»Papa, ich möchte nicht, dass du stirbst.« Dieser Satz seiner Tochter und die Feststellung, dass seine Attraktivität schwindet, führt den fünfzigjährigen Erzähler zu der Erkenntnis: Sein Körper verfällt und steht in keinem Verhältnis zu seiner geistigen Kraft. Ein uraltes Problem, analysiert er. Hat die Menschheit einen größeren Feind als den natürlichen Tod? Faust schloss damals einen Pakt mit dem Teufel, um ihm zu entgehen. Heute beschäftigen sich Genetiker und Mediziner mit der Unsterblichkeit. Wie weit entfernt liegt dieses Ziel? In Reichweite des Erzählers? Zusammen mit seiner Tochter begibt sich Beigbeder auf eine Reise und lotet mit Experten humorvoll, klug und sehr persönlich die Frage nach der ewigen Jugend aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Nun lasst mich doch mal ewig leben!
Frédéric Beigbeder nennt seinen neuen Roman einen "Science-non-fiction". Auf der Suche nach Mitteln gegen das Sterben geht es um die ganze Welt.
Von Niklas Bender
Selbst die Enfants terribles des Literatur- und Medienbetriebs werden eines Tages erwachsen - und vielleicht sogar alt. Frédéric Beigbeder ergeht es nicht anders: Der 1965 im schicken Neuilly-sur-Seine geborene Party-, Talkshow- und Magazinterrorist ist über "Ferien im Koma" (1994) oder "Novellen unter Ecstasy" (1999) vom Alter her hinaus; er ist dreifacher Vater, hat zwei Exfrauen und eine aktuelle. Da Beigbeder, wie viele Schriftsteller der letzten Jahrzehnte, sein Werk meist direkt aus dem eigenen Leben zieht, nimmt es nicht wunder, dass er die Angst vor körperlichem Verfall nun ins Zentrum eines Romans stellt.
"Endlos leben" erzählt die Geschichte eines Fernsehmoderators namens Beigbeder, doppelt geschiedener Vater einer aufgeweckten Zehnjährigen, Romy. Beigbeder verdient sein Geld mit einer Youtube-Show, in der er mit bekannten Gästen Pillen unbekannten Inhalts schluckt, meist Drogen, die zu absurden Situationen führen; Vorbild mag die Show "Les Recettes pompettes" (Die beschwipsten Rezepte) sein, in der Monsieur Poulpe und ein Promi versuchen, trotz Wodka-Shots zu kochen. Romy konfrontiert ihren Vater mit dem Thema Tod. Beigbeder, dessen Freunde sterben und Eltern gebrechlich werden, nimmt sich die Sorge des Mädchens zu Herzen: Er reist nach Genf, um Professor Stylianos Antonarakis, einen Genom-Forscher, auszufragen.
Es ist die erste einer Serie von Reisen, deren Ziel Interviews mit Wissenschaftlern oder Behandlungen sind; offenbar hat der Autor die Gespräche real geführt, weshalb er "Endlos leben" als "Science-non-fiction" bezeichnet. Sie präsentieren den Stand der Recherchen zur Verjüngung oder gar Unsterblichkeit des Menschen. Das ist die Antwort Beigbeders auf Vergänglichkeit: "Ich bin der erste Mensch, der unsterblich sein wird. Dies ist meine Geschichte; ich hoffe, sie dauert länger als meine Bekanntheit." Tatsächlich ist die Geschichte "auf der Software Human Longevity" abgespeichert, und am Ende gibt es einen Blick in die Zukunft. Im Französischen fällt "Endlos leben" unter die romans d'anticipation, die Romane, die die Zukunft vorwegnehmen.
