Produktdetails
- edition suhrkamp
- Verlag: Suhrkamp
- Abmessung: 176mm x 108mm x 10mm
- Gewicht: 109g
- ISBN-13: 9783518118702
- Artikelnr.: 25074815
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2010Im Notlicht einer Sonnenfinsternis
Die Prosastücke von Undine Gruenter sind stolz, elegant, mitleidslos. Und sie sind von höchster Virtuosität. Jetzt wurde der Band "Epiphanien, abgeblendet" neu aufgelegt.
Epiphanien, abgeblendet" - man liest die sechsundfünfzig kurzen Prosastücke von Undine Gruenter, wie man die "Winterreise" hört: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus". Alles umkreist das Lied, das den Zyklus von Schubert eröffnet. Fremdheit sorgt auf jeder Seite für atemloses Erwachen aus Logik und eindeutiger Verständigung durch Sprache. Die sechsundfünfzig Partituren von Liebe und Tod erschienen erstmals 1993. Es war an der Zeit, diese verstörenden Prosagedichte neu aufzulegen und eine Autorin wieder ins Spiel zu bringen, die einen unverwechselbaren Ton in die neuere deutsche Literatur gebracht hat. In den Miniaturen verdichtet sich die Handlung auf kleine Momente, auf Leuchtspuren der Erleuchtung.
Es genügt, diese vor dem Hintergrund der eloquenten neun Kapitel zu sehen, in die sich die vier Jahre früher vorgelegte Sammlung von Liebesgeschichten "Nachtblind" gliedert. Man versteht, dass die Autorin, wie Beckett in den nachträglichen Revisionen des eigenen erzählerischen Reichtums ihre Sensibilität in komprimierten Abkürzungen wiederfinden möchte. Das dialektische Vorgehen, die Amputation einer unerhörten sprachlichen Varietät, die für die Wirkung den Phantomschmerz einkalkuliert, erreicht in "Epiphanien, abgeblendet" einen Höhepunkt. Dies rührt daher, dass das Narrative weitgehend unter der Haut der Sprache bleibt. Auslassungen, Sprünge, die dazu zwingen, Unverbundenes zu assoziieren, bilden die Struktur.
Ständig wird die kausale Abfolge unterbrochen. Das Buch wirkt wie die Kurzfassung von Stimmungen, Überlegungen, für die in vorhergehenden und in folgenden Büchern eine reiche Anschaulichkeit geboten wird. Die Pausen und Fehlstellen im Text fordern, wie im Sudoku, zu Kombinatorik auf. Wiederkehrende Motive, Spiegelungen oder Umkehrungen von Perioden, Variationen über das semantische Material einzelner Sätze, binden die Texte aneinander. Die Repetition von Interjektionen wie "Pst, pst" spielen dabei eine unübersehbare Rolle. Sie wirken wie Fermaten, die das Schweigen hinhalten. Dazu gehört auch der wiederholt gebrachte lakonische Einwand "Aber die Liebe". Wir wissen, dass Liebe blind macht, deshalb lesen wir einige Seiten weiter, dass die Liebe über die Hügel vor der Stadt geht, "mit ausgestochenen Augen und papierenem Kleid".
Die Abbreviaturen zwingen den Leser, die Traumfetzen mit Erinnerung oder Erwartung zu füllen. Regelmäßig tauchen Wörter auf, die wie Steine, die man übers Wasser springen lässt, dem Verstehen eine fragile Brücke bauen. Das Allusive ist Voraussetzung für das Zustandekommen von Epiphanie. Die Texte sprechen dabei keinesfalls von jubelnder Erleuchtung oder von Ekstase. Sie offenbaren vorwiegend bedrohliche und bedrückende Szenen. Alle stehen im Notlicht einer Sonnenfinsternis. Die Sonne taucht denn auch bereits im fünften Abschnitt als "kleiner schwarzer Ball am Himmel" auf.
Die Prozedur des Zögerns, Verschweigens und des Argwohns lässt an Texte Nathalie Sarrautes denken. Auch in ihnen herrscht eine Grausamkeit der Beobachtung, die den Leser nicht zum Komplizen macht, sondern ihn richtiggehend anspringt und wegdrängt. Erotik, Exhibitionismus, Verschmelzung der Körper und eine Scheu gehen auf erschütternde Weise ineinander über. Darauf beruht sicherlich ein großer Teil der Wirkung, die von dieser stolzen, abweisenden Prosa ausgeht. Die Autorin kennt für sich selbst kein Mitleid. Wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass Undine Gruenter ihre letzte Veröffentlichung, "Der verschlossene Garten", todkrank, ihrem Mann diktiert hat, der sie auf bewundernswerte Weise begleitete, zeugen Stil und Erzählung von einer außerordentlichen stoischen Haltung.
