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"Noch halb im Schlaf / zieh ich mir zähneklappernd klamm / den mageren blassen Kinderkörper über. / Dressiert vom Frost mit kalter / Wut für euch zu zittern so / voller Anmut daß / ihr ganz verrückt seid nach dem nackten Püppchen." Ulla Hahn legt neue Gedichte vor, in denen freudige wie bittere Erfahrungen zum Ausdruck kommen, in denen von Liebe, Enttäuschung und Entsagung die Rede ist.

Produktbeschreibung
"Noch halb im Schlaf / zieh ich mir zähneklappernd klamm / den mageren blassen Kinderkörper über. / Dressiert vom Frost mit kalter / Wut für euch zu zittern so / voller Anmut daß / ihr ganz verrückt seid nach dem nackten Püppchen." Ulla Hahn legt neue Gedichte vor, in denen freudige wie bittere Erfahrungen zum Ausdruck kommen, in denen von Liebe, Enttäuschung und Entsagung die Rede ist.
Autorenporträt
Ulla Hahn, aufgewachsen im Rheinland, arbeitete mach ihrer Germanistik-Promotion als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten, anschließend als Literaturredakteurin bei Radio Bremen. Schon ihr erster Lyrikband wurde zu einem großen Leser- und Kritikererfolg. Ihr lyrisches Werk wurde u. a. mit dem Leonce-und-Lena-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Sie erhielt den Deutschen Bücherpreis. Zudem wurde sie 2006 mit dem "Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis" und dem "Hertha Koenig-Literaturpreis" ausgezeichnet. Im Jahr 2010 wird ihr der Ida Dehmel Literaturpreis 2010 der GEDOK verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Kennst du das Beet, wo die Zitate blühn?
Ulla Hahn in "Epikurs Garten" / Von Wulf Segebrecht

An ihren Gedichten scheiden sich die Geister. Die einen hören aus ihnen die Flötentöne einer sehr modernen Nachtigall, den anderen klingen sie wie Zurufe einer unzeitgemäßen Ul. Marcel Reich-Ranicki lobte sie über den grünen Klee, Michael Braun tadelte sie als "Edelkitsch aus dem Repertoire des Biedermeier", und Jörg Drews ignorierte sie sogar ganz (in seiner Anthologie "Das bleibt"). Was tut's, Ulla Hahn ist - gemessen an den Auflagen ihrer bisher vier Lyrikbände - eine überaus erfolgreiche Autorin, deren kunstreichen lyrischen Lust- und Liebesspielen Zehntausende von Lesern mit Neugier und Sympathie gefolgt sind. Sie werden sicher auch ihre Einladung in "Epikurs Garten" gern annehmen, dessen Anlage begutachten, seine Erträge prüfen, nach seiner Bedeutung fragen und seinen Wert abschätzen wollen.

Der Band gliedert sich in vier Abschnitte, die dem Ablauf eines Gartentages folgen, in dem sich ein Gartenjahr unaufdringlich spiegelt: Es beginnt mit dem frühen "Morgenlob", führt über die mittäglich-sommerliche Blütezeit ("Epikurs Garten") zur abendlichen "Vesper" und schließt, gleichsam vor der Nacht oder vor dem Winter "Den Garten verlassend", mit rück- und ausblickenden Reflexionen, die oft weit über den Horizont eines Gärtchens hinausreichen.

Die hohe Zeit des Gartens freilich ist die Blütezeit, zumal dann, wenn es, wie hier, ein Blumengarten ist, kein Nutzgarten, der präsentiert wird. Zwar bietet er vereinzelt auch ein wenig Gemüse, im übrigen aber gibt es Schneeglöckchen und Jungfer im Grünen, Malven, Phlox, Rosen aller Art, Mohn, Lavendel, Immortellen, gelbe Dahlien und Sonnenblumen, auch Schaumkraut und Disteln. Es ist ein blühender, mitteleuropäischer oder eigentlich ein sehr deutscher Hausgarten, der hier zur Betrachtung einlädt. Dabei wird nicht verschwiegen, daß selbst ein Kleingarten Arbeit macht: Vom Pflanzensetzen über die Schneckenvernichtung bis hin zum Aufbinden der Tomaten sehen wir die Gärtnerin beschäftigt, wobei sie der Botschaft der Garten-"Erde" an die Menschheit lauscht: "woher / ihr kommt wohin ihr geht: Ich weiß es. / Euch alle kriege ich. Zuerst das Weiche dann / die harten Knochen" - eine eindringliche Variation jener Worte, die man Verstorbenen nachzurufen pflegt: "Von Erde bist du genommen, zu Erde wirst du wieder werden." In Ulla Hahns Gedicht "Erde" heißt das: "Warte nur und du fühlst dich / nicht anders an als ich. Berühre mich / noch einmal wie den / den du liebst. Und geh zu ihm." Das ist, bei aller Liebe, doch ein harmonisierender Schluß, der nur rekapituliert, was schon den Barockautoren geläufig war, daß nämlich das "Memento mori" das "Carpe diem" durchaus einschließt. Zwei Wörter - "Erde ruft" - benötigte Gottfried Benn (in seinem Gedicht "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke"), um die Todesverfallenheit und die Sexualität des Menschen auf provozierend moderne Art miteinander zu kombinieren.

