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Elling lebt jetzt in einem Heim für psychisch gestörte, und nach anfänglicher Irritation findet er die "kleine Pause" nur natürlich. Schließlich hat er eine Krise hinter sich und etwas Erholung verdient. Zögernd schließt er Bekanntschaft mit der neuen Umgebung und seine überbordende und oft schrille Phantasie bleibt ungebrochen. "Ambjörnsen... zieht den Leser so hinterhältig hinein in das Innenleben des freundlichen Sonderlings, der sich gelegentlich als veritabler Wahnsinniger entpuppt, daß man danach unweigerlich beginnt, den Stand der Dinge im eigenen Oberstübchen mit leisem Argwohn zu betrachten." (Radio Bremen.)…mehr

Produktbeschreibung
Elling lebt jetzt in einem Heim für psychisch gestörte, und nach anfänglicher Irritation findet er die "kleine Pause" nur natürlich. Schließlich hat er eine Krise hinter sich und etwas Erholung verdient. Zögernd schließt er Bekanntschaft mit der neuen Umgebung und seine überbordende und oft schrille Phantasie bleibt ungebrochen. "Ambjörnsen... zieht den Leser so hinterhältig hinein in das Innenleben des freundlichen Sonderlings, der sich gelegentlich als veritabler Wahnsinniger entpuppt, daß man danach unweigerlich beginnt, den Stand der Dinge im eigenen Oberstübchen mit leisem Argwohn zu betrachten." (Radio Bremen.)
Autorenporträt
Ingvar Ambjørnsen, geboren 1956 im südnorwegischen Tonsberg, war Schriftsetzer, Gärtner, Fabrikarbeiter und Pfleger in einer psychiatrischen Klinik. Der Autor lebt seit 1985 zusammen mit seiner Frau und Übersetzerin Gabriele Haefs in Hamburg. 1996 erhielt Ingvar Ambjörnsen den Brage-Preis des Norwegischen Verlegerverbandes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.1997

Dreimal hoppelt die Ente
Schreibzwang und Kneipdrang: Ingvar Ambjørnsens "Ententanz"

Elling, ein autistisches Muttersöhnchen, das wir bereits aus Ambjørnsens "Ausblick in das Paradies" kennen, ist nach einem "kleinen Zusammenbruch" in die Psychiatrie eingeliefert worden. Dort schreibt der sanftmütige Sonderling einen Bericht über seine ungünstig verlaufene Spanien-Reise zuhanden des behandelnden Arztes. Elling schreibt überhaupt für sein Leben gern - nicht aus Eitelkeit, sondern aus einem Mitteilungsdrang heraus, dem "nichts zu groß, nichts zu klein" ist, um nicht Gegenstand gemütlichen Räsonnements oder autobiographischer Selbstreflexion werden zu können.

Wenn er nicht gerade vom Ruhm eines authentischen Großschriftstellers träumt, verfaßt er, ein anderer Cyrano, Liebesbriefe für seinen beschränkten Zimmergenossen oder Eingaben an die Lokalzeitung. Seine kleinen Verbesserungsvorschläge betreffen die lästigen Stecknadeln in neuen Hemden oder die Wirkungslosigkeit von Aknecremes. Seine großen Gedanken gelten den Motiven, die Päderasten, Massenmörder, Schweden oder auch Zwergenweitwerfer umtreiben. Ellings literarischer Obsession gebricht es mithin weder an skurrilen Themen noch an drängender Inspiration. Ständig und mit Macht kommt "der Stoff" über ihn, und manchmal fährt die "große Idee" in ihn wie ein böser Dschinn. Seine einzige Befürchtung ist, daß die Muse ihn einmal küßt, wenn er gerade mit seiner geliebten Mutter zu Abend ißt. Nun, da sie gestorben ist, sind alle Schleusen offen.

Elling ist kein Alter ego von Ingvar Ambjørnsen. Der in Hamburg lebende Norweger hat seine Autobiographie bereits 1988 niedergeschrieben. Es war die wilde Lebensgeschichte eines sympathischen Dropouts, der, außer trinken und Haschisch rauchen, nur eines wollte, und das seit seinem vierzehnten Lebensjahr: Schriftsteller werden, Bücher schreiben, die, um eine seiner griffigen Formulierungen zu benutzen, den Lesern "wie Torpedos in den Hintern knallen und sie . . . voll in mein eigenes Chaos schicken". "Weiße Nigger" machte Ambjrnsen nach einer Serie von Jugendkrimis und Thrillern über so heiße Eisen wie Sekten, Neonazis, Drogen- und Waffenhandel zumindest in Norwegen zu einer Art Kultautor: Einer jüngeren Umfrage zufolge ist er dort so bekannt und beliebt wie Ibsen.