In dieser Sammlung von Erzählungen, die aus dem Nachlass herausgegeben wurde, findet sich eine bittere Zärtlichkeit, die Tschechow mit Slapstick, mit dem Tati von "Die Ferien des Monsieur Hulot" verbindet. Immer wieder gibt es Einschübe, die der Lektüre helfen, den Hinweis auf einen weißen Akt von Magritte, der die Erzählerin zu Selbstversuchen auf dem Kanapee auffordert, oder, als Beleg für den Einbruch von Unerklärbarem, der Blick auf den Strand, der über Nacht völlig von blitzenden Stanniolpapieren bedeckt ist. Und darüber hinaus spielt dieses Buch mit der normannischen Küste zwischen Cabourg und Trouville, an der Proust als Kind seinen präsurrealistischen Ausstieg aus der Wirklichkeit erlebte.
Wenn die Autorin über sich selbst redet, von sich selbst erzählt, spricht nicht die direkte Empfindung, sondern ein durch Abstand zu sich selbst gefilterter Gleichmut des Geistes. Vorzugsweise lässt sich die weibliche Hauptfigur, die Autorin, in den Büchern wie etwas Fremdes von außen beschreiben. Am eindrucksvollsten geschieht dies sicherlich mit der zärtlichen "Equilibre" (Gleichgewicht), die im Roman "Der verschlossene Garten" von "Soudain", dem über dreißig Jahre älteren Partner, verkörpert wird. Der Name "Soudain", "Plötzlich", macht daraus einen Schlüsselroman, verweist auf das Blitzartig-Unberechenbare, das als Grundeinstellung einer Ästhetik und Moral erkannt wird, die der Gewohnheit und der Langeweile entkommen möchten. Konzepte werden benannt, die auf Kierkegaards "Tagebuch eines Verführers" und auf das Dixhuitième, auf die Codes einer rituellen Verführung in den "Liaisons dangereuses" von Choderlos de Laclos hindeuten. Doch nichts Preziöses schleicht sich ein. Das Zeremonielle hat keine Chance. Der hohe Ton wird ständig von der Alltagssprache lädiert. Der Aufeinanderprall dessen, was die Ikonographie mit der Allegorie "Ungleiches Paar" verbindet, vermag die Funken der Epiphanie, einer tiefen Nähe zu entzünden, bei der es nicht auf Dauer, sondern allein auf Einzigartigkeit und Intensität ankommt. Deshalb ist es auch wichtig, den Abstieg aus der Epiphanie zu erleben, als einen plötzlichen Absturz aller Energie. In den "Epiphanien" gibt es genügend Hinweise auf die fliehende Zeit, auf Tod, Verwesung.
Hinter allen Stücken, die dieser kleine Band anbietet, stecken Surrealismus und eine Beunruhigung, die die Kausalität der Erzählung stören. Wie bei Aragon, Breton oder Michel Leiris saugt sich die Sprache an einem Objekt oder einer privaten Manie fest. Und die Rückkehr aus einer leidenschaftlichen Naheinstellung schafft die Leere und damit die Disposition, sich von einem unverbrauchten Eindruck, von einer neuen Epiphanie überwältigen zu lassen. Das Schreiben steht über dem Beschreiben. Was evoziert wird, spielt zumeist im Haus. Die Welt reduziert sich weitgehend auf den Blick durchs Fenster oder auf Erinnerungen, die in den kahlen, unbestimmten Raum eingeblendet werden. Die Einheit des Ortes steht im Vordergrund. Der Mann tritt ins Zimmer, die Frau tritt ins Zimmer oder zwei Paare begegnen sich im Zimmer. Die Szenen werden als lebende Bilder vorgeführt, die sich wie bei Bill Viola in aufreibender Zeitlupe bewegen.
Undine Gruenter verfügt über ihre eigenen Obsessionen. In einem Buch wie "Das Versteck des Minotaurus" zeigt sich dies. Die ständige Rückkehr zur Mythologie und zur Verdrehung mythologischer Topoi gehört der Autorin. Vom Innenraum aus, den man als Gehirn deuten kann, öffnet sich der Blick auf die Welt. Dies zieht sich als roter Faden durch das Labyrinth des Buches. Und das Gehege des Minotaurus, die "Vertreibung aus dem Labyrinth", der "hortus conclusus" bildet das unendliche Thema Undine Gruenters. Garnrolle, Ariadne, Lebensfaden lassen uns nicht los. Geschichten und Leben, Imagination und Zorn verknüpfen sich, verknoten sich unentwirrbar.
