Täglich nehmen wir, ohne es zu wissen, hunderte von Schadstoffen auf. Sie gelangen in winzigen Spuren aus der Luft, dem Essen und Wasser, aus Kosmetika und Medikamenten in unseren Körper. Dort wirken all diese Stoffe zusammen. Die möglichen Folgen: Krebserkrankungen, verminderte Fruchtbarkeit, Schädigungen des Erbguts und ein veränderter Hormonhaushalt. Insgesamt aber bewirken Schadstoffe genauso wie der Klimawandel einen enormen Anpassungsstress für alle Lebewesen, also auch für den Menschen. Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen und Nierenleiden nehmen entsprechend zu. Getan wird in puncto Schadstoffe zu wenig, denn bei vielen der Chemikalien geht es um Milliardenumsätze und den Komfort der Verbraucher. Susanne Donner sensibilisiert für dieses unterschätzte Thema und zeigt Auswege aus dem Dilemma
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicola von Lutterotti erkennt mit Erschrecken, wie wenig wir über den Cocktail an Fremdstoffen in unseren Lebensmitteln, Medikamenten, Möbeln und Kleidern wissen. Die Chemikerin Susanne Donner klärt sie auf, erklärt die Blindheit der Behörden, zieht wissenschaftliche Studien heran und folgt Mineralöl, Parabenen und "Umwelthormonen" auf dem Weg in unsere Kühlschränke und Kulturtaschen. Dass Donner dabei auf wohlfeile Kausalitäten, Moralisieren und Panikmache verzichtet und stattdessen pragmatische Lösungsvorschläge für den Einzelnen und die Politik bereitstellt, gefällt der Rezensentin gut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2021Die Risiken und Wechselwirkungen kennt kaum jemand
Susanne Donner warnt vor dem Cocktail ganz unterschiedlicher Schadstoffe, den wir jeden Tag aufnehmen
Der Mensch ist auf dem besten Weg, sich selbst zu vergiften. In allem, was wir essen, trinken und einatmen, befinden sich mittlerweile im Labor erzeugte Substanzen, deren Vielfalt ständig zunimmt. So gelangen laufend Medikamente, Pestizide, Kunst- und Konservierungsstoffe, Weichmacher, Desinfektions-, Putz- und Flammschutzmittel, Lacke und weitere Chemikalien in unsere Umwelt und von dort in unseren Körper.
Für ihr Buch "Endlager Mensch" hat die Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin Susanne Donner recherchiert, mit welchen Stoffen wir täglich in Kontakt kommen. Was sie in insgesamt achtzehn Kapiteln ausrollt, dürfte nicht nur Ahnungslose wachrütteln. Denn viele der Themen, mit denen sie sich befasst, spielen in der allgemeinen Wahrnehmung bislang keine Rolle.
Gemeinhin ausgeblendet wird etwa, dass die Kombination verschiedener Fremdstoffe bedrohlicher sein könnte als die einzelnen Substanzen an und für sich. Was geschehen kann, wenn sich Chemikalien im menschlichen Körper gleichsam verbünden, erörtert die Autorin am Beispiel von Medikamenten, die diesbezüglich recht gut erforscht sind. Bei vielen anderen Wirkstoffklassen verhält es sich anders: "Ob Kosmetika, Pflanzenschutzmittel, Lacke oder Schuhcremes - die meisten Waren bestehen aus ganz unterschiedlichen Substanzen. Die Zusammensetzung, plastisch gesprochen: der Cocktail, macht es aus - nicht nur hinsichtlich der beabsichtigten Funktion, sondern auch mit Blick auf die Wirkungen auf Mensch und Umwelt."
Der Tunnelblick der Behörden, die jeweils nur Einzelstoffe auf ihre Schädlichkeit hin überprüften, helfe nicht weiter. So sei etwa der Fremdstoff-Cocktail auf Obst und Gemüse kein Grund für eine Beanstandung, solange jede einzelne Chemikalie ihren Grenzwert nicht überschreite. Die Erzeuger und die Industrie umgingen damit die Grundidee der Vorschrift, pflanzliche Kost nicht zu sehr mit Pestiziden zu belasten.
Spritzmittel sind vergleichsweise gut untersucht, jedenfalls die Einzelsubstanzen. Wie aber steht es um die Wirkung der Fremdstoffe, die aus anderen Industriezweigen in unsere Lungen, Mägen und Haut gelangen? Gestützt auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, geht die Autorin dieser Frage ausführlich auf den Grund. Dabei behandelt sie fast alle Lebensbereiche, in denen wir mit nachweislich oder mutmaßlich schädlichen Fremdstoffen in Berührung kommen.
