1937, der Spanische Bürgerkrieg tobt. Der junge österreichische Brigadier Karl wird nach Valencia ins Krankenhaus gebracht. Da sein Bett für ihn zu kurz ist, liegen seine Beine über das Bett hinaus auf einem Stuhl. Ein lustiger Anblick, und mit einem Lachen im Gesicht schaut Herminia Karl zum ersten Mal in die Augen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Eine wahre Liebe zur falschen Zeit.
Als Herminia im Januar 1937 den österreichischen Spanienkämpfer Karl in einem Krankenhaus von Valencia kennenlernt, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten und nach einem Jahr kommt ihre Tochter Rosa Maria zur Welt. Kurz vor dem Untergang der spanischen Republik trennen sich ihre Wege. Jahrelang ist Herminia ohne Nachricht von ihrem Mann, bis eines Tages drei Briefe eintreffen: aus Dachau, Lublin und Auschwitz.
Als Herminia im Januar 1937 den österreichischen Spanienkämpfer Karl in einem Krankenhaus von Valencia kennenlernt, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten und nach einem Jahr kommt ihre Tochter Rosa Maria zur Welt. Kurz vor dem Untergang der spanischen Republik trennen sich ihre Wege. Jahrelang ist Herminia ohne Nachricht von ihrem Mann, bis eines Tages drei Briefe eintreffen: aus Dachau, Lublin und Auschwitz.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.1999Nachhaltige Beunruhigung
Erich Hackl erkundet die Potentiale der Lakonie Von Kristina Maidt-Zinke
Unbeirrt von den Aufgeregtheiten des Literaturbetriebs verfolgt der Österreicher Erich Hackl den Weg, den er vor zwölf Jahren mit seiner enthusiastisch begrüßten Debüterzählung "Auroras Anlaß" beschritten hat. Seine Methode der präzisen, kunstvoll nüchternen Rekonstruktion individueller Tragödien, die sich am Rande der politischen Umbrüche dieses Jahrhunderts ereigneten, hat man versuchsweise "poetische Historiographie" genannt. Wie auch immer man Hackls Verfahren einordnen will: Es hat gute Chancen, sich nicht abzunutzen, weil es sich allen Trends verweigert. Das Erstaunliche an diesen strengen, stillen Texten ist, daß sie jederzeit Partei nehmen, belehren und moralisieren, ohne deshalb das Odeur trockener Gesinnungstraktate zu verströmen.
Früh wurde dem Autor bescheinigt, daß seine Sprachkraft auch für einen Roman tauge, aber das literarische Potential der Lakonie interessiert ihn offenbar stärker als die Eroberung epischen Terrains. Der "Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick" ist mit Abstand die kürzeste unter seinen bislang vorgelegten Erzählungen: Auf siebzig Seiten werden sieben Jahrzehnte durchmessen, drei Lebensläufe skizziert und genug Fragen aufgeworfen, um den Leser nachhaltig zu beunruhigen.
Einmal mehr fand der Hispanist Hackl seinen Stoff in der jüngeren Vergangenheit des Landes, mit dessen Sprache und Kultur er sich besonders verbunden fühlt. Die Begegnung zwischen dem verwundeten österreichischen Bürgerkriegskämpfer Karl Sequens und der Spanierin Herminia Roudière Perpiñá in einem Krankenhaus der Stadt Valencia im Januar 1937 ist der Beginn einer Liebesgeschichte, die in den Wirren jener Zeit gewiß nicht ohne Parallelen blieb, aber in Hackls ebenso diskreter wie eindringlicher Darstellung die Würde des Exemplarischen gewinnt.
Karl Sequens und Herminia kennen einander gerade drei Wochen, als sie Hochzeit feiern. Sie ahnen, daß ihnen nur wenig Zeit bleiben wird. Ihre Ehe besteht aus kurzen Treffen unter schwierigen Umständen an wechselnden Orten, aber ihre innere Verbindung übersteht alle Widrigkeiten. Nach einem Jahr wird ihre Tochter Rosa María geboren, nach einem weiteren Jahr, kurz vor der Niederlage der spanischen Republik, sehen sie sich in Gerona zum letzten Mal. Herminia flieht mit dem Kind nach Frankreich, dann nach Wien zu ihrer feindseligen Schwägerin, die sie in die bayerische Provinz evakuieren läßt. Karl wird nach Aufenthalten in französischen Lagern an die deutschen Behörden ausgeliefert. Drei Jahre bleibt Herminia ohne Nachricht. Zwischen 1943 und 1945 treffen drei Briefe ein, die Hackl im Wortlaut wiedergibt: aus Dachau, Lublin und Auschwitz. Das grausame Ende ist unausweichlich, doch die Liebe lebt weiter.