Die Runde beginnt im Pariser Pompidou-Krankenhaus, wo Frédéric Saldmann, ein Kardiologe und Ernährungswissenschaftler, Beigbeder in den Senkel stellt: "Fettleber und Bluthochdruck." Der Patient nimmt die Ratschläge ernst, will aber noch weitergehen und reist zu Doktor Yossi Buganim, einem Fachmann für Zellverjüngung. Mit Romy erkundet er Jerusalem und informiert sich über die Möglichkeiten pluripotenter Stammzellen. Die ersten Stationen lassen den Lebenshungrigen unbefriedigt: "Diese Forscher dachten nicht utopisch genug. Die Unsterblichkeit interessierte sie nicht, weil sie nicht daran glaubten." Weitere Gespräche in Österreich, New York, Boston und im Silicon Valley werden futuristischer, auch spekulativer, ja irrational. Das entfernt Beigbeder von der reizenden Stimme der Vernunft: In Genf ist er Léonore verfallen, einer jungen Assistenzärztin. Die beiden heiraten und bekommen eine Tochter, Lou; die Liebe hält, solange Beigbeder seine Sucht nach ewiger Jugend halbwegs im Griff hat. Der Autor ironisiert diese nicht nur durch Léonores protestantische Nüchternheit, sondern auch durch mehr oder weniger raffinierte Kommentare. Die Suche steht im Zeichen des Schauerromans: Die Genf-Reise beinhaltet einen Abstecher nach Cologny, wo eine Ausstellung Mary Shelleys dort vor zweihundert Jahren verfassten "Frankenstein" feiert.
Manche Anmerkungen tragen dick auf, etwa die zur Filmmusik von Viscontis "Der Tod in Venedig": "Auf dieser Reise ließen wir aber auch kein einziges Trauersymbol und Werk von Thomas Mann aus. Ich hoffte, kein ganz so hoffnungsloser Fall zu sein wie der alte Lüstling Aschenbach, der dem jungen Tadzio nachstellt." Hier sieht man Schwächen: Der Autor pflegt einen Pointen-Stil, der Untiefen nicht meidet und Unsicherheit zeigt, wie viel Bildung das Gag-affine Publikum verträgt. Auf der Langstrecke des Romans ermüdet er, wenn er nicht von der Handlung getragen wird. Burleske Szenen hingegen gelingen, wie die im "Viva Mayr Gesundheitszentrum" am Wörthersee. Beigbeder macht Diät und lässt sein Blut lasern, während Romy in Begleitung ihres selbstlernenden Roboters Pepper Chips, Cola und Nudeln genießt.
Die Beschreibung der schwerreichen Klientel in "flauschigen Bademänteln", die sich für tausend Euro am Tag unappetitliches Gemüse vorsetzen lässt, amüsiert, Scherze über "Postnazi-Therapeuten" hingegen nicht. Der Jugendwahn erreicht seine Klimax in Kalifornien, wo man Beigbeder mit Blut kuriert; der Schauerroman grüßt abermals. Romy heiratet Pepper, Vater und Tochter verschieben ihre Erinnerung auf digitale Datenspeicher. Zu diesem Zeitpunkt ist die Beziehung mit Léonore gescheitert und Beigbeder wird zur Karikatur posthumaner Selbstoptimierung. Spätestens als eine grausige Jagd auf Frischblut ausbricht, rutscht der Roman ins Dystopische - um am Ende einen alternativen Ausgang zu skizzieren.
Wie Michel Houellebecq schreibt Beigbeder Entwicklungen in die Zukunft fort. Wie Houellebecq urteilt er nicht über heikle Themen, sondern bleibt ambivalent - allerdings nicht durch eine komplexe Erzählsituation, sondern (viel schlichter) durch einen unentschiedenen Helden. Der sagt über Laurent Alexandre: "Je nach Gesprächspartner rühmt er die Verdienste gentechnischer Eingriffe oder prangert sie an. Vielleicht ist er ja einfach nur wie ich: Er weiß nicht, ob er dagegen sein soll oder dafür." Eine dritte Gemeinsamkeit mit dem Autor von "Die Möglichkeit einer Insel" ist die Angst als Handlungsmotor. Beigbeder freilich setzt sie simpel ein: Ein Fünfzigjähriger, der nicht akzeptiert, dass sein Leben endlich ist - das ist wenig für 350 Seiten. Beigbeder kann es besser: "Windows on the world" (2003) ist erzählerisch gut konstruiert, "Ein französischer Roman" (2009) hat existentielle Dringlichkeit. "Endlos leben" wirkt eher hilfund haltlos, mit wissenschaftlichen Exkursen überladen. Was bleibt, ist eine amüsante Plauderei zu einem hochaktuellen Thema; endlos leben wird sie nicht.
Frédéric Beigbeder: "Endlos leben". Roman.
Aus dem Französischen von Julia Schoch. Piper Verlag, München 2018. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frédéric Beigbeder nennt seinen neuen Roman einen "Science-non-fiction". Auf der Suche nach Mitteln gegen das Sterben geht es um die ganze Welt.
