Endlich Frieden! Endlich Ferien! In den 50er Jahren wächst nicht nur die Wirtschaft der Deutschen wieder rasant, sondern auch ihre Reiselust. Ob zu Fuß, mit dem Rad, der Vespa, dem Käfer, per Bahn und sogar mit dem Flugzeug mit der harten D-Mark in der Tasche zieht es die Deutschen in die Ferne. Wohin und wie es dabei zuging, das zeigt dieser opulente Bildband in einer historischen Revue mit ausdrucksvollen Bilddokumenten und aufschlussreichen Texten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2007Mit dem Gelbfilter sieht die Welt gleich anders aus
Erinnerungen an den Tourismus der Nachkriegszeit / Von Theodor Geus
Das waren noch Zeiten! Wenn einem dieser Seufzer entschlüpft, hängt viel von der Betonung ab - ob die schöne Erinnerung an eine angenehme Vergangenheit gemeint ist oder an die Erleichterung, dass endlich verflossen, was den Menschen bedrückte. In diesem Fall kann der Seufzer so oder so ausgelegt werden.
Also: Das waren noch Zeiten. Es gab die Sechstagewoche mit achtundvierzig Stunden Arbeit, die Marmelade war schnittfest, Suppen wurden als backsteingroße Würfel verkauft, und die Kinder mussten die umgearbeitete Kleidung der Erwachsenen auftragen. Andererseits: Die Läden begannen sich mit Waren zu füllen, die Untermieter fanden eine eigene Wohnung, der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod erfand den Toast Hawaii, und langsam begannen die Schreckensbilder des Kriegs zu verblassen.
So ist es gewesen in den fünfziger Jahren - eine verwirrende Zeit des Aufbruchs und des Wirtschaftswunders, die der Gesellschaft ein neues Wohlgefühl versprach und einen Wertewandel ohnegleichen auslöste. Zweifellos die aufregendste unter all den großen und kleinen Revolutionen damals war, dass plötzlich das Tor zur Welt weit aufgestoßen wurde.
Schon kurz nach der Währungsreform im Sommer 1948 hatten Unternehmer die ersten Pauschalreisen organisiert. Damit war der Startschuss gefallen für eine beispiellose Bewegung, mit der sich die aufgestaute Sehnsucht nach neuen Horizonten Bahn brach, denn das Reisen war nun nicht mehr einer Elite vorbehalten, sondern war zum demokratischen Ereignis geworden. Marksteine, die diese dramatische Veränderung deutlich machten, waren der erste Sonderzug mit Liegewagen 1951, der erste Nonstopflug von Düsseldorf nach Mallorca 1956, die Vorstellung des billigen Goggomobils 1954 und, seit 1956, ein immer stärkeres Dringen der Gewerkschaften auf Urlaubsgeld. Bereits Ende des Jahrzehnts diagnostizierte die Wissenschaft den "Fremdenverkehr" als die Kraft, "die mehr als jede andere einen allgegenwärtigen, vereinheitlichenden Einfluss auf das wirtschaftliche, kulturelle, soziale und politische Leben und Verhalten ausübt". Allerdings beschrieb der Schriftsteller Gerd Gaiser in den 1959 erschienenen "Sizilianischen Notizen" sein Taormina-Erlebnis schon so: "Überangebot, krampfhaft gelöste Studienrätinnen ... Manches an Folklore, Blusen teuer, Filme empfiehlt es sich von zu Hause mitzunehmen. Gelbfilter sieht die Dinge gleich anders. Hin- und Rückfahrt im Liegewagen. All die maßlose Trauer, die schreckliche Einsamkeit in der überbelegten Welt. Alles käuflich, aber fast alles nicht zu kaufen."
Für die meisten freilich gab es keinen Grund, das Reisen kritisch zu betrachten. Es herrschte eitel Sonnenschein, und wer immer - noch ein wenig tapsig und mit der Gewissheit, vielen Unbequemlichkeiten zu begegnen - in die Fremde aufbrach, die oft nur wenige Kilometer entfernt war, genoss sein Glück in vollen Zügen, eingestimmt von einer Werbung, die sich darauf verstand, Lust auf urwüchsiges Bayern und mit Amore getränktes Italien zu machen. Nichts könnte dies besser illustrieren als das von Rüdiger Dingemann und Renate Lüdde, gewissermaßen Spezialisten für die fünfziger Jahre, vorgelegte Sammelsurium von Prospekten, Postkarten und Schnappschüssen aus dieser Zeit, das "Sittengemälde" und Spiegel des Lebensgefühls ist. Welche Abenteuer sich dahinter verbergen, wird leider nicht gesagt, vielmehr erschöpft sich der Text in Zahlen und Fakten, die nur unzureichend wiedergeben, was damals geschehen ist. Amüsant ist dieses Kaleidoskop trotzdem: für die Nachgeborenen, die sich an ein komfortableres Reisen gewöhnt haben, weil die Bilder von spartanischen Campingtouren oder Zugfahrten in engen Abteilen - die Herren mit Anzug und Krawatte, die Damen mit gehäkelten Handschuhen - so komisch wirken. Jenen aber, die das mitgemacht haben, gibt es Anstoß für Erinnerungen an eine schöne Zeit. Eine Antwort darauf, ob sie besser war, gibt es nicht.
