Der Arzt Jonathan Hullah frönt unkonventionellen Heilmethoden. Das erregt die Neugier seiner Umgebung, die seine Vergangenheit zu enthüllen sucht: Jonathan, der als junger Mann nach Toronto kommt, um Medizin zu studieren, lernt bei einer Schauspieltruppe Nuala kennen, in die er sich verliebt. Aber während er als Arzt am Zweiten Weltkrieg teilnehmen muss, heiratet sie seinen besten Freund.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.1996Alter Narr vor grauem Baum
Im Kopf schwirren Engelsflügel: Robertson Davies erzählt
Der Kanadier Robertson Davies legt seine erzählerischen Netze großzügig aus. Er wählt das große vielfigurige Panorama, schreckt vor Himmel, Hölle und dem Übersinnlichen nicht zurück, scheut weder abenteuerliche Handlungszüge noch pastose Beredsamkeit. Sein Roman "Engel im Kopf" läßt einen Willen zu Größe und Themenvielfalt erkennen. Eine Weile wiegt sich der Leser im Glauben, alles werde sich zu einem kunstvoll komplexen Gebilde fügen.
Es beginnt mit dem Tod eines Pastors während des Gottesdienstes. Ein Mord wird suggeriert, doch der rätselhafte Todesfall dient nur als Köder. Zwar wird der mysteriöse Priestertod irgendwann, mehrere hundert Seiten später, aufgeklärt. Doch um Kriminalistisches geht es nicht. Überraschenderweise entpuppt sich der Roman als weitschweifige Lebensgeschichte eines Augenzeugen des Vorfalls in der Kirche. Der Augenzeuge ist ein betagter Arzt, der mit breiter Bildung protzt, auf Homöopathie, Gott und Geister schwört, nachdem ihm in seiner Jugend einmal ein schwebendes Indianerzelt das Leben gerettet hat. Er ist eine Mischung aus esoterischem Wunderdoktor und Weisem aus dem Morgenland, eine Figur nach dem Geschmack unserer Zeit. Vielleicht haben wir ihn uns vorzustellen wie den Autor selbst: als alten Herrn mit wallendem Bart.
Die an inneren wie äußeren Ereignissen arme Biographie des Ich-Erzählers steht in einem kuriosen Mißverhältnis zu seinem Mitteilungsbedürfnis. Er probiert den abgeklärt saloppen Ton und gefällt sich in der Pose des weisen Zynikers; wenn die Weisheitslektionen überhandzunehmen drohen, nennt er sich sympathieheischend einen alten Narren. (Man muß ihm recht geben.)
Dennoch fährt er unverdrossen mit seinen Belehrungen fort. Zu allem Unglück besitzt er auch die Neigung zum Aphoristischen. So belehrt er über die Ironie: "Bei der ersten Begegnung eines jungen Mannes mit der Ironie kann es ihm gehen wie bei einem ersten Rausch: Er hat etwas Großes kennengelernt, mit dem er nicht umzugehen weiß." Darauf, daß Robertson Davies mit solchen aufgebauschten Trivialitäten etwa seinen Ich-Erzähler denunzieren wollte, gibt es keinen Hinweis.
Davies, der vor wenigen Monaten im Alter von 82 Jahren starb, hat sein Leben lang mit Worten Handel getrieben, wenn auch in verschiedenen Berufen: zuerst als Schauspieler am Old Vic in London, danach als Verleger des "Examiner" in Ontario und zuletzt als Professor in Toronto. Seit Anfang der achtziger Jahre widmete er sich nur noch dem Schreiben und brachte es auf mehr als dreißig Romane, Essays und Theaterstücke. Einige Romane wurden im vergangenen Jahrzehnt ins Deutsche übersetzt, "Das Fabelwesen" etwa und "Der Fünfte im Spiel". Von der Kritik wurden sie meist mit knurrigem Wohlwollen oder sanfter Ablehnung bedacht.
Daß "Engel im Kopf" als sein Opus magnum gilt, macht allerdings wenig neugierig auf den Rest seiner Produktion. Die Menschen, denen der Erzähler begegnet, sind Stichwortgeber seiner Überlegungen zu Kunst, Kirche, Literatur, Theater, Medizin und dem Leben überhaupt. Sie bleiben blaß, erwecken kein Interesse, vielleicht, weil der Erzähler selbst nicht genug Interesse für Sie aufbringt. Aufmerksamkeit widmet er vorzugsweise sich selbst. Vermutlich ist seine Geschichte als Entwicklungsroman gedacht, immerhin vermehrt sich die Zahl der Menschen, die der Erzähler kennenlernt, die Zahl seiner Leseerfahrungen und seiner Überzeugungen.
