Ernst Busch (1900 - 1980) war in den zwanziger Jahren ein Bühnen- und Filmstar an der Seite von Gustaf Gründgens, Theo Lingen, Heinrich George, Lotte Lenya. Seine Konzerte, Rundfunkauftritte und Platten haben die Musik von Paul Dessau, Kurt Weill, Hanns Eisler populär gemacht. Busch wurde von den Nazis als Hochverräter verurteilt. 1946 gründete er die erste und einzige Schallplattenfirma der DDR, geriet jedoch mit der SED in Konflikt. Zugleich feierte er als Brecht-Schauspieler Triumphe und seine Lieder sind eine Chronik des 20. Jahrhunderts. Noch in den sechziger Jahren gelang ihm ein Comeback als Sänger. In der Sowjetunion galt er als "größter Deutscher" neben Heine, Marx und Goethe. Seine Songs, von Atomkraftgegnern auf den Barrikaden in Brokdorf gesungen, beeinflussten die Band "TonSteineScherben" ebenso wie den Liedermacher Gerhard Gundermann.
Eine Ikone zwischen Pop und Propaganda
Ernst Busch (1900-1980) war einer der schillerndsten Bühnenstars, die Deutschland im 20. Jahrhundert zu bieten hatte. Einer, dem der Ruch der Revolte anhaftete. Eine Ikone der Linken. Berühmt wurde er 1930 als Moritatensänger in der Verfilmung der "Dreigroschenoper", legendär als singender Truppenbetreuer im Spanischen Bürgerkrieg und berüchtigt durch die Hymne "Die Partei hat immer recht". Propaganda-Parolen und Shakespeare, Kästner-Gedichte und Chansons von Tucholsky/Eisler - was er sang, sprach und spielte, geriet stets zur Gratwanderung zwischen Kunst und Politik, zwischen Ideologie und Entertainment. Sein Publikum berauschte sich am Klang seiner metallenen Stimme, schmückte ihn mit Beinamen wie "Barrikaden-Caruso", "Rote Nachtigall" und "singendes Herz der Arbeiterklasse".
Ernst Busch war Werftarbeiter in der Kaiserzeit in Kiel, Theaterschauspieler bei Piscator in Berlin, Kabarett-, Kino- und Schallplattenstar der späten Weimarer Republik, Rhapsode des antifaschistischen Widerstands im Exil, Gefangener des Naziregimes, Gründer der ersten und einzigen Schallplattenfirma der DDR, international gefeierter Brecht-Schauspieler, Kapitalist, Stalinist und Querulant im SED-Staat, populärster deutscher Künstler in der Sowjetunion, Kultfigur der westdeutschen 68er. Die Liste seiner Fans reicht von Heinrich Mann über Pete Seeger bis zu den Punks der Hamburger Hausbesetzerszene.
Jochen Voit erschließt in seiner grandios erzählten Biographie eine Jahrhundertgestalt und ihre Epoche.
Eine Ikone zwischen Pop und Propaganda
Ernst Busch (1900-1980) war einer der schillerndsten Bühnenstars, die Deutschland im 20. Jahrhundert zu bieten hatte. Einer, dem der Ruch der Revolte anhaftete. Eine Ikone der Linken. Berühmt wurde er 1930 als Moritatensänger in der Verfilmung der "Dreigroschenoper", legendär als singender Truppenbetreuer im Spanischen Bürgerkrieg und berüchtigt durch die Hymne "Die Partei hat immer recht". Propaganda-Parolen und Shakespeare, Kästner-Gedichte und Chansons von Tucholsky/Eisler - was er sang, sprach und spielte, geriet stets zur Gratwanderung zwischen Kunst und Politik, zwischen Ideologie und Entertainment. Sein Publikum berauschte sich am Klang seiner metallenen Stimme, schmückte ihn mit Beinamen wie "Barrikaden-Caruso", "Rote Nachtigall" und "singendes Herz der Arbeiterklasse".
Ernst Busch war Werftarbeiter in der Kaiserzeit in Kiel, Theaterschauspieler bei Piscator in Berlin, Kabarett-, Kino- und Schallplattenstar der späten Weimarer Republik, Rhapsode des antifaschistischen Widerstands im Exil, Gefangener des Naziregimes, Gründer der ersten und einzigen Schallplattenfirma der DDR, international gefeierter Brecht-Schauspieler, Kapitalist, Stalinist und Querulant im SED-Staat, populärster deutscher Künstler in der Sowjetunion, Kultfigur der westdeutschen 68er. Die Liste seiner Fans reicht von Heinrich Mann über Pete Seeger bis zu den Punks der Hamburger Hausbesetzerszene.
