«Der Sprache Schönheit abgewinnen»: John Updikes letzte Gedichte
Der Band versammelt vom Augenblick angestoßene Themen: Golf, Filmstars, eine Mondfinsternis, amerikanische Städte und Landschaften, die Erinnerung an Freunde und Gefährten. Auch Grotesken wie «Der Tod eines Computers» und Beispiele des amerikanischen Genres light verse.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Staubkörnchen sind Gottes Pixel
Lebenslange Übung in einem scharfen und uneitlen Blick auf sich selbst und die Welt: John Updikes letzte Gedichte
Von Heinrich Detering
Ich richte mich ein in dem Jahrzehnt, in dem, / wie ich höre, die meisten Menschen sterben." So steht es in einem Gedicht, das John Updike an seinem siebzigsten Geburtstag geschrieben hat, am 18. März 2002. Eigentlich folgt es nur der Gewohnheit, an jedem 18. März ein Gedicht zu schreiben. Mit diesem Datum aber setzt ein neuer Zyklus ein. In seinem Verlauf wird aus der ungewissen und noch halb spielerischen Aussicht die Gewissheit des Sterbens. Am Ende steht ein Gedicht, in dem der Dichter sich von seinem Leben verabschiedet, es ist datiert auf den 22. Dezember 2008. "Endpoint" wurde Updikes letzter Gedichtband; als er erschien, war der Autor schon tot. Auf beunruhigende Weise bildet in diesem Zyklus die Poesie das Leben nach: Das Eintreten des Todes vollzieht sich hier gleichsam vor unseren Augen. Es beginnt mit dem Nachdenken über das Altern und dem Überhandnehmen der Erinnerungen; dann kommen die Untersuchungen, die unsicheren und die sicheren Diagnosen, endlich tritt das Unglaubliche und Unvermeidliche wahrhaftig ein.
Als Lyriker hatte Updike 1958 seine Laufbahn begonnen, sechs weitere Gedichtbände erschienen im Laufe der Jahre. Als Lyriker hat Updike auch den Endpunkt gesetzt, genau ein halbes Jahrhundert nach dem Debüt. Zu Unrecht haben die Romane und Essays, die seinen Weltruhm begründeten, die Gedichte lange überschattet. Eher Liebhabern waren sie bekannt - und Lesern von Zeitschriften wie dem "New Yorker", als dessen Redakteur der junge Autor gearbeitet hatte und in dem schließlich auch das Gedicht vom 18. März 2002 vorabgedruckt wurde.
Schon in der Lebensmitte hatte Updike ein Gedicht mit dem Titel "Midpoint" geschrieben; dort knüpft er nun an. Vielleicht liegt es auch an diesem Eindruck von Rundung und Abschluss, dass die Sterbensgedichte so gelassen klingen. Hier spürt man, dass Updikes Romane und Essays eine lebenslange Übung waren in einem scharfen und uneitlen Blick auf sich selbst und die Welt. So wird in diesen letzten Gedichten ein Kinobesuch ebenso aufmerksam vermerkt wie das Surfen im Internet zwischen "Selbstreklame und Spam und Pornographie". Realistisch drapierte metaphysical poetry über den Aufstieg von der irdischen in die himmlische Welt steht neben Kindheitserinnerungen: an die unerfüllten literarischen Hoffnungen der Mutter, an den Tod des Vaters, dessen Lebensalter der Sohn nun schon überschritten hat, überhaupt an die vom Alternden verklärte Zeit "damals, liebe Kinder, als alles noch einfacher war, / bevor alle Firmen anderen Firmen gehörten".