Sein Elling nun, der eine ruhigere Lebensphase des schreibenden Freaks einläutete, hat mit "weißen Niggern" nicht mehr viel gemein - es sei denn, man setzte seine Schüchternheit und seine befremdlichen Hobbys - so liest er täglich mit Genuß das "Arbeiterbladet" und erfreut sich hin und wieder an Fotos der Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland - aufs Konto jener sozialdemokratischen Solidarität mit den Einsamen und Entrechteten, die sich wie ein roter Faden durch Ambjørnsen umfangreiches Werk zieht. Elling ist ein Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker, Antialkoholiker und mit seinen vierunddreißig Jahren immer noch jungfräulich. Seine sexuellen Phantasien lebt er in pubertären Tagträumen und verschämten Romanentwürfen aus, und wenn er auch wie ein trotziges Kind aufbrausen kann, so gehen dem prüden Kauz doch anarchistische Neigungen weitgehend ab. Er ist ein norwegischer Ritter von der traurigen Gestalt, der allenfalls durch seinen schrägen Blick auf die Schimären und die Normalität der anderen den Geist subversiver Unbotmäßigkeit atmet.

Nur in einem ähneln sich Held und Autor noch: Beide gehören zu den Menschen, die lieber schreiben als lesen. Binnen sechzehn Jahren hat Ambjrnsen zwei Dutzend relativ erfolgreiche Bücher geschrieben, und noch immer sprudeln mehr oder minder treffende Beobachtungen, hippieselige Kicks und fixe Ideen nur so aus ihm heraus. Mit der sprachlichen Form und der gedanklichen Tiefe nimmt er es dabei nicht so genau. "Mit uns Menschen ist es seltsam bestellt", räsonniert der bekennende Zenbuddhist einmal. "Wir haben einen guten Tag oder vielleicht nur einen Augenblick, geladen von Schönheit und Stärke . . . Und doch schlägt das Schicksal wieder unbarmherzig zu, sowie wir um die nächste Ecke biegen." So spielt das Leben.

Im ersten Buch hatte Elling mit einem Fernglas von einem Fenster zum Hof aus das Leben in einer Trabantensiedlung am Stadtrand von Oslo beobachtet. Nach diesem fernen "Ausblick auf das Paradies" und dem Ende der ödipalen Mutter-Kind-Symbiose öffnet sich sein Blick nun ins Nahe und Weite, bis nach Spanien. Beim ersten Schritt des dreifach gehoppelten "Ententanzes", der Beschreibung des Alltags in der Psychiatrie, kommen Ambjørnsen seine Erfahrungen als Pfleger zugute, neben Gärtnerei, Setzerei und Fabrik eine der vielen Stationen seines bewegten Lebens. Der Ich-Erzähler kann sich, wie die Übersetzerin und Ehefrau Gabriele Haefs es salopp ausdrückt, "voll einbringen", und das macht den Bericht eines beschädigten Anstaltslebens streckenweise durchaus komisch. Leider kann er seinem Schreibdrang in der Folge kaum noch Einhalt gebieten, und das wiederum beeinträchtigt das Vergnügen des Lesers doch beträchtlich. Allein der Bericht über die Zurüstungen und ersten Stunden seiner Pauschalreise nach Benidorm erstreckt sich vom morgendlichen Rasieren bis zur Ankunft im Hotel über siebzig Seiten. Nur der titelgebundene Ententanz bringt Leben in den Alltag des spießigen Psychopathen: Jedesmal, wenn er in geselliger Runde, sei es bei der Weihnachtsfeier in der Psychiatrie oder beim bunten Abend in Benidorm, die vertraute Wackelpolonaise erlebt, überfällt ihn, offenbar aufgrund eines frühkindlichen Traumas, nacktes Grausen und besinnungslose Wut. Nicht jeder Leser empfindet derart "große Ideen" mit dem Fließbandautor als "mentalen Hammerschlag". Sicher ist nur, daß Ellings Abenteuer noch Folgen haben werden. MARTIN HALTER.

Ingvar Ambjørnsen: "Ententanz". Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs. Edition Galgenberg. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1996. 253 S., geb., 39,80 DM.

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