Noch heute gilt Enrico Caruso (1873-1921) als Inbegriff des italienischen Tenors. Sein Name ist Synonym für vollendete Gesangskunst. Geboren und aufgewachsen als Arbeiterkind aus Neapel gelang Caruso der Aufstieg zum weltweit gefeierten Künstler, dessen Ruhm und Nachruhm wesentlich von der Schallplatte, der Presse und später auch vom Film mitgeprägt wurden.Als junger Sänger war Enrico Caruso einer der wichtigen Protagonisten der jungen Komponistengeneration nach Verdi. In dieser Phase seiner Laufbahn wurde Caruso zu einem Sänger, der die außerordentliche Schönheit seiner Stimme und die geradezu existenzielle Leidenschaft seines Singens in den Dienst der Musik stellte. Zum Zentrum seines Wirkens wurde die Metropolitan Opera in New York. Dort sang er von 1903 bis 1920 zwar überwiegend in Opern des älteren Repertoires, dies aber in einem modernen Stil, den Sänger und Sängerinnen der folgenden Generationen als modellhaft und vorbildlich verstanden. Als Künstler, dessen Gesang bis heute fasziniert, ist Caruso ein Jahrhundertphänomen.Das Buch verbindet die Lebensbeschreibung Carusos mit Reflexionen über die zeitgeschichtlichen, gesellschaftlich-politischen und interpretationsgeschichtlichen Kontexte, die sein Leben und Künstlertum prägten.Die Reihe "SOLO - Porträts und Profile" lädt dazu ein, die Künstlerinnen und Künstler der "klassischen" Musik kennenzulernen. Erstmals auf dem deutschsprachigen Buchmarkt stehen hier internationale Interpretinnen und Interpreten des 20. und 21. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Jedes Buch porträtiert in gut zugänglicher und kompakter Form eine Musiker-Persönlichkeit: Dirigentinnen und Dirigenten, Solistinnen und Solisten, Sängerinnen und Sänger. Biografie und Karriere werden ebenso vorgestellt wie wesentliche Merkmale des individuellen Musizierens. Eine Einordnung des künstlerischen Profils rundet die fundierten Darstellungen ab.Die Autorinnen und Autoren der Reihe sind auf ihrem jeweiligen Gebiet ausgewiesene Fachleute und kommen aus Forschung und Praxis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2022Napoleon des Grammophons
Erst seit dreißig Jahren ist Interpretationsforschung zum Thema der Musikwissenschaft geworden. Die stärksten Impulse für das Studium der Geschichte und Ästhetik des Gesangs hat Thomas Seedorf von der Hochschule für Musik Karlsruhe gegeben. Nach einem Vortrag unter dem Titel "Der Caruso-Mythos", abgedruckt in einem vor fünf Jahren erschienenen Sammelband über den "Tenor: Mythos, Geschichte, Gegenwart", hat er nun über den italienischen "Tenor des Jahrhunderts" ein kurzes, aber mit Informationen überbordendes Buch geschrieben. Es beginnt mit biographischen Auskünften, die viele Fehler korrigieren, Ausführungen über die italienische Opernindustrie und die historische Einordnung des belcantisch geschulten Sängers in die "giovane scuola" der sogenannten Veristen. Wichtige Kapitel sind dem "Napoleon des Grammophons", dem Leben Carusos in New York sowie der durch die Schallplatte bewirkten "Annäherung von Hoch- und Populärkultur" gewidmet. Der Verlauf von Carusos Karriere - das Studium neuer Rollen, Debüts, internationale Gastspiele - wird in acht Abschnitten geschildert. Dabei stützt sich Seedorf auf die "Chronology of Caruso's appearances" aus dem Anhang von Michael Scotts "The Great Caruso" (1988).
Hier finden sich, in sachlicher Darstellung, Episoden, die in legendenhaften Romanen (Frank Thiess: "Roman einer Stimme") oder Filmen ("The Great Caruso") für die Farben des Tragischen oder die "A star is born"-Fiktionen gebraucht worden sind. Seedorfs Caruso ist sowohl die Akte eines "Künstler-Helden" als auch die der Epoche, die ihn hervorgebracht und schließlich "zum Teil des YouTube-Universums" hat werden lassen. Nur eines fehlt in diesem mit akademischer Nüchternheit gefügten Protokoll: die Stimme, die man beim Lesen hören kann, die, opernhaft gesagt, in die Tiefe des Herzens dringt. JÜRGEN KESTING
Thomas Seedorf: "Enrico Caruso". Tenor des Jahrhunderts.
edition text + kritik, München 2022. 119 S., Abb., br., 19,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erst seit dreißig Jahren ist Interpretationsforschung zum Thema der Musikwissenschaft geworden. Die stärksten Impulse für das Studium der Geschichte und Ästhetik des Gesangs hat Thomas Seedorf von der Hochschule für Musik Karlsruhe gegeben. Nach einem Vortrag unter dem Titel "Der Caruso-Mythos", abgedruckt in einem vor fünf Jahren erschienenen Sammelband über den "Tenor: Mythos, Geschichte, Gegenwart", hat er nun über den italienischen "Tenor des Jahrhunderts" ein kurzes, aber mit Informationen überbordendes Buch geschrieben. Es beginnt mit biographischen Auskünften, die viele Fehler korrigieren, Ausführungen über die italienische Opernindustrie und die historische Einordnung des belcantisch geschulten Sängers in die "giovane scuola" der sogenannten Veristen. Wichtige Kapitel sind dem "Napoleon des Grammophons", dem Leben Carusos in New York sowie der durch die Schallplatte bewirkten "Annäherung von Hoch- und Populärkultur" gewidmet. Der Verlauf von Carusos Karriere - das Studium neuer Rollen, Debüts, internationale Gastspiele - wird in acht Abschnitten geschildert. Dabei stützt sich Seedorf auf die "Chronology of Caruso's appearances" aus dem Anhang von Michael Scotts "The Great Caruso" (1988).
Hier finden sich, in sachlicher Darstellung, Episoden, die in legendenhaften Romanen (Frank Thiess: "Roman einer Stimme") oder Filmen ("The Great Caruso") für die Farben des Tragischen oder die "A star is born"-Fiktionen gebraucht worden sind. Seedorfs Caruso ist sowohl die Akte eines "Künstler-Helden" als auch die der Epoche, die ihn hervorgebracht und schließlich "zum Teil des YouTube-Universums" hat werden lassen. Nur eines fehlt in diesem mit akademischer Nüchternheit gefügten Protokoll: die Stimme, die man beim Lesen hören kann, die, opernhaft gesagt, in die Tiefe des Herzens dringt. JÜRGEN KESTING
Thomas Seedorf: "Enrico Caruso". Tenor des Jahrhunderts.
edition text + kritik, München 2022. 119 S., Abb., br., 19,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mit der kompakten Biografie und dem wissenschaftlichen Tagungsband zum 150. Geburtstag wird dem Phänomen Caruso facettenreich nachgespürt - Stimmwunder, Plattenstar, Medien- und Werbefigur, Vorbild, Mythos - ein spannendes kulturwissenschaftliches Thema im interdisziplinären Blick."nmz - neue musikzeitung, 4/2023