Aufmerksam und distanziert gegenüber dem eigenen Ich sind diese poetischen Notate gerade dort, wo es mitten ins heulende Elend geht. Der Schreiber, allein im Krankenhausbett, ruft bei seiner Ehefrau an, aber das Telefon ist besetzt - natürlich, denkt er: Sie hat Kummer, da er doch im Sterben liegt, sie muss also mit Freunden telefonieren (und sie wird diesen Trost in naher Zukunft noch dringender nötig haben). Liebe- und teilnahmsvoll ist diese Einsicht; und die Einsamkeit dessen, der seinem Zuhause in diesem Moment so fern ist, als sei er schon tot, steht nur zwischen den Zeilen. Noch wo die Gedichte von peinigenden körperlichen Vorgängen, von Depression und Angst sprechen, strahlen sie diese eigenartige Leichtigkeit und Souveränität aus. Die erste "Darmspiegelung", die ein Gedichttitel unbarmherzig ankündigt, und der Blick aus dem Fenster auf die Schiffe in der Ferne: beides wird gleichermaßen aufmerksam verfolgt, und beide bestreiten einander nicht. So wird dann auch die "Wolke auf dem Röntgenbild meiner Lunge" im selben Gedicht geschildert wie "das rostige Herbstgold" vor den Fenstern, und beide verbinden sich zu einem einzigen Naturbild von schräger und trauriger Schönheit.
Die Streitfrage, mit wie vielen physischen Qualen sterbenskranke Verfasser ihre Leser eigentlich konfrontieren dürften, erledigt sich hier von selbst. Updikes Gedichte sind so fern von aller Larmoyanz, so weltneugierig und so musikalisch schön, dass sie bei aller fallweisen Krassheit eher an eine alte ars moriendi denken lassen als an medizinische Protokolle. Die letzte Abteilung, eine Handvoll rasch hingespielter Gelegenheitsgedichte, schließt gerade darum wunderbar den Bogen.
Wenn das Schlussgedicht des Endpoint-Zyklus die Überschrift "Fine Point" trägt, dann kann man auch das finis heraushören. Es ist eine barocke Vanitas-Mahnung, die hier im freundlichen, manchmal fast saloppen Umgangston formuliert wird, in protestantischem Understatement und in Bildern von so ironischer Zartheit wie: "Staubkörnchen, Gottes Pixel, tanzten sacht". Und so erinnert sich dieses Schlussgedicht an die Sonntagsschule, an die Geschichten der Patriarchen, an die Zerstörung des Tempels. "Doch die Juden", notiert der Sterbende, "hielten am Glauben fest und gaben die Gebete weiter." Und dann endet er mit einer halblauten Reminiszenz an den dreiundzwanzigsten Psalm, mit Worten, die dem Bibelzitat gleichsam tastend und bestätigend nachgesprochen werden: "mein Leben lang, immerdar".
Im Originalton sind diese wie fast alle Formulierungen des Bandes lapidarer, als man es der Übersetzung ansehen kann: "my life, forever". Zwar haben die Übersetzer meist zuverlässige Arbeit geleistet. Dass die Ergebnisse manchmal angestrengter und dunkler klingen als das Original, ist kaum zu vermeiden, wenn die Lakonie der englischen Verse in deutsche Sätze auseinandergefaltet werden muss. Aber wenn Updikes witziges Bild für die Kuppel des State House - "a golden bubble single as the sun" - aufquillt zu "eine goldene Blase, singulär wie die Sonne", dann geht mit dem Metrum auch der Witz verloren. Überhaupt erzeugt die Übersetzung den irreführenden Eindruck, Updike habe tatsächlich überwiegend in so freien Versen geschrieben, wie es auf Deutsch dasteht. Dass das genaue Gegenteil der Fall ist, bemerkt nur, wer sich das amerikanische Original beschafft. Erst in einer zweisprachigen Ausgabe könnte man erkennen, dass Updike mit Reimen spielt. Und nur dort könnte man die kalkulierte Fallhöhe zwischen hohem Ton und Umgangssprache ermessen. So bleibt der Band unnötigerweise hinter seinem Gegenstand zurück, stellt er sich taub und blind - vor einer Poesie, der doch bis zum letzten Augenblick Hören und Sehen nicht vergehen wollen.