Von Niklas Bender
Selbst die Enfants terribles des Literatur- und Medienbetriebs werden eines Tages erwachsen - und vielleicht sogar alt. Frédéric Beigbeder ergeht es nicht anders: Der 1965 im schicken Neuilly-sur-Seine geborene Party-, Talkshow- und Magazinterrorist ist über "Ferien im Koma" (1994) oder "Novellen unter Ecstasy" (1999) vom Alter her hinaus; er ist dreifacher Vater, hat zwei Exfrauen und eine aktuelle. Da Beigbeder, wie viele Schriftsteller der letzten Jahrzehnte, sein Werk meist direkt aus dem eigenen Leben zieht, nimmt es nicht wunder, dass er die Angst vor körperlichem Verfall nun ins Zentrum eines Romans stellt.
"Endlos leben" erzählt die Geschichte eines Fernsehmoderators namens Beigbeder, doppelt geschiedener Vater einer aufgeweckten Zehnjährigen, Romy. Beigbeder verdient sein Geld mit einer Youtube-Show, in der er mit bekannten Gästen Pillen unbekannten Inhalts schluckt, meist Drogen, die zu absurden Situationen führen; Vorbild mag die Show "Les Recettes pompettes" (Die beschwipsten Rezepte) sein, in der Monsieur Poulpe und ein Promi versuchen, trotz Wodka-Shots zu kochen. Romy konfrontiert ihren Vater mit dem Thema Tod. Beigbeder, dessen Freunde sterben und Eltern gebrechlich werden, nimmt sich die Sorge des Mädchens zu Herzen: Er reist nach Genf, um Professor Stylianos Antonarakis, einen Genom-Forscher, auszufragen.
Es ist die erste einer Serie von Reisen, deren Ziel Interviews mit Wissenschaftlern oder Behandlungen sind; offenbar hat der Autor die Gespräche real geführt, weshalb er "Endlos leben" als "Science-non-fiction" bezeichnet. Sie präsentieren den Stand der Recherchen zur Verjüngung oder gar Unsterblichkeit des Menschen. Das ist die Antwort Beigbeders auf Vergänglichkeit: "Ich bin der erste Mensch, der unsterblich sein wird. Dies ist meine Geschichte; ich hoffe, sie dauert länger als meine Bekanntheit." Tatsächlich ist die Geschichte "auf der Software Human Longevity" abgespeichert, und am Ende gibt es einen Blick in die Zukunft. Im Französischen fällt "Endlos leben" unter die romans d'anticipation, die Romane, die die Zukunft vorwegnehmen.
Die Runde beginnt im Pariser Pompidou-Krankenhaus, wo Frédéric Saldmann, ein Kardiologe und Ernährungswissenschaftler, Beigbeder in den Senkel stellt: "Fettleber und Bluthochdruck." Der Patient nimmt die Ratschläge ernst, will aber noch weitergehen und reist zu Doktor Yossi Buganim, einem Fachmann für Zellverjüngung. Mit Romy erkundet er Jerusalem und informiert sich über die Möglichkeiten pluripotenter Stammzellen. Die ersten Stationen lassen den Lebenshungrigen unbefriedigt: "Diese Forscher dachten nicht utopisch genug. Die Unsterblichkeit interessierte sie nicht, weil sie nicht daran glaubten." Weitere Gespräche in Österreich, New York, Boston und im Silicon Valley werden futuristischer, auch spekulativer, ja irrational. Das entfernt Beigbeder von der reizenden Stimme der Vernunft: In Genf ist er Léonore verfallen, einer jungen Assistenzärztin. Die beiden heiraten und bekommen eine Tochter, Lou; die Liebe hält, solange Beigbeder seine Sucht nach ewiger Jugend halbwegs im Griff hat. Der Autor ironisiert diese nicht nur durch Léonores protestantische Nüchternheit, sondern auch durch mehr oder weniger raffinierte Kommentare. Die Suche steht im Zeichen des Schauerromans: Die Genf-Reise beinhaltet einen Abstecher nach Cologny, wo eine Ausstellung Mary Shelleys dort vor zweihundert Jahren verfassten "Frankenstein" feiert.
