautstark angepriesene Produktvorteil eine Neurose der Zielgruppe offenbart. Selbst der antistatische Büroteppich ist bis in die letzte Faser korrupt, denn er garantiert flusenfreies Kriechen durch alle Hierarchien. Alle Mythen des Alltags wollen entschlüsselt werden, und Berg gibt sich alle Mühe. Einer der getreuesten Spiegel der Gesellschaft jedenfalls ist das Aldi-Mittwochsangebot.
Man fragt sich, woher die Autorin all die facettenreich inszenierten Soziolekte kennt. Wo sie all diese exemplarisch grauenhaften Inneneinrichtungen, rituellen Balztänze und Mittagspausentristessen gesehen hat. Es ist, als hätte sie in Wallraffscher Tradition in allen sozialen Schichten under cover recherchiert. Dieser Panorama-Tobsuchtsanfall entwickelt bald eine kathartische Wirkung: Der schaukelnde Duftbaum, Marke abgeholzter Regenwald, das 100 Prozent biologisch abbaubare Menstruationsschwämmchen und der leere, graue, graue Himmel, in dem nicht mal mehr ein Duftbaum baumelt, können einem plötzlich nichts mehr anhaben. Man denkt einfach nur: Herrlich, alles wie in Madame Berserkers Roman. Man ist immunisiert.
Das Ende der Lahmschreiberei
Bei Bergs Generalabrechnung mit Gott und Vaterland kann vielleicht hin und wieder ein Absatz daneben gehen. In die hyperventilierende Tirade können sich vielleicht ein, zwei weniger inspirierte Ausfälle einschleichen. Aber das mindert die Qualität dieser Prosa nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Der Mut zum Fehlschlag gehört hier zum ästhetischen Programm. Ihre Prosa ist das ultimative Ende der embedded Lahmschreiberei. Diese mutige Autorin entfernt sich fluchend von der Truppe und macht Schluss mit der faden Bachblütenprosa aus den Mädchenpensionaten für höhere Strebertöchter und den albernen Literaturinstituten der gezähmten Republik. Dieser kristallklar leuchtende Rundumschlag erinnert entfernt an das unzähmbar rotierende Temperament des Wüterichs Louis-Ferdinand Céline. Berg pflegt dieselbe Liebe zu Farce und Bouffonnerie, dieselbe Schwäche für clowneske Picaros. Sie nimmt ihre Albernheiten sehr ernst, dreht und wendet sie, schaut sie mit einem verblüffenden Knick in der Optik an und verwandelt sie in Poesie.
Kein deutschsprachiger Gegenwartsautor beherrscht die aufklärerische Groteske wie Madame Berserker. Niemand treibt eine Handlung mit so wieselflinker Phantasie und ähnlich originellem Aberwitz durch rauchende Splattercomiclandschaften. Niemand sagt mit ähnlichem Nachdruck, Tempo und Humor, wie es ist und „Leckt mich”. Berg schöpft aus einem sehr zeitgenössischen Formenfundus. Hier haben „South Park” und die „Simpsons” Pate gestanden. Es soll ja noch Autoren geben, die erst Fontane lesen, bevor sie ihre geblümten Rüschenkleidchen und nachtblauen Anzughosen beschreiben. Mit Sibylle Berg ist der Gegenwartsroman am nächsten bei den schnellen Schnitten der Videospiele. Doch hier amüsiert man sich nicht mit hirnverbrutzelnden Ego-Shootern, sondern beobachtet eine Erzählerin bei der unbarmherzigen Anatomie all der kaputten Egos, ihres eigenen mit eingeschlossen. En passant liest man zahllose bissige Bon Mots und leuchtende Glanzstücke über Conditio Humana, Liebe, Hass und kritischer Wolkentheorie: „Korrekte Wolken in Mörder-, Hasen- oder Nachgeburtform habe ich lange nicht mehr gesehen.”
Sibylle Berg ist eine der wenigen deutschsprachigen Autoren, für die es sich noch lohnt, eine Buchhandlung zu überfallen. Es ist, als hätte sich Michel Houellebecq einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und endlich schreiben gelernt. Berg hat ein ganz spezielles Genre des luziden epischen Amoklaufes entwickelt, das eine erstaunliche Mischung aus meinungsfreudiger Bestandsaufnahme des Hässlichen und melancholischer Suche nach dem Schönen ist. „Ende gut” ist ein detailversessenes Archiv der bösartigen Viren, hässlichen Dinge und gemeinen Ideen, die unser Leben verseuchen. Aber es ist auch ein spannender Abenteuerroman, der schließlich, man glaubt es kaum, den Schatz des stillen Glücks auf einer unspektakulären Insel hebt. In Finnland. Wo sonst.
Unbeholfene Autorendarsteller wie Maxim Biller markieren immer mal wieder gerne den wilden Mann. Aber keine Angst: Die wollen nur spielen. Sibylle Berg dagegen macht Ernst.