Rosa María Sequens Roudière, die Tochter, auf deren Erinnerungen und Nachforschungen sich der Bericht in weiten Teilen stützt, wächst auf mit dem Gefühl des Andersseins, nicht nur ihrer Armut und ihrer "ausländischen" Herkunft wegen: Die Tatsache, daß ihr Vater im KZ umgekommen ist, wird im dörflichen Bayern der Nachkriegszeit zum Stigma pervertiert. Von ihrer Mutter übernimmt sie die klaren Wertvorstellungen von Treue, Humanität und Gerechtigkeit, nach denen sie ihr eigenes Leben ausrichtet. Rosa María, in den siebziger Jahren nach Wien übergesiedelt, benutzt im Zusammenhang mit ihren Eltern die altmodische Wendung von der "Liebe auf den ersten Blick", und sie erwähnt den "tiefen Ernst" ihres Vaters, der ihre Mutter damals in Valencia sofort für ihn eingenommen habe. Sie selbst konnte sich, wie Hackl notiert, später nur einem Mann zuwenden, dem der "Adel der Seele" etwas bedeutete.
Solche Begriffe, die in fiktionalem Kontext heute pathetisch bis zum Kitschverdacht anmuten würden, kann der Autor in der Rolle des Chronisten mit ruhiger Selbstverständlichkeit wie Leuchttürme in sein karges Erzählgelände setzen. Diese Freiheit entschädigt den, der findet, statt zu erfinden, für die Beschränkung, die er sich im Stofflichen auferlegt. "Schwer zu sagen, wie und wann einer Tugenden erwirbt, die ihm nicht in die Wiege gelegt sind", heißt es dort, wo die auf vorsichtige Vermutungen angewiesene Spurensuche die Jugendjahre von Herminia und Karl Sequens streift. Schwer zu sagen ist auch, wie Hackl es anstellt, aus den zusammengetragenen Fakten mehr zu machen als eine bloße Dokumentation, wie er mit sparsamsten Mitteln die Phantasie des Lesers anregt und dessen Anteilnahme erzwingt. Unausgesprochen scheint über allem der Schlußsatz seiner 1995 erschienenen Erzählung "Sara und Simón" zu schweben, der das Geleistete bescheiden relativiert: "Ein Leben, immerhin, ist mehr als eine Geschichte."
Erich Hackl: "Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick". Diogenes Verlag, Zürich 1999. 77 S., geb., 22, 90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erich Hackl erkundet die Potentiale der Lakonie Von Kristina Maidt-Zinke
Unbeirrt von den Aufgeregtheiten des Literaturbetriebs verfolgt der Österreicher Erich Hackl den Weg, den er vor zwölf Jahren mit seiner enthusiastisch begrüßten Debüterzählung "Auroras Anlaß" beschritten hat. Seine Methode der präzisen, kunstvoll nüchternen Rekonstruktion individueller Tragödien, die sich am Rande der politischen Umbrüche dieses Jahrhunderts ereigneten, hat man versuchsweise "poetische Historiographie" genannt. Wie auch immer man Hackls Verfahren einordnen will: Es hat gute Chancen, sich nicht abzunutzen, weil es sich allen Trends verweigert. Das Erstaunliche an diesen strengen, stillen Texten ist, daß sie jederzeit Partei nehmen, belehren und moralisieren, ohne deshalb das Odeur trockener Gesinnungstraktate zu verströmen.
Früh wurde dem Autor bescheinigt, daß seine Sprachkraft auch für einen Roman tauge, aber das literarische Potential der Lakonie interessiert ihn offenbar stärker als die Eroberung epischen Terrains. Der "Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick" ist mit Abstand die kürzeste unter seinen bislang vorgelegten Erzählungen: Auf siebzig Seiten werden sieben Jahrzehnte durchmessen, drei Lebensläufe skizziert und genug Fragen aufgeworfen, um den Leser nachhaltig zu beunruhigen.