Manche Anmerkungen tragen dick auf, etwa die zur Filmmusik von Viscontis "Der Tod in Venedig": "Auf dieser Reise ließen wir aber auch kein einziges Trauersymbol und Werk von Thomas Mann aus. Ich hoffte, kein ganz so hoffnungsloser Fall zu sein wie der alte Lüstling Aschenbach, der dem jungen Tadzio nachstellt." Hier sieht man Schwächen: Der Autor pflegt einen Pointen-Stil, der Untiefen nicht meidet und Unsicherheit zeigt, wie viel Bildung das Gag-affine Publikum verträgt. Auf der Langstrecke des Romans ermüdet er, wenn er nicht von der Handlung getragen wird. Burleske Szenen hingegen gelingen, wie die im "Viva Mayr Gesundheitszentrum" am Wörthersee. Beigbeder macht Diät und lässt sein Blut lasern, während Romy in Begleitung ihres selbstlernenden Roboters Pepper Chips, Cola und Nudeln genießt.
Die Beschreibung der schwerreichen Klientel in "flauschigen Bademänteln", die sich für tausend Euro am Tag unappetitliches Gemüse vorsetzen lässt, amüsiert, Scherze über "Postnazi-Therapeuten" hingegen nicht. Der Jugendwahn erreicht seine Klimax in Kalifornien, wo man Beigbeder mit Blut kuriert; der Schauerroman grüßt abermals. Romy heiratet Pepper, Vater und Tochter verschieben ihre Erinnerung auf digitale Datenspeicher. Zu diesem Zeitpunkt ist die Beziehung mit Léonore gescheitert und Beigbeder wird zur Karikatur posthumaner Selbstoptimierung. Spätestens als eine grausige Jagd auf Frischblut ausbricht, rutscht der Roman ins Dystopische - um am Ende einen alternativen Ausgang zu skizzieren.
Wie Michel Houellebecq schreibt Beigbeder Entwicklungen in die Zukunft fort. Wie Houellebecq urteilt er nicht über heikle Themen, sondern bleibt ambivalent - allerdings nicht durch eine komplexe Erzählsituation, sondern (viel schlichter) durch einen unentschiedenen Helden. Der sagt über Laurent Alexandre: "Je nach Gesprächspartner rühmt er die Verdienste gentechnischer Eingriffe oder prangert sie an. Vielleicht ist er ja einfach nur wie ich: Er weiß nicht, ob er dagegen sein soll oder dafür." Eine dritte Gemeinsamkeit mit dem Autor von "Die Möglichkeit einer Insel" ist die Angst als Handlungsmotor. Beigbeder freilich setzt sie simpel ein: Ein Fünfzigjähriger, der nicht akzeptiert, dass sein Leben endlich ist - das ist wenig für 350 Seiten. Beigbeder kann es besser: "Windows on the world" (2003) ist erzählerisch gut konstruiert, "Ein französischer Roman" (2009) hat existentielle Dringlichkeit. "Endlos leben" wirkt eher hilfund haltlos, mit wissenschaftlichen Exkursen überladen. Was bleibt, ist eine amüsante Plauderei zu einem hochaktuellen Thema; endlos leben wird sie nicht.
Frédéric Beigbeder: "Endlos leben". Roman.
Aus dem Französischen von Julia Schoch. Piper Verlag, München 2018. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Reine Zeitverschwendung, warnt Rezensentin Hanna Engelmeier vor Frédéric Beigbeders "Reflektionen" zum Thema Alter und Vergänglichkeit. Ihr Urteil erscheint sogar noch wohlwollend in Anbetracht der Qualen und Fremdscham, welche die Rezensentin beim Lesen offenbar erleiden musste. In dem Buch geht es offenbar um einen Mann, der dem Wunsch seiner Tochter, niemals zu sterben, versucht nachzukommen, indem er sich auf eine Recherchereise begibt, auf der er alles mögliche erfährt, nur nicht, wie man das Alter aufhält. Die große Erkenntnis am Ende: Auch ich, trotz meiner Großartigkeit, muss sterben. Laut Engelmeier nutzt Beigbeder diese Story jedoch lediglich als Vehikel für sein überaus vorteilhaftes Selbstbild und seine hedonistische Lebensphilosophie, die sehr viel mit jungen Frauen, teuren Weinen und schönen Brüsten zu tun hat. Schlimmer sei nur noch die Liste mit den Nachteilen des Todes.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Es ist Beigbeders große Kunst, diese intensiven Gespräche so zu dokumentieren, dass hochkomplexe Sachverhalte für Nichtfachleute nachvollziehbar werden.« Neue Züricher Zeitung 20190110