John Updike: "Endpunkt und andere Gedichte". Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel und Helmut Frielingshaus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 110 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lebenslange Übung in einem scharfen und uneitlen Blick auf sich selbst und die Welt: John Updikes letzte Gedichte
Von Heinrich Detering
Ich richte mich ein in dem Jahrzehnt, in dem, / wie ich höre, die meisten Menschen sterben." So steht es in einem Gedicht, das John Updike an seinem siebzigsten Geburtstag geschrieben hat, am 18. März 2002. Eigentlich folgt es nur der Gewohnheit, an jedem 18. März ein Gedicht zu schreiben. Mit diesem Datum aber setzt ein neuer Zyklus ein. In seinem Verlauf wird aus der ungewissen und noch halb spielerischen Aussicht die Gewissheit des Sterbens. Am Ende steht ein Gedicht, in dem der Dichter sich von seinem Leben verabschiedet, es ist datiert auf den 22. Dezember 2008. "Endpoint" wurde Updikes letzter Gedichtband; als er erschien, war der Autor schon tot. Auf beunruhigende Weise bildet in diesem Zyklus die Poesie das Leben nach: Das Eintreten des Todes vollzieht sich hier gleichsam vor unseren Augen. Es beginnt mit dem Nachdenken über das Altern und dem Überhandnehmen der Erinnerungen; dann kommen die Untersuchungen, die unsicheren und die sicheren Diagnosen, endlich tritt das Unglaubliche und Unvermeidliche wahrhaftig ein.
Als Lyriker hatte Updike 1958 seine Laufbahn begonnen, sechs weitere Gedichtbände erschienen im Laufe der Jahre. Als Lyriker hat Updike auch den Endpunkt gesetzt, genau ein halbes Jahrhundert nach dem Debüt. Zu Unrecht haben die Romane und Essays, die seinen Weltruhm begründeten, die Gedichte lange überschattet. Eher Liebhabern waren sie bekannt - und Lesern von Zeitschriften wie dem "New Yorker", als dessen Redakteur der junge Autor gearbeitet hatte und in dem schließlich auch das Gedicht vom 18. März 2002 vorabgedruckt wurde.
Schon in der Lebensmitte hatte Updike ein Gedicht mit dem Titel "Midpoint" geschrieben; dort knüpft er nun an. Vielleicht liegt es auch an diesem Eindruck von Rundung und Abschluss, dass die Sterbensgedichte so gelassen klingen. Hier spürt man, dass Updikes Romane und Essays eine lebenslange Übung waren in einem scharfen und uneitlen Blick auf sich selbst und die Welt. So wird in diesen letzten Gedichten ein Kinobesuch ebenso aufmerksam vermerkt wie das Surfen im Internet zwischen "Selbstreklame und Spam und Pornographie". Realistisch drapierte metaphysical poetry über den Aufstieg von der irdischen in die himmlische Welt steht neben Kindheitserinnerungen: an die unerfüllten literarischen Hoffnungen der Mutter, an den Tod des Vaters, dessen Lebensalter der Sohn nun schon überschritten hat, überhaupt an die vom Alternden verklärte Zeit "damals, liebe Kinder, als alles noch einfacher war, / bevor alle Firmen anderen Firmen gehörten".
Aufmerksam und distanziert gegenüber dem eigenen Ich sind diese poetischen Notate gerade dort, wo es mitten ins heulende Elend geht. Der Schreiber, allein im Krankenhausbett, ruft bei seiner Ehefrau an, aber das Telefon ist besetzt - natürlich, denkt er: Sie hat Kummer, da er doch im Sterben liegt, sie muss also mit Freunden telefonieren (und sie wird diesen Trost in naher Zukunft noch dringender nötig haben). Liebe- und teilnahmsvoll ist diese Einsicht; und die Einsamkeit dessen, der seinem Zuhause in diesem Moment so fern ist, als sei er schon tot, steht nur zwischen den Zeilen. Noch wo die Gedichte von peinigenden körperlichen Vorgängen, von Depression und Angst sprechen, strahlen sie diese eigenartige Leichtigkeit und Souveränität aus. Die erste "Darmspiegelung", die ein Gedichttitel unbarmherzig ankündigt, und der Blick aus dem Fenster auf die Schiffe in der Ferne: beides wird gleichermaßen aufmerksam verfolgt, und beide bestreiten einander nicht. So wird dann auch die "Wolke auf dem Röntgenbild meiner Lunge" im selben Gedicht geschildert wie "das rostige Herbstgold" vor den Fenstern, und beide verbinden sich zu einem einzigen Naturbild von schräger und trauriger Schönheit.