Jochen Voit erschließt in seiner grandios erzählten Biographie eine Jahrhundertgestalt und ihre Epoche.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Sehr zufrieden zeigt sich der hier rezensierende Zeithistoriker Detlef Siegfried mit Jochen Voits Biografie von Ernst Busch, der als Schauspieler, Regisseur und vor allem als Sänger revolutionärer Lieder so etwas wie das Popidol der Arbeiterbewegung wurde. Besonders gut hat Siegfried gefallen, dass der Autor am Beispiel von Buschs Engagement im Spanischen Bürgerkrieg herausarbeitet, wie sich dessen "Eigensinn" mit seiner "politischen Instrumentalisierung" durchdrang. Busch wird Voit zum Exempel einer Strömung, in der sich politische Intention "modernster kulturindustrieller Methoden" bedient, deren Überzeugungskraft im Fall Buschs allerdings in der DDR stark litt, wie der Rezensent feststellt. In seinen Augen ist dem Autor mit seiner Biografie eine glänzende Studie zu Massenkultur in sich verändernden politischen Zusammenhängen gelungen, die sich zeitgeschichtlich ganz auf der Höhe befindet. Zudem lobt Siegfried Einfühlungsvermögen und kritische Distanz, die hinter dem "Denkmal" Busch auch den Menschen erkennen lassen, wie er eingenommen betont.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2010Am liebsten hörte er seine eigenen Platten
Ein Sänger der Barrikaden und der Einheitspartei: Jochen Voits Erzählung des Lebens von Ernst Busch macht ein Denkmal wieder lebendig und wahrt doch die gebotene Distanz.
Er war der Moritatensänger mit dem wilden Blick in der 1931 entstandenen Verfilmung der "Dreigroschenoper", spielte gut zwei Jahrzehnte später über zweihundertmal den Galileo Galilei in Brechts eigener Inszenierung am Berliner Ensemble und verbrachte seine letzten Lebensjahrzehnte mehr oder weniger auf einem Denkmalsockel als singender Lehrmeister der Geschichte des Klassenkampfes. Durch seine exemplarische Biographie, die vom Kieler Matrosenaufstand 1918 über den Spanischen Bürgerkrieg bis zum Widerstand gegen die Nazis sich geradezu modellhaft in den Gründungsmythos der DDR einpasste, eignete sich Ernst Busch hervorragend zur Inthronisierung als eine der offiziellen Vaterfiguren des jungen Staates. Auch wenn persönlicher Ehrgeiz und launenhaft egomanisches Temperament ebenso wie berechtigtes Misstrauen das Verhältnis des Sängers und Schauspielers zur kulturpolitischen Bürokratie keineswegs konfliktfrei ließen und allein die komplizierte Geschichte seiner Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in der SED Stoff für zahlreiche Anekdoten liefert - politisch konnte man sich auf ihn verlassen.
So stand der Sechsundsiebzigjährige federführend auf der Liste jener Künstler, die 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns rechtfertigten, gerade jenes Sängers, den man vielleicht als seinen einzigen sängerischen Erben ansehen könnte, der Busch heiß verehrte und von ihm eher kühl abgekanzelt wurde. Zur künstlerischen Gegenwart hatte Busch längst jede Beziehung verloren. Er ließ sich ehren in Gesangsveranstaltungen mit so strammen Titeln wie "Junge Generation würdigt ihr Vorbild Ernst Busch" und setzte alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung, um ein ihm nicht genehmes, weil ganz unheroisches Porträt des Malers Ronald Paris von der Dresdener Kunstausstellung 1972 verschwinden zu lassen. Bis heute ist das möglicherweise vernichtete, im Buch abgebildete Gemälde nicht wiederaufgetaucht. Dies ist eine der beispielhaften Episoden für die ebenso selbstherrliche wie empfindliche Persönlichkeit Buschs, die auch zeigt, welche Spannungen zwischen dem offiziellen Denkmal und dem irgendwie aus der Zeit gefallenen Künstler bestanden. Jochen Voit hat für dieses zuerst so weit ausgreifende und später immer mehr sich zusammenziehende Leben eine Formel gefunden, er erzählt es, wie er sagt, als "Geschichte einer Versteinerung".
Dreißig Jahre nach dem Tod von Ernst Busch präsentiert Voit mit seinem Buch jetzt die erste erschöpfende und nichthagiographische Biographie des "Barrikaden-Tauber", des "Jung-Siegfried der KPD", der Busch übrigens erst 1945, lange nachdem Alfred Polgar ihn so apostrophiert hatte, beitrat. Voit betrachtet das von ihm geschilderte Leben aus der Perspektive der Enkelgeneration. So gibt es lebensgeschichtlich gerade noch Berührungspunkte; der Autor war acht Jahre alt, als Busch starb.