So geht sie unter anderem Hinweisen nach, Parabene, gängige Konservierungsstoffe in Kosmetika, förderten die Entwicklung von Brustkrebs. Zudem zeigt sie, über welche verschlungenen Wege Mineralöle in unsere Speisen und Getränke gelangen, warum Chlorate trotz behördlicher Verbote unser Obst und Gemüse verunreinigen und weshalb polyfluorierte Kohlenstoffe weiterhin als wasserabweisende Beschichtung für Wegwerfverpackungen wie Pizzakartons und Popcornschachteln verwendet werden, obwohl Forscher seit Langem vor diesen langlebigen Substanzen warnen.
In einem eigenen Kapitel befasst sich Donner mit einem Phänomen, das Wissenschaftler und Verbraucherschützer seit geraumer Zeit umtreibt. So stehen Hunderte Chemikalien im Verdacht, in den Hormonhaushalt von Mensch und Tier einzugreifen und - etwa indem sie zu einer Verweiblichung oder Vermännlichung führen - die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Daher auch die Bezeichnung "Umwelthormone".
Auffallend ist, wie wenig wir über die gesundheitlichen Folge dieser, aber auch der meisten anderen Fremdstoffe wissen. Diese Unsicherheit zu benennen, zählt zu den Stärken des Buchs. Dabei widersteht die Autorin weitgehend der im Trend liegenden Versuchung, potentiell zufällige Zusammenhänge als kausal darzustellen und aus einem Indiz einen Beleg zu schmieden.
Auch mit kuriosen Erkenntnissen wartet Donner auf. So berichtet sie von einer niederländischen Firma, die sich darauf spezialisiert hat, metallhaltige Implantate aus der Asche von Verstorbenen zu recyceln. Jedes Jahr soll das Familienunternehmen tausend Tonnen an Herzschrittmachern, Ersatzgelenken, künstlichen Wirbeln und weiteren Medizintechnikprodukten einsammeln und so dazu beitragen, dass weniger Implantate im Erdreich verrotten und die daraus freiwerdenden Metallsalze den Boden und das Grundwasser verunreinigen.
Lässt sich die Flut von Fremdstoffen überhaupt noch aufhalten? Dass es durchaus Lösungen gibt und wie jeder Einzelne von uns zu einer saubereren Umwelt beitragen kann, erläutert Donner pragmatisch und ohne moralisierenden Unterton. Auch skizziert sie, was auf politischer Ebene unternommen werden müsste, um die Sicherheit von Fremdstoffen zu erhöhen. Wichtig wäre es demnach unter anderem, die Chemikalien-Hersteller zu mehr Transparenz zu verpflichten. Denn bislang gebe es kaum verlässliche Informationen darüber, welche Zutaten etwa in Bekleidung, Möbeln oder Sportgeräten steckten.
NICOLA VON LUTTEROTTI
Susanne Donner: "Endlager Mensch". Wie Schadstoffe unsere Gesundheit belasten.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 288 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Susanne Donner warnt vor dem Cocktail ganz unterschiedlicher Schadstoffe, den wir jeden Tag aufnehmen
Der Mensch ist auf dem besten Weg, sich selbst zu vergiften. In allem, was wir essen, trinken und einatmen, befinden sich mittlerweile im Labor erzeugte Substanzen, deren Vielfalt ständig zunimmt. So gelangen laufend Medikamente, Pestizide, Kunst- und Konservierungsstoffe, Weichmacher, Desinfektions-, Putz- und Flammschutzmittel, Lacke und weitere Chemikalien in unsere Umwelt und von dort in unseren Körper.
Für ihr Buch "Endlager Mensch" hat die Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin Susanne Donner recherchiert, mit welchen Stoffen wir täglich in Kontakt kommen. Was sie in insgesamt achtzehn Kapiteln ausrollt, dürfte nicht nur Ahnungslose wachrütteln. Denn viele der Themen, mit denen sie sich befasst, spielen in der allgemeinen Wahrnehmung bislang keine Rolle.
