Der Kartoffel, der Bohne und dem Pilz widmet Christian Enzensberger das erste Prosagedicht dieses Bandes, und von den Pflanzen geht er direkt zur Wäschemangel, die wahrscheinlich noch nie so schön besungen wurde. In diesem äußerst heiteren Manuskript, das sich im Nachlass des Schriftstellers fand, hat dieser nicht nur in Form von Gedichten poetisch über ungewöhnliche Dinge nachgedacht, sondern auch den Prozess des Schreibens kommentiert. In dieser Verschränkung von Poesie und Poetik liegt der Reiz des Buches.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2010Ballonflüge durch den Gesellschaftsäther
Aus dem Nachlass eines poetischen Privatgelehrten gefischt: Christian Enzensbergers schöne und flüchtige „Gedichte in Prosa“
Die Stimmungslagen des gemeinen Haushuhns drücken sich darin aus, ob es gock, gack oder gook macht. Christian Enzensberger geht es bei einem Gedicht über derlei Lautäußerungen jedoch um weitaus mehr. Er unterzieht den Schreibprozess selbst einer eingehenden Überprüfung. Wenn er dann konstatiert, dass die Dehnung von gock zu gook durch die ansteigende „Legebereitschaft“ des Huhns zu erklären sei, ist das auch ein Hinweis auf seine Produktionslust selbst. Die Sätze werden ausgedehnter und entspannter, ab und zu unterläuft sogar etwas ausgesprochen Frivoles.
Die Kurzprosastücke Christian Enzensbergers, der vor knapp zwei Jahren achtundsiebzigjährig gestorben ist, werden von ihm selbst als „Gedichte“ bezeichnet. Das ist deshalb so konsequent, weil er in einer beiläufigen und selbstverständlichen Art das Schreiben selbst zur Schau stellt. Ohne, dass es an irgendeiner Stelle aufdringlich oder verkrampft wirkt, kommentiert er, was er in vorausgegangenen Gedicht geleistet oder nicht geleistet hat, er stellt es in Frage, er stellt Überlegungen an und erklärt, warum er im nächsten das tut, was er tut. Es sind „Vorgänge, die einfach ablaufen, ohne dass man verstehen könnte warum“. Um derlei in Szene zu setzen, muss der Dichter sehr genau hinschauen, so genau, dass man wie unter einem Vergrößerungsglas die Geschehnisse und die Dinge so detail- und facettenreich wahrnimmt, bis sie etwas Unwirkliches und Surreales ausstrahlen, etwas Absurdes.
Die kurzen Stücke fanden sich im Nachlass des akademisch bestallten Anglisten, der aber nicht nur ein Professor seiner Disziplin, sondern noch viel mehr ein Privatgelehrter war. Neben diesen erhellenden, poetischen und die Poesie dabei zwar nicht restlos, aber dennoch erklärenden Prosasätzen wurden überdies Tausende anderer Seiten gefunden, die eine umfassende Naturphilosophie ins Auge zu fassen versuchen.
Dies schmale Bändchen jetzt ist auf andere Weise umfassend. Es umkreist in immer neuen überraschenden Wendungen etwas, was Enzensberger in nahezu juristisch-exakter und deshalb auch ironischer Weise als „Zustand“ bezeichnet: den Moment, in dem man literarische Texte verfasst. Es sei „kein Dauerzustand, er war oft weg, besonders anfangs, aber dann war er immer wieder plötzlich da, besonders später, es gab dafür kein festes Anzeichen, der Zustand war oft schon lange da bevor ich es merkte, war weg und ich glaubte, ich sei noch darin (. . .)“.
In diesem Zustand werden sinnliche, aber unbegreifliche Objekte wie die Kartoffel, die Bohne oder der Pilz sprachlich erfasst, und bei einem mittlerweile fast vergessenen Gegenstand wie der Wäschemangel, die allein dadurch schon etwas Auratisches hat, gelangt Enzensberger zu einer Erkenntnis, die ihm auch den Titel für diese Kurzprosa eingab: „Eins nach dem andern“. Das ist angesichts der verwirrenden gesellschaftlichen Zustände, die in etlichen unübersehbaren Situationen plastisch werden, zentral. Man kann es sich formelhaft in Erinnerung rufen: „Und dann dachte ich, wenn du so anfängst, kannst du gleich aufhören, eins nach dem andern“.
