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Dies ist die Geschichte von Barnaby Gaitlin, einem liebenswürdigen Versager, dem daran gelegen ist, sein Leben in den Griff zu bekommen. Was ihm fehlt, ist erst einmal ein rettender Engel. Und der nähert sich in Gestalt von Sophia, einer grundsoliden Bankangestellten, Mitte Dreißig, mit streng frisiertem Dutt. Sie läßt sich vor allem von seiner halbkriminellen Vergangenheit beeindrucken, während er von ihrer absoluten Zuverlässigkeit fasziniert ist.

Produktbeschreibung
Dies ist die Geschichte von Barnaby Gaitlin, einem liebenswürdigen Versager, dem daran gelegen ist, sein Leben in den Griff zu bekommen. Was ihm fehlt, ist erst einmal ein rettender Engel. Und der nähert sich in Gestalt von Sophia, einer grundsoliden Bankangestellten, Mitte Dreißig, mit streng frisiertem Dutt. Sie läßt sich vor allem von seiner halbkriminellen Vergangenheit beeindrucken, während er von ihrer absoluten Zuverlässigkeit fasziniert ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1998

Ein frisches Flanellhemd
Mit leichter Hand: Anne Tylers Roman "Engel gesucht"

Bei dem neuen Roman der 1941 in Minneapolis geborenen Pulitzerpreisträgerin Anne Tyler handelt es sich um einen Unterhaltungsroman. Zumindest hat sich der Rezensent während der Lektüre recht gut unterhalten, was nicht vorauszusehen war. Schließlich sind die meisten Unterhaltungsromane weit entfernt davon, dem Leser Vergnügen zu bereiten. Statt dessen verstimmen sie ihn mit Trivialem.

Das kann man dem mittlerweile vierzehnten Roman Anne Tylers nicht nachsagen. Der Humor des Buches ist meist diskret, die Milieuschilderungen sind anschaulich, die Sprache der Figuren ist alltagsnah und neigt zur Lakonie wie die Erzählsprache insgesamt. Nur wenn die Leute in diesem Buch fluchen oder wütend werden, hört es sich so brav und anachronistisch an, wie Frauchen und Herrchen von Lassie einst fluchten. "Himmeldonnerwetter" sagen sie, "Heiliger Bimbam" oder "Du hast ja einen an der Waffel". Überhaupt ist die soziale Welt, von der Anne Tyler erzählt, von einer lassiehaften Unschuld. Der Roman strahlt den Duft von frisch geplätteten Flanellhemden aus.

Barnaby Gaitlin ist der Sohn wohlhabender Eltern, die ihren Reichtum mit Hilfe der Gaitlin-Stiftung wohltätigen Zwecken zuführen. Sie haben es zu etwas gebracht, was man von Barnaby nicht sagen kann. Als Junge war er begabt gewesen, "praktisch ein Einstein", der vorzeitig Lesen gelernt und, so seine Großmutter, "früher immer in Elternratgebern nachgeschlagen hat, um zu sehen, was er zu der Zeit gerade können sollte". Das Drama des begabten Barnaby besteht darin, daß die Differenz zwischen dem, was er können sollte, und dem, was er kann und macht, mit den Jahren größer wurde. Jetzt ist er dreißig Jahre alt, doch er verdient sein Geld nicht als Arzt, Rechtsanwalt oder Geschäftsmann, sondern bei einer Firma mit dem albernen Namen "Bizeps-Vermietung", wo er alten und muskelschwachen Menschen beim Einkauf, im Haushalt und bei anderen Aufgaben hilft. Daß unter den alten auch schwerhörige Menschen sind, erlaubt der Autorin, kleine Dialoge einzustreuen: ",Das ist eine lange Geschichte', antwortete ich. ,Das lag an der Nichte?' . . . ,Eine lange Geschichte' . . . ,Aha, sagte sie'." Oder: "Ich sagte Schleimbeutelentzündung, nicht schlechte Verbindung."

Barnaby ist beruflich kein großes Licht, aber ein humaner Typ. Er lernt die Bankangestellte Sophia kennen, seinen "Engel", wie die Gaitlins zu sagen pflegen. Sophias betagte Tante Grace zählt zu Barnabys Kundinnen. Daß sie ihn eines Tages beschuldigt, sie bestohlen zu haben, wird zuerst von Sophia geregelt, die das Geld heimlich ersetzt. Daß die vergeßliche Tante das Geld nur verlegte, rehabilitiert Barnaby vollends. Die Schulden, die er bei seinen Eltern wegen einer jugendlichen Dummheit hat, schafft er aus der Welt. Er verkauft seine altersschwache 63er Corvette Sting Ray zum Liebhaberpreis und zahlt die Schulden zurück. So geht alles gut aus, und die menschlichen Konflikte, von denen Anne Tyler erzählt, halten sich in Grenzen. Einzig Barnabys Verhältnis zu seiner kleinen Tochter Opal, die bei ihrer Mutter, Barnabys früherer Frau, lebt, bereitet ihm Schmerz. In der Schilderung dieser beinahe sprachlosen Besuchsbeziehung zwischen Vater und Tochter erreicht der Roman Tiefe. Dabei ist es nicht die Tatsache des Getrenntseins als solche, welche den Leser rührt. Es ist die von Anne Tyler skizzierte emotionale Unerreichbarkeit des Kindes, das sich seinem Vater mit beiläufigen Gesten, aber entschieden und schmerzhaft verweigert.

Diesen Schmerz lindert das Netz aus sozialen und familiären Beziehungen, in das Barnaby eingewoben ist. Darum ist auch weniger der titelgebende "Engel" das Leitsymbol des Romans. Es ist vielmehr ein "Planetenquilt", an dem eine von Barnabys alten Damen bis zu ihrem Tode nähte. Diese aus vielen ansonsten unnützen Einzelstücken verfertigte Decke mit einem aufgenähten Planeten Erde gab dem Roman seinen originalen Titel: "A Patchwork Planet". Daß die Autorin damit auf Barnabys provisorische Flickwerkexistenz und vielleicht auf das Provisorische unseres Daseins anspielt, liegt nahe. Mehr noch steht der Quilt für das gottgefällige Leben, dem es gelingt, mit Fleiß und Geduld aus den Kontingenzen und Unvollkommenheiten des Alltags etwas Ganzes zu machen.

Der Quilt gehört also in jeden guten puritanischen Haushalt; als sogenannte Tagesdecke dient er dazu, die Stätte der Lust und des Schlafes mit einem Dokument des Fleißes und der Sparsamkeit zu verhüllen. Und er gehört in diesen unterhaltsamen, grundehrlichen und hochanständigen Roman, der beim Leser voraussetzt, was Barnaby an Sophia schätzt: die Bereitschaft, "den Oberflächenaspekt der Dinge zu akzeptieren". HANS-ULRICH TREICHEL

Anne Tyler: "Engel gesucht". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sibylle Hunzinger. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 319 S., geb., 39,80 DM.

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