Die Streitfrage, mit wie vielen physischen Qualen sterbenskranke Verfasser ihre Leser eigentlich konfrontieren dürften, erledigt sich hier von selbst. Updikes Gedichte sind so fern von aller Larmoyanz, so weltneugierig und so musikalisch schön, dass sie bei aller fallweisen Krassheit eher an eine alte ars moriendi denken lassen als an medizinische Protokolle. Die letzte Abteilung, eine Handvoll rasch hingespielter Gelegenheitsgedichte, schließt gerade darum wunderbar den Bogen.
Wenn das Schlussgedicht des Endpoint-Zyklus die Überschrift "Fine Point" trägt, dann kann man auch das finis heraushören. Es ist eine barocke Vanitas-Mahnung, die hier im freundlichen, manchmal fast saloppen Umgangston formuliert wird, in protestantischem Understatement und in Bildern von so ironischer Zartheit wie: "Staubkörnchen, Gottes Pixel, tanzten sacht". Und so erinnert sich dieses Schlussgedicht an die Sonntagsschule, an die Geschichten der Patriarchen, an die Zerstörung des Tempels. "Doch die Juden", notiert der Sterbende, "hielten am Glauben fest und gaben die Gebete weiter." Und dann endet er mit einer halblauten Reminiszenz an den dreiundzwanzigsten Psalm, mit Worten, die dem Bibelzitat gleichsam tastend und bestätigend nachgesprochen werden: "mein Leben lang, immerdar".
Im Originalton sind diese wie fast alle Formulierungen des Bandes lapidarer, als man es der Übersetzung ansehen kann: "my life, forever". Zwar haben die Übersetzer meist zuverlässige Arbeit geleistet. Dass die Ergebnisse manchmal angestrengter und dunkler klingen als das Original, ist kaum zu vermeiden, wenn die Lakonie der englischen Verse in deutsche Sätze auseinandergefaltet werden muss. Aber wenn Updikes witziges Bild für die Kuppel des State House - "a golden bubble single as the sun" - aufquillt zu "eine goldene Blase, singulär wie die Sonne", dann geht mit dem Metrum auch der Witz verloren. Überhaupt erzeugt die Übersetzung den irreführenden Eindruck, Updike habe tatsächlich überwiegend in so freien Versen geschrieben, wie es auf Deutsch dasteht. Dass das genaue Gegenteil der Fall ist, bemerkt nur, wer sich das amerikanische Original beschafft. Erst in einer zweisprachigen Ausgabe könnte man erkennen, dass Updike mit Reimen spielt. Und nur dort könnte man die kalkulierte Fallhöhe zwischen hohem Ton und Umgangssprache ermessen. So bleibt der Band unnötigerweise hinter seinem Gegenstand zurück, stellt er sich taub und blind - vor einer Poesie, der doch bis zum letzten Augenblick Hören und Sehen nicht vergehen wollen.
John Updike: "Endpunkt und andere Gedichte". Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel und Helmut Frielingshaus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 110 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
John Updikes letzte Gedichte, die nun in dem Band "Endpunkt und andere Geschichten" auch auf Deutsch vorliegen, haben Rezensent Heinrich Detering beeindruckt und berührt. "Das Eintreten des Todes", befindet er, "vollzieht sich hier gleichsam vor unseren Augen". Auch wenn die Gedichte um Themen wie Krankheit, Angst, Depression und Sterben kreisen, findet Detering sie bemerkenswert gelassen, nie larmoyant und "musikalisch schön". Ja, er bescheinigt ihnen eine "eigenartige Leichtigkeit und Souveränität" und fühlt sich bei der Lektüre an eine alte ars moriendi, die Kunst des Sterbens erinnert. Die Übersetzung der Gedichte hält er im Großen und Ganzen für "zuverlässig". Allerdings trifft sie seiner Einschätzung nach nicht immer den lakonischen Ton des Originals (was "kaum zu vermeiden" sei). Auch erweckt die deutsche Fassung den falschen Eindruck, so Detering, Updike habe in freien Versen geschrieben. Aus all diesen Gründen hätte Detering sich eine zweisprachige Ausgabe gewünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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