"Endlich Ferien - Wie die Deutschen das Reisen entdeckten". Von Rüdiger Dingemann und Renate Lüdde. Bucher Verlag, München 2007. 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 29,95 Euro. - Alle Abbildungen sind dem besprochenen Band entnommen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erinnerungen an den Tourismus der Nachkriegszeit / Von Theodor Geus
Das waren noch Zeiten! Wenn einem dieser Seufzer entschlüpft, hängt viel von der Betonung ab - ob die schöne Erinnerung an eine angenehme Vergangenheit gemeint ist oder an die Erleichterung, dass endlich verflossen, was den Menschen bedrückte. In diesem Fall kann der Seufzer so oder so ausgelegt werden.
Also: Das waren noch Zeiten. Es gab die Sechstagewoche mit achtundvierzig Stunden Arbeit, die Marmelade war schnittfest, Suppen wurden als backsteingroße Würfel verkauft, und die Kinder mussten die umgearbeitete Kleidung der Erwachsenen auftragen. Andererseits: Die Läden begannen sich mit Waren zu füllen, die Untermieter fanden eine eigene Wohnung, der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod erfand den Toast Hawaii, und langsam begannen die Schreckensbilder des Kriegs zu verblassen.
So ist es gewesen in den fünfziger Jahren - eine verwirrende Zeit des Aufbruchs und des Wirtschaftswunders, die der Gesellschaft ein neues Wohlgefühl versprach und einen Wertewandel ohnegleichen auslöste. Zweifellos die aufregendste unter all den großen und kleinen Revolutionen damals war, dass plötzlich das Tor zur Welt weit aufgestoßen wurde.
Schon kurz nach der Währungsreform im Sommer 1948 hatten Unternehmer die ersten Pauschalreisen organisiert. Damit war der Startschuss gefallen für eine beispiellose Bewegung, mit der sich die aufgestaute Sehnsucht nach neuen Horizonten Bahn brach, denn das Reisen war nun nicht mehr einer Elite vorbehalten, sondern war zum demokratischen Ereignis geworden. Marksteine, die diese dramatische Veränderung deutlich machten, waren der erste Sonderzug mit Liegewagen 1951, der erste Nonstopflug von Düsseldorf nach Mallorca 1956, die Vorstellung des billigen Goggomobils 1954 und, seit 1956, ein immer stärkeres Dringen der Gewerkschaften auf Urlaubsgeld. Bereits Ende des Jahrzehnts diagnostizierte die Wissenschaft den "Fremdenverkehr" als die Kraft, "die mehr als jede andere einen allgegenwärtigen, vereinheitlichenden Einfluss auf das wirtschaftliche, kulturelle, soziale und politische Leben und Verhalten ausübt". Allerdings beschrieb der Schriftsteller Gerd Gaiser in den 1959 erschienenen "Sizilianischen Notizen" sein Taormina-Erlebnis schon so: "Überangebot, krampfhaft gelöste Studienrätinnen ... Manches an Folklore, Blusen teuer, Filme empfiehlt es sich von zu Hause mitzunehmen. Gelbfilter sieht die Dinge gleich anders. Hin- und Rückfahrt im Liegewagen. All die maßlose Trauer, die schreckliche Einsamkeit in der überbelegten Welt. Alles käuflich, aber fast alles nicht zu kaufen."
Für die meisten freilich gab es keinen Grund, das Reisen kritisch zu betrachten. Es herrschte eitel Sonnenschein, und wer immer - noch ein wenig tapsig und mit der Gewissheit, vielen Unbequemlichkeiten zu begegnen - in die Fremde aufbrach, die oft nur wenige Kilometer entfernt war, genoss sein Glück in vollen Zügen, eingestimmt von einer Werbung, die sich darauf verstand, Lust auf urwüchsiges Bayern und mit Amore getränktes Italien zu machen. Nichts könnte dies besser illustrieren als das von Rüdiger Dingemann und Renate Lüdde, gewissermaßen Spezialisten für die fünfziger Jahre, vorgelegte Sammelsurium von Prospekten, Postkarten und Schnappschüssen aus dieser Zeit, das "Sittengemälde" und Spiegel des Lebensgefühls ist. Welche Abenteuer sich dahinter verbergen, wird leider nicht gesagt, vielmehr erschöpft sich der Text in Zahlen und Fakten, die nur unzureichend wiedergeben, was damals geschehen ist. Amüsant ist dieses Kaleidoskop trotzdem: für die Nachgeborenen, die sich an ein komfortableres Reisen gewöhnt haben, weil die Bilder von spartanischen Campingtouren oder Zugfahrten in engen Abteilen - die Herren mit Anzug und Krawatte, die Damen mit gehäkelten Handschuhen - so komisch wirken. Jenen aber, die das mitgemacht haben, gibt es Anstoß für Erinnerungen an eine schöne Zeit. Eine Antwort darauf, ob sie besser war, gibt es nicht.
"Endlich Ferien - Wie die Deutschen das Reisen entdeckten". Von Rüdiger Dingemann und Renate Lüdde. Bucher Verlag, München 2007. 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 29,95 Euro. - Alle Abbildungen sind dem besprochenen Band entnommen.
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