STEPHAN MAUS
SIBYLLE BERG: Ende gut. Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch. Köln 2004, 335 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Sie hat alles gesehen und daran gelitten: Sibylle Bergs nicht zu überbietender Roman „Ende gut”
Es steht nicht gut um dieses Land. Hartz IV? Gefährlicher Rentnerüberhang? Daisys Trauer um Mooshammer? Zwangseinführung der Gen-Datei für wildpinkelnde Königspudel? Kinkerlitzchen! In Chemnitz grassiert Ebola. Erfurt hustet Blut. In Weimar brechen Pusteln auf. Das hätte es in der DDR nicht gegeben. In Dings, Gießen oder was, geht die Pest um. Durch Schwabing stakst die Vogelgrippe. Oder ists Sabine Christiansen? Hamburg steht bis zum Hals unter Wasser. Sofas mit komischen Dreiecken auf den Bezügen stoßen gegen die rostenden Kirchturmglocken. Links gibts nicht mehr. Oben bröckelt. Unten kippelt. Rechts schmilzt ab. Und nicht nur in Deutschland. Auch rheinaufwärts ist die Hölle los. Die Schweiz? Verpufft gleich. Holland ist gestern Mittag um halb eins für immer weggepoldert. Neuseeland ist abhanden gekommen, man weiß nichts Genaues. Wir vermuten, ein Schwarm fall-out-mutierte Kiwis hat die ganze Insel ins Schlepptau genommen und den strudelnden Styx hinuntergezogen, last exit Hades und auf Nimmerwiedersehen. Vorausgesetzt, diese verdammten Kiwis können überhaupt schwimmen. Ornithologie hat uns noch nie interessiert.
Wir waren gewarnt
Ornithologie hilft uns jetzt auch sowieso nicht mehr weiter. Was wir ganz dringend brauchen, ist aktiver Katastrophenschutz. Und den leistet dankenswerterweise Sibylle Berg mit ihrem Roman „Ende gut”. Die Durchleuchtung der Katastrophe mit Röntgenblick ist die erste Rettungsmaßnahme. Mit diesem Roman hat der deutschsprachige Teil der Welt nun endlich sein eigenes Tsunami-Warnsystem. Sage nachher keiner, er sei nicht gewarnt worden. Sibylle Berg hat den allgegenwärtigen Alarmismus und den mit geheucheltem Mitleid schlecht verbrämten Katastrophenvoyeurismus zusammengerührt und alles auf hoher Flamme überkochen lassen. Sie hat alle Fluten, Seuchen, Beben und Eruptionen der letzten Jahre gesammelt und lässt sie nun noch einmal konzentriert auf Deutschland und den Rest der Welt niedergehen. Mal schauen, was passiert. Fest steht: Auch das Innere der Menschen ist ein schweflig-schwärend Katastrophengebiet. Sibylle Berg hat als Erste die Katastrophe als Lebensform und Erzählprinzip erkannt. Die Welt geht unter. Und das ist gut so. Denn sie war Schrott.
Bergs Heldin ist „um die 40”, und damit fängt das ganze Elend und der wohl definitive Roman über dieses Lebensalter auch schon an. Man hört, über die penetranten Vierzigjährigen sei noch so Einiges in Mache. Also besser gleich alle Mann den Griffel fallen lassen, denn besser gehts eh nimmer. Die Autorin reißt ihre sumpfende Erzählerin aus einem lethargischen Nihilismus und schickt sie auf Studienreise durch die Apokalypse. Seit dem vom dreißigjährigen Krieg gebeutelten Barock und Grimmelshausens „Simplicissimus” weiß man in Deutschland das Road Movie als ein willkommenes Mittel zur Bestandsaufnahme des Weltuntergangs zu schätzen. Von einer namen- und gesichtslosen Stadt aus - Wuppertal, Pfaffenhofen, Schwelm, grad egal - geht bei Berg die Fahrt über zahlreiche trostlose Stationen und durch ausnahmslos verkommene Gesellschaftsschichten hinauf in den hohen Norden, nach Finnland. Vorbei an brennenden Pimky-Zentralen und qualmenden Deichmann-Outlet-Centern, explodierenden Frauenparkplätzen und berstenden Kundenklos. Gut so, alles muss weg. Oft wurde versucht, unsere madige Speckgürtel-Republik in all ihrer grenzenlosen Trost- und Ruchlosigkeit auszumessen. Selten bis nie gelang es so überzeugend wie in Bergs Roman. Die schlecht überschminkte Existenzangst in den Gesichtern der Kassiererinnen, die neonbleichen Todeszonen der Einkaufcenter auf der „Grünen Wiese”, die ungezählten Höllenkreise der Baumärkte samt ihrem infernalischen Kundenstamm, ja, die blasierte Ungezogenheit des oberfrechen Herrgotts höchstpersönlich: Die Erzählerin hat alles gesehen und daran gelitten.