WERNER SPIES
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Prosastücke von Undine Gruenter sind stolz, elegant, mitleidslos. Und sie sind von höchster Virtuosität. Jetzt wurde der Band "Epiphanien, abgeblendet" neu aufgelegt.
Epiphanien, abgeblendet" - man liest die sechsundfünfzig kurzen Prosastücke von Undine Gruenter, wie man die "Winterreise" hört: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus". Alles umkreist das Lied, das den Zyklus von Schubert eröffnet. Fremdheit sorgt auf jeder Seite für atemloses Erwachen aus Logik und eindeutiger Verständigung durch Sprache. Die sechsundfünfzig Partituren von Liebe und Tod erschienen erstmals 1993. Es war an der Zeit, diese verstörenden Prosagedichte neu aufzulegen und eine Autorin wieder ins Spiel zu bringen, die einen unverwechselbaren Ton in die neuere deutsche Literatur gebracht hat. In den Miniaturen verdichtet sich die Handlung auf kleine Momente, auf Leuchtspuren der Erleuchtung.
Es genügt, diese vor dem Hintergrund der eloquenten neun Kapitel zu sehen, in die sich die vier Jahre früher vorgelegte Sammlung von Liebesgeschichten "Nachtblind" gliedert. Man versteht, dass die Autorin, wie Beckett in den nachträglichen Revisionen des eigenen erzählerischen Reichtums ihre Sensibilität in komprimierten Abkürzungen wiederfinden möchte. Das dialektische Vorgehen, die Amputation einer unerhörten sprachlichen Varietät, die für die Wirkung den Phantomschmerz einkalkuliert, erreicht in "Epiphanien, abgeblendet" einen Höhepunkt. Dies rührt daher, dass das Narrative weitgehend unter der Haut der Sprache bleibt. Auslassungen, Sprünge, die dazu zwingen, Unverbundenes zu assoziieren, bilden die Struktur.
Ständig wird die kausale Abfolge unterbrochen. Das Buch wirkt wie die Kurzfassung von Stimmungen, Überlegungen, für die in vorhergehenden und in folgenden Büchern eine reiche Anschaulichkeit geboten wird. Die Pausen und Fehlstellen im Text fordern, wie im Sudoku, zu Kombinatorik auf. Wiederkehrende Motive, Spiegelungen oder Umkehrungen von Perioden, Variationen über das semantische Material einzelner Sätze, binden die Texte aneinander. Die Repetition von Interjektionen wie "Pst, pst" spielen dabei eine unübersehbare Rolle. Sie wirken wie Fermaten, die das Schweigen hinhalten. Dazu gehört auch der wiederholt gebrachte lakonische Einwand "Aber die Liebe". Wir wissen, dass Liebe blind macht, deshalb lesen wir einige Seiten weiter, dass die Liebe über die Hügel vor der Stadt geht, "mit ausgestochenen Augen und papierenem Kleid".
Die Abbreviaturen zwingen den Leser, die Traumfetzen mit Erinnerung oder Erwartung zu füllen. Regelmäßig tauchen Wörter auf, die wie Steine, die man übers Wasser springen lässt, dem Verstehen eine fragile Brücke bauen. Das Allusive ist Voraussetzung für das Zustandekommen von Epiphanie. Die Texte sprechen dabei keinesfalls von jubelnder Erleuchtung oder von Ekstase. Sie offenbaren vorwiegend bedrohliche und bedrückende Szenen. Alle stehen im Notlicht einer Sonnenfinsternis. Die Sonne taucht denn auch bereits im fünften Abschnitt als "kleiner schwarzer Ball am Himmel" auf.
Die Prozedur des Zögerns, Verschweigens und des Argwohns lässt an Texte Nathalie Sarrautes denken. Auch in ihnen herrscht eine Grausamkeit der Beobachtung, die den Leser nicht zum Komplizen macht, sondern ihn richtiggehend anspringt und wegdrängt. Erotik, Exhibitionismus, Verschmelzung der Körper und eine Scheu gehen auf erschütternde Weise ineinander über. Darauf beruht sicherlich ein großer Teil der Wirkung, die von dieser stolzen, abweisenden Prosa ausgeht. Die Autorin kennt für sich selbst kein Mitleid. Wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass Undine Gruenter ihre letzte Veröffentlichung, "Der verschlossene Garten", todkrank, ihrem Mann diktiert hat, der sie auf bewundernswerte Weise begleitete, zeugen Stil und Erzählung von einer außerordentlichen stoischen Haltung.