Busch hatte, während er in der DDR als Sänger der Partei, die immer recht hat, nicht mehr viele Herzen eroberte, längst die sinnliche Seite der jungen westdeutschen Linken angesprochen. Vom Berufsverbot betroffene Lehrerinnen baten Busch in den siebziger Jahren um Hilfe, ohne indes Antwort zu erhalten, und unter den Hochzeitsgeschenken für Ulrike Meinhof und Rainer Röhl befand sich 1961 auch Buschs Exklusivaufnahme der "Ballade von der Hanna Cash" mit persönlicher Widmung. Sie blieb, so zitiert der Autor Röhl, "ihr Lieblingslied".
Voit hörte Buschs Platten aus der Sammlung seines Vaters als Jugendlicher in einer süddeutschen Großstadt und war elektrisiert von der kämpferischen Revolutionsromantik der Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg, die im Franco-Spanien ja immerhin noch so etwas wie eine konkrete politische Adresse besaßen. Er beschreibt seine frühe Faszination durch diese Stimme, die weit mehr als die Aufforderung zu politischer Haltung ausdrückte. Damit reiht er sich einerseits ein in die Erweckungserlebnisse, die viele Zeitzeugen beim ersten Hören von Ernst Busch empfanden. Andererseits gibt er damit aber auch etwas von der Faszination weiter, die heute zuallererst eine Busch-Biographie legitimiert.
Natürlich ist Busch eine Person der Zeitgeschichte, natürlich lassen sich an seinem Leben die Verwicklungen innerhalb des linken Widerstands wie auch die hanebüchenen Widersprüche im Leben eines DDR-Staatskünstlers aufschlüsseln. Aber das alles verdiente doch nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn es nicht auch dazu diente, genauer zu verstehen, woher diese elektrisierende Stimme kommt, dieser gleichzeitig spröde und den Zuhörer doch mit allen Mitteln der Kunst umgarnende Gesang, der in vielen Tondokumenten überliefert ist. Es ist eine Stimme des Jahrhunderts, vielleicht die Stimme seiner schicksalhaften Jahrzehnte. Der unermüdliche Busch selbst sah das zumindest so. Am liebsten hörte er seine eigenen Platten, in späteren Lebensjahren bevorzugt bei enormer Lautstärke und geöffneten Fenstern in seiner Villa in Pankow.
Dass Voits Buch in mehr als zehn Jahren gewachsen ist, dass eine Magisterarbeit und eine Dissertation für es den Nährboden bilden, merkt der Leser allenfalls an der Dichte, in der das zugrundeliegende Material aufgearbeitet ist, und dem sorgfältig gestalteten Anhang. Dem Autor gelingt es jedoch mit scheinbar leichter Hand, all sein Wissen in einen Erzählstrom einzugliedern, der mediengeschichtliche Exkurse ebenso mitträgt wie gehobenen Klatsch.
Busch war ein großer Selbstdarsteller seines Lebens, der gerne Zuhörer um sich hatte und bestimmte Geschichten immer wieder zu erzählen liebte. Etwa die von der Befreiung durch die Rote Armee aus dem Zuchthaus in Brandenburg-Görden, wo er als politischer Gefangener saß. Auf dem anschließenden Fußmarsch nach Berlin, den er mit einem Schicksalsgenossen allein antrat, trug Busch einen Mantel der Wachmannschaft, was ihn, als sie sowjetischen Soldaten begegneten, in eine brenzlige Lage brachte. Die Rettung war der Gesang. Busch stimmte die russische Version des "Einheitsfrontliedes" an, das er auch während seiner Moskauer Emigrationszeit oft gesungen hatte, "Marsch, lewoi, dwa, tri". Erstaunt blickte der Soldat ihn an: "Ernsta Busch?!" Er hatte ihn 1936 in Moskau gehört. Und der Weg nach Hause war frei.
Voit beginnt seine Biographie mit dieser Schlüsselszene, und so wie er die Geschichte erzählt, erlebt man suggestiv zusammengeschnitten sowohl Busch selbst als auch die etwas distanzierte Haltung des Enkel-Autors und die drängenden Mienen der direkten Zuhörer Wolfgang Kohlhaase und Konrad Wolf - vom Autor beharrlich Koni genannt -, auf deren Tonband-Interview Voits Erzählung basiert. Solch eine dynamische, durch das potenzierte Zuhören gebrochene Annäherung an das zu erzählende Leben prägt den Tonfall dieser Biographie über weite Strecken, ohne indes den Erzähler zum Gefangenen seiner eigenen Methode zu machen. Die Vielstimmigkeit dieses Buches ist virtuos, der Umgang mit den Quellen eigenwillig, bleibt aber immer philologisch nachvollziehbar. Voit muss das Denkmal Ernst Busch nicht vom Sockel stoßen, er zaubert wieder den Menschen, der so viele verzaubert hat, daraus hervor.