Gemeinhin ausgeblendet wird etwa, dass die Kombination verschiedener Fremdstoffe bedrohlicher sein könnte als die einzelnen Substanzen an und für sich. Was geschehen kann, wenn sich Chemikalien im menschlichen Körper gleichsam verbünden, erörtert die Autorin am Beispiel von Medikamenten, die diesbezüglich recht gut erforscht sind. Bei vielen anderen Wirkstoffklassen verhält es sich anders: "Ob Kosmetika, Pflanzenschutzmittel, Lacke oder Schuhcremes - die meisten Waren bestehen aus ganz unterschiedlichen Substanzen. Die Zusammensetzung, plastisch gesprochen: der Cocktail, macht es aus - nicht nur hinsichtlich der beabsichtigten Funktion, sondern auch mit Blick auf die Wirkungen auf Mensch und Umwelt."
Der Tunnelblick der Behörden, die jeweils nur Einzelstoffe auf ihre Schädlichkeit hin überprüften, helfe nicht weiter. So sei etwa der Fremdstoff-Cocktail auf Obst und Gemüse kein Grund für eine Beanstandung, solange jede einzelne Chemikalie ihren Grenzwert nicht überschreite. Die Erzeuger und die Industrie umgingen damit die Grundidee der Vorschrift, pflanzliche Kost nicht zu sehr mit Pestiziden zu belasten.
Spritzmittel sind vergleichsweise gut untersucht, jedenfalls die Einzelsubstanzen. Wie aber steht es um die Wirkung der Fremdstoffe, die aus anderen Industriezweigen in unsere Lungen, Mägen und Haut gelangen? Gestützt auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, geht die Autorin dieser Frage ausführlich auf den Grund. Dabei behandelt sie fast alle Lebensbereiche, in denen wir mit nachweislich oder mutmaßlich schädlichen Fremdstoffen in Berührung kommen.
So geht sie unter anderem Hinweisen nach, Parabene, gängige Konservierungsstoffe in Kosmetika, förderten die Entwicklung von Brustkrebs. Zudem zeigt sie, über welche verschlungenen Wege Mineralöle in unsere Speisen und Getränke gelangen, warum Chlorate trotz behördlicher Verbote unser Obst und Gemüse verunreinigen und weshalb polyfluorierte Kohlenstoffe weiterhin als wasserabweisende Beschichtung für Wegwerfverpackungen wie Pizzakartons und Popcornschachteln verwendet werden, obwohl Forscher seit Langem vor diesen langlebigen Substanzen warnen.
In einem eigenen Kapitel befasst sich Donner mit einem Phänomen, das Wissenschaftler und Verbraucherschützer seit geraumer Zeit umtreibt. So stehen Hunderte Chemikalien im Verdacht, in den Hormonhaushalt von Mensch und Tier einzugreifen und - etwa indem sie zu einer Verweiblichung oder Vermännlichung führen - die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Daher auch die Bezeichnung "Umwelthormone".
Auffallend ist, wie wenig wir über die gesundheitlichen Folge dieser, aber auch der meisten anderen Fremdstoffe wissen. Diese Unsicherheit zu benennen, zählt zu den Stärken des Buchs. Dabei widersteht die Autorin weitgehend der im Trend liegenden Versuchung, potentiell zufällige Zusammenhänge als kausal darzustellen und aus einem Indiz einen Beleg zu schmieden.
Auch mit kuriosen Erkenntnissen wartet Donner auf. So berichtet sie von einer niederländischen Firma, die sich darauf spezialisiert hat, metallhaltige Implantate aus der Asche von Verstorbenen zu recyceln. Jedes Jahr soll das Familienunternehmen tausend Tonnen an Herzschrittmachern, Ersatzgelenken, künstlichen Wirbeln und weiteren Medizintechnikprodukten einsammeln und so dazu beitragen, dass weniger Implantate im Erdreich verrotten und die daraus freiwerdenden Metallsalze den Boden und das Grundwasser verunreinigen.
Lässt sich die Flut von Fremdstoffen überhaupt noch aufhalten? Dass es durchaus Lösungen gibt und wie jeder Einzelne von uns zu einer saubereren Umwelt beitragen kann, erläutert Donner pragmatisch und ohne moralisierenden Unterton. Auch skizziert sie, was auf politischer Ebene unternommen werden müsste, um die Sicherheit von Fremdstoffen zu erhöhen. Wichtig wäre es demnach unter anderem, die Chemikalien-Hersteller zu mehr Transparenz zu verpflichten. Denn bislang gebe es kaum verlässliche Informationen darüber, welche Zutaten etwa in Bekleidung, Möbeln oder Sportgeräten steckten.
NICOLA VON LUTTEROTTI
Susanne Donner: "Endlager Mensch". Wie Schadstoffe unsere Gesundheit belasten.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 288 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main