Immerhin, man sieht: Ulla Hahn macht sich so ihre Gedanken. Denn es ist, Epikur verpflichtet, ein philosophischer Garten, den wir besuchen. So lehrt die Betrachtung des Schaumkrauts die Begrenztheit jedes rationalen Verstehens ("wenn der Sommerwind durch die / Schaumkrautwiesen fließt kann der Verstand / ihm nicht folgen"), und das kluge Himmelsschlüsselchen weiß zu sagen: "Wer keine Worte macht, hat nie ein Versprechen gebrochen." Noch nachdenklicher könnte uns die Einsicht stimmen: "Die Linien des Lebens sind verschieden" - weiß Epikur! Der allerdings forderte streng: "Man soll nicht so tun, als ob man philosophiere, sondern wirklich philosophieren." Aber was heißt hier schon "wirklich"? Ein Blümchen aus Ulla Hahns Garten wirft diese abgründige Frage auf:

Die Erde ist wahr und der Wind und die

Sonne ist wahr und ich bin es auch. Oder

Sind wir alle nur wirklich? Gar nicht so einfach

Einfache Dinge auseinanderzuhalten oder zusammen

Zubringen.

Der philosophische Ertrag des Gartens ist, wie man sieht, recht dürftig. Der Garten ist vielmehr, wie seit eh und je, ein Bild des Lebens und des Sterbens, ein Gleichnis des Werdens und des Vergehens, eine große Welt im kleinen Maßstab des Zitats. Das zeigt besonders deutlich das Titelgedicht des Bandes, an dem Gräzisten zunächst ihre helle Freude haben könnten. Denn alles, von den Grußformeln bis hin zur Pflanzenwelt in Epikurs Garten, scheint hier zu stimmen: "Beim Ysop stand er wünschte mir Freude." Sogar die Epikur-Zitate, die das Gedicht enthält, sind authentisch, und ganz bescheiden gibt sich die Besucherin als diejenige zu erkennen, die diese Zitate lediglich überliefert, aufzeichnet, notiert.

"Ich notiert es", lautet die refrainhaft wiederkehrende Formel im Anschluß an die Epikur-Zitate. Die Dichterin nur als treue Dienerin der Worte und als brave Schülerin der Lehre des großen Philosophen? Kaum zu glauben! Und wirklich ergibt sich bei Käse, Wein und Feigen dann eine Situation, die mit den vieldeutigen Worten "wir machten es uns glückselig" umschrieben wird. Das mag nun konservative Altphilologen irritieren und auch der Position einer bloß notierenden Protokollantin nicht unbedingt entsprechen; aber dieser Moment der lustvollen Aneignung Epikurs ist doch ein Höhepunkt des Gedichts, er ist die Beglaubigung der leibhaftigen Begegnung mit ihm im Zeichen einer gemäßigten Lust. Leider mündet das Gedicht dann aber in die Trivialität einer Scheinmoderne ein. Das Zusammentreffen mit Epikur, so erfahren wir, habe in New York stattgefunden, "Madison Ecke 78th, wo es die klassischen hamburger gibt". Diese Pointe tut weh. Das "Klassische" wird am Ende desavouiert und auf typisch Hahnsche Art verkalauert. Sie hat nicht die Geduld, ihre unverkennbaren Neuerungen durchzustehen, und auch der Schlußsatz des Gedichts - "Der / Inopos rauschte vorüber" - rettet Freund Epikur nicht mehr: Eine Beziehung dieses delischen Flüßchens zu Epikur läßt sich nur noch über willkürliche Spekulationen herstellen.

Diese produktive Ungeduld kennzeichnet den ganzen Gedichtband von Ulla Hahn. Es fällt ihr zuviel ein, sie überdreht ihre Erfindungen. So wird dem Epikur ein Schwesterchen geschenkt, das seine Lustgefühle ausgerechnet beim Stabhochsprung kultivieren möchte. Und immer drängen sich Zitate vor. Da "legt sich der erste Schatten auf die Sonnenuhr", da wird man an den Paradiesgarten und an den Garten der Kindheit erinnert, an die evokative Gartenlust eines Wilhelm Lehmann oder Georg von der Vring, an die Sprache der Natur, die Günter Eich hörbar machen wollte; nur die politische Geheimsprache, die PeterHuchels "Der Garten des Theophrast" auszeichnet, bleibt gänzlich ausgespart.

Ulla Hahns Garten istein Zitatenschatz, ein Traditionsareal, wo Lebenslust und Lebenslast sich in Epikurs Namen zu einem Plädoyer für die gemäßigte Lust verbinden. Aber an diesem Ort kann und will sie nicht bleiben. Sie verläßt ihn zuletzt mit spürbarer Erleichterung. Sie braucht den disziplinierenden Garten nicht, um doch in ihrem Element zu sein. Im Schlußabschnitt "Den Garten verlassend" findet man Gedichte für Gertrud Kolmar (die sie nicht loszulassen scheint), erzählende Reflexionen über das Älterwerden und über Straßenbekanntschaften, übermütige Anspielungen auf Clemens Brentano und die Lindenwirtin und trotzige poetologische Bekenntnisse zu einem solchen "Fortschritt", der Mörikes "Auf eine Lampe" und die Kunst des Sonetts einschließt. So kennen wir Ulla Hahn; hier, den Garten verlassend, kommt sie wieder ganz zu sich selbst.

Ulla Hahn: "Epikurs Garten". Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 86 S., geb., 24,- DM.

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