MARTIN WILKENING
Jochen Voit: "Er rührte an den Schlaf der Welt". Ernst Busch - Die Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 360 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Sänger der Barrikaden und der Einheitspartei: Jochen Voits Erzählung des Lebens von Ernst Busch macht ein Denkmal wieder lebendig und wahrt doch die gebotene Distanz.
Er war der Moritatensänger mit dem wilden Blick in der 1931 entstandenen Verfilmung der "Dreigroschenoper", spielte gut zwei Jahrzehnte später über zweihundertmal den Galileo Galilei in Brechts eigener Inszenierung am Berliner Ensemble und verbrachte seine letzten Lebensjahrzehnte mehr oder weniger auf einem Denkmalsockel als singender Lehrmeister der Geschichte des Klassenkampfes. Durch seine exemplarische Biographie, die vom Kieler Matrosenaufstand 1918 über den Spanischen Bürgerkrieg bis zum Widerstand gegen die Nazis sich geradezu modellhaft in den Gründungsmythos der DDR einpasste, eignete sich Ernst Busch hervorragend zur Inthronisierung als eine der offiziellen Vaterfiguren des jungen Staates. Auch wenn persönlicher Ehrgeiz und launenhaft egomanisches Temperament ebenso wie berechtigtes Misstrauen das Verhältnis des Sängers und Schauspielers zur kulturpolitischen Bürokratie keineswegs konfliktfrei ließen und allein die komplizierte Geschichte seiner Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in der SED Stoff für zahlreiche Anekdoten liefert - politisch konnte man sich auf ihn verlassen.
So stand der Sechsundsiebzigjährige federführend auf der Liste jener Künstler, die 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns rechtfertigten, gerade jenes Sängers, den man vielleicht als seinen einzigen sängerischen Erben ansehen könnte, der Busch heiß verehrte und von ihm eher kühl abgekanzelt wurde. Zur künstlerischen Gegenwart hatte Busch längst jede Beziehung verloren. Er ließ sich ehren in Gesangsveranstaltungen mit so strammen Titeln wie "Junge Generation würdigt ihr Vorbild Ernst Busch" und setzte alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung, um ein ihm nicht genehmes, weil ganz unheroisches Porträt des Malers Ronald Paris von der Dresdener Kunstausstellung 1972 verschwinden zu lassen. Bis heute ist das möglicherweise vernichtete, im Buch abgebildete Gemälde nicht wiederaufgetaucht. Dies ist eine der beispielhaften Episoden für die ebenso selbstherrliche wie empfindliche Persönlichkeit Buschs, die auch zeigt, welche Spannungen zwischen dem offiziellen Denkmal und dem irgendwie aus der Zeit gefallenen Künstler bestanden. Jochen Voit hat für dieses zuerst so weit ausgreifende und später immer mehr sich zusammenziehende Leben eine Formel gefunden, er erzählt es, wie er sagt, als "Geschichte einer Versteinerung".
Dreißig Jahre nach dem Tod von Ernst Busch präsentiert Voit mit seinem Buch jetzt die erste erschöpfende und nichthagiographische Biographie des "Barrikaden-Tauber", des "Jung-Siegfried der KPD", der Busch übrigens erst 1945, lange nachdem Alfred Polgar ihn so apostrophiert hatte, beitrat. Voit betrachtet das von ihm geschilderte Leben aus der Perspektive der Enkelgeneration. So gibt es lebensgeschichtlich gerade noch Berührungspunkte; der Autor war acht Jahre alt, als Busch starb.
Busch hatte, während er in der DDR als Sänger der Partei, die immer recht hat, nicht mehr viele Herzen eroberte, längst die sinnliche Seite der jungen westdeutschen Linken angesprochen. Vom Berufsverbot betroffene Lehrerinnen baten Busch in den siebziger Jahren um Hilfe, ohne indes Antwort zu erhalten, und unter den Hochzeitsgeschenken für Ulrike Meinhof und Rainer Röhl befand sich 1961 auch Buschs Exklusivaufnahme der "Ballade von der Hanna Cash" mit persönlicher Widmung. Sie blieb, so zitiert der Autor Röhl, "ihr Lieblingslied".
