“Welchen Luxus gönnen wir unserer Seele?“ Diese Frage stellt Sam Sahar der neuen Kellnerin seines persischen Restaurants. Tracy, die junge Frau aus der Londoner Unterschicht, lauscht mit angehaltenem Atem den unaufhörlich strömenden Worten, des ebenso charmanten wie eloquenten Mittfünfzigers. Dem
Muslim, der seine Heimat schon als junger Mann gegen britisches Understatement eingetauscht hat. Nun…mehr“Welchen Luxus gönnen wir unserer Seele?“ Diese Frage stellt Sam Sahar der neuen Kellnerin seines persischen Restaurants. Tracy, die junge Frau aus der Londoner Unterschicht, lauscht mit angehaltenem Atem den unaufhörlich strömenden Worten, des ebenso charmanten wie eloquenten Mittfünfzigers. Dem Muslim, der seine Heimat schon als junger Mann gegen britisches Understatement eingetauscht hat. Nun im anglikanischen Kirchenchor singt, mit zwei Ehefrauen und vier Kindern unter einem Dach lebt und gerade dabei ist, sich in Ehefrau Nummer drei, Tracy Pringle, zu verlieben. Denn sie scheint die verwandte Seele zu sein, nach der dieser philosophische Wanderer zwischen den Kulturen sein Leben lang gesucht hat. “Begierig sog sie all seine Ideen auf wie ein Studienanfänger in der ersten Vorlesungswoche, unschuldig, an allem interessiert.”
Anthony McCarten ist ein guter Erzähler. Immer wieder beschlich mich bei der Lektüre der Gedanke, würde Charles Dickens heute noch leben, könnte der “Englische Harem” auch von ihm stammen. Einprägsame Figuren, unverwechselbare Charaktere mit ebenso liebenswürdigen wie skurrilen Eigenheiten. Eine episch angelegte Handlung, wortreiche Dialoge und ein London, das zwischen trister Armut und verschwenderischem Luxus in allen Facetten schillernd zur Geltung gebracht wird.
Mühelos folgt man den abwechslungsreichen Ereignissen. Die verträumte Supermarktkassiererin Tracy verliert ihren Job. Bevor ihr arbeitsloser Vater Eric und ihre Mutter, die Vorschullehrerin Monica jedoch ihre Sorge zum Ausdruck bringen können, hat sie bereits ihre neue Stellung im “Persischen Garten” angetreten. Die billige äußere Hülle abstreifend, verwandelt sich die junge Frau unter den Augen der staunenden Eltern in eine selbstbewusste Schönheit, die ihren Chef, mit Hilfe der beiden ersten “Ehefrauen” um den Finger wickelt.
Dass diese Menage à quatre nicht nur Bewunderung, sondern vor allem Argwohn, Neid und auch puren Hass erzeugt ist nicht verwunderlich. Ein hässlicher, ebenso dicker wie reicher Perser mit drei wunderschönen Frauen! Wandelte man ein Sprichwort um, könnte man sagen: “Ein Schelm, der sich nichts böses dabei denkt.” Nach der Hochzeit mit Ehefrau Nummer drei spitzt sich die Lage daher dramatisch zu. Ein anonymer Anruf alarmiert die Behörden. Die Mühlen der Bürokratie beginnen zu malen und drohen die ungewöhnliche Familie auseinander zu reißen.
McCarten bereitet dem Leser ein Wechselbad der Gefühle. Komische Szenen (die Eltern Sams sind zu Besuch und versuchen ihr Morgengebet zu verrichten, allerdings weiß niemand im ganzen Haus wo Osten ist!) wechseln mit roher Gewalt (Sam wird das Opfer einer brutalen Eifersuchtstat, die in allen Einzelheiten geschildert wird). Glückliche Momente (die Hochzeitsreise der frischgebackenen Ehe Quartetts) werden von unendlich traurigen Schicksalen konterkariert (Kinder einer Asylantenfamilie aus Monicas Vorschule). In die Sätze des Autors kann man eintauchen wie in warme Laken oder kalt erwischt daraus erwachen.
“Der Raum nahm keine Rücksicht auf das Londoner Wetter: Es war die helle Einrichtung eines Raumes in einem heißen Land. Sie ließ sich auf einem milchweißen Sessel nieder, und als sie sich zurücklehnte, fand ihre rechte Hand eine Glasschale mit geschälten Paranüssen genau an der richtigen Stelle. So ließ sich leben, dachte sie.”
So lässt sich dieses Buch auch lesen. Bequem zurückgelehnt, sprachlich umschmeichelt und inhaltlich gefesselt. Einblick nehmend in die reiche Welt einer anderen Kultur, einer anderen Denk- und Lebensweise. Einsicht gewährend in den Lauf des Lebens, dass sich in beinahe jeder Gesellschaft gleicht und in seinem wiederkehrenden Trott ebenso quälend wie tröstlich sein kann.