Christian Enzensberger hat sich um Äußerliches und Eitelkeiten nie gekümmert, das zeigt Michael Krüger in seinem in leichtem Ton geschriebenen, aber umso einfühlsameren Nachwort. Als der Autor 1968 für seinen „Größeren Versuch über den Schmutz“ den Bremer Literaturpreis erhalten sollte, lehnte er ab. In diesem, seinem bekanntesten Titel wird präludiert, was auch die jetzt entdeckten „Gedichte in Prosa“ auszeichnet: der Übergang von der Poesie in die Poetik, die Möglichkeit, auch über die Poesie poetisch sprechen zu können. In dem den Band abschließenden, fragmentarischen Essay „Die Verbesserung“ gelingt ihm außerdem eine human-melancholische Charakterisierung der akademischen Entwicklung, der wahnwitzigen Gremien- und Wissenschaftssimulations-Universität – es ist keine Satire, es ist eine Hyperrealität: „Das Fach war verrückt geworden“.
Eines der Worte, die Enzensberger dafür findet, was ihn umtreibt, ist „Gesellschaftsäther“. Es handelt sich dabei um das Medium, in dem das Innere einer Person mit dem Äußeren in Verbindung steht. Dieses Wort erfasst einen Versuch, auf den wir lebenslang angewiesen sind, der aber schlechterdings kaum gelingen kann. Kleine, flüchtige, poetische Sätze wie in diesem Bändchen können halbwegs darüber hinweghelfen.
HELMUT BÖTTIGER
CHRISTIAN ENZENSBERGER: Eins nach dem andern. Gedichte in Prosa. Carl Hanser Verlag, München 2010. 79 Seiten, 12,90 Euro.
Christian Enzensberger in München, 1987. Foto: Herlinde Koelbl
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Aus dem Nachlass eines poetischen Privatgelehrten gefischt: Christian Enzensbergers schöne und flüchtige „Gedichte in Prosa“
Die Stimmungslagen des gemeinen Haushuhns drücken sich darin aus, ob es gock, gack oder gook macht. Christian Enzensberger geht es bei einem Gedicht über derlei Lautäußerungen jedoch um weitaus mehr. Er unterzieht den Schreibprozess selbst einer eingehenden Überprüfung. Wenn er dann konstatiert, dass die Dehnung von gock zu gook durch die ansteigende „Legebereitschaft“ des Huhns zu erklären sei, ist das auch ein Hinweis auf seine Produktionslust selbst. Die Sätze werden ausgedehnter und entspannter, ab und zu unterläuft sogar etwas ausgesprochen Frivoles.
Die Kurzprosastücke Christian Enzensbergers, der vor knapp zwei Jahren achtundsiebzigjährig gestorben ist, werden von ihm selbst als „Gedichte“ bezeichnet. Das ist deshalb so konsequent, weil er in einer beiläufigen und selbstverständlichen Art das Schreiben selbst zur Schau stellt. Ohne, dass es an irgendeiner Stelle aufdringlich oder verkrampft wirkt, kommentiert er, was er in vorausgegangenen Gedicht geleistet oder nicht geleistet hat, er stellt es in Frage, er stellt Überlegungen an und erklärt, warum er im nächsten das tut, was er tut. Es sind „Vorgänge, die einfach ablaufen, ohne dass man verstehen könnte warum“. Um derlei in Szene zu setzen, muss der Dichter sehr genau hinschauen, so genau, dass man wie unter einem Vergrößerungsglas die Geschehnisse und die Dinge so detail- und facettenreich wahrnimmt, bis sie etwas Unwirkliches und Surreales ausstrahlen, etwas Absurdes.
Die kurzen Stücke fanden sich im Nachlass des akademisch bestallten Anglisten, der aber nicht nur ein Professor seiner Disziplin, sondern noch viel mehr ein Privatgelehrter war. Neben diesen erhellenden, poetischen und die Poesie dabei zwar nicht restlos, aber dennoch erklärenden Prosasätzen wurden überdies Tausende anderer Seiten gefunden, die eine umfassende Naturphilosophie ins Auge zu fassen versuchen.