Einmal mehr fand der Hispanist Hackl seinen Stoff in der jüngeren Vergangenheit des Landes, mit dessen Sprache und Kultur er sich besonders verbunden fühlt. Die Begegnung zwischen dem verwundeten österreichischen Bürgerkriegskämpfer Karl Sequens und der Spanierin Herminia Roudière Perpiñá in einem Krankenhaus der Stadt Valencia im Januar 1937 ist der Beginn einer Liebesgeschichte, die in den Wirren jener Zeit gewiß nicht ohne Parallelen blieb, aber in Hackls ebenso diskreter wie eindringlicher Darstellung die Würde des Exemplarischen gewinnt.
Karl Sequens und Herminia kennen einander gerade drei Wochen, als sie Hochzeit feiern. Sie ahnen, daß ihnen nur wenig Zeit bleiben wird. Ihre Ehe besteht aus kurzen Treffen unter schwierigen Umständen an wechselnden Orten, aber ihre innere Verbindung übersteht alle Widrigkeiten. Nach einem Jahr wird ihre Tochter Rosa María geboren, nach einem weiteren Jahr, kurz vor der Niederlage der spanischen Republik, sehen sie sich in Gerona zum letzten Mal. Herminia flieht mit dem Kind nach Frankreich, dann nach Wien zu ihrer feindseligen Schwägerin, die sie in die bayerische Provinz evakuieren läßt. Karl wird nach Aufenthalten in französischen Lagern an die deutschen Behörden ausgeliefert. Drei Jahre bleibt Herminia ohne Nachricht. Zwischen 1943 und 1945 treffen drei Briefe ein, die Hackl im Wortlaut wiedergibt: aus Dachau, Lublin und Auschwitz. Das grausame Ende ist unausweichlich, doch die Liebe lebt weiter.
Rosa María Sequens Roudière, die Tochter, auf deren Erinnerungen und Nachforschungen sich der Bericht in weiten Teilen stützt, wächst auf mit dem Gefühl des Andersseins, nicht nur ihrer Armut und ihrer "ausländischen" Herkunft wegen: Die Tatsache, daß ihr Vater im KZ umgekommen ist, wird im dörflichen Bayern der Nachkriegszeit zum Stigma pervertiert. Von ihrer Mutter übernimmt sie die klaren Wertvorstellungen von Treue, Humanität und Gerechtigkeit, nach denen sie ihr eigenes Leben ausrichtet. Rosa María, in den siebziger Jahren nach Wien übergesiedelt, benutzt im Zusammenhang mit ihren Eltern die altmodische Wendung von der "Liebe auf den ersten Blick", und sie erwähnt den "tiefen Ernst" ihres Vaters, der ihre Mutter damals in Valencia sofort für ihn eingenommen habe. Sie selbst konnte sich, wie Hackl notiert, später nur einem Mann zuwenden, dem der "Adel der Seele" etwas bedeutete.
Solche Begriffe, die in fiktionalem Kontext heute pathetisch bis zum Kitschverdacht anmuten würden, kann der Autor in der Rolle des Chronisten mit ruhiger Selbstverständlichkeit wie Leuchttürme in sein karges Erzählgelände setzen. Diese Freiheit entschädigt den, der findet, statt zu erfinden, für die Beschränkung, die er sich im Stofflichen auferlegt. "Schwer zu sagen, wie und wann einer Tugenden erwirbt, die ihm nicht in die Wiege gelegt sind", heißt es dort, wo die auf vorsichtige Vermutungen angewiesene Spurensuche die Jugendjahre von Herminia und Karl Sequens streift. Schwer zu sagen ist auch, wie Hackl es anstellt, aus den zusammengetragenen Fakten mehr zu machen als eine bloße Dokumentation, wie er mit sparsamsten Mitteln die Phantasie des Lesers anregt und dessen Anteilnahme erzwingt. Unausgesprochen scheint über allem der Schlußsatz seiner 1995 erschienenen Erzählung "Sara und Simón" zu schweben, der das Geleistete bescheiden relativiert: "Ein Leben, immerhin, ist mehr als eine Geschichte."
Erich Hackl: "Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick". Diogenes Verlag, Zürich 1999. 77 S., geb., 22, 90 DM.
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