Voit hörte Buschs Platten aus der Sammlung seines Vaters als Jugendlicher in einer süddeutschen Großstadt und war elektrisiert von der kämpferischen Revolutionsromantik der Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg, die im Franco-Spanien ja immerhin noch so etwas wie eine konkrete politische Adresse besaßen. Er beschreibt seine frühe Faszination durch diese Stimme, die weit mehr als die Aufforderung zu politischer Haltung ausdrückte. Damit reiht er sich einerseits ein in die Erweckungserlebnisse, die viele Zeitzeugen beim ersten Hören von Ernst Busch empfanden. Andererseits gibt er damit aber auch etwas von der Faszination weiter, die heute zuallererst eine Busch-Biographie legitimiert.
Natürlich ist Busch eine Person der Zeitgeschichte, natürlich lassen sich an seinem Leben die Verwicklungen innerhalb des linken Widerstands wie auch die hanebüchenen Widersprüche im Leben eines DDR-Staatskünstlers aufschlüsseln. Aber das alles verdiente doch nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn es nicht auch dazu diente, genauer zu verstehen, woher diese elektrisierende Stimme kommt, dieser gleichzeitig spröde und den Zuhörer doch mit allen Mitteln der Kunst umgarnende Gesang, der in vielen Tondokumenten überliefert ist. Es ist eine Stimme des Jahrhunderts, vielleicht die Stimme seiner schicksalhaften Jahrzehnte. Der unermüdliche Busch selbst sah das zumindest so. Am liebsten hörte er seine eigenen Platten, in späteren Lebensjahren bevorzugt bei enormer Lautstärke und geöffneten Fenstern in seiner Villa in Pankow.
Dass Voits Buch in mehr als zehn Jahren gewachsen ist, dass eine Magisterarbeit und eine Dissertation für es den Nährboden bilden, merkt der Leser allenfalls an der Dichte, in der das zugrundeliegende Material aufgearbeitet ist, und dem sorgfältig gestalteten Anhang. Dem Autor gelingt es jedoch mit scheinbar leichter Hand, all sein Wissen in einen Erzählstrom einzugliedern, der mediengeschichtliche Exkurse ebenso mitträgt wie gehobenen Klatsch.
Busch war ein großer Selbstdarsteller seines Lebens, der gerne Zuhörer um sich hatte und bestimmte Geschichten immer wieder zu erzählen liebte. Etwa die von der Befreiung durch die Rote Armee aus dem Zuchthaus in Brandenburg-Görden, wo er als politischer Gefangener saß. Auf dem anschließenden Fußmarsch nach Berlin, den er mit einem Schicksalsgenossen allein antrat, trug Busch einen Mantel der Wachmannschaft, was ihn, als sie sowjetischen Soldaten begegneten, in eine brenzlige Lage brachte. Die Rettung war der Gesang. Busch stimmte die russische Version des "Einheitsfrontliedes" an, das er auch während seiner Moskauer Emigrationszeit oft gesungen hatte, "Marsch, lewoi, dwa, tri". Erstaunt blickte der Soldat ihn an: "Ernsta Busch?!" Er hatte ihn 1936 in Moskau gehört. Und der Weg nach Hause war frei.
Voit beginnt seine Biographie mit dieser Schlüsselszene, und so wie er die Geschichte erzählt, erlebt man suggestiv zusammengeschnitten sowohl Busch selbst als auch die etwas distanzierte Haltung des Enkel-Autors und die drängenden Mienen der direkten Zuhörer Wolfgang Kohlhaase und Konrad Wolf - vom Autor beharrlich Koni genannt -, auf deren Tonband-Interview Voits Erzählung basiert. Solch eine dynamische, durch das potenzierte Zuhören gebrochene Annäherung an das zu erzählende Leben prägt den Tonfall dieser Biographie über weite Strecken, ohne indes den Erzähler zum Gefangenen seiner eigenen Methode zu machen. Die Vielstimmigkeit dieses Buches ist virtuos, der Umgang mit den Quellen eigenwillig, bleibt aber immer philologisch nachvollziehbar. Voit muss das Denkmal Ernst Busch nicht vom Sockel stoßen, er zaubert wieder den Menschen, der so viele verzaubert hat, daraus hervor.
MARTIN WILKENING
Jochen Voit: "Er rührte an den Schlaf der Welt". Ernst Busch - Die Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 360 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
CineGraph Babelsberg " Eine interessante Biografie eines widerspruchsreichen Künstlers, [...] " Günter Agde Fachzeitschrift /-magazin 20111019