All das scheint jedoch rein äußerlich zu wirken, von einer Entfaltung seiner Person kann nicht die Rede sein. Hoch ist nur der Anspruch. Dem Roman vorangestellt hat der Verfasser die Stelle aus Goethes "Faust", wo vom Grau aller Theorie die Rede ist. An ihrem Gegenteil, des Lebens goldnem Baum, hapert es in diesem Buch vor allem. MARION LÖHNDORF
Robertson Davies: "Engel im Kopf". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1995. 469 Seiten, geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kopf schwirren Engelsflügel: Robertson Davies erzählt
Der Kanadier Robertson Davies legt seine erzählerischen Netze großzügig aus. Er wählt das große vielfigurige Panorama, schreckt vor Himmel, Hölle und dem Übersinnlichen nicht zurück, scheut weder abenteuerliche Handlungszüge noch pastose Beredsamkeit. Sein Roman "Engel im Kopf" läßt einen Willen zu Größe und Themenvielfalt erkennen. Eine Weile wiegt sich der Leser im Glauben, alles werde sich zu einem kunstvoll komplexen Gebilde fügen.
Es beginnt mit dem Tod eines Pastors während des Gottesdienstes. Ein Mord wird suggeriert, doch der rätselhafte Todesfall dient nur als Köder. Zwar wird der mysteriöse Priestertod irgendwann, mehrere hundert Seiten später, aufgeklärt. Doch um Kriminalistisches geht es nicht. Überraschenderweise entpuppt sich der Roman als weitschweifige Lebensgeschichte eines Augenzeugen des Vorfalls in der Kirche. Der Augenzeuge ist ein betagter Arzt, der mit breiter Bildung protzt, auf Homöopathie, Gott und Geister schwört, nachdem ihm in seiner Jugend einmal ein schwebendes Indianerzelt das Leben gerettet hat. Er ist eine Mischung aus esoterischem Wunderdoktor und Weisem aus dem Morgenland, eine Figur nach dem Geschmack unserer Zeit. Vielleicht haben wir ihn uns vorzustellen wie den Autor selbst: als alten Herrn mit wallendem Bart.
Die an inneren wie äußeren Ereignissen arme Biographie des Ich-Erzählers steht in einem kuriosen Mißverhältnis zu seinem Mitteilungsbedürfnis. Er probiert den abgeklärt saloppen Ton und gefällt sich in der Pose des weisen Zynikers; wenn die Weisheitslektionen überhandzunehmen drohen, nennt er sich sympathieheischend einen alten Narren. (Man muß ihm recht geben.)
Dennoch fährt er unverdrossen mit seinen Belehrungen fort. Zu allem Unglück besitzt er auch die Neigung zum Aphoristischen. So belehrt er über die Ironie: "Bei der ersten Begegnung eines jungen Mannes mit der Ironie kann es ihm gehen wie bei einem ersten Rausch: Er hat etwas Großes kennengelernt, mit dem er nicht umzugehen weiß." Darauf, daß Robertson Davies mit solchen aufgebauschten Trivialitäten etwa seinen Ich-Erzähler denunzieren wollte, gibt es keinen Hinweis.
Davies, der vor wenigen Monaten im Alter von 82 Jahren starb, hat sein Leben lang mit Worten Handel getrieben, wenn auch in verschiedenen Berufen: zuerst als Schauspieler am Old Vic in London, danach als Verleger des "Examiner" in Ontario und zuletzt als Professor in Toronto. Seit Anfang der achtziger Jahre widmete er sich nur noch dem Schreiben und brachte es auf mehr als dreißig Romane, Essays und Theaterstücke. Einige Romane wurden im vergangenen Jahrzehnt ins Deutsche übersetzt, "Das Fabelwesen" etwa und "Der Fünfte im Spiel". Von der Kritik wurden sie meist mit knurrigem Wohlwollen oder sanfter Ablehnung bedacht.
Daß "Engel im Kopf" als sein Opus magnum gilt, macht allerdings wenig neugierig auf den Rest seiner Produktion. Die Menschen, denen der Erzähler begegnet, sind Stichwortgeber seiner Überlegungen zu Kunst, Kirche, Literatur, Theater, Medizin und dem Leben überhaupt. Sie bleiben blaß, erwecken kein Interesse, vielleicht, weil der Erzähler selbst nicht genug Interesse für Sie aufbringt. Aufmerksamkeit widmet er vorzugsweise sich selbst. Vermutlich ist seine Geschichte als Entwicklungsroman gedacht, immerhin vermehrt sich die Zahl der Menschen, die der Erzähler kennenlernt, die Zahl seiner Leseerfahrungen und seiner Überzeugungen.
All das scheint jedoch rein äußerlich zu wirken, von einer Entfaltung seiner Person kann nicht die Rede sein. Hoch ist nur der Anspruch. Dem Roman vorangestellt hat der Verfasser die Stelle aus Goethes "Faust", wo vom Grau aller Theorie die Rede ist. An ihrem Gegenteil, des Lebens goldnem Baum, hapert es in diesem Buch vor allem. MARION LÖHNDORF
Robertson Davies: "Engel im Kopf". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1995. 469 Seiten, geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main