Auf ihrer Reise ans Ende der Nacht liest die Heldin der verkommenen Warenwelt wortmächtig die Leviten. Denn Berg hat erkannt, dass jeder lautstark angepriesene Produktvorteil eine Neurose der Zielgruppe offenbart. Selbst der antistatische Büroteppich ist bis in die letzte Faser korrupt, denn er garantiert flusenfreies Kriechen durch alle Hierarchien. Alle Mythen des Alltags wollen entschlüsselt werden, und Berg gibt sich alle Mühe. Einer der getreuesten Spiegel der Gesellschaft jedenfalls ist das Aldi-Mittwochsangebot.
Man fragt sich, woher die Autorin all die facettenreich inszenierten Soziolekte kennt. Wo sie all diese exemplarisch grauenhaften Inneneinrichtungen, rituellen Balztänze und Mittagspausentristessen gesehen hat. Es ist, als hätte sie in Wallraffscher Tradition in allen sozialen Schichten under cover recherchiert. Dieser Panorama-Tobsuchtsanfall entwickelt bald eine kathartische Wirkung: Der schaukelnde Duftbaum, Marke abgeholzter Regenwald, das 100 Prozent biologisch abbaubare Menstruationsschwämmchen und der leere, graue, graue Himmel, in dem nicht mal mehr ein Duftbaum baumelt, können einem plötzlich nichts mehr anhaben. Man denkt einfach nur: Herrlich, alles wie in Madame Berserkers Roman. Man ist immunisiert.
Das Ende der Lahmschreiberei
Bei Bergs Generalabrechnung mit Gott und Vaterland kann vielleicht hin und wieder ein Absatz daneben gehen. In die hyperventilierende Tirade können sich vielleicht ein, zwei weniger inspirierte Ausfälle einschleichen. Aber das mindert die Qualität dieser Prosa nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Der Mut zum Fehlschlag gehört hier zum ästhetischen Programm. Ihre Prosa ist das ultimative Ende der embedded Lahmschreiberei. Diese mutige Autorin entfernt sich fluchend von der Truppe und macht Schluss mit der faden Bachblütenprosa aus den Mädchenpensionaten für höhere Strebertöchter und den albernen Literaturinstituten der gezähmten Republik. Dieser kristallklar leuchtende Rundumschlag erinnert entfernt an das unzähmbar rotierende Temperament des Wüterichs Louis-Ferdinand Céline. Berg pflegt dieselbe Liebe zu Farce und Bouffonnerie, dieselbe Schwäche für clowneske Picaros. Sie nimmt ihre Albernheiten sehr ernst, dreht und wendet sie, schaut sie mit einem verblüffenden Knick in der Optik an und verwandelt sie in Poesie.
Kein deutschsprachiger Gegenwartsautor beherrscht die aufklärerische Groteske wie Madame Berserker. Niemand treibt eine Handlung mit so wieselflinker Phantasie und ähnlich originellem Aberwitz durch rauchende Splattercomiclandschaften. Niemand sagt mit ähnlichem Nachdruck, Tempo und Humor, wie es ist und „Leckt mich”. Berg schöpft aus einem sehr zeitgenössischen Formenfundus. Hier haben „South Park” und die „Simpsons” Pate gestanden. Es soll ja noch Autoren geben, die erst Fontane lesen, bevor sie ihre geblümten Rüschenkleidchen und nachtblauen Anzughosen beschreiben. Mit Sibylle Berg ist der Gegenwartsroman am nächsten bei den schnellen Schnitten der Videospiele. Doch hier amüsiert man sich nicht mit hirnverbrutzelnden Ego-Shootern, sondern beobachtet eine Erzählerin bei der unbarmherzigen Anatomie all der kaputten Egos, ihres eigenen mit eingeschlossen. En passant liest man zahllose bissige Bon Mots und leuchtende Glanzstücke über Conditio Humana, Liebe, Hass und kritischer Wolkentheorie: „Korrekte Wolken in Mörder-, Hasen- oder Nachgeburtform habe ich lange nicht mehr gesehen.”
Sibylle Berg ist eine der wenigen deutschsprachigen Autoren, für die es sich noch lohnt, eine Buchhandlung zu überfallen. Es ist, als hätte sich Michel Houellebecq einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und endlich schreiben gelernt. Berg hat ein ganz spezielles Genre des luziden epischen Amoklaufes entwickelt, das eine erstaunliche Mischung aus meinungsfreudiger Bestandsaufnahme des Hässlichen und melancholischer Suche nach dem Schönen ist. „Ende gut” ist ein detailversessenes Archiv der bösartigen Viren, hässlichen Dinge und gemeinen Ideen, die unser Leben verseuchen. Aber es ist auch ein spannender Abenteuerroman, der schließlich, man glaubt es kaum, den Schatz des stillen Glücks auf einer unspektakulären Insel hebt. In Finnland. Wo sonst.
Unbeholfene Autorendarsteller wie Maxim Biller markieren immer mal wieder gerne den wilden Mann. Aber keine Angst: Die wollen nur spielen. Sibylle Berg dagegen macht Ernst.
STEPHAN MAUS
SIBYLLE BERG: Ende gut. Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch. Köln 2004, 335 Seiten, 19,90 Euro.
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