In dieser Sammlung von Erzählungen, die aus dem Nachlass herausgegeben wurde, findet sich eine bittere Zärtlichkeit, die Tschechow mit Slapstick, mit dem Tati von "Die Ferien des Monsieur Hulot" verbindet. Immer wieder gibt es Einschübe, die der Lektüre helfen, den Hinweis auf einen weißen Akt von Magritte, der die Erzählerin zu Selbstversuchen auf dem Kanapee auffordert, oder, als Beleg für den Einbruch von Unerklärbarem, der Blick auf den Strand, der über Nacht völlig von blitzenden Stanniolpapieren bedeckt ist. Und darüber hinaus spielt dieses Buch mit der normannischen Küste zwischen Cabourg und Trouville, an der Proust als Kind seinen präsurrealistischen Ausstieg aus der Wirklichkeit erlebte.
Wenn die Autorin über sich selbst redet, von sich selbst erzählt, spricht nicht die direkte Empfindung, sondern ein durch Abstand zu sich selbst gefilterter Gleichmut des Geistes. Vorzugsweise lässt sich die weibliche Hauptfigur, die Autorin, in den Büchern wie etwas Fremdes von außen beschreiben. Am eindrucksvollsten geschieht dies sicherlich mit der zärtlichen "Equilibre" (Gleichgewicht), die im Roman "Der verschlossene Garten" von "Soudain", dem über dreißig Jahre älteren Partner, verkörpert wird. Der Name "Soudain", "Plötzlich", macht daraus einen Schlüsselroman, verweist auf das Blitzartig-Unberechenbare, das als Grundeinstellung einer Ästhetik und Moral erkannt wird, die der Gewohnheit und der Langeweile entkommen möchten. Konzepte werden benannt, die auf Kierkegaards "Tagebuch eines Verführers" und auf das Dixhuitième, auf die Codes einer rituellen Verführung in den "Liaisons dangereuses" von Choderlos de Laclos hindeuten. Doch nichts Preziöses schleicht sich ein. Das Zeremonielle hat keine Chance. Der hohe Ton wird ständig von der Alltagssprache lädiert. Der Aufeinanderprall dessen, was die Ikonographie mit der Allegorie "Ungleiches Paar" verbindet, vermag die Funken der Epiphanie, einer tiefen Nähe zu entzünden, bei der es nicht auf Dauer, sondern allein auf Einzigartigkeit und Intensität ankommt. Deshalb ist es auch wichtig, den Abstieg aus der Epiphanie zu erleben, als einen plötzlichen Absturz aller Energie. In den "Epiphanien" gibt es genügend Hinweise auf die fliehende Zeit, auf Tod, Verwesung.
Hinter allen Stücken, die dieser kleine Band anbietet, stecken Surrealismus und eine Beunruhigung, die die Kausalität der Erzählung stören. Wie bei Aragon, Breton oder Michel Leiris saugt sich die Sprache an einem Objekt oder einer privaten Manie fest. Und die Rückkehr aus einer leidenschaftlichen Naheinstellung schafft die Leere und damit die Disposition, sich von einem unverbrauchten Eindruck, von einer neuen Epiphanie überwältigen zu lassen. Das Schreiben steht über dem Beschreiben. Was evoziert wird, spielt zumeist im Haus. Die Welt reduziert sich weitgehend auf den Blick durchs Fenster oder auf Erinnerungen, die in den kahlen, unbestimmten Raum eingeblendet werden. Die Einheit des Ortes steht im Vordergrund. Der Mann tritt ins Zimmer, die Frau tritt ins Zimmer oder zwei Paare begegnen sich im Zimmer. Die Szenen werden als lebende Bilder vorgeführt, die sich wie bei Bill Viola in aufreibender Zeitlupe bewegen.
Undine Gruenter verfügt über ihre eigenen Obsessionen. In einem Buch wie "Das Versteck des Minotaurus" zeigt sich dies. Die ständige Rückkehr zur Mythologie und zur Verdrehung mythologischer Topoi gehört der Autorin. Vom Innenraum aus, den man als Gehirn deuten kann, öffnet sich der Blick auf die Welt. Dies zieht sich als roter Faden durch das Labyrinth des Buches. Und das Gehege des Minotaurus, die "Vertreibung aus dem Labyrinth", der "hortus conclusus" bildet das unendliche Thema Undine Gruenters. Garnrolle, Ariadne, Lebensfaden lassen uns nicht los. Geschichten und Leben, Imagination und Zorn verknüpfen sich, verknoten sich unentwirrbar.
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