Dies schmale Bändchen jetzt ist auf andere Weise umfassend. Es umkreist in immer neuen überraschenden Wendungen etwas, was Enzensberger in nahezu juristisch-exakter und deshalb auch ironischer Weise als „Zustand“ bezeichnet: den Moment, in dem man literarische Texte verfasst. Es sei „kein Dauerzustand, er war oft weg, besonders anfangs, aber dann war er immer wieder plötzlich da, besonders später, es gab dafür kein festes Anzeichen, der Zustand war oft schon lange da bevor ich es merkte, war weg und ich glaubte, ich sei noch darin (. . .)“.
In diesem Zustand werden sinnliche, aber unbegreifliche Objekte wie die Kartoffel, die Bohne oder der Pilz sprachlich erfasst, und bei einem mittlerweile fast vergessenen Gegenstand wie der Wäschemangel, die allein dadurch schon etwas Auratisches hat, gelangt Enzensberger zu einer Erkenntnis, die ihm auch den Titel für diese Kurzprosa eingab: „Eins nach dem andern“. Das ist angesichts der verwirrenden gesellschaftlichen Zustände, die in etlichen unübersehbaren Situationen plastisch werden, zentral. Man kann es sich formelhaft in Erinnerung rufen: „Und dann dachte ich, wenn du so anfängst, kannst du gleich aufhören, eins nach dem andern“.
Christian Enzensberger hat sich um Äußerliches und Eitelkeiten nie gekümmert, das zeigt Michael Krüger in seinem in leichtem Ton geschriebenen, aber umso einfühlsameren Nachwort. Als der Autor 1968 für seinen „Größeren Versuch über den Schmutz“ den Bremer Literaturpreis erhalten sollte, lehnte er ab. In diesem, seinem bekanntesten Titel wird präludiert, was auch die jetzt entdeckten „Gedichte in Prosa“ auszeichnet: der Übergang von der Poesie in die Poetik, die Möglichkeit, auch über die Poesie poetisch sprechen zu können. In dem den Band abschließenden, fragmentarischen Essay „Die Verbesserung“ gelingt ihm außerdem eine human-melancholische Charakterisierung der akademischen Entwicklung, der wahnwitzigen Gremien- und Wissenschaftssimulations-Universität – es ist keine Satire, es ist eine Hyperrealität: „Das Fach war verrückt geworden“.
Eines der Worte, die Enzensberger dafür findet, was ihn umtreibt, ist „Gesellschaftsäther“. Es handelt sich dabei um das Medium, in dem das Innere einer Person mit dem Äußeren in Verbindung steht. Dieses Wort erfasst einen Versuch, auf den wir lebenslang angewiesen sind, der aber schlechterdings kaum gelingen kann. Kleine, flüchtige, poetische Sätze wie in diesem Bändchen können halbwegs darüber hinweghelfen.
HELMUT BÖTTIGER
CHRISTIAN ENZENSBERGER: Eins nach dem andern. Gedichte in Prosa. Carl Hanser Verlag, München 2010. 79 Seiten, 12,90 Euro.
Christian Enzensberger in München, 1987. Foto: Herlinde Koelbl
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kleine, flüchtige, poetische Sätze. Jede Menge davon entdeckt Helmut Böttiger in diesem kleinen Buch des vor zwei Jahren verstorbenen Christian Enzensberger. Ob der einen Pilz sprachlich fasst und ihm so eine Aura verpasst oder ob er dem Gegacker eines Huhns nachgeht - stets steckt darin für Böttiger auch der Versuch, dem Schreibprozess auf die Spur zu kommen. Wie unter einem Vergrößerungsglas, meint Böttiger, gehe das vor sich, genau und mit einer Tendenz zum Surrealen und Absurden. Die versammelten Kurzprosastücke werden für den Rezensenten so zu einer poetischen Reise in die Poesie und in die Werkstatt des Autors.
© Perlentaucher Medien GmbH
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